III

Sankt Max

"Was jehen mir die jrinen Beeme an?"

<101> Der heilige Max exploitiert, "verbraucht" oder "benutzt" das Konzil dazu, einen langen apologetischen Kommentar "des Buches" zu geben, welches kein anderes Buch ist als "das Buch", das Buch als solches, das Buch schlechthin, d.h. das vollkommene Buch, das Heilige Buch, das Buch als Heiliges, das Buch als das Heilige - das Buch im Himmel, nämlich "Der Einzige und sein Eigenthum". "Das Buch" war bekanntlich gegen Ende 1844 aus dem Himmel herabgefallen und hatte bei O. Wigand in Leipzig Knechtsgestalt angenommen. Es hatte sich so den Wechselfällen des irdischen Lebens preisgegeben und war von drei "Einzigen", nämlich von der geheimnisvollen Persönlichkeit Szeliga, von dem Gnostiker Feuerbach und von Heß angegriffen worden. So erhaben der heilige Max auch als Schöpfer in jedem Augenblick über sich als Geschöpf wie über seine sonstigen Geschöpfe ist, erbarmte er sich dennoch seines schwachen Kindleins und stieß zu seiner Wehrung und Sicherstellung ein lautes "kritisches Juchhe" aus. Um sowohl dies "kritische Juchhe" wie die geheimnisvolle Persönlichkeit Szeliga in ihrer ganzen Bedeutung zu ergründen, müssen wir hier einigermaßen auf die Kirchengeschichte eingehen und "das Buch" näher betrachten. Oder um mit Sankt Mix zu sprechen: Wir wollen "an dieser Stelle" eine kirchengeschichtliche "Reflexion" über den "Einzigen und sein Eigenthum" "episodisch einlegen", "lediglich darum", "weil uns dünkt, sie könne zur Verdeutlichung des Übrigen beitragen".

"Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch , daß der König der Ehren einziehe. - Wer ist derselbe König der Ehren? Es ist der 'Feldherr', stark und mächtig, 'der Feldherr', mächtig im Streit. Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe. - Wer ist derselbe König der Ehren? Es ist der Herr Einzige, Er ist der König der Ehren." (Ps[alm] 24, 7-10.)

1. Der Einzige und sein Eigentum

<102> Der Mann, der "sein' Sach' auf Nichts gestellt hat", beginnt als guter Deutscher sein langgezogenes "kritisches Juchhe" sogleich mit einer Jeremiade: "Was soll nicht Alles Meine Sache sein?" (p. 5 des Buchs). Und er jammert herzzerreißend weiter, daß "Alles seine Sache sein soll", daß man ihm "die Sache Gottes, die Sache der Menschheit, der Wahrheit, Freiheit, ferner die Sache Seines Volkes, Seines Fürsten" und tausend andre gute Sachen aufbürdet. Der arme Mann! Der französische und englische Bourgeois klagt über Mangel an Débouchés <Absatzgelegenheiten>, über Handelskrisen, panische Schrecken an der Börse, augenblickliche politische Konstellationen usw.; der deutsche Kleinbürger, der aktiv nur einen ideellen Anteil an der Bourgeoisbewegung genommen und im übrigen nur seine eigne Haut zu Markt getragen hat, stellt sich seine eigne Sache nur als "die gute Sache", die "Sache der Freiheit, Wahrheit, Menschheit" etc. vor.

Unser deutscher Schulmeister glaubt ihm tout bonnement <ohne weiteres> diese Einbildung und setzt sich mit allen diesen guten Sachen auf drei Seiten vorläufig auseinander.

Er untersucht die "Sache Gottes", die "Sache der Menschheit", p. 6 und 7, und findet, daß dies "rein egoistische Sachen" sind, daß sowohl "Gott" wie "die Menschheit" sich nur um das Ihrige bekümmern, daß es "der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit" "nur um sich, nicht um Uns, nur um Ihr Wohl, nicht um das Unsere zu tun ist" - woraus er den Schluß zieht, daß sich alle diese Personen "ausnehmend gut dabei stehen". Er geht so weit, diese idealistischen Phrasen, Gott, Wahrheit usw., in wohlhabende Bürger zu verwandeln, die "sich ausnehmend gut stehen" und eines "einträglichen Egoismus" erfreuen. Das aber wurmt den heiligen Egoisten: "Und Ich?" ruft er aus.

<103> "Ich Meinesteils nehme Mir eine Lehre daran und will, statt jenen großen Egoisten zu dienen, lieber selber der Egoist sein!" (p. 7).

Wir sehen also, welch heilige Motive den heiligen Max bei seinem Übertritt zum Egoismus leiten. Nicht die Güter dieser Weit, nicht die Schätze, so die Motten und der Rost fressen, nicht die Kapitalien seiner Mit-Einzigen, sondern der Schatz im Himmel, die Kapitalien Gottes, der Wahrheit, Freiheit, Menschheit etc. lassen ihn nicht ruhen.

