<380> "Das Geld ist eine Ware, und zwar ein wesentliches Mittel oder Vermögen; denn es schützt vor der Verknöcherung des Vermögens, hält es im Fluß und bewirkt seinen Umsatz. Wißt Ihr ein besseres Tauschmittel, immerhin; doch wird es wieder ein Geld sein." p. 364.
p. 353 wird das Geld als "gangbares oder kursierendes Eigentum" bestimmt.
Im "Verein" wird also das Geld beibehalten, dies rein gesellschaftliche Eigentum, dem alles Individuelle abgestreift ist. Wie sehr Sancho in der bürgerlichen Anschauungsweise befangen ist, zeigt seine Frage nach einem besseren Tauschmittel. Er setzt also zuerst voraus, daß ein Tauschmittel überhaupt nötig ist, und dann kennt er kein anderes Tauschmittel als das Geld. Daß ein Schiff, eine Eisenbahn, die Waren transportieren, ebenfalls Tauschmittel sind, kümmert ihn nicht. Um also nicht bloß vom Tauschmittel, sondern vom Gelde speziell zu sprechen, ist er genötigt, die übrigen Bestimmungen des Geldes, daß es das allgemein gangbare und kursierende Tauschmittel ist, alles Eigentum im Fluß erhält etc., hereinzunehmen. Damit kommen auch die ökonomischen Bestimmungen herein, die Sancho nicht kennt, die aber gerade das Geld konstituieren; und mit ihnen auch der ganze jetzige Zustand, Klassenwirtschaft, Herrschaft der Bourgeoisie etc.
Wir erhalten indes zunächst einige Aufschlüsse über den - sehr originellen - Verlauf der Geldkrisen im Verein.
Es entsteht die Frage:
"Wo Geld hernehmen? ... Man bezahlt nicht mit Geld, woran Mangel eintreten kann, sondern mit seinem Vermögen, durch welches allein Wir vermögend sind ... Nicht das Geld tut Euch Schaden, sondern Euer Unvermögen, es zu nehmen."
Und nun der moralische Zuspruch:
"Laßt Euer Vermögen wirken, nehmt Euch zusammen, und es wird an Geld, an Eurem Gelde, dem Gelde Eures Gepräges, nicht fehlen ... Wisse denn, Du hast so viel Geld, als Du - Gewalt hast; denn Du giltst soviel, als Du Dir Geltung verschaffst." p. 353, 364.
In der Macht des Geldes, in der Verselbständigung des allgemeinen Tauschmittels, sowohl der Gesellschaft wie den Einzelnen gegenüber, tritt die Verselbständigung der Produktions- und Verkehrsverhältnisse überhaupt am deutlichsten hervor. Also Sancho weiß, wie gewöhnlich, Nichts vom Zusammenhange der Geldverhältnisse mit der allgemeinen Produktion und dem Verkehr. Er behält als guter Bürgersmann das Geld ruhig bei, wie dies auch <381> nach seiner Teilung der Arbeit und Organisation des Grundbesitzes nicht anders möglich ist. Die sachliche Macht des Geldes, die in den Geldkrisen eklatant hervortritt und den "kauflustigen" Kleinbürger in der Gestalt eines permanenten Geldmangels drückt, ist dem mit sich einigen Egoisten ebenfalls ein höchst unangenehmes Faktum. Er entledigt sich seiner Ungelegenheit dadurch, daß er die gewöhnliche Vorstellung des Kleinbürgers umgekehrt ausdrückt und dadurch den Schein hereinbringt, als sei die Stellung der Individuen gegenüber der Geldmacht eine rein vom persönlichen Wollen oder Laufen abhängige Sache. Diese glückliche Wendung gibt ihm dann Gelegenheit, dem erstaunten und vom Geldmangel ohnehin entmutigten Kleinbürger eine durch Synonymik, Etymologie und Umlaut unterstützte Moralpredigt zu halten und dadurch alle ungelegenen Fragen über die Ursachen der Geldklemme vorweg abzuschneiden.
Die Geldkrise besteht zunächst darin, daß alle "Vermögen" auf einmal gegenüber dem Tauschmittel depreziiert werden und das "Vermögen" über das Geld verlieren. Die Krise ist gerade dann da, wenn man nicht mehr mit seinem "Vermögen" zahlen kann, sondern mit Geld zahlen muß. Dies findet wieder nicht dadurch statt, daß Mangel an Geld eintritt, wie der Kleinbürger sich vorstellt, der die Krise nach seiner Privatmisère beurteilt, sondern dadurch, daß der spezifische Unterschied des Geldes als der allgemeinen Ware, des "gangbaren und kursierenden Eigentums", von allen andern speziellen Waren sich fixiert, die plötzlich aufhören, gangbares Eigentum zu sein. Die Ursachen dieses Phänomens hier, Sancho zu Gefallen, zu entwickeln, kann nicht erwartet werden. Den geld- und trostlosen Kleinkrämern gibt Sancho nun zunächst den Trost, daß nicht das Geld die Ursache des Geldmangels und der ganzen Krise sei, sondern ihr Unvermögen, es zu nehmen. Nicht der Arsenik ist schuld daran, daß Jemand stirbt, der ihn gegessen hat, sondern das Unvermögen seiner Konstitution, Arsenik zu verdauen.
Nachdem Sancho vorher das Geld als ein wesentliches, und zwar spezifisches Vermögen, als allgemeines Tauschmittel, als Geld im gewöhnlichen Verstande bestimmt hat, dreht er auf einmal, sowie er sieht, zu welchen Schwierigkeiten dies führen würde, die Sache um und erklärt alles Vermögen für Geld, um den Schein der persönlichen Macht hervorzubringen. Die Schwierigkeit während der Krise ist eben, daß "alles Vermögen" aufgehört hat, "Geld" zu sein. Übrigens läuft dies auf die Praxis des Bürgers hinaus, der "alles Vermögen" solange an Zahlungs Statt annimmt, als es Geld ist, und erst dann Schwierigkeiten macht, wenn es schwierig wird, dies "Vermögen" in Geld zu verwandeln, Wo er es dann auch nicht mehr für ein "Vermögen" ansieht. Die Schwierigkeit in der Krisis besteht ferner gerade darin, <382> daß Ihr Kleinbürger, zu denen Sancho hier spricht, das Geld Eures Gepräges, Eure Wechsel nicht mehr zirkulieren lassen könnt, sondern daß man Geld von Euch verlangt, woran Ihr nichts mehr zu prägen hattet und dem kein Mensch es ansieht, daß es durch Eure Finger gegangen ist.
Endlich verdreht Stirner das bürgerliche Motto: Du giltst so viel, als Du Geld hast, dahin: Du hast so viel Geld, als Du giltst, womit nichts verändert, sondern nur der Schein der persönlichen Macht hereingebracht und damit die triviale Bourgeoisillusion ausgedrückt ist, daß Jeder selbst schuld daran sei, wenn er kein Geld habe. So wird Sancho fertig mit dem klassischen Bourgeoisspruch: L'argent n'a pas de maître <Das Geld hat keinen Herrn>, und kann nun auf die Kanzel steigen und ausrufen: "Lasset Eure Vermögen wirken, nehmt Euch zusammen, und es wird am Gelde nicht fehlen!" Je ne connais pas de lieu à la bourse où se fasse le transfert des bonnes intentions <Ich kenne keine Stelle an der Börse, wo gute Absichten gehandelt werden>. Er brauchte nur noch hinzuzusetzen: Verschafft Euch Kredit, knowledge is power <Wissen ist Macht>, der erste Taler ist schwerer zu erwerben als die letzte Million, seid mäßig und haltet das Eurige zu Rate, besonders aber pulluliert nicht zu viel usw., um statt des einen beide Eselsohren hervorblicken zu lassen. Überhaupt endigen bei dem Manne, für den Jeder ist, was er sein kann, und tut, was er tun kann, alle Kapitel mit moralischen Postulaten.
Das Geldwesen im Stirnerschen Verein ist also das existierende Geldwesen, ausgedrückt in der beschönigenden und gemütlich-schwärmerischen Weise eines deutschen Kleinbürgers.
Nachdem Sancho auf diese Weise mit den Ohren seines Grauen paradiert hat, richtet sich Szeliga-Don Quijote in seiner ganzen Länge auf, um mit einer feierlichen Rede über die moderne fahrende Ritterschaft, wobei das Geld in die Dulcinea von Toboso verwandelt wird, die Fabrikanten und Commerçants en masse <Kaufleute in Massen> zu Rittern, nämlich Industrierittern, zu schlagen. Die Rede hat noch den Nebenzweck, zu beweisen, daß das Geld, weil ein "wesentliches Mittel", auch "wesentlich Tochter (99) ist". Und er reckte seine Rechte aus und sprach:
"Vom Gelde hängt Glück und Unglück ab. Es ist darum in der Bürgerperiode eine Macht, weil es nur wie ein Mädchen" (Viehmädchen, per appos[itioneml Dulcinea) "umworben, von Niemand unauflöslich geehlicht wird. Alle Romantik und Ritterlich- <383> keit des Werbens um einen teuren Gegenstand lebt in der Konkurrenz wieder auf. Das Geld, ein Gegenstand der Sehnsucht, wird von den kühnen Industrierittern entführt." p. 364.
Sancho hat jetzt einen tiefen Aufschluß darüber erhalten, weshalb das Geld in der Bürgerperiode eine Macht ist, nämlich erstens, weil von ihm Glück und Unglück abhängt, und zweitens, weil es ein Mädchen ist. Er hat ferner erfahren, weshalb er um sein Geld kommen kann, nämlich, weil ein Mädchen von Niemand unauflöslich geehlicht wird. Jetzt weiß der arme Schlucker, woran er ist.
Szeliga, der so den Bürger zum Ritter gemacht hat, macht nun folgendermaßen den Kommunisten zum Bürger, und zwar zum bürgerlichen Ehemann:
"Wer das Glück hat, führt die Braut heim. Der Lump hat das Glück; er führt sie in sein Hauswesen, die Gesellschaft, ein und vernichtet die Jungfrau. In seinem Hause ist sie nicht mehr Braut, sondern Frau, und mit der Jungfräulichkeit geht auch der Geschlechtsname verloren. Als Hausfrau heißt die Geldjungfer Arbeit, denn Arbeit ist der Name des Mannes. Sie ist ein Besitz des Mannes. - Um dies Bild zu Ende zu bringen, so ist das Kind von Arbeit und Geld wieder ein Mädchen" ("wesentlich Tochter"), "ein unverehlichtes" (ist dem Szeliga je vorgekommen, daß ein Mädchen "verehlicht" aus dem Mutterleibe gekommen ist?), "also Geld". (Nach dem obigen Beweise, daß alles Geld "ein unverehlichtes Mädchen" sei, leuchtet es von selbst ein, daß "alle unverehlichten Mädchen" "Geld" sind) - "also Geld, aber mit der gewissen Abstammung von der Arbeit, seinem Vater" (toute recherche de la paternité est interdite <Die Suche nach der Vaterschaft ist verboten (Code Napoleon)>). "Die Gesichtsform, das Bild, trägt ein anderes Gepräge." p. 364, 365.
Diese Hochzeits-, Leichenbitter- und Kindtaufsgeschichte beweist wohl durch sich selbst hinlänglich, wie sehr sie "wesentlich Tochter" Szeligas, und zwar Tochter von "gewisser Abstammung" ist. Ihren letzten Grund hat sie indes in der Unwissenheit seines ehmaligen Stallknechts Sancho. Diese tritt deutlich heraus am Schluß, wo der Redner wieder um das "Gepräge" des Geldes ängstlich besorgt ist und dadurch verrät, daß er noch immer das Metallgeld für des wichtigste zirkulierende Medium hält. Wenn er sich um die ökonomischen Verhältnisse des Geldes etwas näher bekümmert hätte, statt ihm einen schönen grünen Jungfernkranz zu flechten, so würde er wissen, daß, von Staatspapieren, Aktien pp. nicht zu sprechen, die Wechsel den größten Teil des zirkulierenden Mediums ausmachen, während das Papiergeld ein verhältnismäßig sehr kleiner und das Metallgeld ein noch kleinerer Teil davon ist. In England zirkuliert z.B. fünfzehnmal mehr Geld in Wechseln und Banknoten als in Metall. Und selbst was das Metallgeld betrifft, so wird es rein durch die Produktionskosten, d.h. die Arbeit bestimmt. Stirners weit- <384> läuftiger Zeugungsprozeß war also hier überflüssig. - Die feierlichen Reflexionen, die Szeliga über ein auf der Arbeit beruhendes und doch vom jetzigen Gelde unterschiedenes Tauschmittel anstellt, das er bei einigen Kommunisten entdeckt haben will, beweisen nur wieder die Einfalt, mit der unser edles Paar Alles unbesehen glaubt, was es liest.
Beide führen, wenn sie nach dieser ritterlichen und "romantischen" Kampagne "des Werbens" nach Hause reiten, kein "Glück" heim, noch weniger "die Braut", am allerwenigsten "Geld", sondern höchstens ein "Lump" den andern.
Wir haben gesehen, wie Sancho in seinem "Verein" die bestehende Form des Grundbesitzes, die Teilung der Arbeit und das Geld in der Weise, wie diese Verhältnisse in der Vorstellung eines Kleinbürgers leben, beibehält. Daß nach diesen Prämissen Sancho den Staat nicht entbehren kann, leuchtet auf den ersten Blick ein.
Zunächst wird sein neuerworbenes Eigentum die Form des garantierten, rechtlichen Eigentums anzunehmen haben. Wir haben schon gehört:
"Dasjenige, woran Alle Anteil haben wollen, wird demjenigen Einzelnen entzogen werden, der es für sich allein haben will." (p. 330.)
Hier wird also der Wille der Gesamtheit geltend gemacht gegenüber dem Willen des vereinzelten Einzelnen. Da jeder der mit sich einigen Egoisten mit den Andern uneinig werden und damit in diesen Widerspruch treten kann, muß der Gesamtwille auch einen Ausdruck haben gegenüber den vereinzelten Einzelnen -
"und man nennt diesen Willen den Staatswillen" (p. 257).
Seine Bestimmungen sind dann die rechtlichen Bestimmungen. Die Exekution dieses Gesamtwillens wird wieder Repressivmaßregeln und eine öffentliche Gewalt nötig machen.
"Vereine werden dann auch in dieser Sache" (dem Eigentum) "die Mittel des Einzelnen multiplizieren und sein angefochtenes Eigentum sicherstellen" (garantieren also garantiertes Eigentum, also rechtliches Eigentum, also Eigentum, das Sancho nicht "unbedingt" besitzt, sondern vorn "Verein" "zu Lehen trägt"). p. 342.
Mit den Eigentumsverhältnissen versteht sich dann, daß das ganze Zivilrecht wiederhergestellt wird, und Sancho selbst trägt z.B. die Lehre vom Vertrag ganz im Sinne der Juristen vor, wie folgt:
"Auch hat es Nichts zu sagen, wenn Ich selbst Mich um diese und jene Freiheit bringe, z.B. durch jeden Kontrakt." p. 409.
<385> Und um die "angefochtenen" Kontrakte "sicherzustellen", wird es ebenfalls "Nichts zu sagen haben", wenn er sich wieder einem Gerichte und allen jetzigen Folgen eines Zivilprozesses zu unterwerfen hat.
So rücken wir "allgemach aus Dämmerung und Nacht" den bestehenden Verhältnissen wieder näher, nur den bestehenden Verhältnissen in der zwerghaften Vorstellung des deutschen Kleinbürgers.
Sancho gesteht:
"In bezug auf die Freiheit unterliegen Staat und Verein keiner wesentlichen Verschiedenheit. Der letztere kann ebensowenig entstehen und bestehen, ohne daß die Freiheit auf allerlei Art beschränkt werde, als der Staat mit ungemessener Freiheit sich verträgt. Beschränkung der Freiheit ist überall unabwendbar, denn man kann nicht Alles loswerden; man kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man so fliegen möchte etc. ... Der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird der Verein noch genug enthalten, denn sein Zweck ist eben nicht die Freiheit, die er im Gegenteil der Eigenheit opfert, aber auch nur der Eigenheit." p.410, 411.
Abgesehen einstweilen von der komischen Distinktion zwischen Freiheit und Eigenheit, so hat Sancho seine "Eigenheit" in seinem Vereine durch die ökonomischen Einrichtungen schon geopfert, ohne es zu wollen. Als echter "Staatsgläubiger" sieht er erst da eine Beschränkung, wo die politischen Einrichtungen anfangen. Er läßt die alte Gesellschaft fortbestehen und mit ihr die Subsumtion der Individuen unter die Teilung der Arbeit; wobei er dann dem Schicksal nicht entgehen kann, von der Teilung der Arbeit und der ihm dadurch zugefallenen Beschäftigung und Lebenslage eine aparte "Eigenheit" sich vorschreiben zu lassen. Wird ihm z.B. das Los angewiesen, in Willenhall als Schlossergesell zu arbeiten, so wird seine aufgedrungene "Eigenheit" in einer Verdrehung der Hüftknochen bestehen, die ihm ein "Hinterbein" verschafft; wird "das Titelgespenst seines Buchs" als Throstlespinnerin <Ringspinnerin> existieren müssen, so wird ihre "Eigenheit" in steifen Knien bestehen. Selbst wenn unser Sancho bei seinem alten Beruf des Fronbauers bleibt, den ihm schon Cervantes angewiesen hat und den er jetzt für seinen eignen Beruf erklärt, zu dem er sich beruft, so fällt ihm kraft der Teilung der Arbeit und der Trennung von Stadt und Land die "Eigenheit" zu, von allem Weltverkehr und folglich von aller Bildung ausgeschlossen ein bloßes Lokaltier zu werden.