Mutete man ihm nicht zu, den vielen guten Sachen zu dienen, er würde nie zu der Entdeckung gekommen sein, daß er auch eine "eigne" Sache habe, würde also auch diese seine Sache nicht "auf Nichts" (d.h. "das Buch") "gestellt haben.

Hätte Sankt Max sich die verschiedenen "Sachen" und "Eigner" dieser Sachen, z.B. Gott, Menschheit, Wahrheit etwas näher betrachtet, so wäre er zu dem entgegengesetzten Schluß gekommen, daß ein auf die egoistische Handlungsweise dieser Personen basierter Egoismus ebenso eingebildet sein müsse wie diese Personen selbst.

Statt dessen entschließt sich unser Heiliger, "Gott" und "der Wahrheit" Konkurrenz zu machen und seine Sache auf Sich zu stellen -

"auf Mich, der Ich so gut wie Gott das Nichts von allem Andern, der Ich Mein Alles, der Ich der Einzige bin. - - Ich bin Nichts im Sinne der Leerheit, sondern das schöpferische Nichts, das Nichts, aus welchem ich selbst als Schöpfer Alles schaffe."

Der heilige Kirchenvater hätte diesen letzten Satz auch so ausdrücken können: Ich bin Alles in der Leerheit des Unsinns, "sondern" der nichtige Schöpfer, das Alles, aus welchem ich selbst als Schöpfer Nichts schaffe.

Welche von diesen beiden Lesarten die richtige ist, wird sich herausstellen. Soweit die Vorrede.

"Das Buch" selbst teilt sich, wie das "weiland" Buch, in das Alte und Neue Testament, nämlich in die einzige Geschichte des Menschen (das Gesetz und die Propheten) und in die unmenschliche Geschichte des Einzigen (Evangelium vom Reiche Gottes). Das erste ist die Geschichte innerhalb der Logik, der in der Vergangenheit gebundene Logos, das zweite die Logik in der Geschichte, der freigewordene Logos, der mit der Gegenwart kämpft und sie siegreich überwältigt.

Altes Testament: Der Mensch

1. Genesis, d.i. Ein Menschenleben

<104> Sankt Max schützt hier vor, die Biographie seines Todfeindes, "des Menschen", zu schreiben, nicht die eines "Einzigen" oder "wirklichen Individuums". Dies verwickelt ihn in ergötzliche Widersprüche.

Wie sich's für eine normale Genesis geziemt, beginnt das "Menschenleben" ab ovo <vom Ei an; ganz von vorn>, mit dem "Kinde". Das Kind, wird uns p. 13 enthüllt, "lebt gleich im Kampfe gegen die ganze Welt, es wehrt sich gegen Alles, und Alles wehrt sich gegen es". "Feinde bleiben Beide", aber "in Ehrfurcht und Respekt"' und "liegen immer auf der Lauer, sie lauern einer auf die Schwäche des Andern"; was p. 14 dahin weiter ausgeführt wird, "daß wir" als Kinder ein "auf den Grund der Dinge oder hinter die Dinge zu kommen suchen; daher" (also nicht mehr aus Feindschaft) "lauschen wir Allen ihre Schwächen ab". (Hier ist Szeligas Finger, des Geheimniskrämers.) Das Kind wird also gleich zum Metaphysiker, der "auf den Grund der Dinge" zu kommen sucht.

Dieses spekulierende Kind, dem die "Natur der Dinge" mehr am Herzen liegt als sein Spielzeug, wird nun "mitunter" auf die Dauer mit der "Welt der Dinge" fertig, besiegt sie und kommt dann in eine neue Phase, das Jünglingsalter, wo es einen neuen "sauern Lebenskampf", den Kampf gegen die Vernunft, zu bestehen hat, denn "Geist heißt die erste Selbstfindung" und "Wir sind über der Welt, Wir sind Geist" (p. 15). Der Standpunkt des Jünglings ist "der himmlische"; das Kind "lernte" nur, "es hielt sich bei rein logischen oder theologischen Fragen nicht auf", wie denn auch (das Kind) "Pilatus" rasch über die Frage: "Was ist Wahrheit?" hinwegeilt (p. 17). Der Jüngling "sucht der Gedanken habhaft zu werden", "versteht Ideen, den Geist" und "sucht nach Ideen"; er "hängt seinen Gedanken nach" (p. 16), er hat "absolute Gedanken, d.h. nichts als Gedanken, logische Gedanken". Der Jüngling, der also "sich gebart", statt jungen Frauenzimmern und sonstigen profanen Dingen nachzujagen, ist kein andrer als der junge "Stirner", <105> der Berliner studierende Jüngling, der Hegelsche Logik treibt und dem großen Michelet zustaunt. Von diesem Jüngling heißt es mit Recht p. 17: "Den reinen Gedanken zutage zu fördern, ihm anzuhangen, das ist Jugendlust, und alle Lichtgestalten der Gedankenwelt, die Wahrheit, Freiheit, Menschentum, der Mensch usw. erleuchten und begeistern die jugendliche Seele."