So verliert Sancho im Verein seine Eigenheit malgré lui <gegen seinen Wilen> durch die gesellschaftliche Organisation, wenn wir einmal ausnahmsweise die Eigenheit im Sinne von Individualität nehmen wollen. Daß er nun auch durch die politische <386> Organisation seine Freiheit aufgibt, ist ganz konsequent und beweist nur noch deutlicher, wie sehr er den jetzigen Zustand im Verein sich anzueignen strebt.
Die wesentliche Verschiedenheit von Freiheit und Eigenheit bildet also den Unterschied zwischen dem jetzigen Zustande und dem "Verein". Wie wesentlich dieser Unterschied ist, haben wir bereits gesehen. Die Majorität seines Vereins wird sich ebenfalls an dieser Distinktion möglicherweise nicht stören, sondern das "Lossein" von ihr dekretieren, und wenn er sich dabei nicht beruhigt, wird sie ihm aus seinem eignen "Buche" beweisen, daß es erstens keine Wesen gibt, sondern Wesen und wesentliche Unterschiede "das Heilige" sind; zweitens, daß der Verein nach "der Natur der Sache" und "dem Begriff des Verhältnisses" gar nichts zu fragen hat, und drittens, daß sie keineswegs seine Eigenheit antastet, sondern nur seine Freiheit, sie zu äußern. Sie wird ihm vielleicht beweisen, wenn er "sich bestrebt, verfassungslos zu werden", daß sie nur seine Freiheit beschränkt, wenn sie ihn einsperrt, ihm Hiebe diktiert, ihm ein Bein ausreißt, daß er partout et toujours <überall und immer> "eigen" ist, solange er noch die Lebensäußerungen eines Polypen, einer Auster, ja eines galvanisierten Froschleichnams von sich zu geben vermag. Sie wird ihm für seine Arbeit eine "Preisbestimmung setzen", wie wir schon hörten, "eine wirkliche freie" (!) "Verwertung seines Eigentums nicht zulassen", da sie ihm hiermit die Freiheit, nicht die Eigenheit beschränkt; Dinge, die Sancho p. 338 dem Staate vorwirft. "Was soll also" der Fronbauer Sancho "anfangen? Auf sich halten und nach dem" Verein "nichts fragen". (ibid.) Sie wird ihm schließlich insinuieren, sooft er gegen die ihm gesetzte Schranke poltert, daß, solange er die Eigenheit hat, Freiheiten für Eigenheiten zu erklären, sie sich die Freiheit nimmt, seine Eigenheiten für Freiheiten anzusehen.
Wie oben der Unterschied zwischen menschlicher und einziger Arbeit nur eine kümmerliche Aneignung des Gesetzes von Nachfrage und Zufuhr war, so ist jetzt der Unterschied zwischen Freiheit und Eigenheit eine kümmerliche Aneignung des Verhältnisses von Staat und bürgerlicher Gesellschaft, oder, wie Herr Guizot sagt, der liberté individuelle <individuellen Freiheit> und des pouvoir public <öffentlichen Gewalt>. Dies ist so sehr der Fall, daß er im Folgenden den Rousseau fast wörtlich abschreiben kann:
"Die Übereinkunft, der Jeder einen Teil seiner Freiheit opfern muß", geschieht "ganz und gar nicht um eines Allgemeinen oder auch nur um eines andern Menschen willen", sondern "Ich ging vielmehr nur auf sie ein aus Eigennutz. Was aber das Opfern betrifft, so opfere Ich doch wohl nur Dasjenige, was nicht in Meiner Gewalt steht, d.h. opfere gar Nichts." p. 418.
<387> Diese Qualität teilt der mit sich einige Fronbauer mit jedem andern Fronbauer und überhaupt mit jedem Individuum, das je auf der Welt gelebt hat. Vergleiche auch Godwin, "Political Justice". - Sancho scheint, nebenbei bemerkt, die Eigenheit zu besitzen, zu glauben, bei Rousseau schlössen die Individuen den Vertrag dem Allgemeinen zuliebe, was Rousseau nie eingefallen ist.
Indessen Ein Trost ist ihm geblieben.
"Der Staat ist heilig ... der Verein aber ist ... nicht heilig." Und darin besteht "der große Unterschied zwischen Staat und Verein". p. 411.
Dieser ganze Unterschied läuft also darauf hinaus, daß der "Verein" der wirkliche moderne Staat und der "Staat" die Stirnersche Illusion vom preußischen Staat ist, den er für den Staat überhaupt versieht.
Sancho traut seinen feinen Distinktionen zwischen Staat und Verein, heilig und nicht heilig, menschlich und einzig, Eigenheit und Freiheit usw. schließlich mit Recht so wenig, daß er zur ultima ratio <letzten Mittel> des mit sich einigen Egoisten seine Zuflucht nimmt - zur Empörung. Diesmal indes empört er sich nicht gegen sich selbst, wie er früher vorgab, sondern gegen den Verein. Wie er sich über alle Punkte erst im Verein klarzuwerden suchte, so auch hier mit der Empörung.
"Macht Mir's die Gemeinde nicht recht, so empöre Ich Mich gegen sie und verteidige Mein Eigentum." p. 343,
"Gedeiht" die Empörung nicht, so wird der Verein "ihn ausschließen (einsperren, verbannen usw.)". p. 256, 257.
Sancho sucht sich hier die droits de l'homme <Menschenrechte> von 1793, unter denen auch das Recht der Insurrektion aufgezählt wird, anzueignen, ein Menschenrecht, das natürlich bittere Früchte für den trägt, der davon nach seinem "eignen" Sinn Gebrauch macht.
__________
Der ganze Verein Sanchos läuft also auf Folgendes hinaus. Während er früher in der Kritik die bestehenden Verhältnisse nur nach der Seite der Illusion betrachtete, sucht er im Verein diese Verhältnisse ihrem wirklichen Inhalt nach kennenzulernen und diesen Inhalt gegen die früheren Illusionen <388> geltend zu machen. Bei diesem Versuch mußte unser ignoranter Schulmeister natürlich mit Eklat scheitern. Er hat sich ausnahmsweise einmal bestrebt, sich "die Natur der Sache" und "den Begriff des Verhältnisses" anzueignen, aber es ist ihm nicht gelungen, irgendeiner Sache oder einem Verhältnis "den Geist der Fremdheit abzustreifen".
Nachdem wir jetzt den Verein in seiner wirklichen Gestalt kennenlernten, bleibt uns nur noch übrig, die schwärmerischen Vorstellungen, die Sancho sich von ihm macht, die Religion und Philosophie des Vereins, zu betrachten.
6. Religion und Philosophie des Vereins
Wir fangen hier wieder mit dem Punkte an, mit dem wir oben die Darstellung des Vereins eröffneten. Sancho gebraucht zwei Kategorien, Eigentum und Vermögen; die Illusionen über das Eigentum entsprechen hauptsächlich den gegebenen positiven Daten über das Grundeigentum, die über das Vermögen den Daten über die Organisation der Arbeit und das Geldwesen im "Verein".
p. 331. "Mir gehört die Welt."
Interpretation seiner Erbpacht an der Parzelle.
p. 343. "Ich bin Eigentümer von Allem, dessen Ich brauche",
eine beschönigende Umschreibung davon, daß seine Bedürfnisse seine Habe sind und daß das, was er als Fronbauer braucht, durch seine Verhältnisse bedingt ist. In derselben Weise behaupten die Ökonomen, daß der Arbeiter Eigentümer von Allem ist, was er als Arbeiter braucht. Siehe die Entwicklung über das Minimum des Salärs bei Ricardo.
p. 343. "Jetzt aber gehört Alles Mir."
Musikalischer Tusch zu seiner Lohntaxe, seiner Parzelle, seiner permanenten Geldklemme und seinem Ausgeschlossensein von Allem, wovon die "Sozietät" nicht will, daß er es allein besitze. Derselbe Satz findet sich p. 327 auch so ausgedrückt:
"Seine" (sc. des Andern) "Güter sind Mein, und Ich schalte damit als Eigentümer nach dem Maße Meiner Gewalt."
Dies hochtönende Allegro marciale <flotte Marschweise> geht folgendermaßen in eine sanfte <389> Kadenz über, in welcher es allmählich ganz auf den Hintern fällt - gewöhnliches Schicksal Sanchos:
p. 331: "Mir gehört die Welt, Sagt Ihr (Kommunisten) etwas Anderes mit dem umgekehrten Satze: Allen gehört die Welt? Alle sind Ich und wieder Ich usw." (z.B. "Robespierre, z.B. Saint Just usw.")
p. 415: "Ich bin Ich und Du bist Ich, aber ... dieses Ich, worin Wir alle gleich sind, ist nur Mein Gedanke -- eine Allgemeinheit" (des Heilige).
Die praktische Variation dieses Themas findet sich
p. 330, wo die "Einzelnen als eine Gesamtmasse" (d.h. Alle) dem "vereinzelten Einzelnen" (d.h. Ich im Unterschied von Alle) als regulierende Macht gegenübergestellt werden.
Diese Dissonanzen lösen sich also schließlich in den beruhigenden Schlußakkord auf, daß, was Ich nicht besitze, jedenfalls das Eigentum eines andern "Ich" ist. Das "Eigentum an Allem" ist hiermit nur die Interpretation davon, daß Jeder ein ausschließliches Eigentum besitzt.
p. 336. "Eigentum ist aber nur Mein Eigentum, wenn Ich dasselbe unbedingt innehabe. Als unbedingtes Ich habe Ich Eigentum, treibe freien Handel."
Wir wissen schon, daß, wenn die Handelsfreiheit und Unbedingtheit im Verein nicht respektiert wird, damit nur die Freiheit und nicht die Eigenheit angetastet wird. Das "unbedingte Eigentum" ist ein passendes Supplement zu dem "sichergestellten", garantierten Eigentum im Verein.
p. 342. "Nach der Meinung der Kommunisten soll die Gemeinde Eigentümerin sein. Umgekehrt, Ich bin Eigentümer und verständige Mich nur mit Anderen über Mein Eigentum."
Nach p.329 sahen wir, wie "sich die société <Gesellschaft> zur Eigentümerin macht", und nach p.330, wie sie "die Einzelnen von ihrem Eigentum ausschließt". Überhaupt sahen wir das Stammlehnswesen, den rohesten Anfang des Lehnswesens, eingeführt. Nach p. 416 ist "Feudalwesen = Eigentumslosigkeit", weswegen nach ebenderselben Pagina "im Vereine und nur im Vereine das Eigentum anerkannt wird", und zwar aus dem zureichenden Grunde, "weil man das Seine von keinem Wesen mehr zum Lehen trägt". (ibid.) D.h., in dem bisherigen Lehnswesen war "das Wesen" der Lehnsherr, im Verein ist es die société. Woraus wenigstens soviel hervorgeht, daß Sancho ein "ausschließliches", aber keineswegs "sichergestelltes" Eigentum am "Wesen" der bisherigen Geschichte hat.
Im Zusammenhang mit p.330, wonach jeder Einzelne von dem ausge- <390> schlossen wird, wovon es der Sozietät nicht recht ist, daß er es allein besitzt, und mit dem Staats- und Rechtswesen des Vereins steht
p. 369: "Rechtliches und rechtmäßiges Eigentum eines Andern wird nur dasjenige sein, wovon Dir's recht ist, daß es sein Eigentum sei. Hört es auf, Dir recht zu sein, so hat es für Dich seine Rechtmäßigkeit eingebüßt, und das absolute Recht daran wirst Du verlachen."
Er dokumentiert hiermit das erstaunliche Faktum, daß das, was Rechtens im Verein ist, ihm nicht recht zu sein braucht - ein unbestreitbares Menschenrecht. Findet sich im Verein die Institution der altfranzösischen Parlamente, die Sancho ja so sehr liebt, so wird er sogar seinen zu Protokoll gegebenen Widerwillen auf dem Greffe <[auf der] Gerichtsbarkeit> deponieren können und dabei den Trost behalten, daß "man nicht von Allem los sein kann".
Die bisherigen Sätze scheinen mit sich, untereinander und mit der Wirklichkeit des Vereins im Widerspruch zu stehen. Der Schlüssel zum Rätsel liegt indes in der schon angeführten juristischen Fiktion, daß da, wo er vom Eigentum Anderer ausgeschlossen wird, er sich bloß mit diesen Andern verständigt. Diese Fiktion wird in folgenden Sätzen näher ausgeführt:
p. 369. "Das nimmt ein Ende" (sc. der Respekt vor dem fremden Eigentum), "wenn Ich jenen Baum zwar einem Andern überlassen kann, wie Ich meinen Stock usw. einem Andern überlasse, aber nicht von vornherein ihn Mir als fremd, d.h. heilig betrachte, Vielmehr ... er bleibt mein Eigentum, auf solange Ich ihn auch an Andre abtrete, er ist und bleibt Mein. In dem Vermögen des Bankiers sehe Ich Nichts Fremdes."
p. 328. "Vor Deinem und Eurem Eigentum trete Ich nicht scheu zurück, sondern sehe es stets als Mein Eigentum an, woran Ich Nichts zu respektieren brauche. Tut doch desgleichen mit dem, was Ihr Mein Eigentum nennt Bei dieser Ansicht werden Wir uns am leichtesten miteinander verständigen."
Wenn Sancho nach den Statuten des Vereins "mit Kolben gelaust" wird, sobald er nach fremdem Eigentum zugreift, so wird er zwar behaupten, es sei seine "Eigenheit", lange Finger zu machen, aber der Verein wird dekretieren, Sancho habe sich nur eine "Freiheit" herausgenommen. Und wenn Sancho so "frei" ist, zuzugreifen, so hat der Verein die "Eigenheit", ihm dafür Hiebe zu diktieren.
Die Sache selbst ist die. Das bürgerliche, und zwar speziell das kleinbürgerliche und kleinbäuerliche Eigentum bleibt im Verein bestehen, wie wir sahen. Nur die Interpretation, die "Ansicht", ist eine verschiedene, weshalb auch Sancho den Akzent stets auf das "Ansehen" legt. Die "Verständigung" wird damit vollzogen, daß diese neue Philosophie des Ansehens beim ganzen <391> Verein zu Ansehen kommt. Diese Philosophie besteht darin, daß erstens jedes Verhältnis, sei es durch ökonomische Bedingungen oder durch direkten Zwang herbeigeführt, für ein Verhältnis der "Verständigung" angesehen wird; zweitens, daß man sich einbildet, alles Eigentum Andrer sei ihnen von uns überlassen und bleibe ihnen nur solange, bis wir die Gewalt haben, es ihnen zu nehmen, und bekommen wir diese Gewalt nie, tant mieux <um so besser>; drittens, daß Sancho und sein Verein sich in der Theorie die gegenseitige Respektslosigkeit garantieren, während in der Praxis der Verein vermittelst des Stockes sich mit Sancho "verständigt", und endlich, daß diese "Verständigung" eine bloße Phrase ist, da Jeder weiß, daß die Andern sie nur mit dem geheimen Vorbehalt eingegangen sind, sie bei der nächsten Gelegenheit wieder umzustoßen. Ich sehe in Deinem Eigentum nicht das Deine, sondern das Meine; da jedes Ich dies tut, so sehen sie das Allgemeine darin, wobei wir denn bei der moderndeutschphilosophischen Interpretation des gewöhnlichen, besondern und ausschließlichen Privateigentums angelangt sind.
Zu der Philosophie des Vereins über das Eigentum gehören ,1.a. auch noch folgende, aus dem System Sanchos hervorgehende Marotten:
p. 342. daß man durch die Respektslosigkeit im Verein Eigentum erwerben kann, p. 351, daß "Wir Alle im Vollen sitzen" und Ich "nur zuzulangen habe, so gut Ich kann" - während doch der ganze Verein zu den sieben magern Kühen Pharaonis gehört, und endlich, daß Sancho "Gedanken hegt", die "in seinem Buche stehen", was p. 374 in der unvergleichlichen an sich gerichteten, den drei Heineschen Oden an Schlegel nachgemachten Ode besungen wird: "Du, der Du solche Gedanken, wie sie in Deinem Buche stehen, hegst - Unsinn!" Dies ist die Hymne, die Sancho vorläufig sich selbst dekretiert und worüber sich später der Verein mit ihm "verständigen" wird.
Schließlich versteht es sich auch ohne "Verständigung", daß das Eigentum im außergewöhnlichen Verstande, von dem wir schon in der Phänomenologie sprachen, im Verein als "gangbares" und "kursierendes Eigentum" an Zahlungs Statt angenommen wird. Über die einfachen Tatsachen, z.B., daß Ich Mitgefühl hege, daß Ich mit Andern spreche, daß Mir ein Bein amputiert (resp. ausgerissen) wird, wird der Verein sich dahin verständlichen, daß "das Gefühl der Fühlenden auch das Meinige, ein Eigentum ist", p. 387; daß auch fremde Ohren und Zungen Mein Eigentum sind; daß auch mechanische Verhältnisse Mein Eigentum sind. So wird das Akkaparement im Verein hauptsächlich darin bestehen, daß alle Verhältnisse vermöge einer leichten Paraphrase in Eigentumsverhältnisse verwandelt werden. Diese neue Ausdrucks- <392> weise schon jetzt grassierender "Übelstände" ist ein "wesentliches Mittel oder Vermögen" im Verein und wird das bei dem "sozialen Talente" Sanchos unvermeidliche Defizit an Lebensmitteln glücklich decken.
p. 216: "Werde Jeder von Euch ein allmächtiges Ich!"
p. 353: "Denke auf die Vergrößerung Deines Vermögens!"
p. 420: "Haltet auf den Wert Eurer Gaben",
"Haltet sie im Preise",
"Laßt Euch nicht zwingen, unter dem Preise loszuschlagen",
"laßt Euch nicht einreden, Eure Ware sei nicht preiswürdig",
"Macht Euch nicht zum Gespötte durch einen Spottpreis",
"Ahmt den Tapfern nach" etc.!
p. 420: "Verwertet Euer Eigentum!"
"Verwerte Dich!"