Dieser Jüngling "wirft" dann auch "den Gegenstand beiseite" und "beschäftigt sich" bloß "mit seinen Gedanken"; "alles nicht Geistige befaßt er unter dem verächtlichen Namen der Äußerlichkeiten, und wenn er gleichwohl an solchen Äußerlichkeiten haftet, z. B. am Burschikosen etc., so geschieht es, wenn und weil er in ihnen Geist entdeckt, d.h., wenn sie ihm Symbole sind" (Wer "entdeckt" hier nicht "Szeliga"?). Guter Berliner Jüngling! Der Bierkomment der Korpsburschen war für ihn nur "ein Symbol", nur "einem Symbol" zu Gefallen hat er sich so manches Mal unter den Tisch trinken lassen, unter welchem er wahrscheinlich auch "Geist entdecken" wollte! - Wie gut dieser gute Jüngling ist, an dem sich der alte Ewald, der zwei Bände über den "guten Jüngling" schrieb, ein Exempel hätte nehmen können, zeigt sich auch daraus, daß es für Ihn "heißt" (p. 15), "Vater und Mutter sei zu verlassen, alle Naturgewalt für gesprengt zu erachten". Für ihn, "den Vernünftigen, gibt es keine Familie als Naturgewalt, es zeigt sich eine Absagung von Eltern, Geschwistern etc." - die aber Alle "als geistige, vernünftige Gewalten wiedergeboren werden", wodurch der gute Jüngling dann den Gehorsam und die Furcht vor den Eltern mit seinem spekulierenden Gewissen in Einklang gebracht hat und Alles beim Alten bleibt. Ebenso "heißt es nun" (p. 15) "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen." Ja, der gute Jüngling erreicht die höchste Spitze der Moralität p. 16, wo "es nun heißt": "Man muß seinem Gewissen mehr gehorchen als Gott." Dieses moralische Hochgefühl setzt ihn sogar über "die rächenden Eumeniden", ja über "den Zorn des Poseidon" hinweg - nichts fürchtet er mehr als - "das Gewissen".

Nachdem er entdeckt hat, daß "der Geist das Wesentliche" sei, fürchtet er sich sogar nicht mehr vor folgenden halsbrechenden Schlüssen:

"Ist aber der Geist als das Wesentliche erkannt, so macht es doch einen Unterschied, ob der Geist arm oder reich ist, und man sucht deshalb" (!) "reich an Geist zu werden; es will der Geist sich ausbreiten, sein Reich zu gründen, ein Reich, das nicht von dieser Welt ist, der eben überwundenen. So sehnt er sich nun Alles in Allem zu werden (wie so?), "d.h., obgleich Ich Geist bin, bin Ich doch nicht vollendeter Geist und muß" (?) "den vollendeten Geist erst suchen." (p. 17.)

"So macht es doch einen Unterschied." - "Es", was? Welches "Es" macht diesen Unterschied? Wir werden dieses geheimnisvolle "Es" noch sehr häufig <106> bei dem heiligen Manne wiederfinden, wo sich dann herausstellen wird, daß es der Einzige auf dem Standpunkte der Substanz, der Anfang der "einzigen" Logik und als solches die wahre Identität des Hegelschen "Sein" und "Nichts" ist. Für alles, was dieses "Es" tut, sagt und macht, machen wir daher unsren Heiligen, der sich zu ihm als Schöpfer verhält, verantwortlich. Zuerst macht dieses "Es", wie wir sahen, einen Unterschied zwischen Arm und Reich; und zwar weshalb? weil "der Geist als das Wesentliche erkannt ist". Armes "Es", das ohne diese Erkenntnis nie zu dem Unterschiede von Arm und Reich gekommen wäre! "Und man sucht deshalb" etc. "Man!" Hier haben wir die zweite unpersönliche Person, die außer dem "Es" in Stirners Diensten steht und ihm die härtesten Hand- und Schubdienste verrichten muß. Wie sich die Beiden unter die Arme zu greifen gewohnt sind, zeigt sich hier. Weil "Es" einen Unterschied macht, ob der Geist arm oder reich sei, so sucht "Man" (wer anders als Stirners getreuer Knecht wäre auf diesen Einfall gekommen!), so sucht "Man deshalb reich an Geist zu werden". "Es" gibt das Signal, und gleich stimmt "Man" aus voller Kehle ein. Die Teilung der Arbeit ist klassisch durchgeführt.