Diese Sittensprüchlein, die Sancho von einem andalusischen Schacherjuden gelernt hat, der seinem Sohne Lebens- und Handelsregeln gab, und die er jetzt aus seinem Schnappsack hervorlangt, bilden das Hauptvermögen des Vereins. Die Grundlage aller dieser Sätze ist der große Satz p.351:
"Alles, was Du vermagst, ist Dein Vermögen."
Dieser Satz hat entweder keinen, d.h. einen bloß tautologischen Sinn oder einen Unsinn. Tautologie ist er, wenn er heißt: Was Du vermagst, vermagst Du. Unsinn ist er, wenn das Vermögen Nr. 2 Vermögen "im gewöhnlichen Verstand", Handelsvermögen, ausdrücken soll, und wenn also auf diese Etymologie basiert wird. Die Kollision besteht eben darin, daß meinem Vermögen etwas Anderes, als dies Vermögen leisten kann, zugemutet wird, z.B. von meinem Vermögen, Verse zu machen, verlangt wird, Geld aus diesen Versen zu machen. Man verlangt eben von meinem Vermögen etwas ganz Anderes als das eigentümliche Produkt dieses besondern Vermögens, nämlich ein von fremden, meinem Vermögen nicht unterworfenen Verhältnissen abhängiges Produkt. Diese Schwierigkeit soll im Verein durch etymologische Synonymik gelöst werden. Man sieht, wie unser egoistischer Schulmeister auf einen ansehnlichen Posten im Verein spekuliert. Übrigens ist diese Schwierigkeit nur scheinbar. Das gewöhnliche Kern- und Sittensprüchlein der Bourgeois: Anything is good to make money of <Aus allem, was es auch sei, kann man Geld machen>, wird hier in Sanchos feierlicher Manier breitgetreten.
C. Moral. Verkehr, Exploititionstheorie
<393> p. 352. "Egoistisch verfahrt Ihr, wenn Ihr einander weder als Inhaber noch als Lumpe oder Arbeiter achtet, sondern als einen Teil Eures Vermögens, als brauchbare Subjekte. Dann werdet Ihr weder dem Inhaber, Eigentümer für seine Habe etwas geben, noch Dem, der arbeitet, sondern allein Dem, den Ihr braucht. Brauchen Wir einen König? fragen sich die Nordamerikaner und antworten: Nicht einen Heller ist er und seine Arbeit Uns wert."
Dagegen wirft er p. 229 der "Bürgerperiode" vor:
"Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, sieht man lediglich auf Mein Eigentum, Meine Eigenschaften, und schließt mit Mir einen ehelichen <Bei Stirner: ehrlichen> Bund, nur um Meines Besitztums willen. Man heiratet gleichsam, was Ich habe, nicht was Ich bin."
D.h. also, man nimmt bloß Rücksicht auf das, was Ich für den Andern bin auf Meine Brauchbarkeit, man behandelt Mich als brauchbares Subjekt. Sancho spuckt der "Bürgerperiode" in die Suppe, um sie sm Verein ganz allein auszufressen.
Wenn die Individuen der heutigen Gesellschaft einander als Inhaber, als Arbeiter, und, wenn Sancho will, als Lumpe achten, so heißt das ja weiter Nichts, als daß sie sich als brauchbare Subjekte behandeln, ein Faktum, das nur ein so unbrauchbares Individuum wie Sancho in Zweifel zu ziehen vermag. Der Kapitalist, der den Arbeiter "als Arbeiter achtet", nimmt nur deshalb Rücksicht auf ihn, weil er Arbeiter braucht; der Arbeiter macht es ebenso mit dem Kapitalisten; wie denn auch die Amerikaner nach Sanchos Meinung (er möge uns anzeigen, welcher Quelle er dies historische Faktum entnommen) deswegen keinen König brauchen, weil sie ihn nicht als Arbeiter brauchen. Sancho hat sein Beispiel wieder mit seinem gewöhnlichen Ungeschick gewählt, indem es gerade das Gegenteil von dem beweisen soll, was es wirklich beweist.
p. 395. "Du bist für Mich Nichts als eine Speise, gleichwie auch Ich von Dir verspeiset und verbraucht werde. Wir haben zueinander nur Eine Beziehung: die der Brauchbarkeit, der Nutzbarkeit, des Nutzens."
p. 416 "Es ist Keiner für Mich eine Respektsperson, auch der Mitmensch nicht, Sondern lediglich wie andre Wesen" (!) "ein Gegenstand für den Ich Teilnahme habe oder auch nicht, ein interessanter oder uninteressanter Gegenstand, ein brauchbares oder unbrauchbares Subjekt."
Das Verhältnis der "Brauchbarkeit", welches im Verein die einzige Beziehung der Individuen aufeinander sein soll, wird sogleich wieder paraphrasiert in das gegenseitige "Verspeisen". Die "vollendeten Christen" des Ver- <394> eins verzehren natürlich auch ein Abendmahl, nur nicht miteinander, sondern aneinander.
Wie sehr diese Theorie der wechselseitigen Exploitation, die Bentham bis zum Überdruß ausführte, schon im Anfange dieses Jahrhunderts als ein Phase des vorigen aufgefaßt werden konnte, beweist Hegel in der "Phänomenologie". Siehe daselbst das Kapitel "Der Kampf der Aufklärung mit dem Aberglauben", wo die Brauchbarkeitstheorie als das letzte Resultat der Aufklärung dargestellt wird. Die scheinbare Albernheit, welche alle die mannigfaltigen Verhältnisse der Menschen zueinander in das Eine Verhältnis der Brauchbarkeit auflöst, diese scheinbar metaphysische Abstraktion geht daraus hervor, daß innerhalb der modernen bürgerlichen Gesellschaft alle Verhältnisse unter das Eine abstrakte Geld- und Schacherverhältnis praktisch subsumiert sind. Diese Theorie kam auf mit Hobbes und Locke, gleichzeitig mit der ersten und zweiten englischen Revolution, den ersten Schlägen, wodurch die Bourgeoisie sich politische Macht eroberte. Bei ökonomischen Schriftstellern ist sie natürlich schon früher stillschweigende Voraussetzung. Die eigentliche Wissenschaft dieser Nützlichkeitstheorie ist die Ökonomie; in den Physiokraten erhält sie ihren wahren Inhalt, da diese zuerst die Ökonomie systematisch zusammenfassen. Schon bei Helvétius und Holbach findet sich eine Idealisierung dieser Lehre, die ganz der oppositionellen Stellung der französischen Bourgeoisie vor der Revolution entspricht. Bei Holbach wird alle Betätigung der Individuen durch ihren gegenseitigen Verkehr als Nützlichkeits- und Benutzungsverhältnis dargestellt, z.B. Sprechen, Lieben etc. Die wirklichen Verhältnisse, die hier vorausgesetzt werden, sind also Sprechen, Lieben, bestimmte Betätigungen bestimmter Eigenschaften der Individuen. Diese Verhältnisse sollen nun nicht die ihnen eigentümliche Bedeutung haben, sondern der Ausdruck und die Darstellung eines dritten, ihnen untergeschobenen Verhältnisses sein, des Nützlichkeits- oder Benutzungsverhältnisses. Diese Umschreibung hört erst dann auf, sinnlos und willkürlich zu sein, sobald jene Verhältnisse den Individuen nicht ihrer selbst wegen gelten, nicht als Selbstbetätigung, sondern vielmehr als Verkleidungen keineswegs der Kategorie Benutzung, sondern eines wirklichen dritten Zwecks und Verhältnisses, welches Nützlichkeitsverhältnis heißt.
Die Maskerade in der Sprache hat nur dann einen Sinn, wenn sie der unbewußte oder bewußte Ausdruck einer wirklichen Maskerade ist. In diesem Falle hat das Nützlichkeitsverhältnis einen ganz bestimmten Sinn, nämlich den, daß ich mir dadurch nütze, daß ich einem Andern Abbruch tue (exploitation de l'homme par l'homme <Ausbeutung des Menschen durch den Menschen>); in diesem Falle ist ferner der Nutzen, den ich <395> aus einem Verhältnisse ziehe, diesem Verhältnisse überhaupt fremd, wie wir oben beim Vermögen sahen, daß von jedem Vermögen ein ihm fremdes Produkt verlangt wird, eine Beziehung, die durch die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt ist - und diese ist eben die Nützlichkeitsbeziehung. Dies Alles ist wirklich bei dem Bourgeois der Fall. Ihm gilt nur ein Verhältnis um seiner selbst willen, das Exploitationsverhältnis; alle andern Verhältnisse gelten ihm nur so weit, als er sie unter dies eine Verhältnis subsumieren kann, und selbst wo ihm Verhältnisse vorkommen, die sich dem Exploitationsverhältnis nicht direkt unterordnen lassen, subordiniert er sie ihm wenigstens in der Illusion. Der materielle Ausdruck dieses Nutzens ist das Geld, der Repräsentant der Werte aller Dinge, Menschen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Im Übrigen sieht man auf den ersten Blick, daß aus den wirklichen Verkehrsbeziehungen, in denen ich zu andern Menschen stehe, keineswegs aber aus Reflexion und bloßem Willen, erst die Kategorie "Benutzen" abstrahiert wird und dann umgekehrt jene Verhältnisse für die Wirklichkeit dieser aus ihnen selbst abstrahierten Kategorie ausgegeben werden, eine ganz spekulative Methode zu verfahren. Ganz in derselben Weise und mit demselben Rechte hat Hegel alle Verhältnisse als Verhältnisse des objektiven Geistes dargestellt. Holbachs Theorie ist also die historisch berechtigte, philosophische Illusion über die eben in Frankreich aufkommende Bourgeoisie, deren Exploitationslust noch ausgelegt werden konnte als Lust an der vollen Entwicklung der Individuen in einem von den alten feudalen Banden befreiten Verkehr. Die Befreiung auf dem Standpunkte der Bourgeoisie, die Konkurrenz, war allerdings für das achtzehnte Jahrhundert die einzig mögliche Weise, den Individuen eine neue Laufbahn freierer Entwicklung zu eröffnen. Die theoretische Proklamation des dieser Bourgeoispraxis entsprechenden Bewußtseins, des Bewußtseins der wechselseitigen Exploitation als des allgemeinen Verhältnisses aller Individuen zueinander, war ebenfalls ein kühner und offner Fortschritt, eine profanierende Aufklärung über die politische, patriarchalische, religiöse und gemütliche Verbrämung der Exploitation unter der Feudalität; eine Verbrämung, die der damaligen Form der Exploitation entsprach und namentlich von den Schriftstellern der absoluten Monarchie systematisiert worden war.
Selbst wenn Sancho in seinem "Buche" dasselbe getan hätte, was Helvétius und Holbach im vorigen Jahrhundert taten, so wäre der Anachronismus immer noch lächerlich. Aber wir sahen, wie er [a]n die Stelle des tätigen Bourgeoisegoismus einen rodomontierenden, mit sich ei[ni]gen Egoismus setzte. Sein einziges Ver[die]nst hat er wider seinen Willen und ohne es zu wissen: das Verdienst, der Ausdruck der deutschen Kleinbürger von heute zu <396> sein, die danach trachten, Bourgeois zu werden. Es war ganz in der Ordnung, daß, so kleinlich, zaghaft und befangen diese Bürger praktisch auftreten, ebenso marktschreierisch, bramarbasierend und vorwitzig "der Einzige" unter ihren philosophischen Repräsentanten in die Welt hinaus renommierte; es paßt ganz zu den Verhältnissen dieser Bürger, daß sie von ihrem theoretischen Maulhelden Nichts wissen wollen und er Nichts von ihnen weiß, daß sie miteinander uneinig sind und er den mit sich einigen Egoismus predigen muß; Sancho sieht jetzt vielleicht, durch welche Nabelschnur sein "Verein" mit dem Zollverein zusammenhängt.
Die Fortschritte der Nützlichkeits- und Exploitationstheorie, ihre verschiedenen Phasen hängen genau zusammen mit den verschiedenen Entwicklungsepochen der Bourgeoisie. Bei Helvétius und Holbach war sie dem wirklichen Inhalt nach nie weit darüber hinausgekommen, die Ausdrucksweise der Schriftsteller aus der Zeit der absoluten Monarchie zu umschreiben. Es war eine andere Ausdrucksweise, mehr der Wunsch, alle Verhältnisse auf das Exploitationsverhältnis zurückzuführen, den Verkehr aus den materiellen Bedürfnissen und den Weisen ihrer Befriedigung zu erklären, als die Tat selbst. Die Aufgabe war gestellt. Hobbes und Locke hatten sowohl die frühere Entwicklung der holländischen Bourgeoisie (sie lebten Beide eine Zeitlang in Holland) wie die ersten politischen Aktionen, durch welche die Bourgeoisie in England aus der lokalen und provinziellen Beschränkung heraustrat, und eine schon relativ entwickelte Stufe der Manufaktur, des Seehandels und der Kolonisation vor Augen: besonders Locke, der gleichzeitig mit der ersten Periode der englischen Ökonomie, mit dem Entstehen der Aktiengesellschaften, der englischen Bank und der Seeherrschaft Englands schrieb. Bei ihnen, und namentlich bei Locke, ist die Exploitationstheorie noch unmittelbar mit ökonomischem Inhalt verbunden.
Helvétius und Holbach hatten außer der englischen Theorie und der bisherigen Entwicklung der holländischen und englischen Bourgeoisie die um ihre freie Entfaltung noch kämpfende französische Bourgeoisie vor sich. Der allgemeine kommerzielle Geist des achtzehnten Jahrhunderts hatte, namentlich in Frankreich in der Form der Spekulation alle Klassen ergriffen. Die Finanzverlegenheiten der Regierung und die daraus entspringenden Debatten über die Besteuerung beschäftigten schon damals ganz Frankreich. Dazu kam, daß Paris im achtzehnten Jahrhundert die einzige Weltstadt war, die einzige Stadt, in welcher ein persönlicher Verkehr von Individuen aller Nationen stattfand. Diese Prämissen, zusammen mit dem universelleren Charakter der Franzosen überhaupt, gaben der Theorie von Helvétius und Holbach die eigentümliche allgemeine Färbung, nahmen <397> ihr aber zugleich den noch bei den Engländern vorfindlichen positiven ökonomischen Inhalt. Die Theorie, die bei den Engländern noch einfache Konstatierung einer Tatsache war, wird bei den Franzosen zu einem philosophischen System. Diese des positiven Inhalts beraubte Allgemeinheit, wie sie in Helvétius und Holbach hervortritt, ist wesentlich verschieden von der inhaltsvollen Totalität, die erst bei Bentham und Mill sich findet. Die erstere entspricht der kämpfenden, noch unentwickelten Bourgeoisie, die zweite der herrschenden, entwickelten.
Der von Helvétius und Holbach vernachlässigte Inhalt der Exploitationstheorie wurde gleichzeitig mit Letzterem von den Physiokraten entwickelt und systematisiert; da ihnen aber die unentwickelten ökonomischen Verhältnisse Frankreichs zugrunde lagen, wo der den Grundbesitz zur Hauptsache machende Feudalismus noch ungebrochen war, so blieben sie insofern in der feudalistischen Anschauungsweise befangen, daß sie den Grundbesitz und die Agrikulturarbeit für diejenige [Produktivkraft] erklärten, welche die ganze Gestaltung der Gesellschaft bedingt.
Die weitere Entwicklung der Exploitationstheorie ging in England durch Godwin, besonders aber durch Bentham vor sich, der den von den Franzosen vernachlässigten ökonomischen Inhalt nach und nach wieder hereinnahm, je weiter sich die Bourgeoisie, sowohl in England wie in Frankreich, durchsetzte. Godwins "Political Justice" wurde während der Schreckensperiode, die Hauptwerke Benthams während und seit der französischen Revolution und der Entwicklung der großen Industrie in England geschrieben. Die vollständige Vereinigung der Nützlichkeitstheorie mit der Ökonomie finden wir endlich bei Mill.
Die Ökonomie, die früher entweder von Finanzmännern, Bankiers und Kaufleuten, also überhaupt von Leuten, die unmittelbar mit ökonomischen Verhältnissen zu tun hatten, oder von allgemein gebildeten Männern wie Hobbes, Locke, Hume behandelt wurde, für die sie als ein Zweig des enzyklopädischen Wissens Bedeutung hatte - die Ökonomie wurde erst durch die Physiokraten zu einer besondern Wissenschaft erhoben und seit ihnen als eine solche behandelt. Als besondere Fachwissenschaft nahm sie die übrigen, politischen, juristischen etc. Verhältnisse so weit in sich auf, daß sie diese Verhältnisse auf ökonomische reduzierte Sie hielt aber diese Subsumtion aller Verhältnisse unter sich nur für eine Seite dieser Verhältnisse und ließ ihnen damit im Übrigen auch eine selbständige Bedeutung außer der Ökonomie. Die vollständige Subsumtion aller existierenden Verhältnisse unter das Nütz- <398> lichkeitsverhältnis, die unbedingte Erhebung dieses Nützlichkeitsverhältnisses zum einzigen Inhalt aller übrigen, finden wir erst bei Bentham, wo nach der französischen Revolution und der Entwicklung der großen Industrie die Bourgeoisie nicht mehr als eine besondre Klasse, sondern als die Klasse auftritt, deren Bedingungen die Bedingungen der ganzen Gesellschaft sind.