Weil "man reich an Geist zu werden sucht", so "will der Geist sich ausbreiten, sein Reich gründen" etc. "Ist aber" hier ein Zusammenhang vorhanden, "so macht es doch einen Unterschied", ob "man reich an Geist" werden oder "der Geist sein Reich gründen" will. "Der Geist" hat bisher noch nichts gewollt, "der Geist" hat noch nicht als Person figuriert, es hat sich nur um den Geist des "Jünglings", nicht um "den Geist" schlechthin, den Geist als Subjekt, gehandelt. Aber der heilige Schriftsteller hat jetzt einen andern Geist als den des Jünglings nötig, um ihn diesem als fremden, in letzter Instanz als heiligen Geist entgegenstellen zu können. Eskamotage Nr. 1.

"So sehnt sich der Geist denn Alles in Allem zu werden", ein etwas dunkler Spruch, der dahin erläutert wird: "Obgleich Ich Geist bin, bin Ich doch nicht vollendeter Geist und muß den vollkommenen Geist erst suchen." Ist aber der heilige Max "unvollendeter Geist", "so macht es doch einen Unterschied", ob er seinen Geist "vollenden" oder ob er "den vollendeten Geist" suchen muß. Er hatte es überhaupt ein paar Zeilen vorher nur mit dem "armen" und "reichen" Geiste zu tun - quantitativer, profaner Unterschied -, jetzt auf einmal mit dem "unvollendeten" und "vollendeten" Geiste - qualitativer, mysteriöser Unterschied. Das Streben nach Ausbildung des eignen Geistes kann sich nun in die Jagd des "unvollendeten Geistes" auf "den vollendeten Geist" verwandeln. Der heilige Geist geht als Gespenst um. Eskamotage Nr. 2.

<107> Der heilige Autor fährt fort:

"Damit" (nämlich mit dieser Verwandlung des Strebens nach der "Vollendung" meines Geistes in das Suchen nach "dem vollendeten Geist") "verliere Ich aber, der Ich soeben als Geist gefunden hatte, sogleich Mich wieder, indem Ich vor dem vollendeten Geiste, als einem Mir nicht eignen, sondern jenseitigen Mich beuge und meine Leerheit fühle." p. 18.

Dies ist weiter Nichts als eine weitere Ausführung von Eskamotage Nr. 2. Nachdem der "vollendete Geist" einmal als ein existierendes Wesen vorausgesetzt und dem "unvollendeten Geist" gegenübergestellt ist, versteht es sich von selbst, daß der "unvollendete Geist", der Jüngling, "seine Leerheit" bis auf den Grund seines Herzens schmerzlich empfindet. Weiter!

"Auf Geist kommt zwar Alles an, aber ist auch jeder Geist der rechte Geist? Der rechte und wahre Geist ist das Ideal des Geistes, der 'heilige Geist'. Er ist nicht Mein oder Dein Geist, sondern eben" (!) "ein - idealer, jenseitiger, er ist 'Gott'. 'Gott ist Geist'." p. 18.

Hier haben wir auf einmal den "vollendeten Geist" in den "rechten" und gleich darauf in den "rechten und wahren Geist" verwandelt. Dieser wird dadurch näher bestimmt, daß er "das Ideal des Geistes, der heilige Geist" sei, was dadurch bewiesen wird, daß er "nicht Mein oder Dein Geist, sondern eben ein jenseitiger, idealer, Gott" ist. Der wahre Geist ist das Ideal des Geistes, weil er "eben" ein idealer ist! Er ist der heilige Geist, weil er "eben" - Gott ist! Welche "Virtuosität im Denken"! Beiläufig bemerken wir noch, daß von "Deinem" Geiste bisher noch nicht die Rede war. Eskamotage Nr. 3.

Also wenn ich mich als Mathematiker auszubilden oder nach Sankt Max zu "vollenden" suche, so suche ich den "vollendeten" Mathematiker, d.h. "den rechten und wahren" Mathematiker, der "das Ideal "des Mathematikers, den "heiligen" Mathematiker, der ein von Mir und Dir verschiedener Mathematiker ist (obgleich Du mir als vollendeter Mathematiker gelten kannst, wie für den Berliner Jüngling sein Professor der Philosophie als vollendeter Geist gilt), "sondern eben ein idealer, jenseitiger", der Mathematiker im Himmel, "Gott" ist. Gott ist Mathematiker,

Auf alle diese großen Resultate kommt der heilige Max, weil "es einen Unterschied macht, ob der Geist reich oder arm sei", d.h. zu deutsch übersetzt:, ob einer reich oder arm an Geist ist, und weil sein "Jüngling" diese merkwürdige Tatsache entdeckt hat.

Der heilige Max fährt fort p. 18.

"Den Mann scheidet es vom Jünglinge, daß er die Welt nimmt, wie sie ist" etc.

<108> Wir erfahren also nicht, wie der Jüngling dazu kommt, die Welt plötzlich zu nehmen, "wie sie ist", wir sehen auch nicht unsern heiligen Dialektiker den Übergang vom Jüngling zum Manne machen, wir erfahren bloß, daß "Es" hier diesen Dienst verrichten und den Jüngling vom Manne "scheiden" muß. Selbst das "Es" allein reicht nicht hin, den schwerfälligen Frachtwagen der einzigen Gedanken in Gang zu bringen. Denn nachdem "Es" "den Mann vom Jüngling geschieden" hat, fällt der Mann dennoch wieder in den Jüngling zurück. beschäftigt sich von Neuem "ausschließlich mit Geistigem" und kommt nicht in den Zug, bis das "Man" mit neuem Vorspann zu Hilfe eilt. "Erst dann, wenn man sich leibhaftig liebgewonnen etc.", p. 18 - "erst dann" geht es wieder flott voran, der Mann entdeckt, daß er ein persönliches Interesse hat, und kommt zur "zweiten Selbstfindung" indem er sich nicht nur "als Geist findet", wie der Jüngling, "und sich dann sogleich wieder an den allgemeinen Geist verliert", sondern als "leibhaftiger Geist". p. 19. Dieser "leibhaftige Geist" kommt endlich dann auch dazu, "ein Interesse nicht etwa nur seines Geistes" (wie der Jüngling), "sondern totaler Befriedigung, Befriedigung des ganzen Kerls" (ein Interesse der Befriedigung des ganzen Kerls!) zu haben - er kommt dazu, "an sich, wie er leibt und lebt, eine Lust zu haben". Stirners "Mann" kommt als Deutscher zu Allem sehr spät. Er kann auf den Pariser Boulevards und in der Londoner Regent Street Hunderte von "Jünglingen", Muscadins und Dandies, flanieren sehen, die sich noch nicht als "leibhaftigen Geist" gefunden haben, aber nichtsdestoweniger "an sich, wie sie leiben und leben, eine Lust haben" und ihr Hauptinteresse in die "Befriedigung des ganzen Kerls" setzen.

Diese zweite "Selbstfindung" begeistert unsern heiligen Dialektiker so sehr, daß er plötzlich aus der Rolle fällt und statt vom Manne von Sich selbst spricht, uns verrät, daß Er selber, Er der Einzige, "der Mann" ist, und daß "der Mann" "der Einzige" ist. Neue Eskamotage.

"Wie Ich Mich (soll heißen "der Jüngling sich") "hinter den Dingen finde, und zwar als Geist, so muß ich Mich" (soll heißen "der Mann sich") "später auch hinter den Gedanken finden, nämlich als ihr Schöpfer und Eigner. In der Geisterzeit wuchsen Mir" (dem Jünglinge) "die Gedanken über den Kopf, dessen Geburten sie doch waren; wie Fieberphantasien umschwebten und erschütterten sie Mich, eine schauervolle Macht. Die Gedanken waren für sich selbst leibhaftig geworden, waren Gespenster, wie Gott, Kaiser, Papst, Vaterland usw.; zerstöre ich ihre Leibhaftigkeit, so nehme Ich sie in die Meinige zurück und sage: Ich allein bin leibhaftig. Und nun nehme Ich die Welt als das, was sie Mir ist, als die Meinige, als Mein Eigentum: Ich beziehe Alles auf Mich."

<109> Nachdem also der hier mit "dem Einzigen" identifizierte Mann zuerst den Gedanken Leibhaftigkeit gegeben, d.h. sie zu Gespenstern gemacht hat, zerstört er nun wieder diese Leibhaftigkeit, indem er sie in seinen eignen Leib zurücknimmt und diesen somit als den Leib der Gespenster setzt. Daß er erst durch die Negation der Gespenster auf seine eigne Leibhaftigkeit kommt, dies zeigt, wie diese konstruierte Leibhaftigkeit des Mannes beschaffen ist, die er "sich" erst "sagen" muß, um daran zu glauben. "Und nun sagt" er sich nicht einmal richtig, was er "sich sagt". Daß außer seinem "einzigen" Leib nicht noch in seinem Kopf allerlei selbständige Leiber, Spermatozoa, hausen, verwandelt er in die "Sage": Ich allein bin leibhaftig. Abermalige Eskamotage.

Weiter. Der Mann, der sich als Jüngling allerlei dummes Zeug über bestehende Mächte und Verhältnisse, wie Kaiser, Vaterland, Staat etc., in den Kopf gesetzt und sie nur als seine eigne "Fieberphantasie" in der Gestalt seiner Vorstellung gekannt hat, zerstört nach Sankt Max diese Mächte wirklich, indem er seine falsche Meinung von ihnen sich aus dem Kopf schlägt. Umgekehrt, indem er die Welt nicht mehr durch die Brille seiner Phantasie erblickt, hat er sich nun um ihren praktischen Zusammenhang zu bekümmern, ihn kennenzulernen und nach ihm sich zu richten. Indem er ihre phantastische Leibhaftigkeit, die sie für ihn hatte, zerstört, findet er ihre wirkliche Leibhaftigkeit außer seiner Phantasie. Indem ihm die gespenstige Leibhaftigkeit des Kaisers verschwindet, ist ihm nicht die Leibhaftigkeit, sondern die Gespensterhaftigkeit des Kaisers verschwunden, dessen wirkliche Macht er jetzt erst in ihrer Ausdehnung würdigen kann. Eskamotage Nr. 3[a].