Nachdem die sentimentalen und moralischen Paraphrasen, die bei den Franzosen den ganzen Inhalt der Nützlichkeitstheorie bildeten, erschöpft waren, blieb für eine fernere Ausbildung dieser Theorie nur noch die Frage übrig, wie die Individuen und Verhältnisse zu benutzen, zu exploitieren seien. Die Antwort auf diese Frage war inzwischen in der Ökonomie schon gegeben worden; der einzig mögliche Fortschritt lag in dem Hereinnehmen des ökonomischen Inhalts. Bentham vollzog diesen Fortschritt. In der Ökonomie aber war es schon ausgesprochen, daß die hauptsächlichen Verhältnisse der Exploitation unabhängig von dem Willen der Einzelnen durch die Produktion im ganzen und großen bestimmt und von den einzelnen Individuen fertig vorgefunden werden. Es blieb also für die Nützlichkeitstheorie kein anderes Feld der Spekulation als die Stellung der Einzelnen zu diesen großen Verhältnissen, die Privat-Exploitation einer vorgefundenen Welt durch die einzelnen Individuen. Hierüber hat Bentham und seine Schule lange moralische Reflexionen angestellt. Die ganze Kritik der bestehenden Welt durch die Nützlichkeitstheorie erhielt hierdurch ebenfalls einen beschränkten Gesichtskreis. In den Bedingungen der Bourgeoisie befangen, blieben ihr zur Kritik nur diejenigen Verhältnisse, die aus einer früheren Epoche überkommen waren und der Entwicklung der Bourgeoisie im Wege standen. Die Nützlichkeitstheorie entwickelt daher allerdings den Zusammenhang sämtlicher bestehenden Verhältnisse mit ökonomischen, aber nur auf eine beschränkte Weise.
Die Nützlichkeitstheorie hatte von vornherein den Charakter der Gemeinnützlichkeitstheorie, dieser Charakter wurde jedoch erst inhaltsvoll mit dem Hereinnehmen der ökonomischen Verhältnisse, speziell der Teilung der Arbeit und des Austausches. In der Teilung der Arbeit wird die Privattätigkeit des Einzelnen gemeinnützlich; die Gemeinnützlichkeit Benthams reduziert sich auf dieselbe Gemeinnützlichkeit, die überhaupt in der Konkurrenz geltend gemacht wird. Durch das Hereinziehen der ökonomischen Verhältnisse von Grundrente, Profit und Arbeitslohn kamen die bestimmten Exploitationsverhältnisse der einzelnen Klassen herein, da die Art der Exploitation von der Lebensstellung des Exploitierenden abhängt. Bis hieher konnte die <399> Nützlichkeitstheorie sich an bestimmte gesellschaftliche Tatsachen anschließen; ihr weiteres Eingehen auf die Art der Exploitation verläuft sich in Katechismusphrasen.
Der ökonomische Inhalt verwandelte die Nützlichkeitstheorie allmählich in eine bloße Apologie des Bestehenden, in den Nachweis, daß unter den existierenden Bedingungen die jetzigen Verhältnisse der Menschen zueinander die vorteilhaftesten und gemeinnützlichsten seien. Diesen Charakter trägt sie bei allen neueren Ökonomen.
Während so die Nützlichkeitstheorie wenigstens den Vorzug hatte, den Zusammenhang aller bestehenden Verhältnisse mit den ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft anzudeuten, hat sie bei Sancho allen positiven Inhalt verloren, abstrahiert von allen wirklichen Verhältnissen und beschränkt sich auf die bloße Illusion des einzelnen Bürgers über seine "Gescheitheit", mit der er die Welt zu exploitieren glaubt. Übrigens läßt sich Sancho nur an sehr wenigen Stellen auf die Nützlichkeitstheorie selbst in dieser verdünnten Gestalt ein; der mit sich einige Egoismus, d.h. die Illusion über diese Illusion des Kleinbürgers, erfüllt fast das ganze "Buch", wie wir gesehen haben. Und selbst diese wenigen Stellen löst Sancho schließlich, wie sich zeigen wird, in blauen Dunst auf.
"In dieser Gemeinsamkeit" (sc. mit andern Leuten) "sehe Ich durchaus nichts Anderes als eine Multiplikation Meiner Macht, und nur solange sie Meine vervielfachte Kraft ist, behalte Ich sie bei." p. 416.
"Ich demütige Mich vor keiner Macht mehr und erkenne, daß alle Mächte nur Meine Macht sind, die Ich sogleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen; jede derselben darf nur eins Meiner Mittel sein, Mich durchzusetzen."
Ich "sehe an", ich "erkenne", ich "habe zu unterwerfen", die Macht" darf nur eins Meiner Mittel sein". Was diese moralischen Forderungen zu bedeuten haben und wie sehr sie der Wirklichkeit entsprechen, hat sich uns beim "Verein" selbst gezeigt. Mit dieser Illusion von seiner Macht hängt denn auch genau die andre zusammen, daß im Verein "die Substanz" (siehe "Humaner Liberalismus") vernichtet wird und die Verhältnisse der Vereinsglieder nie eine feste Gestalt gegenüber den einzelnen Individuen gewinnen.
"Der Verein, die Vereinigung, diese stets flüssige Vereinigung Alles Bestandes ... Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur, wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entsteht ... Hat sich ein Verein zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches <400> Sich-Vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung - Gesellschaft ... Den Verein hält weder ein natürliches noch ein geistiges Band zusammen." p. 294, 408, 416.
Was das "natürliche Band" anbetrifft, so existiert das trotz Sanchos "Widerwillen" in der Fronbauerwirtschaft und Organisation der Arbeit etc. im Verein, ebenso das "geistige Band" in der Sanchoschen Philosophie. Im Übrigen brauchen wir nur auf das zu verweisen, was wir mehrmals und noch beim Verein über die auf der Teilung der Arbeit beruhende Verselbständigung der Verhältnisse gegenüber den Individuen gesagt haben.
"Kurz, die Gesellschaft ist heilig, der Verein ist Dein eigen: die Gesellschaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchst Du" usw. p. 418.
Während wir bisher keine andre Möglichkeit sahen, in den "Verein" zu kommen, als durch die Empörung, erfahren wir jetzt aus dem Kommentar, daß der "Verein von Egoisten" bereits "zu Hunderttausenden" von Exemplaren existiert als eine Seite der bestehenden bürgerlichen Gesellschaft und uns auch ohne alle Empörung und jeden "Stirner" zugänglich ist. Sancho zeigt uns dann
"solche Vereine im Leben. Faust befindet sich mitten in solchen Vereinen, als er ausruft: Hier hin ich Mensch" (!), "hier darf ich's sein - Goethe gibt's hier sogar schwarz auf weiß" ("aber Humanus heißt der Heilige, s. Goethe", vgl. "das Buch") ... "Sähe Heß das wirkliche Leben aufmerksam an, so würde er Hunderttausende von solchen teils schnell vorübergehenden, teils dauernden egoistischen Vereinen vor Augen haben."
Sancho läßt dann vor Heß' Fenster "Kinder" zum Spiele zusammenlaufen, "ein paar gute Bekannte" ihn ins Wirtshaus abnehmen und ihn mit seiner "Geliebten" sich vereinigen.
"Freilich wird Heß es diesen trivialen Beispielen nicht ansehen, wie inhaltsschwer und wie himmelweit verschieden sie von den heiligen Gesellschaften, ja von der brüderlichen, menschlichen Gesellschaft der heiligen Sozialisten sind." (Sancho contra Heß, Wigand, p. 193, 194.)
Ebenso ist schon p. 305 "des Buchs" "die Vereinigung zu materiellen Zwecken und Interessen" als freiwilliger Verein von Egoisten zu Gnaden angenommen worden.
Der Verein reduziert sich hier also einerseits auf die Bourgeoisassoziationen und Aktiengesellschaften, andererseits auf die Bürgerressourcen, <401> Picknicks usw. Daß die ersteren ganz der gegenwärtigen Epoche angehören, ist bekannt, und daß die letzteren nicht minder, ist ebenfalls bekannt. Sancho möge sich die "Vereine" einer früheren Epoche, etwa der Feudalzeit, oder die anderer Nationen, etwa die der Italiener, Engländer etc. bis auf die Kinder herab, ansehen, um den Unterschied kennenzulernen. Er bestätigt durch diese neue Interpretation des Vereins nur seinen eingerosteten Konservatismus. Sancho, der die ganze bürgerliche Gesellschaft in sein vorgebliches neues Institut aufnahm, soweit sie ihm angenehm war, Sancho beteuert hier nachträglich nur, daß man in seinem Verein sich auch amüsieren, und zwar ganz in hergebrachter Weise amüsieren wird. Welche unabhängig von ihm existierenden Verhältnisse ihn in den Stand oder außer Stand setzen, "ein paar gute Bekannte in ein Weinhaus zu begleiten", daran denkt unser Bonhomme natürlich nicht.
Die hier nach Berliner Hörensagen verstirnerte Idee, die ganze Gesellschaft in freiwillige Gruppen aufzulösen, gehört Fourier an. Aber bei Fourier hat diese Anschauung eine totale Umgestaltung der Gesellschaft zur Voraussetzung und basiert auf der Kritik der bestehenden, von Sancho so bewunderten "Vereine" und ihrer ganzen Langweiligkeit. Fourier schildert diese Erheiterungsversuche von heute im Zusammenhange mit den bestehenden Produktions- und Verkehrsverhältnissen und polemisiert gegen sie; Sancho, weit entfernt, sie zu kritisieren, will sie mit Haut und Haaren in sein neues Beglückungsinstitut der "Verständigung" verpflanzen und beweist dadurch nur noch einmal, wie sehr er in der bestehenden bürgerlichen Gesellschaft befangen ist.
Schließlich hält Sancho noch folgende oratio pro domo < wörtlich: Rede für das eigene Haus; hier im eigenen Interesse >, d.h. für den "Verein":
"Ist ein Verein, in welchem sich die Meisten um ihre natürlichsten und offenbarsten Interessen prellen lassen, ein Verein von Egoisten? Haben sich da Egoisten vereint, wo Einer des Andern Sklav oder Leibeigner ist? ... Gesellschaften, in welchen die Bedürfnisse der Einen auf Kosten der Andern befriedigt werden, in denen z.B. die Einen das Bedürfnis der Ruhe dadurch befriedigen können, daß die Andern bis zur Erschlaffung arbeiten müssen ... Heß ... identifiziert ... diese seine 'egoistischen Vereine' mit dem Stirnerschen Verein von Egoisten." [Wigand,] p.192, 193.
Sancho spricht also den frommen Wunsch aus, daß in seinem auf der gegenseitigen Exploitation beruhenden Verein alle Mitglieder gleich mächtig, pfiffig etc. etc. sein möchten, damit Jeder die Andern gerade soweit exploitiert, als er von ihnen exploitiert wird, und damit Keiner um seine "natürlichsten <402> und offenbarsten Interessen" "geprellt" wird oder seine "Bedürfnisse auf Kosten der Andern befriedigen" kann. Wir bemerken hier, daß Sancho "natürliche und offenbare Interessen" und "Bedürfnisse" Aller - also gleiche Interessen und Bedürfnisse anerkennt. Wir erinnern uns ferner zugleich der p. 456 des Buchs, wonach "die Übervorteilung" ein "vom Zunftgeist eingepredigter moralischer Gedanke" ist, und einem Menschen, der eine "weise Erziehung" genossen hat, bleibt sie "fixe Idee, gegen die keine Gedankenfreiheit schützt". Sancho "hat seine Gedanken von oben und bleibt dabei". (ibid.) Diese gleiche Macht Aller ist nach seiner Forderung, daß Jeder "allmächtig", d.h., daß Alle gegeneinander ohnmächtig werden sollen, ein ganz konsequentes Postulat und fällt zusammen mit dem gemütlichen Verlangen des Kleinbürgers nach einer Welt des Schachers, in der Jeder seinen Vorteil findet. Oder aber unser Heiliger setzt urplötzlich eine Gesellschaft voraus, in der Jeder seine Bedürfnisse ungehindert befriedigen kann, ohne dies "auf Kosten Andrer" zu tun, und in diesem Falle wird die Exploitationstheorie wieder zu einer sinnlosen Paraphrase für die wirklichen Verhältnisse der Individuen zueinander.
Nachdem Sancho in seinem "Verein" die Andern "verzehrt" und verspeist und damit den Verkehr mit der Welt in den Verkehr mit sich verwandelt hat. geht er von diesem indirekten zum direkten Selbstgenuß über, indem er sich selber verspeist.
Die Philosophie, welche das Genießen predigt, ist in Europa so alt wie die kyrenäische Schule. Wie im Altertum die Griechen, sind unter den Neueren die Franzosen die Matadore in dieser Philosophie, und zwar aus demselben Grunde, weil ihr Temperament und ihre Gesellschaft sie am meisten zum Genießen befähigte. Die Philosophie des Genusses war nie etwas andres als die geistreiche Sprache gewisser zum Genuß privilegierter gesellschaftlicher Kreise. Abgesehen davon, daß die Weise und der Inhalt ihres Genießens stets durch die ganze Gestalt der übrigen Gesellschaft bedingt war und an allen ihren Widersprüchen litt, wurde diese Philosophie zur reinen Phrase, sobald sie einen allgemeinen Charakter in Anspruch nahm und sich als die Lebensanschauung der Gesellschaft im Ganzen proklamierte. Sie sank hier herab zur erbaulichen Moralpredigt, zur sophistischen Beschönigung der vorhandenen Gesellschaft, oder sie schlug in ihr Gegenteil um, indem sie eine unfreiwillige Askese für Genuß erklärte.
Die Philosophie des Genusses kam auf in der neueren Zeit mit dem Untergange der Feudalität und der Umwandlung des feudalen Landadels in den <403> lebenslustigen und verschwenderischen Hofadel unter der absoluten Monarchie. Bei diesem Adel hat sie noch mehr die Gestalt unmittelbarer naiver Lebensanschauung, die ihren Ausdruck in Memoiren, Gedichten, Romanen pp. erhält. Zur eigentlichen Philosophie wird sie erst unter den Händen einiger Schriftsteller der revolutionären Bourgeoisie, die einerseits an der Bildung und Lebensweise des Hofadels teilnahmen und andererseits die auf den allgemeineren Bedingungen der Bourgeoisie beruhende allgemeinere Anschauungsweise dieser Klasse teilten. Sie wurde deshalb von beiden Klassen, obwohl von ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus, akzeptiert. War beim Adel diese Sprache noch ganz auf den Stand und die Lebensbedingungen des Standes beschränkt, so wurde sie von der Bourgeoisie verallgemeinert und an jedes Individuum ohne Unterschied gerichtet, so daß von den Lebensbedingungen dieser Individuen abstrahiert und die Genußtheorie dadurch in eine fade und heuchlerische Moraldoktrin verwandelt wurde. Als die weitere Entwicklung den Adel gestürzt und die Bourgeoisie mit ihrem Gegensatz, dem Proletariat, in Konflikt gebracht hatte, wurde der Adel devot-religiös und die Bourgeoisie feierlich-moralisch und streng in ihren Theorien, oder verfiel in die oben angedeutete Heuchelei, obwohl der Adel in der Praxis keineswegs aufs Genießen verzichtete und der Genuß bei der Bourgeoisie sogar eine offizielle ökonomische Form annahm - als Luxus (74).
Der Zusammenhang des Genießens der Individuen jeder Zeit mit den Klassenverhältnissen und den sie erzeugenden Produktions- und Verkehrsbedingungen, in denen sie leben, die Borniertheit des bisherigen, außer dem wirklichen Lebensinhalt der Individuen und zu ihm in Gegensatz stehenden Genießens, der Zusammenhang jeder Philosophie des Genießens mit dem ihr vorliegenden wirklichen Genießen und die Heuchelei einer solchen Philosophie, die sich an alle Individuen ohne Unterschied richtet, konnte natürlich erst aufgedeckt werden, als die Produktions- und Verkehrsbedingungen der bisherigen Welt kritisiert werden konnten, d.h. als der Gegensatz zwi- <404> schen Bourgeoisie und Proletariat kommunistische und sozialistische Anschauungen erzeugt hatte. Damit war aller Moral, sei sie Moral der Askese oder des Genusses, der Stab gebrochen.
Unser fader, moralischer Sancho glaubt natürlich, wie aus dem ganzen Buche hervorgeht, es komme nur auf eine andere Moral, auf eine ihm neu scheinende Lebensanschauung, auf das "Sich-aus-dem-Kopf-Schlagen" einiger "fixen Ideen" an, damit Alle ihres Lebens froh werden, das Leben genießen können. Das Kapitel vom Selbstgenuß könnte also höchstens unter einer neuen Etikette dieselben Phrasen und Sentenzen wiederbringen, die er schon so oft sich den "Selbstgenuß" machte, uns zu predigen. Das einzig Originelle darin beschränkt sich auch darauf, daß er allen Genuß verhimmelt und philosophisch verdeutscht, indem er ihm den Namen "Selbstgenuß" gibt. Wenn die französische Genußphilosophie des achtzehnten Jahrhunderts wenigstens ein vorhandenes heiteres und keckes Leben in geistreicher Form schilderte, so beschränkt sich Sanchos ganze Frivolität auf Ausdrücke wie "Verzehren", "Vertun", auf Bilder wie "das Licht" (soll heißen die Kerze) und auf naturwissenschaftliche Erinnerungen, die entweder auf belletristischen Unsinn, wie daß die Pflanze "Luft des Äthers einsaugt", daß "die Singvögel Käfer schlucken", oder auf Falsa auslaufen, z.B. daß eine Kerze sich selbst verbrennt. Dagegen genießen wir hier wieder den ganzen feierlichen Ernst gegen "das Heilige", von dem wir hören, daß es in seiner Gestalt als "Beruf - Bestimmung - Aufgabe", "Ideal", den Menschen bisher ihren Selbstgenuß versalzen hat. Ohne im übrigen auf die mehr oder weniger schmutzigen Formen einzugehen, in denen das Selbst im "Selbstgenuß" mehr als eine Phrase sein kann, müssen wir dem Leser nochmals die Machinationen Sanchos gegen das Heilige, mit den geringen Modulationen dieses Kapitels, in aller Kürze vorführen.
<405> "Beruf, Bestimmung, Aufgabe, Ideal" sind, um dies kurz zu wiederholen, entweder
1. die Vorstellung von den revolutionären Aufgaben, die einer unterdrückten Klasse materiell vorgeschrieben sind; oder
2. bloße idealistische Paraphrasen oder auch entsprechender bewußter Ausdruck der durch die Teilung der Arbeit zu verschiedenen Geschäften verselbständigten Betätigungsweisen der Individuen; oder
3. der bewußte Ausdruck der Notwendigkeit, in der Individuen, Klassen, Nationen sich jeden Augenblick befinden, durch eine ganz bestimmte Tätigkeit ihre Stellung zu behaupten; oder
4. die in den Gesetzen, der Moral pp. ideell ausgedrückten Existenzbedingungen der herrschenden Klasse (bedingt durch die bisherige Entwicklung der Produktion), die von ihren Ideologen mit mehr oder weniger Bewußtsein theoretisch verselbständigt werden, in dem Bewußtsein der einzelnen Individuen dieser Klasse als Beruf pp. sich darstellen können und den Individuen der beherrschten Klasse als Lebensnorm entgegengehalten werden, teils als Beschönigung oder Bewußtsein der Herrschaft, teils als moralisches Mittel derselben. Hier, wie überhaupt bei den Ideologen, ist zu bemerken, daß sie die Sache notwendig auf den Kopf stellen und ihre Ideologie sowohl für die erzeugende Kraft wie für den Zweck aller gesellschaftlichen Verhältnisse ansehen, während sie nur ihr Ausdruck und Symptom ist.
Von unsrem Sancho wissen wir, daß er den unverwüstlichsten Glauben an die Illusionen dieser Ideologen hat. Weil die Menschen sich je nach ihren verschiedenen Lebensverhältnissen verschiedne Vorstellungen von sich, d.h. dem Menschen machen, so glaubt Sancho, daß die verschiedenen Vorstellungen die verschiedenen Lebensverhältnisse gemacht und so die Engrosfabrikanten dieser Vorstellungen, die Ideologen, die Welt beherrscht haben. Vgl. p. 433.
"Die Denkenden herrschen in der Welt", "der Gedanke beherrscht die Welt"; "die Pfaffen oder Schulmeister" "setzen sich allerlei Zeug in den Kopf", "sie denken sich ein Menschenideal",
wonach sich die Übrigen richten müssen (p. 442). Sancho kennt sogar ganz genau den Schluß, wonach die Menschen den Schulmeistergrillen unterworfen wurden und in ihrer Dummheit sich selbst unterwarfen:
"Weil es Mir" (dem Schulmeister) "denkbar ist, ist es den Menschen möglich, weil den Menschen möglich, so sollten sie es sein, so war es ihr Beruf; und endlich nur nach diesem Beruf, nur als Berufene hat man die Menschen zu nehmen. Und der weitere <406> Schluß? Nicht der Einzelne ist der Mensch, sondern ein Gedanke, ein Ideal ist der Mensch - Gattung - Menschheit." p. 441.
Alle Kollisionen, in die die Menschen durch ihre wirklichen Lebensverhältnisse mit sich oder mit Andern geraten, erscheinen unsrem Schulmeister Sancho als Kollisionen, in die die Menschen mit Vorstellungen über das leben "des Menschen" geraten, die sie entweder sich selbst in den Kopf gesetzt haben oder sich von Schulmeistern haben in den Kopf setzen lassen. Schlügen sie sich diese aus dem Kopf, "wie glücklich" könnten "diese armen Wesen leben", welche "Sprünge" dürften sie machen, während sie jetzt "nach der Pfeife der Schulmeister und Bärenführer tanzen" müssen! (p. 435.) (Der niedrigste dieser "Bärenführer" ist Sancho, da er nur sich selbst an der Nase herumführt.) Hätten z.B. die Menschen sich nicht fast immer und fast überall, in China sowohl wie in Frankreich, in den Kopf gesetzt, daß sie an Übervölkerung litten, welch einen Überfluß an Lebensmitteln würden diese "armen Wesen" nicht alsbald vorgefunden haben.
Sancho versucht hier, seine alte Historie von der Herrschaft des Heiligen in der Welt wieder anzubringen unter dem Vorwande einer Abhandlung über Möglichkeit und Wirklichkeit. Möglich heißt ihm nämlich Alles, was sich ein Schulmeister von mir in den Kopf setzt, wo Sancho dann leicht beweisen kann, daß diese Möglichkeit keine andre Wirklichkeit hat als in seinem Kopfe. Seine feierliche Behauptung, daß "sich der folgenreichste Mißverstand von Jahrtausenden hinter dem Wort möglich versteckt hielt" (p. 441), beweist hinlänglich, wie unmöglich es ihm ist, die Folgen seines reichlichen Mißverstandes von Jahrtausenden hinter Worten zu verstecken.
Diese Abhandlung über "Zusammenfallen von Möglichkeit und Wirklichkeit" (p. 439), von dem, was die Menschen das Vermögen haben zu sein und von dem, was sie sind, welche in so guter Harmonie steht mit seinen bisherigen zudringlichen Ermahnungen, man solle sein Vermögen wirken lassen usw., führt ihn indes noch auf einige Abschweifungen über die materialistische Umstandstheorie, die wir sogleich näher würdigen werden. Vorher noch ein Beispiel seiner ideologischen Verdrehung. p. 428 identifiziert er die Frage, "wie man das Leben erwerben könne", mit der Frage, wie man "das wahre Ich" (oder auch "Leben") "in sich herzustellen" habe. Nach derselben p. [428] hört das "Bangen ums Leben" mit seiner neuen Moralphilosophie auf, und das "Vertun" desselben beginnt. Die wundertätige Kraft dieser seiner angeblich neuen Moralphilosophie spricht unser Salomo "sprechender" noch in folgendem Sprüchlein aus:
"Sieh Dich als mächtiger an, als wofür man Dich ausgibt, so hast Du mehr Macht; sieh Dich als mehr an, so hast Du mehr." p. 483.Siehe oben im "Verein" Sanchos Manier, Eigentum zu erwerben.
Nun zu seiner Umstandstheorie.
"Einen Beruf hat der Mensch nicht, aber er hat Kräfte, die sich äußern, wo sie sind, weil ihr Sein ja einzig in ihrer Äußerung besteht, und sowenig untätig verharren können als das Leben .. Es gebraucht jeder in Jedem Augenblick soviel Kraft, als er besitzt" ("verwertet Euch, ahmt den Tapfern nach, werde Jeder von Euch ein allmächtiges Ich" usw. ging oben die Rede Sanchos)."... Die Kräfte lassen sich allerdings schärfen und vervielfältigen, besonders durch feindlichen Widerstand oder freundlichen Beistand; aber wo man ihre Anwendung vermißt, da kann man auch ihrer Abwesenheit gewiß sein. Man kann aus einem Steine Feuer schlagen, aber ohne den Schlag kommt keines heraus; in gleicher Art bedarf auch ein Mensch des Anstoßes. Darum nun, weil Kräfte sich stets von selbst werktätig erweisen, wäre das Gebot, sie zu gebrauchen. überflüssig und sinnlos ... Kraft ist nur ein einfacheres Wort für Kraftäußerung." p.436, 437.
Der "mit sich einige Egoismus", der seine Kräfte oder Vermögen ganz nach Belieben wirken oder nicht wirken läßt und das jus utendi et abutendi <Recht des Gebrauchens und Verbrauchens(auch: Mißbrauchens)> auf sie appliziert, purzelt hier plötzlich und unerwartet zusammen. Die Kräfte wirken hier auf Einmal selbständig, ohne sich um das "Belieben" Sanchos zu kümmern, sobald sie vorhanden sind, sie wirken wie chemische oder mechanische Kräfte, unabhängig von dem Individuum, das sie besitzt. Wir erfahren ferner, daß eine Kraft nicht vorhanden ist, wenn man ihre Äußerung vermißt; was dadurch berichtigt wird, daß die Kraft eines Anstoßes bedarf, um sich zu äußern. Wie aber Sancho entscheiden will, ob bei mangelnder Kraftäußerung der Anstoß oder die Kraft fehlt, erfahren wir nicht. Dagegen belehrt uns unser einziger Naturforscher, daß "man aus einem Steine Feuer schlagen kann", ein Beispiel, das, wie immer bei Sancho, gar nicht unglücklicher gewählt werden konnte. Sancho glaubt als schlichter Dorfschulmeister, daß, wenn er Feuer schlägt, dies aus dem Stein kommt, wo es bisher verborgen lag. Jeder Quartaner wird ihm sagen können, daß bei dieser in allen zivilisierten Ländern längst vergessenen Methode des Feuermachens durch die Reibung von Stahl und Stein Partikelchen vom Stahl, nicht vom Stein, abgelöst werden, die durch ebendieselbe Reibung in Glühhitze geraten; daß also "das Feuer", was für Sancho nicht ein unter gewissen Hitzegraden stattfindendes Verhältnis gewisser Körper zu gewissen andern Körpern, speziell dem Sauerstoff, sondern ein selbständiges Ding, ein "Element", eine fixe Idee, "das Heilige" ist - daß dies Feuer weder aus dem Stein noch aus dem <408> Stahl kommt. Sancho hätte ebensogut sagen können: Man kann aus Chlor gebleichte Leinwand machen, aber wenn der "Anstoß" fehlt, nämlich die ungebleichte Leinwand, so "kommt keine heraus". Bei dieser Gelegenheit wollen wir zu Sanchos "Selbstgenuß" ein früheres Faktum der "einzigen" Naturwissenschaft registrieren. In der Ode vom Verbrechen hieß es:
"Grollt es nicht in fernen Donnern,
Und siehst Du nicht, wie der Himmel
Ahnungsvoll schweigt und sich trübt?" (p. 319 "des Buchs".)
Es donnert, und der Himmel schweigt. Sancho weiß also von einem andern Ort, wo es donnert, als am Himmel. Sancho bemerkt ferner das Schweigen des Himmels durch seinen Gesichtssinn, ein Kunststück, das ihm niemand nachmacht. Oder aber, Sancho hört das Donnern und sieht das Schweigen, wo beides gleichzeitig geschehen kann. Wir sahen, wie Sancho beim "Spuk" die Berge den "Geist der Erhabenheit" repräsentieren ließ. Hier repräsentiert ihm der schweigende Himmel den Geist der Ahnung.
Man sieht übrigens nicht ein, warum Sancho hier so sehr gegen "das Gebot, seine Kräfte zu gebrauchen", eifert. Dies Gebot kann ja möglicherweise der fehlende "Anstoß" sein, ein "Anstoß", der zwar bei einem Stein seine Wirkung verfehlt, dessen Wirksamkeit Sancho indes bei jedem exerzierenden Bataillon beobachten kann. Daß das "Gebot" selbst für seine geringen Kräfte ein "Anstoß" ist, geht ohnehin daraus hervor, daß es für ihn ein "Stein des Anstoßes" ist.
Das Bewußtsein ist auch eine Kraft, die sich nach der Doktrin, die wir eben hörten, auch "stets von selbst werktätig erweist". Sancho müßte hiernach also nicht darauf ausgehen, das Bewußtsein zu ändern, sondern höchstens den "Anstoß", der auf das Bewußtsein wirkt; wonach Sancho sein ganzes Buch umsonst geschrieben hätte. Aber in diesem Falle hält er allerdings seine Moralpredigten und "Gebote" für einen hinreichenden "Anstoß."
"Was Einer werden kann, das wird er auch. Ein geborner Dichter mag wohl durch die Ungunst der Umstände gehindert werden, auf der Höhe der Zeit zu stehen und nach den dazu unerläßlichen großen Studien große Kunstwerke zu schaffen; aber dichten wird er, sei er Ackerknecht oder so glücklich, am Weimarschen Hofe zu leben. Ein geborner Musiker wird Musik treiben, gleichviel ob auf allen Instrumenten" (diese Phantasie von "allen Instrumenten hat ihm Proudhon geliefert. Sieh: "Der Kommunismus ) "oder nur auf einem Haferrohr" (dem Schulmeister fallen natürlich wieder Virgils Eklogen ein). "Ein geborner philosophischer Kopf kann sich als Universitätsphilosoph oder als Dorfphilosoph bewähren. Endlich ein geborner Dummerjan wird immer ein vernagelter Kopf bleiben. Ja die gebornen beschränkten Köpfe bilden un- <409> streitig die zahlreichste Menschenklasse. Warum sollten auch in der Menschengattung nicht dieselben Unterschiede hervortreten, welche in jeder Tiergattung unverkennbar sind?" p. 434.
Sancho hat wieder sein Exempel mit dem gewöhnlichen Ungeschick gewählt. Angenommen seinen Unsinn von den gebornen Dichtern, Musikern, Philosophen, so beweist dies Exempel einerseits nur, daß ein geborner P.P. das bleibt, was er schon durch die Geburt ist, nämlich Dichter etc., und andererseits, daß der geborne P,P., soweit er wird, sich entwickelt, "durch die Ungunst der Umstände" dahin kommen kann, das nicht zu werden, was er werden konnte. Sein Exempel beweist also nach der einen Seite hin gar nichts, nach der andern das Gegenteil von dem, was es beweisen sollte, und nach beiden zusammen, daß Sancho, gleichviel ob durch Geburt oder Umstände, zu der "zahlreichsten Menschenklasse" gehört. Er teilt dafür mit ihr und seinem "Nagel" den Trost, daß er ein einziger "vernagelter Kopf" ist.
Sancho erleidet hier das Abenteuer mit dem Zaubertrank, den Don Quijote aus Rosmarin, Wein, Öl und Salz gebraut hatte und wovon Cervantes am siebzehnten berichtet, daß Sancho danach zwei Stunden lang unter Schweiß und Verzuckungen aus beiden Kanälen seines Leibes sich ergoß. Der materialistische Trank, den unser tapferer Schildknapp zu seinem Selbstgenuß eingenommen hat, entleert ihn seines ganzen Egoismus im außergewöhnlichen Verstande. Wir sahen oben, wie Sancho gegenüber dem "Anstoß" plötzlich alle Feierlichkeit verlor und auf seine "Vermögen" verzichtete, wie weiland die ägyptischen Zauberer gegenüber den Läusen Mosis; hier kommen nun zwei neue Anfälle von Kleinmütigkeit vor, in denen er auch vor "der Ungunst der Umstände" sich beugt und endlich sogar seine ursprüngliche physische Organisation für etwas anerkennt, das ohne sein Zutun verkrüppelt wird. Was bleibt unsrem bankerutten Egoisten nun noch übrig? Seine ursprüngliche Organisation steht nicht in seiner Hand; die "Umstände" und den "Anstoß", unter deren Einfluß diese Organisation sich entwickelt, kann er nicht kontrollieren; "wie er in jedem Augenblicke ist, ist er" nicht "sein Geschöpf", sondern das Geschöpf der Wechselwirkung zwischen seinen angebornen Anlagen und den auf sie einwirkenden Umständen - alles das konzediert Sancho. Unglücklicher "Schöpfer"! Unglücklichstes "Geschöpf"!
Aber das größte Unglück kommt zuletzt. Sancho, nicht zufrieden damit, daß die tres mil azotes y trecientos en ambas sus valientes posaderas <dreitausenddreihundert Geißelhiebe auf seine mächtigen Sitzfleischhälften > längst vollzählig sind, Sancho muß sich schließlich noch einen Hauptschlag da- <410> durch versetzen, daß er sich als einen Gattungsgläubigen proklamiert. Und welchen Gattungsgläubigen! Er schreibt der Gattung zuerst die Teilung der Arbeit zu, indem er sie für das Faktum verantwortlich macht, daß einige Leute Dichter, andre Musiker, andre Schulmeister sind; er schreibt ihr zweitens die existierenden physischen und intellektuellen Mängel der "zahlreichsten Menschenklasse" zu und macht sie dafür verantwortlich, daß unter der Herrschaft der Bourgeoisie die Mehrzahl der Individuen seines gleichen sind. Nach seinen Ansichten über die gebornen beschränkten Köpfe müßte man sich die heutige Verbreitung der Skrofeln daraus erklären, daß "die Gattung" ein besonderes Vergnügen daran findet, die gebornen skrofulösen Konstitutionen "die zahlreichste Menschenklasse" bilden zu lassen. Über dergleichen Naivetäten waren sogar die gewöhnlichsten Materialisten und Mediziner hinaus, lange ehe der mit sich einige Egoist von der "Gattung", der "Ungunst der Umstände" und dem "Anstoß" den "Beruf" erhielt, vor dem deutschen Publikum zu debütieren. Wie Sancho bisher alle Verkrüppelung der Individuen und damit ihrer Verhältnisse aus den fixen Ideen der Schulmeister erklärte, ohne sich um die Entstehung dieser Ideen zu bekümmern, so erklärt er diese Verkrüppelung jetzt aus dem bloßen Naturprozeß der Erzeugung. Er denkt nicht im entferntesten daran, daß die Entwicklungsfähigkeit der Kinder sich nach der Entwicklung der Eltern richtet und daß alle diese Verkrüppelungen unter den bisherigen gesellschaftlichen Verhältnissen historisch entstanden sind und ebensogut historisch wieder abgeschafft werden können. Selbst die naturwüchsigen Gattungsverschiedenheiten, wie Rassenunterschiede etc., von denen Sancho gar nicht spricht, können und müssen historisch beseitigt werden. Sancho, der bei dieser Gelegenheit einen verstohlenen Blick in die Zoologie wirft und dabei entdeckt, daß die "gebornen beschränkten Köpfe" nicht nur bei Schafen und Ochsen, sondern auch bei Polypen und Infusorien, die keine Köpfe haben, die zahl reichste Klasse bilden - Sancho hat vielleicht davon gehört, daß man auch Tierrassen veredeln und durch die Rassenkreuzung ganz neue, sowohl für den Genuß der Menschen wie für ihren eignen Selbstgenuß vollkommnere Arten erzeugen kann. "Warum sollte nicht" Sancho hieraus einen Schluß auf die Menschen ziehen können?