Der Jüngling als Mann verhält sich nicht einmal kritisch zu Gedanken, die auch für Andre gültig sind und als Kategorien zirkulieren, sondern nur zu solchen Gedanken, die "bloße Geburten seines Kopfes", d.h. die von seinem Kopfe wiedergebornen allgemeinen Vorstellungen über bestehende Verhältnisse sind. Er löst also z.B. nicht einmal die Kategorie "Vaterland" auf, sondern nur seine Privatmeinung von dieser Kategorie, wo denn immer noch die allgemeingültige Kategorie übrigbleibt und selbst im Gebiete des "philosophischen Denkens" die Arbeit erst anfängt. Er will uns aber weismachen, er habe die Kategorie selbst aufgelöst, weil er sein gemütliches Privatverhältnis zu ihr aufgelöst hat - gerade wie er uns eben weismachen wollte, er habe die Macht des Kaisers vernichtet, wenn er seine phantastische Vorstellung vom Kaiser aufgegeben hat. Eskamotage Nr. 4.

"Und nun", fährt der heilige Max fort, "nehme ich die Welt als das, was sie Mir ist, als die Meinige, als Mein Eigentum."

<110> Er nimmt die Welt als das, was sie ihm ist, d.h. als das, als was er sie nehmen muß, und hierdurch hat er sich die Welt angeeignet, sie zu seinem Eigentum gemacht - eine Manier des Erwerbs, die sich zwar bei keinem Ökonomen findet, deren Methode und Erfolge dagegen "das Buch" selbst um so prunkvoller offenbaren wird. Im Grunde "nimmt" er aber nicht "die Welt", sondern nur seine "Fieberphantasie" von der Welt als die Seinige und eignet sie Sich an. Er nimmt die Welt als seine Vorstellung von der Welt, und als seine Vorstellung ist die Welt sein vorgestelltes Eigentum, das Eigentum seiner Vorstellung, seine Vorstellung als Eigentum, sein Eigentum als Vorstellung, seine eigentümliche Vorstellung, oder seine Vorstellung vom Eigentum; und dies Alles drückt er in dem unvergleichlichen Satze aus: "Ich beziehe Alles auf Mich."

Nachdem der Mann nach des Heiligen eignem Bekenntnis erkannt hat, daß die Welt nur mit Gespenstern bevölkert war, weil der Jüngling Gespenster sah, nachdem die Scheinwelt des Jünglings für ihn verschwunden ist, befindet er sich in einer wirklichen, von den Einbildungen des Jünglings unabhängigen Welt.

Und nun, muß es also heißen, nehme Ich die Welt als das, was sie unabhängig von Mir ist, als die Ihrige ("der Mann nimmt" p. 18 selbst "die Welt wie sie ist", nicht wie ihm beliebt), zunächst als Mein Nichteigentum (Mein Eigentum war sie bisher nur als Gespenst): Ich beziehe Mich auf Alles und nur insofern Alles auf Mich.

"Stieß ich als Geist die Welt zurück in tiefster Weltverachtung, so stoße Ich als Eigner die Geister oder Ideen zurück in ihre Eitelkeit. Sie haben keine Macht mehr über mich, wie über den Geist keine 'Gewalt der Erde' eine Macht hat." p. 20.

Wir sehen hier, wie der Eigner, der Stirnersche Mann, die Erbschaft des Jünglings, die, wie er selbst sagt, nur in "Fieberphantasien" und "Gespenstern" besteht, sine beneficio deliberandi atque inventarii <wörtlich: ohne die Vergünstigung der Bedenkzeit und der Bestandsaufnahme> sofort antritt. Er glaubt es, daß er als Jüngling werdendes Kind mit der Welt der Dinge, als Mann werdender Jüngling mit der Welt des Geistes wirklich fertiggeworden ist, daß er als Mann jetzt die ganze Welt in der Tasche und sich um Nichts mehr Sorge zu machen hat. Wenn, wie er dem Jüngling nachschwatzt, keine Gewalt der Erde außer ihm Macht über den Geist hat, also der Geist die höchste Macht der Erde ist - und Er, der Mann, diesen allmächtigen Geist sich unterworfen hat - ist er da nicht vollends allmächtig? Er vergißt, daß er nur die phantastische und gespenstige Gestalt, welche die Gedanken Vaterland etc. unter dem Schädel "des Jünglings" annahmen, zerstörte, daß <111> er aber diese Gedanken, sofern sie wirkliche Verhältnisse ausdrücken, noch nicht berührt hat. Weit entfernt, Herr der Gedanken geworden zu sein, ist er erst jetzt fähig, zu "Gedanken" zu kommen.