Bei dieser Gelegenheit wollen wir Sanchos "Wandlungen" über die Gattung "episodisch einlegen". Wir werden sehen, daß er sich zur Gattung geradeso stellt wie zum Heiligen; je mehr er gegen sie poltert, desto mehr glaubt er an sie.
<411> Nr. I sahen wir schon, wie die Gattung die Teilung der Arbeit und die unter den bisherigen sozialen Umständen entstandenen Verkrüppelungen erzeugt, und zwar so, daß die Gattung samt ihren Produkten als etwas unter allen Umständen Unveränderliches, von der Kontrolle der Menschen Unabhängiges gefaßt wird.
Nr. II. "Die Gattung ist bereits durch die Anlage realisiert; was Du hingegen aus dieser Anlage machst" (mußte nach Obigem heißen was die "Umstände" aus ihr machen), "das ist die Realisation Deiner. Deine Rand ist vollkommen realisiert im Sinne der Gattung, sonst wäre sie nicht Hand, sondern etwa Tatze ... Du machst aus ihr Das, was und wie Du sie haben willst und machen kannst." p. 184, 185 Wig[and].
Hier wiederholt Sancho das unter Nr. I. Gesagte in andrer Form.
Wir haben also im Bisherigen gesehen, wie die Gattung unabhängig von der Kontrolle und der geschichtlichen Entwicklungsstufe der Individuen die sämtlichen physischen und geistigen Anlagen, das unmittelbare Dasein der Individuen und im Keim die Teilung der Arbeit in die Welt setzt.
Nr. III. Die Gattung bleibt als "Anstoß", der nur der allgemeine Ausdruck für die "Umstände" ist, welche die Entwicklung des wieder von der Gattung erzeugten ursprünglichen Individuums bestimmen. Sie ist für Sancho hier ebendieselbe mysteriöse Macht, die die übrigen Bourgeois die Natur der Dinge nennen und der sie alle Verhältnisse auf die Schultern schieben, die von ihnen als Bourgeois unabhängig sind und deren Zusammenhang sie deshalb nicht verstehen.
Nr. IV. Die Gattung als das "Menschenmögliche" und "menschliche Bedürfnis" bildet die Grundlage der Organisation der Arbeit im "Stirnerschen Verein", wo ebenfalls das Allen Mögliche und das Allen gemeinschaftliche Bedürfnis als Produkt der Gattung gefaßt werden.
Nr. V. Wir haben gehört, welche Rolle die Verständigung im Verein spielt. p. 462:
"Kommt es darauf an, sich zu verständigen und mitzuteilen, so kann Ich allerdings nur von den menschlichen Mitteln Gebrauch machen, die Mir, weil Ich zugleich Mensch bin" (id est Exemplar der Gattung), "zu Gebote stehen."
Hier also die Sprache als Produkt der Gattung. Daß Sancho deutsch und nicht französisch spricht, verdankt er keineswegs der Gattung, sondern den Umständen. Die Naturwüchsigkeit der Sprache ist übrigens in jeder modernen ausgebildeten Sprache, teils durch die Geschichte der Sprachentwicklung aus vorgefundenem Material, wie bei den romanischen und germanischen Sprachen, teils durch die Kreuzung und Mischung von Nationen, wie im Englischen, teils durch auf ökonomischer und politischer Konzentration beruhende Konzentration der Dialekte innerhalb einer Nation zur National- <412> sprache aufgehoben. Daß die Individuen ihrerzeit auch dies Produkt der Gattung vollständig unter ihre Kontrolle nehmen werden, versteht sich von selbst. In dem Verein wird man die Sprache als solche sprechen, die heilige Sprache, die Sprache des Heiligen - Hebräisch, und zwar den aramäischen Dialekt, den das "beleibte Wesen" Christus sprach. Dies "fiel" uns hier "wider Erwarten" Sanchos ein, "und zwar lediglich, weil Uns dünkt, es könne zur Verdeutlichung des Übrigen beitragen".
Nr. VI. p. 277, 278 erfahren wir, daß "die Gattung in Völker, Städte, Stände, allerlei Körperschaften", zuletzt "in die Familie" sich auftut und daher konsequent bis jetzt auch "Geschichte gespielt" hat. Hier wird also die ganze bisherige Geschichte bis auf die unglückliche Geschichte des Einzigen zum Produkt der "Gattung", und zwar aus dem zureichenden Grunde, weil man zuweilen diese Geschichte unter dem Namen Geschichte der Menschheit, i.e. der Gattung, zusammengefaßt hat.
Nr. VII. Sancho hat in dem Bisherigen der Gattung mehr zugeteilt als je ein Sterblicher vor ihm und resümiert dies nun in dem Satz:
"Die Gattung ist Nichts ... die Gattung nur ein Gedachtes (Geist. Gespenst pp.). p. 239.
Schließlich hat es denn auch mit dem "Nichts" Sanchos, das mit dem "Gedachten" identisch ist, nichts auf sich, denn er selbst ist "das schöpferische Nichts", und die Gattung schafft, wie wir sahen, sehr viel, wobei sie also sehr gut "Nichts" sein kann. Überdem erzählt Sancho uns p. 456:
"Durch das Sein wird gar nichts gerechtfertigt; das Gedachte ist so gut wie das Nichtgedachte."
Von p. 448 an spinnt Sancho ein 30 Seiten langes Garn ab, um "Feuer" aus dem Denken und der Kritik des mit sich einigen Egoisten zu schlagen. Wir haben schon zu viel Äußerungen seines Denkens und seiner Kritik erlebt, um dem Leser noch mit Sanchos Armenhaus-Gerstenbrühe einen "Anstoß" zu geben. Ein Löffel voll von dieser Brühe mag hinreichen.
"Glaubt Ihr, die Gedanken flögen so vogelfrei umher, daß sich Jeder welche holen dürfte, die er dann als sein unantastbares Eigentum gegen Mich geltend machte? Was umherfliegt, ist Alles - Mein." p. 457.
Sancho begeht hier Jagdfrevel an gedachten Schnepfen. Wir haben gesehen, wie viele von den umherfliegenden Gedanken er sich eingefangen hat. Er wähnte sie erhaschen zu können, sobald er ihnen nur das Salz des Heiligen auf den Schwanz streute. Dieser ungeheure Widerspruch zwischen seinem wirklichen Eigentum an Gedanken und seiner Illusion darüber mag als klassi- <413> sches und sinnfälliges Exempel seines ganzen Eigentums im außergewöhnlichen Verstande dienen. Eben dieser Kontrast bildet seinen Selbstgenuß.
6. Das hohe Lied Salomonis
oder
Der Einzige
Cessem do sabio Grego, e do Troiano,
As navegacoes grandes que fizeram;
Calle-se de Alexandro, e de Trajano
A fama das victorias que tiveram
------------------------------------------
Cesee tudo o que a Musa antigua canta,
Que outro valor mais alto se alevanta.
E vós, Spreïdes minhas - -
Dai-me huma furia grande, e sonorosa,
E naõ de agreste avena, on frauta ruda;
Mas de tuba canora, e bellicosa
Qus o peito accende, e o côr ao gesto mudai,
<Verstumme denn, was weiser Griechen Ahnen,
was Troias Söhn' auf weiter See vermocht;
von Alexandern schweige, von Trajanen,
der Ruf der Siege, die ihr Arm erfocht ...
------------------------------------------
Verstumme, was die Muse grauer Zeiten
besang, vor andern, größern Herrlichkeiten!
Und ihr, der Spree Jungfrauen ...
Leiht mir Begeisterung, die mächtig schalle,
nicht, wie von rauher Flöt' und wildem Rohr,
nein, von der Tuba stolzem Kriegeshalle,
der Wangen rötet, Geister hebt empor ...>
gebt mir, o Nymphen der Spree, ein Lied, wie es würdig ist der Helden, die an Eurem Ufer wider die Substanz und den Menschen kämpfen, ein Lied, das über alle Welt sich verbreitet und in allen Landen gesungen wird - denn es handelt sich hier um den Mann, der getan hat,
Mais do que promettia a força humana,
< was niemals Menschenkraft vollbracht >
mehr als die bloß "menschliche" Kraft zu leisten vermag, um den Mann, der --
edificára
Novo reino que tanto sublimára,
<... errichtete
ein neues Reich ... in ferner Zone>
<414> der ein neues Reich gestiftet hat unter entferntem Volk, nämlich den "Verein"
- es handelt sich hier um den
- tenro, e novo ramo florescente
De huma arvore de Christo, mais amada,
<- zarten Sproß, am Baume neu entfaltet
dem Christus sich vor allen zugewandt,>
um den zarten und jungen, blühenden Schößling eines von Christo vorzugsweise geliebten Baumes, der nicht weniger
certissima esperança
Do augmento da pequena Christiandade,
<zum sichern Hoffnungsstern erkoren,
daß wachse stets die kleine Christenheit>
die gewisseste Hoffnung des Wachstums ist für die kleinmütige Christenheit - es handelt sich mit Einem Wort um etwas "Noch nie Dagewesenes", um den "Einzigen ". (75)
Alles, was sich in diesem noch nie dagewesenen hohen Liede vom Einzigen findet, ist bereits früher im "Buch" dagewesen. Bloß der Ordnung wegen erwähnen wir dies Kapitel; um dies mit Anstand tun zu können, haben wir uns einige Punkte bis jetzt aufgespart und werden andre kurz rekapitulieren.
Das "Ich" Sanchos macht eine komplette Seelenwanderung durch. Wir fanden es schon als mit sich einigen Egoisten, als Fronbauer, als Gedankenhändler, als unglücklichen Konkurrenten, als Eigner, als Sklaven, dem ein Bein ausgerissen wird, als von der Wechselwirkung zwischen Geburt und Umständen in die Luft geprellten Sancho und in hundert andern Gestalten. Hier nimmt es Abschied als "Unmensch"; unter derselben Devise, unter der es seinen Einzug ins Neue Testament hielt.
"Wirklicher Mensch ist nur der - Urmensch." p. 232.
Dies ist eine der Tausend und ein Gleichungen, in welche Sancho seine Legende vom Heiligen setzt.
Der Begriff Mensch ist nicht wirklicher Mensch.
Der Begriff Mensch |
= Der Mensch. |
Der Mensch |
= Nicht wirklicher Mensch. |
Wirklicher Mensch |
= Der Nicht-Mensch. |
|
= Der Unmensch. |
"Wirklicher Mensch ist nur der - Unmensch."
<415> Sancho sucht sich die Harmlosigkeit dieses Satzes in folgenden Wendungen klarzumachen:
"Mit dürren Worten zu sagen, was ein Unmensch sei, hält nicht eben schwer; es ist ein Mensch, [...] welcher dem Begriffe des Menschlichen nicht angemessen ist. Die Logik nennt dies ein widersinniges Urteil. Dürfte man wohl dies Urteil, daß einer Mensch sein könne, ohne Mensch zu sein, aussprechen, wenn man nicht die Hypothese gelten ließe, daß der Begriff des Menschen von der Existenz, das Wesen von der Erscheinung getrennt sein könne. Man sagt: Der erscheint zwar als Mensch, ist aber kein Mensch. Dies widersinnige Urteil haben die Menschen eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch gefällt, ja was noch mehr ist, in dieser langen Zeit gab es nur Unmenschen. Welcher Einzelne hätte je seinem Begriffe entsprochen?" p. 232.
Die hier wieder zugrunde liegende Einbildung unsres Schulmeisters von dem Schulmeister, der sich ein Ideal "des Menschen" gemacht und dies den Übrigen "in den Kopf gesetzt" habe, ist der Grundtext "des Buches".
Sancho nennt das eine Hypothese, daß Begriff und Existenz, Wesen und Erscheinung "des Menschen" getrennt sein können, als wenn er in den Worten selbst nicht schon die Möglichkeit der Trennung ausspräche. Sobald er Begriff sagt, sagt er etwas Unterschiedenes von der Existenz, sobald er Wesen sagt, sagt er etwas Unterschiedenes von der Erscheinung. Nicht diese Aussagen bringt er in Gegensatz, sondern sie sind die Aussagen eines Gegensatzes. Die einzige Frage wäre also gewesen, ob er etwas unter diese Gesichtspunkte rangieren dürfe; und um hierauf einzugehen, hätte Sancho sich die wirklichen Verhältnisse der Menschen, die in diesen metaphysischen Verhältnissen andre Namen erhalten haben, betrachten müssen. Im übrigen zeigen Sanchos eigne Abhandlungen über den mit sich einigen Egoisten und die Empörung, wie man diese Gesichtspunkte auseinanderfallen lassen, und über Eigenheit, Möglichkeit und Wirklichkeit im "Selbstgenuß", wie man sie zu gleicher Zeit zusammen- und auseinanderfallen lassen kann.
Das widersinnige Urteil der Philosophen, daß der wirkliche Mensch nicht Mensch sei, ist nur innerhalb der Abstraktion der universellste, umfassendste Ausdruck des faktisch bestehenden universellen Widerspruchs zwischen den Verhältnissen und den Bedürfnissen der Menschen. Die widersinnige Form des abstrakten Satzes entspricht ganz der Widersinnigkeit der auf ihre höchste Spitze getriebenen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft. Gerade wie Sanchos widersinniges Urteil über seine Umgebung: sie sind Egoisten und sind es nicht, dem faktischen Widerspruch entspricht zwischen dem Dasein der deutschen Kleinbürger und den ihnen durch die Verhältnisse aufgedrungenen und als fromme Wünsche und Gelüste in ihnen selbst hausenden Aufgaben. Übrigens haben die Philosophen die Menschen nicht darum für <416> unmenschlich erklärt, weil sie dem Begriff des Menschen nicht entsprachen, sondern weil ihr Begriff des Menschen nicht dem wahren Begriff des Menschen entsprach, oder weil sie nicht das wahre Bewußtsein vom Menschen hatten. Tout comme chez nous <ganz wie bei uns> im "Buche", wo Sancho auch die Menschen nur deshalb für Nichtegoisten erklärt, weil sie nicht das wahre Bewußtsein vom Egoismus haben.
Der durchaus harmlose Satz, daß die Vorstellung vom Menschen nicht wirklicher Mensch sei, daß die Vorstellung eines Dinges nicht das Ding selbst ist - dieser auch vom Stein und der Vorstellung des Steins geltende Satz, wonach Sancho sagen müßte, daß wirklicher Stein nur der Unstein ist, hätte wegen seiner enormen Trivialität und unbezweifelten Gewißheit keiner Erwähnung bedurft. Aber Sanchos bekannte Einbildung, daß die Menschen bisher nur durch die Herrschaft der Vorstellungen und Begriffe in allerlei Unglück gestürzt worden, macht es ihm möglich, an diesen Satz seine alten Folgerungen wieder anzuknüpfen. Sanchos alte Meinung, man habe sich nur einige Vorstellung[en] aus dem Kopf zu schlagen, um die Verhältnisse, aus denen diese Vorstellungen entstanden sind, aus der Welt zu schlagen, reproduziert sich hier in der Gestalt, daß man sich nur die Vorstellung Mensch aus dem Kopf zu schlagen habe, um die heute unmenschlich genannten wirklichen Verhältnisse zu vernichten, sei dies Prädikat "unmenschlich" nun das Urteil des im Widerspruch mit seinen Verhältnissen stehenden Individuums oder das Urteil der normalen, herrschenden Gesellschaft über die abnorme, beherrschte Klasse. Gerade wie ein aus seinem Salzwasser in den Kupfergraben versetzter Walfisch, wenn er Bewußtsein hätte, diese durch "Ungunst der Umstände" bewirkte Lage für unwalfischmäßig erklären würde, obwohl ihm Sancho demonstrieren könnte, sie sei schon deswegen walfischmäßig, weil sie seine, des Walfisches, Lage sei - geradeso urteilen die Menschen unter gewissen Umständen.
p.185 wirft Sancho die große Frage auf:
"Aber der Unmensch, der doch in jedem Einzelnen steckt, wie dämmt man den? Wie stellt man's an, daß man mit dem Menschen nicht zugleich den Unmenschen freiläßt? Der gesamte Liberalismus hat einen Todfeind, einen unüberwindlichen Gegensatz, wie Gott den Teufel: dem Menschen steht der Unmensch, der Egoist, der Einzelne, stets zur Seite. Staat, Gesellschaft, Menschheit bewältigen diesen Teufel nicht."
"Und wenn tausend Jahre vollendet sind, wird der Satanas los werden aus seinem Gefängnis und wird ausgehen zu verführen die Heiden in den vier Örtern der Erde, den Gog und Magog, sie zu versammeln in einem <417> Streit... Und sie traten auf die Breite der Erde und umringten das Heerlager des Heiligen und die geliebte Stadt." Offenbarung Johannis, 20, 7-9.
Die Frage, wie Sancho sie selbst versteht, läuft wieder auf reinen Unsinn hinaus. Er bildet sich ein, die Menschen hätten sich bisher immer einen Begriff vom Menschen gemacht und sich dann so weit befreit, als nötig war, um diesen Begriff in sich zu verwirklichen; das jedesmalige Maß der Freiheit, das sie sich errungen, sei durch ihre jedesmalige Vorstellung vom Ideal des Menschen bestimmt worden; wobei denn nicht fehlen konnte, daß in jedem Individuum ein Rest zurückblieb, der diesem Ideal nicht entsprach und daher als "unmenschlich" nicht oder nur malgré eux <gegen ihren Willen> befreit wurde.
In der Wirklichkeit trug sich die Sache natürlich so zu, daß die Menschen sich jedesmal so weit befreiten, als nicht ihr Ideal vom Menschen, sondern die existierenden Produktivkräfte ihnen vorschrieben und erlaubten. Allen bisherigen Befreiungen lagen indes beschränkte Produktivkräfte zugrunde, deren für die ganze Gesellschaft unzureichende Produktion nur dann eine Entwicklung möglich machte, wenn die Einen auf Kosten der Andern ihre Bedürfnisse befriedigten und dadurch die Einen - die Minorität - das Monopol der Entwicklung erhielten, während die Andern - die Majorität - durch den fortgesetzten Kampf um die Befriedigung der notwendigsten Bedürfnisse einstweilen (d.h. bis zur Erzeugung neuer revolutionierender Produktivkräfte) von aller Entwicklung ausgeschlossen wurden. So hat sich die Gesellschaft bisher immer innerhalb eines Gegensatzes entwickelt, der bei den Alten der Gegensatz von Freien und Sklaven, im Mittelalter der vom Adel und Leibeignen, in der neueren Zeit der von Bourgeoisie und Proletariat ist. Hieraus erklärt sich einerseits die abnorme "unmenschliche" Weise, in der die beherrschte Klasse ihre Bedürfnisse befriedigt, und andererseits die Beschränkung, innerhalb deren der Verkehr und mit ihm die ganze herrschende Klasse sich entwickelt; so daß diese Beschränktheit der Entwicklung nicht nur in dem Ausschließen der einen Klasse, sondern auch in der Borniertheit der ausschließenden Klasse besteht und das "Unmenschliche" ebenfalls in der herrschenden Klasse vorkommt. Dies sogenannte "Unmenschliche" ist ebensogut ein Produkt der jetzigen Verhältnisse wie das "Menschliche"; es ist ihre negative Seite, die auf keiner neuen revolutionären Produktivkraft beruhende Rebellion gegen die auf den bestehenden Produktivkräften beruhenden herrschenden Verhältnisse und die ihnen entsprechende Weise der Befriedigung der Bedürfnisse. Der positive Ausdruck "menschlich" entspricht den bestimmten, einer gewissen Produktionsstufe gemäß herrschenden <418> Verhältnissen und der durch sie bedingten Weise, die Bedürfnisse zu befriedigen, wie der negative Ausdruck "unmenschlich" dem durch dieselbe Produktionsstufe täglich neu hervorgerufenen Versuche entspricht, diese herrschenden Verhältnisse und die in ihnen herrschende Weise der Befriedigung innerhalb der existierenden Produktionsweise zu negieren.
Solche weltgeschichtliche Kämpfe verlaufen sich für unsren Heiligen in eine bloße Kollision Sankt Brunos und "der Masse". Vgl. die ganze Kritik des humanen Liberalismus, namentlich p. 192 seqq.
Unser einfältiger Sancho kommt also mit seinem einfältigen Sprüchlein über den Unmenschen und seinem Sich-aus-dem-Kopf-Schlagen des Menschen, womit auch der Unmensch verschwindet und kein Maß mehr für die Individuen existiert, schließlich zu folgendem Resultat. Er anerkennt die Verkrüpplung und Knechtung, der ein Individuum durch die bestehenden Verhältnisse physisch, intellektuell und sozial anheimgefallen ist, als die Individualität und Eigenheit dieses Individuums; er erkennt als ordinärer Konservateur diese Verhältnisse ruhig an, nachdem er sich dadurch von allem Kummer befreit hat, daß er sich die Vorstellung der Philosophen von diesen Verhältnissen aus dem Kopfe geschlagen hat. Wie er hier die dem Individuum aufgedrungene Zufälligkeit für seine Individualität erklärt, so abstrahierte er früher (vgl. Logik) bei seinem Ich nicht nur von aller Zufälligkeit, sondern auch überhaupt von aller Individualität.
Dies sein "unmenschlich" großes Resultat besingt Sancho in folgendem Kyrie eleison, das er "dem Unmenschlichen" in den Mund legt:
"Ich war verächtlich, weil Ich Mein besseres Selbst außer Mir suchte;
Ich war das Unmenschliche, weil Ich vom Menschlichen träumte;
Ich glich den Frommen, die nach ihrem wahren Ich hungern und immer arme Sünder bleiben;
Ich dachte Mich nur im Vergleich zu einem Andern;
Ich war nicht Alles in Allem, war nicht - einzig.
Jetzt aber höre Ich auf, Mir als das Unmenschliche vorzukommen;
Höre auf, Mich am Menschen zu messen und messen zu lassen;
Höre auf, etwas über Mir anzuerkennen -
Ich bin das Unmenschliche nur gewesen, bin es nicht mehr, bin das - Einzige!"
Hallellujah!
Ohne hier weiter darauf einzugehen, wie "das Unmenschliche", das sich, beiläufig gesagt, dadurch in den nötigen Humor versetzt hat, daß es "sich selbst und dem Kritiker" Sankt Bruno "den Rücken kehrt" - wie "das Unmenschliche" sich hier "vorkommt" oder nicht "vorkommt", notieren wir, daß das oder der "Einzige" hier dadurch qualifiziert wird, daß er sich zum <419> neunhundertsten Male das Heilige aus dem Kopfe schlägt, womit, wie wir ebenfalls zum neunhundertsten Male wiederholen müssen, Alles beim Alten bleibt, abgesehen davon, daß es nur ein frommer Wunsch ist.
Wir haben hier den Einzigen zum ersten Mal. Sancho, der unter der obigen Litanei zum Ritter geschlagen worden ist, eignet sich jetzt seinen neuen adligen Namen an. Sancho kommt dadurch zu seiner Einzigkeit, daß er sich "den Menschen" aus dem Kopfe schlägt. Hiermit hört er auf, "sicli nur im Vergleiche zu einem Andern zu denken" und "etwas über sich anzuerkennen". Er wird unvergleichlich. Wir haben hier wieder die alte Marotte Sanchos, daß Vorstellungen, Ideen, "das Heilige", hier in Gestalt "des Menschen", das alleinige tertium comparationis <der Vergleichspunkt> und das alleinige Band zwischen den Individuen seien, nicht ihre Bedürfnisse. Er schlägt sich eine Vorstellung aus dem Kopfe und wird dadurch einzig.
Um "einzig" in seinem Sinne zu sein, muß er uns vor allem seine Voraussetzungslosigkeit beweisen.
p. 470: "Dein Denken hat nicht das Denken zur Voraussetzung, sondern Dich. Aber so setzest Du Dich doch voraus? Ja, aber nicht Mir, sondern Meinem Denken. Vor Meinem Denken bin - Ich. Daraus folgt, daß Meinem Denken nicht ein Gedanke vorhergeht oder daß Mein Denken ohne eine Voraussetzung ist. Denn die Voraussetzung, welche Ich für Mein Denken bin, ist keine vom Denken gemachte, keine gedachte, sondern - ist der Eigner des Denkens und beweist nur, daß das Denken nichts weiter ist als - Eigentum."
Daß Sancho nicht eher denkt, als bis er denkt, und daß er und jeder Andre in dieser Hinsicht ein voraussetzungsloser Denker ist, "wird ihm hiermit zugegeben". Ebenso wird ihm konzediert, daß er, keinen Gedanken zur Voraussetzung seines Daseins hat, d.h., daß er nicht von Gedanken gemacht worden ist. Wenn Sancho einen Augenblick von seinem ganzen Gedankenkram abstrahiert, was ihm bei seinem spärlichen Sortiment nicht schwerfallen kann, so bleibt sein wirkliches Ich, aber sein wirkliches Ich innerhalb der für es existierenden wirklichen Weltverhältnisse übrig. Er hat sich damit aller dogmatischen Voraussetzungen für einen Augenblick entledigt, aber dafür fangen die wirklichen Voraussetzungen für ihn erst an. Und diese wirklichen Voraussetzungen sind auch die Voraussetzungen seiner dogmatischen Voraussetzungen, die ihm mit den wirklichen wiederkommen, er mag wollen oder nicht, solange er nicht andre wirkliche Voraussetzungen und damit auch andre dogmatische Voraussetzungen erhält oder solange er die wirklichen Voraussetzungen nicht materialistisch als Voraussetzungen seines Denkens anerkennt, womit die dogmatischen überhaupt aufhören. Wie ihm mit seiner bis- <420> herigen Entwicklung und mit seinen Berliner Umgebungen jetzt die dogmatische Voraussetzung des mit sich einigen Egoismus gegeben ist, so wird sie ihm trotz aller eingebildeten Voraussetzungslosigkeit bleiben, solange er nicht ihre wirklichen Voraussetzungen überwindet.
Sancho trachtet als echter Schulmeister noch immer nach dem vielberühmten Hegelschen "voraussetzungslosen Denken", d.h. dem Denken ohne dogmatische Voraussetzungen, das bei Hegel auch ein frommer Wunsch ist. Er glaubte es durch eine feine Volte erhaschen und es dadurch überbieten zu können, daß er auch auf das voraussetzungslose Ich Jagd machte. Aber sowohl das Eine wie das Andre ist ihm entwischt.
Sancho versucht sein Glück nun auf eine andre Manier:
p. 214, 215. "Erschöpft" die Freiheitsforderung! "Wer soll frei werden? Du, Ich, Wir. Wovon frei? Von allem, was nicht Du, nicht Ich, nicht Wir ist. Ich also bin der Kern ... Was bleibt übrig, wenn Ich von allem, was nicht Ich bin, frei worden? Nur Ich und nichts als Ich."
"Das also war des Pudels Kern!
Ein fahrender Scholast? Der Kasus macht mich lachen."
"Alles, was nicht Du, nicht Ich, nicht Wir ist", ist natürlich hier wieder eine dogmatische Vorstellung, wie Staat, Nationalität, Teilung der Arbeit pp. Nachdem diese Vorstellungen kritisiert sind, was Sancho von "der Kritik", nämlich der kritischen, schon vollführt glaubt, bildet er sich wieder ein, auch vom wirklichen Staat, der wirklichen Nationalität und Teilung der Arbeit befreit zu sein. Das Ich, das hier "der Kern" ist, das "von Allem, was nicht Ich bin, frei worden", ist also wieder das obige voraussetzungslose Ich mit Allem, was es nicht losgeworden ist.
Nähme Sancho indes das "Freiwerden" einmal so, daß er nicht bloß von den Kategorien, sondern von den wirklichen Fesseln frei werden wollte, so setzt diese Befreiung wieder eine ihm mit einer großen Masse Anderer gemeinsame Veränderung voraus und bewirkt einen veränderten Weltzustand, der ihm wieder mit den Andern gemeinsam ist. Hiernach "bleibt" nach der Befreiung allerdings sein "Ich", aber als ein ganz verändertes Ich, übrig, das mit Andern eine veränderte Weltlage gemeinsam hat, die eben die ihm mit Andern gemeinsame Voraussetzung seiner und ihrer Freiheit ist, und hiernach gerät die Einzigkeit, Unvergleichlichkeit und Unabhängigkeit seines "Ich" wieder in die Brüche.
Sancho versucht's noch auf eine dritte Manier:
p. 237. "Nicht daß sie" (Jude und Christ) "sich ausschließen, ist ihre Schmach, sondern daß dies nur halb geschieht. Könnten sie vollkommen Egoisten sein, so schlössen sie sich ganz aus."
<421> p. 273. "Man faßt die Bedeutung des Gegensatzes zu formell und schwächlich, wenn man ihn nur auflösen will. Der Gegensatz verdient vielmehr verschärft zu werden."
p. 274. Ihr werdet Euren Gegensatz erst dann nicht länger bloß verhehlen, wenn Ihr ihn ganz anerkannt und Jedermann vom Wirbel bis zur Zehe sich als einzig behauptet ... Der letzte und entschiedenste Gegensatz, der des Einzigen gegen den Einzigen, ist im Grunde über das, was Gegensatz heißt, hinaus ... Du hast als Einziger nichts Gemeinsames mehr mit dem Andern und darum auch nichts Trennendes oder Feindliches ... Der Gegensatz verschwindet in der vollkommenen ... Geschiedenheit oder Einzigkeit."
p. 183. "Ich will nichts Besonderes vor Andern haben oder sein; Ich messe Mich auch nicht an ... Ich will Alles sein und Alles haben, was Ich sein und haben kann. Ob Andre Ähnliches sind und haben, was kümmert's Mich? Das Gleiche, dasselbe können sie weder sein noch haben. Ich tue ihnen keinen Abbruch, wie Ich dem Felsen dadurch keinen Abbruch tue, daß Ich die Bewegung vor ihm voraus habe. Wenn sie's haben könnten, so hätten sie's. Den andern Menschen keinen Abbruch zu tun, darauf kommt die Forderung hinaus, kein Vorrecht zu besitzen ... Man soll sich nicht für 'etwas Besonderes' halten, wie z. B. Jude oder Christ. Nun, Ich halte Mich nicht für etwas Besonderes, sondern für einzig. Ich habe wohl Ähnlichkeit mit Andern; das gilt jedoch nur für die Vergleichung oder Reflexion; in der Tat bin Ich unvergleichlich, einzig. Mein Fleisch ist nicht ihr Fleisch, Mein Geist ist nicht ihr Geist. Bringt Ihr sie unter die Allgemeinheiten 'Fleisch', 'Geist', so sind das Eure Gedanken, die mit Meinem Fleische, Meinem Geiste nichts zu schaffen haben."
p. 234. "An den Egoisten geht die menschliche Gesellschaft zugrunde, denn sie beziehen sich nicht mehr als Menschen aufeinander, sondern treten egoistisch als ein Ich gegen ein von Mir durchaus verschiedenes und gegnerisches Du auf."
p. l80. "Als ob nicht immer Einer den Andern suchen wird, und als ob nicht Einer in den Andern sich fügen muß, wenn er ihn braucht. Der Unterschied ist aber der, daß dann wirklich der Einzelne sich mit dem Einzelnen vereinigt, indes er früher durch ein Band mit ihm verbunden war."
p.178. "Nur wenn Ihr einzig seid, könnt Ihr als das, was Ihr wirklich seid, miteinander verkehren."
Was die Illusion Sanchos über den Verkehr der Einzigen "als das, was sie wirklich sind", über die "Vereinigung des Einzelnen mit dem Einzelnen", kurz über den "Verein" betrifft, so ist das vollständig abgemacht. Bemerken wir nur: wenn im Verein Jeder den Andern nur als seinen Gegenstand, als sein Eigentum betrachtete und behandelte (vgl. p.167 und die Eigentums- und Exploitationstheorie), so sieht der Statthalter der Insel Barataria im Kommentar (Wig[and] p.157) dagegen ein und erkennt es an, daß der Andre auch sich selbst gehört, Sein eigen, einzig ist und auch in dieser Qualität Gegenstand Sanchos wird, obgleich nicht mehr Sanchos Eigentum. <422> In seiner Verzweiflung rettet er sich nur durch den unerwarteten Einfall, daß er sich "hierüber selbst vergißt in süßer Selbstvergessenheit", ein Genuß, den er sich "in jeder Stunde tausendmal macht" und den ihm das süße Bewußtsein noch versüßt, daß er dann doch nicht "ganz verschwunden" ist, Es kommt hier also der alte Witz heraus, daß Jeder für sich und für Andre ist.
Lösen wir jetzt Sanchos pomphafte Sätze in ihren bescheidenen Inhalt auf.
Die gewaltigen Redensarten über den "Gegensatz", der verschärft und auf die Spitze getrieben werden soll, und über das "Besondre", das Sancho nicht voraus haben will, laufen auf Ein und Dasselbe hinaus. Sancho will oder glaubt vielmehr zu wollen, daß die Individuen rein persönlich miteinander verkehren sollen, daß ihr Verkehr nicht durch ein Drittes, eine Sache vermittelt sein soll (vgl. die Konkurrenz). Dies Dritte ist hier das "Besondre" oder der besondre, nicht absolute Gegensatz, d.h. die durch die jetzigen gesellschaftlichen Verhältnisse bedingte Stellung der Individuen zueinander. Sancho will z.B. nicht, daß zwei Individuen als Bourgeois und Proletarier zueinander im "Gegensatz" stehen, er protestiert gegen das "Besondre", das der Bourgeois vor dem Proletarier "voraus hat"; er möchte sie in ein rein persönliches Verhältnis treten, als bloße Individuen miteinander verkehren lassen. Er bedenkt nicht, daß innerhalb der Teilung der Arbeit die persönlichen Verhältnisse notwendig und unvermeidlich sich zu Klassenverhältnissen fortbilden und fixieren und daß darum sein ganzes Gerede auf einen bloßen frommen Wunsch herausläuft, den er zu realisieren denkt, indem er die Individuen dieser Klassen vermahnt, sich die Vorstellung ihres "Gegensatzes" und ihres "besondern" "Vorrechts" aus dem Kopf zu schlagen. In den oben zitierten Sätzen Sanchos kommt es überhaupt nur darauf an, wofür sich die Leute halten und wofür er sie hält, was sie wollen und was er will. Durch ein verändertes "Dafürhalten" und "Wollen" wird der "Gegensatz" und das "Besondre" aufgehoben.
Selbst das, was ein Individuum als solches vor dem andern voraus hat, ist heutzutage zugleich ein Produkt der Gesellschaft und muß sich in seiner Verwirklichung wieder als Privilegium geltend machen, wie wir Sancho schon bei Gelegenheit der Konkurrenz gezeigt haben. Das Individuum als solches, für sich selbst betrachtet, ist ferner unter die Teilung der Arbeit subsumiert, durch sie vereinseitigt, verkrüppelt, bestimmt.
Worauf läuft Sanchos Zuspitzung des Gegensatzes und Aufhebung der Besonderheit im besten Falle hinaus? Daß die Verhältnisse der Individuen ihr Verhalten sein sollen und ihre gegenseitigen Unterschiede ihre Selbstunterscheidungen (wie das eine empirische Selbst sich vom Andern unterschei <423> det). Beides ist entweder, wie bei Sancho, eine ideologische Umschreibung des Bestehenden, denn die Verhältnisse der Individuen können unter allen Umständen nichts andres als ihr wechselseitiges Verhalten, und ihre Unterschiede können nichts andres als ihre Selbstunterscheidungen sein. Oder es ist der fromme Wunsch, daß sie sich so verhalten und so voneinander unterscheiden möchten, daß ihr Verhalten nicht als von ihnen unabhängiges gesellschaftliches Verhältnis verselbständigt, daß ihre Unterschiede voneinander nicht den sachlichen (von der Person unabhängigen) Charakter annehmen möchten, den sie angenommen haben und noch täglich annehmen.