"Es kann nun, um hiermit zu schließen, einleuchten" (p. 199), daß der heilige Mann seine Konstruktion der Lebensalter zum erwünschten und prädestinierten Ziele geführt hat. Das gewonnene Resultat teilt er uns in einem Satze mit, einem gespenstigen Schatten, den wir mit seinem abhanden gekommenen Leib wieder konfrontieren wollen.

Einziger Satz, p. 20

Inhaber
anliegenden emanzipierten
Schattens

"Das Kind war realistisch in den Dingen dieser Welt befangen, bis ihm nach und nach hinter eben diesen Dingen zu kommen gelang. Der Jüngling war idealistisch, von dem Gedanken begeistert, bis er sich zum Manne hinaufgearbeitet, dem egoistischen, der mit den Dingen und Gedanken nach Herzenslust gebart und sein persönliches Interesse über Alles setzt. Endlich der Greis? Wenn ich einer werde, so ist noch Zeit genug, davon zu sprechen."

Das Kind war wirklich in der Welt seiner Dinge befangen, bis ihm nach und nach (borgerliche Eskamotage der Entwicklung) eben diese Dinge hinter sich zu bekommen gelang. Der Jüngling war phantastisch, von Begeisterung gedankenlos, bis der Mann ihn hinabarbeitete, der egoistische Bürger, mit dem die Dinge und Gedanken nach Herzenslust gebaren, weil sein persönliches Interesse Alles über ihn setzt. Endlich der Greis - "Weib, was habe ich mit Dir zu schaffen?"

Die ganze Geschichte "eines Menschenlebens" läuft also, "um hiermit zu schließen", auf Folgendes hinaus:

1. faßt Stirner die verschiedenen Lebensstufen nur als "Selbstfindungen" Individuums, und zwar reduzieren sich diese "Selbstfindungen" immer auf ein bestimmtes Bewußtseinsverhältnis. Die Verschiedenheit des Bewußtseins ist hier also das Leben des Individuums. Die physische und soziale Veränderung, die mit den Individuen vorgeht und ein verändertes Bewußtsein erzeugt, geht ihn natürlich Nichts an. Deswegen finden auch Kind, Jüngling Mann bei Stirner die Welt immer fertig vor, wie sie sich "selbst" nur "finden"; es wird durchaus Nichts getan, um dafür zu sorgen, daß überhaupt etwas vorgefunden werden kann. Aber selbst das Verhältnis des Bewußtseins wird nicht einmal richtig, sondern nur in seiner spekulativen Verdrehung aufgefaßt. Darum verhalten sich auch alle diese Gestalten philosophisch zur Welt - "das Kind realistisch", "der Jüngling idealistisch", der Mann als negative Einheit Beider, als absolute Negativität, was in dem obigen Schlußsatz <112> zum Vorschein kam. Hier ist das Geheimnis "eines Menschenlebens" enthüllt, hier tritt es hervor, daß "das Kind" nur eine Verkleidung des "Realismus", "der Jüngling" des "Idealismus", "der Mann" der versuchten Lösung dieses philosophischen Gegensatzes war. Diese Lösung, diese "absolute Negativität", kommt, wie sich schon jetzt ergibt, nur dadurch zustande, daß der Mann die Illusionen sowohl des Kindes wie des Jünglings auf Treu und Glauben akzeptiert und damit glaubt, die Welt der Dinge und die Welt des Geistes überwunden zu haben.

 2. Wenn Sankt Max auf das physische und soziale "Leben" des Individuums keine Rücksicht nimmt, überhaupt nicht vom "Leben" spricht, abstrahiert er ganz konsequent von den historischen Epochen, von der Nationalität, Klasse etc., oder, was dasselbe ist, er bläht das herrschende Bewußtsein der ihm am nächsten stehenden Klasse seiner unmittelbaren Umgehung zum Normalen Bewußtsein "Eines Menschenlebens" auf. Um sich über diese lokale und Schulmeister-Borniertheit zu erheben, braucht er "seinen Jüngling nur mit dem ersten besten Kontorjüngling, einem jungen englischen Fabrikarbeiter, einem jungen Yankee, von den jungen Kirgiskaisaken gar nicht zu reden, zu konfrontieren. 

3. Die enorme Leichtgläubigkeit unseres Heiligen - der eigentliche Geist seines Buchs - beruhigt sich nicht dabei, seinen Jüngling an sein Kind, seinen Mann an seinen Jüngling glauben zu lassen. Er selbst verwechselt unbesehens die Illusionen, die gewisse "Jünglinge", "Männer" etc. sich etwa von sich machen oder zu machen behaupten, mit dem "Leben", der Wirklichkeit dieser höchst zweideutigen Jünglinge und Männer.