Die Individuen sind immer und unter allen Umständen "von sich ausgegangen", aber da sie nicht einzig in dem Sinne waren, daß sie keine Beziehung zueinander nötig gehabt hätten, da ihre Bedürfnisse, also ihre Natur, und die Weise, sie zu befriedigen, sie aufeinander bezog (Geschlechtsverhältnis, Austausch, Teilung der Arbeit), so mußten sie in Verhältnisse treten. Da sie ferner nicht als reine Ichs, sondern als Individuen auf einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer Produktivkräfte und Bedürfnisse in Verkehr traten, in einen Verkehr, der seinerseits wieder die Produktion und die Bedürfnisse bestimmte, so war es eben das persönliche, individuelle Verhalten der Individuen, ihr Verhalten als Individuen zueinander, das die bestehenden Verhältnisse schuf und täglich neu schafft. Sie traten als das miteinander in Verkehr, was sie waren, sie gingen "von sich aus", wie sie waren, gleichgültig, welche "Lebensanschauung" sie hatten. Diese "Lebensanschauung", selbst die windschiefe der Philosophen, konnte natürlich immer nur durch ihr wirkliches Leben bestimmt sein. Es stellt sich hierbei allerdings heraus, daß die Entwicklung eines Individuums durch die Entwicklung aller andern, mit denen es in direktem oder indirektem Verkehr steht, bedingt ist, und daß die verschiedenen Generationen von Individuen, die miteinander in Verhältnisse treten, einen Zusammenhang unter sich haben, daß die Späteren in ihrer physischen Existenz durch ihre Vorgänger bedingt sind, die von ihnen akkumulierten Produktivkräfte und Verkehrsformen übernehmen und dadurch in ihren eignen gegenseitigen Verhältnissen bestimmt werden. Kurz, es zeigt sich, daß eine Entwicklung stattfindet und die Geschichte eines einzelnen Individuums keineswegs von der Geschichte der vorhergegangenen und gleichzeitigen Individuen loszureißen ist, sondern von ihr bestimmt wird.
Das Umschlagen des individuellen Verhaltens in sein Gegenteil, ein bloß sachliches Verhalten, die Unterscheidung von Individualität und Zufälligkeit durch die Individuen selbst, ist, wie wir bereits nachgewiesen haben, ein geschichtlicher Prozeß und nimmt auf verschiednen Entwicklungsstufen <424> verschiedene, immer schärfere und universellere Formen an. In der gegenwärtigen Epoche hat die Herrschaft der sachlichen Verhältnisse über die Individuen, die Erdrückung der Individualität durch die Zufälligkeit, ihre schärfste und universellste Form erhalten und damit den existierenden Individuen eine ganz bestimmte Aufgabe gestellt. Sie hat ihnen die Aufgabe gestellt, an die Stelle der Herrschaft der Verhältnisse und der Zufälligkeit über die Individuen die Herrschaft der Individuen über die Zufälligkeit und die Verhältnisse zu setzen. Sie hat nicht, wie Sancho sich einbildet, die Forderung gestellt, daß "Ich Mich entwickle", was jedes Individuum bis jetzt ohne Sanchos guten Rat getan hat, sie hat vielmehr die Befreiung von einer ganz bestimmten Weise der Entwicklung vorgeschrieben. Diese durch die gegenwärtigen Verhältnisse vorgeschriebene Aufgabe fällt zusammen mit der Aufgabe, die Gesellschaft kommunistisch zu organisieren.
Wir haben bereits oben gezeigt, daß die Aufhebung der Verselbständigung der Verhältnisse gegenüber den Individuen, der Unterwerfung der Individualität unter die Zufälligkeit, der Subsumtion ihrer persönlichen Verhältnisse unter die allgemeinen Klassenverhältnisse etc. in letzter Instanz bedingt ist durch die Aufhebung der Teilung der Arbeit. Wir haben ebenfalls gezeigt, daß die Aufhebung der Teilung der Arbeit bedingt ist durch die Entwicklung des Verkehrs und der Produktivkräfte zu einer solchen Universalität, daß das Privateigentum und die Teilung der Arbeit für sie zu einer Fessel wird. Wir haben ferner gezeigt, daß das Privateigentum nur aufgehoben werden kann unter der Bedingung einer allseitigen Entwicklung der Individuen, weil eben der vorgefundene Verkehr und die vorgefundenen Produktivkräfte allseitig sind und nur von allseitig sich entwickelnden Individuen angeeignet, d.h. zur freien Betätigung ihres Lebens gemacht werden können. Wir haben gezeigt, daß die gegenwärtigen Individuen das Privateigentum aufheben müssen, weil die Produktivkräfte und die Verkehrsformen sich so weit entwickelt haben, daß sie unter der Herrschaft des Privateigentums zu Destruktivkräften geworden sind, und weil der Gegensatz der Klassen auf seine höchste Spitze getrieben ist. Schließlich haben wir gezeigt, daß die Aufhebung des Privateigentums und der Teilung der Arbeit selbst die Vereinigung der Individuen auf der durch die jetzigen Produktivkräfte und den Weltverkehr gegebenen Basis ist.
Innerhalb der kommunistischen Gesellschaft, der einzigen, worin die originelle und freie Entwicklung der Individuen keine Phrase ist, ist sie bedingt eben durch den Zusammenhang der Individuen, ein Zusammenhang, der teils in den ökonomischen Voraussetzungen besteht, teils in der notwendigen Solidarität der freien Entwicklung Aller, und endlich in der uni- <425> versellen Betätigungsweise der Individuen auf der Basis der vorhandenen Produktivkräfte. Es handelt sich hier also um Individuen auf einer bestimmten historischen Entwicklungsstufe, keineswegs um beliebige zufällige Individuen, auch abgesehen von der notwendigen kommunistischen Revolution, die selbst eine gemeinsame Bedingung ihrer freien Entwicklung ist. Das Bewußtsein der Individuen über ihre gegenseitige Beziehung wird natürlich ebenfalls ein ganz andres und daher ebensowenig das "Liebesprinzip" oder das Dévoûment <[die] Aufopferung> wie der Egoismus sein.
Die "Einzigkeit", in dem Sinne der originellen Entwicklung und des individuellen Verhaltens, wie es oben entwickelt wurde, genommen, setzt also nicht nur ganz andre Dinge als den guten Willen und das rechte Bewußtsein voraus, sondern auch gerade das Gegenteil von den Phantastereien Sanchos. Bei ihm ist sie weiter nichts als eine Beschönigung der bestehenden Verhältnisse, ein tröstliches Balsamtröpflein für die arme, ohnmächtige, in der Misère miserabel gewordene Seele.
Wie mit der "Einzigkeit" verhält es sich mit Sanchos "Unvergleichlichkeit". Er selbst wird sich erinnern, wenn er nicht ganz "verschwunden" ist "in süßer Selbstvergessenheit", daß die Organisation der Arbeit im "Stirnerschen Verein von Egoisten" nicht nur auf der Vergleichlichkeit, sondern auf der Gleichheit der Bedürfnisse beruht. Und er unterstellte nicht nur gleiche Bedürfnisse, sondern auch gleiche Betätigung, so daß Einer den andern in der "menschlichen Arbeit" ersetzen konnte. Und das Extrasalär des "Einzigen", das seine Erfolge krönt, worauf beruhte es anders, als daß seine Leistung mit denen andrer verglichen und wegen ihres Vorzugs besser versilbert wurde? Und wie kann Sancho überhaupt von Unvergleichlichkeit sprechen, wenn er die praktisch verselbständigte Vergleichung, das Geld, bestehen läßt, sich ihm subordiniert, sich zur Vergleichung mit Andern an diesem Universalmaßstabe messen läßt? Wie sehr er selbst also seine Unvergleichlichkeit Lügen straft, ist evident. Nichts leichter, als Gleichheit und Ungleichheit, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit Reflexionsbestimmungen zu nennen. Auch die Unvergleichlichkeit ist eine Reflexionsbestimmung, welche die Tätigkeit des Vergleichens zu ihrer Voraussetzung bat. Wie wenig die Vergleichung eine reine willkürliche Reflexionsbestimmung ist, davon brauchen wir nur ein Beispiel anzuführen, das Geld, das stehende tertium comparationis <[den stehenden] Vergleichspunkt> aller Menschen und Dinge.
Übrigens kann die Unvergleichlichkeit verschiedne Bedeutungen haben. Die einzige, die hier in Betracht kommt, die "Einzigkeit" im Sinne von Ori- <426> ginalität, setzt voraus, daß die Tätigkeit des unvergleichlichen Individuums in einer bestimmten Sphäre sich selbst von der Tätigkeit Gleicher unterscheidet. Unvergleichliche Sängerin ist die Persiani, eben weil sie Sängerin ist und mit andren Sängerinnen verglichen wird, und zwar von Ohren, welche durch die auf normaler Konstruktion und musikalischer Bildung beruhende Vergleichung zur Erkenntnis ihrer Unvergleichlichkeit befähigt sind. Unvergleichlich ist der Gesang der Persiani mit dem Gequake eines Frosches, obgleich auch hier eine Vergleichung stattfinden könnte, die aber dann eine Vergleichung zwischen Mensch und Frosch, nicht zwischen der Persiani und diesem einzigen Frosch wäre. Nur im ersten Fall ist von Vergleichung zwischen Individuen zu reden, im zweiten geht die Vergleichung ihre Art oder Gattungseigenschaft an. Eine dritte Art der Unvergleichlichkeit, die Unvergleichlichkeit des Gesanges der Persiani mit dem Schwanze eines Kometen, überlassen wir Sancho zu seinem "Selbstgenuß", da er ohnehin am "widersinnigen Urteil" solche Freude hat, aber selbst diese widersinnige Vergleichung hat in der Widersinnigkeit der heutigen Verhältnisse eine Realität. Das Geld ist der gemeinsame Maßstab aller, auch der heterogensten Dinge.
Übrigens kommt Sanchos Unvergleichlichkeit wieder auf dieselbe Phrase hinaus wie die Einzigkeit. Die Individuen sollen nicht mehr an einem von ihnen unabhängigen tertium comparationis gemessen werden, sondern die Vergleichung soll zu ihrer Selbstunterscheidung, id est zur freien Entwicklung ihrer Individualität umschlagen, und zwar dadurch, daß sie sich die "fixen Ideen" aus dem Kopf schlagen.
Übrigens kennt Sancho nur die Literaten- und Kannegießer-Vergleichung, die zu dem großartigen Resultate kommt, daß Sancho nicht Bruno und Bruno nicht Sancho ist. Die Wissenschaften dagegen, die erst durch die Vergleichung und die Feststellung der Unterschiede innerhalb der Sphären der Vergleichung zu bedeutenden Fortschritten gekommen sind und in denen die Vergleichung einen allgemein bedeutenden Charakter erhält, die vergleichende Anatomie, Botanik, Sprachforschung etc., kennt er natürlich nicht.
Große Nationen, Franzosen, Nordamerikaner, Engländer, vergleichen sich fortwährend untereinander praktisch und theoretisch, in der Konkurrenz wie in der Wissenschaft. Kleinkrämer und Spießbürger wie die Deutschen, die die Vergleichung und Konkurrenz zu scheuen haben, verkriechen sich hinter den Schild der Unvergleichlichkeit, den ihnen ihr philosophischer Etikettenfabrikant liefert. Sancho hat nicht nur in ihrem, sondern auch in seinem eignen Interesse sich alle Vergleichung verbeten.
<427> p. 415 sagt Sancho:
"Es ist Keiner Meines Gleichen",
und p. 408 wird der Umgang mit "Meines Gleichen" als die Auflösung der Gesellschaft in den Verkehr dargestellt:
Es zieht das Kind den Verkehr, den es mit Seines Gleichen eingeht, der Gesellschaft vor.
Sancho braucht indes mitunter "Meines Gleichen" und "das Gleiche" überhaupt für "Dasselbe", z.B. die oben zitierte Stelle p.183:
"Das Gleiche, dasselbe können sie weder sein noch haben."
Und hiermit nimmt er seine schließliche "neue Wendung", die namentlich im Kommentar verbraucht wird.
Die Einzigkeit, die Originalität, die "eigne" Entwicklung der Individuen, die nach Sancho z.B. bei allen "menschlichen Arbeiten" nicht stattfindet, obgleich Niemand leugnen wird, daß ein Ofensetzer den Ofen nicht auf "dieselbe" Weise setzt wie der andre; die "einzige Entwicklung der Individuen, die nach demselben Sancho in den religiösen, politischen etc. Sphären nicht stattfindet (siehe die "Phänomenologie"), obgleich Niemand leugnen wird, daß unter Allen, die an den Islam glauben, Keiner auf "dieselbe" Weise an ihn glaubt und sich insofern "einzig" verhält, wie unter allen Staatsbürgern keiner auf "dieselbe" Weise sich zum Staat verhält, schon weil Er es ist und nicht der Andre, der sich verhält - die vielgerühmte "Einzigkeit", die so sehr von der "Dieselbigkeit", der Identität der Person sich unterschied, daß Sancho in allen bisherigen Individuen fast nur "Exemplare" einer Gattung sah, löst sich also hier auf in die polizeilich konstatierte Identität einer Person mit sich selbst, darin, daß Ein Individuum nicht das Andre ist. So schrumpft der Weltstürmer Sancho zum Schreiber eines Paßbüros zusammen,
p.184 des Kommentars setzt er mit vieler Salbung und großem Selbstgenuß auseinander, daß Er nicht davon satt wird, wenn der Kaiser von Japan ißt, weil sein und des Kaisers von Japan Eingeweide "einzige", "unvergleichliche Eingeweide", id est, nicht dieselben seien. Wenn Sancho glaubt, hierdurch die bisherigen sozialen Verhältnisse oder auch nur Naturgesetze aufgehoben zu haben, so ist diese Naivetät gar zu groß und rührt bloß daher, daß die Philosophen die sozialen Verhältnisse nicht als die gegenseitigen Verhältnisse dieser mit sich identischen Individuen und die Naturgesetze als die gegenseitigen Beziehungen dieser bestimmten Körper dargestellt haben.
<428> Berühmt ist der klassische Ausdruck, den Leibniz diesem alten Satz (der in jedem Handbuch der Physik als Lehre von der Undurchdringlichkeit der Körper auf der ersten Seite figuriert) gegeben hat:
"Opus tamen est ... ut quaelibet monas differat ab alia quacunque, neque enim unquam dantur in natura duo entia, quorum unum exasse conveniat cum altero." <"Mit Notwendigkeit jedoch unterscheidet sich jede beliebige Monade von jeder anderen; denn niemals gibt es in der Natur zwei Wesen, die miteinander gänzlich übereinstimmen."> ("Principia Philos[phiae] seu Theses" pp.)
Sanchos Einzigkeit ist hier zu einer Qualität herabgesunken, die er mit jeder Laus und jedem Sandkorn teilt.
Das größte Dementi, mit dem die Philosophie enden konnte, war, daß sie die Einsicht jedes Bauerlümmels und Polizeisergeanten, daß Sancho nicht Bruno ist, für eine der größten Entdeckungen, und die Tatsache dieser Verschiedenheit für ein wahres Wunder ansieht.
So hat sich das "kritische Juchhe" unsres "Virtuosen im Denken" in ein unkritisches Miserere verwandelt.
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Nach allen diesen Abenteuern segelt unser "einziger" Schildknapp wieder in den Hafen seiner heimischen Fronkote ein. "Das Titelgespenst seines Buchs" springt ihm "jauchzend" entgegen. Ihre erste Frage ist, wie sich der Graue befinde.
Besser als sein Herr, antwortet Sancho.
Gott sei gedankt dafür, daß er mir so viel Gutes getan hat; aber erzähle mir jetzt, mein Freund, was hat Dir denn Deine Knappschaft eingebracht? Was für ein neues Kleid bringst Du mir mit?
Ich bringe Nichts der Art, antwortet Sancho, aber "das schöpferische Nichts, das Nichts, aus dem Ich selbst als Schöpfer Alles schaffe", das heißt, Du sollst mich noch sehen als Kirchenvater und Erzbischof einer Insel, und zwar einer der besten, die man finden kann.
Der Himmel gebe das, mein Schatz, und bald, denn wir haben's nötig. Aber was ist denn das mit der Insel, ich versteh' das nicht.
Honig ist nichts für das Maul des Esels, erwidert Sancho. Du wirst das seinerzeit sehen, Weib. Aber das kann ich Dir jetzt schon sagen, daß es nichts Angenehmeres auf der Welt gibt denn die Ehre, als mit sich einiger Egoist und Schildknapp von der traurigen Gestalt Abenteuer zu suchen. Es ist freilich wahr, daß die meisten, die man findet, nicht so "ihr letztes Absehen erreichen", daß "die menschliche Forderung befriedigt wird" (tan como el <429> hombre querria <so, wie es sich der Mensch wünscht>), denn von Hunderten, die man trifft, pflegen neunundneunzig schief und verzwickt abzulaufen. Ich weiß das aus Erfahrung, denn aus Einigen bin ich geprellt, aus andern gemahlen und gedroschen heimgegangen. Aber bei Alledem ist es doch eine schöne Sache, denn die "einzige" Forderung wird jedenfalls dabei befriedigt, wenn man so durch die ganze Geschichte vagabundiert, alle Bücher des Berliner Lesekabinetts zitiert, in allen Sprachen ein etymologisches Nachtlager hält, in allen Ländern politische Fakta verfälscht, gegen alle Drachen und Strauße, Kobolde, Feldteufel und "Gespenster" fanfaronierende Herausforderungen erläßt, sich mit allen Kirchenvätern und Philosophen herumschlägt und schließlich doch nur mit seinem eigenen Körper bezahlt. (Vgl. Cervantes I, Cap. 52.)