4. ist die ganze Konstruktion der Menschenalter im dritten Teile der Hegelschen "Encyclopädie" und "unter mancherlei Wandlungen" auch sonst von Hegel bereits prototypisch vorgebildet. Der heilige Max, der "eigne" Zwecke verfolgt, mußte natürlich hier auch einige "Wandlungen" vornehmen; während Hegel z.B. sich noch so weit durch die empirische Welt bestimmen läßt, daß er den deutschen Bürgersmann als Knecht der ihn umgebenden Welt darstellt, muß ihn Stirner zum Herrn dieser Welt machen, was er nicht einmal in der Einbildung ist. Ebenso gibt sich Sankt Max das Ansehen, als spreche er aus empirischen Gründen nicht vom Greis: er wolle nämlich abwarten, bis er einer werde (hier ist also "Ein Menschenleben" = Sein Einziges Menschenleben). Hegel konstruiert die vier Menschenalter frisch darauf los, weil in der realen Welt sich die Negation doppelt setze, nämlich als Mond und Komet (vgl. Hegels Naturphilosophie), und darum hier die Vierheit an die Stelle der Dreiheit trete. Stirner setzt seine Einzigkeit <113> darin, Mond und Komet zusammenfallen zu lassen, und beseitigt so den unglücklichen Greis aus "einem Menschenleben". Der Grund dieser Eskamotage wird sich sogleich zeigen, wenn wir auf die Konstruktion der einzigen Geschichte des Menschen eingehen.

2. Ökonomie des Alten Bundes

Wir müssen hier für einen Augenblick aus "dem Gesetz" in "die Propheten" überspringen, indem wir das Geheimnis des einzigen Haushalts im Himmel und auf Erden schon an dieser Stelle enthüllen. Die Geschichte des Reiches des Einzigen auch im Alten Testamente, wo noch das Gesetz, der Mensch, als ein Zuchtmeister auf den Einzigen (Gal[ater] 3,24) herrscht, hat einen weisen Plan, der von Ewigkeit her beschlossen war. Es ist Alles zuvorgesehen und verordnet, damit der Einzige in die Welt kommen konnte, als die Zeit erfüllet war, um die heiligen Menschen von ihrer Heiligkeit zu erlösen.

Das erste Buch, "Ein Menschenleben", heißt auch darum "Genesis", weil es den ganzen Einzigen Haushalt im Keime enthält, weil es die ganze spätere Entwickelung bis dahin, wo die Zeit erfüllet ist und das Ende der Tage hereinbricht, prototypisch uns vorführt. Die ganze Einzige Geschichte dreht sich um die drei Stufen: Kind, Jüngling, Mann, die "unter mancherlei Wandlungen" und in stets sich erweiternden Kreisen wiederkehren, bis endlich die ganze Geschichte der Welt der Dinge und der Welt des Geistes sich in "Kind, Jüngling und Mann" aufgelöst hat. Wir werden überall nur verkleidete "Kind, Jüngling und Mann" wiederfinden, wie wir schon in diesen die Verkleidungen dreier Kategorien fanden.

Wir haben oben über die deutsche philosophische Geschichtsauffassung gesprochen. Hier bei Sankt Max finden wir ein glänzendes Beispiel. Die spekulative Idee, die abstrakte Vorstellung wird zur treibenden Kraft der Geschichte und dadurch die Geschichte zur bloßen Geschichte der Philosophie gemacht. Aber auch diese wird nicht einmal so aufgefaßt, wie sie - nach den existierenden Quellen sich zugetragen, geschweige wie sie sich durch die Einwirkung der realen geschichtlichen Verhältnisse entwickelt hat, sondern wie sie von den neueren deutschen Philosophen, speziell Hegel und Feuerbach, aufgefaßt und dargestellt worden ist. Und aus diesen Darstellungen selbst wird wieder nur das genommen, was für den vorliegenden Zweck passend gemacht werden kann und unserm Heiligen traditionell zugekommen ist. Die Geschichte wird so zu einer bloßen Geschichte der vorgeblichen Ideen, zu einer Geister- und Gespenstergeschichte, und die wirkliche, empirische Geschichte, die Grundlage dieser Gespenstergeschichte <114> wird nur dazu exploitiert, um die Leiber für diese Gespenster herzugeben; ihr werden die nötigen Namen entnommen, die diese Gespenster mit dem Schein der Realität bekleiden sollen. Unser Heiliger fällt häufig bei diesem Experiment aus der Rolle und schreibt unverhüllte Gespenstergeschichte.

Bei ihm finden wir diese Art, Geschichte zu machen, in der naivsten, klassischsten Einfalt. Die einfachen drei Kategorien: Realismus, Idealismus, absolute Negativität als Einheit Beider (hier "Egoismus" benamst), die wir schon als Kind, Jüngling und Mann vorfanden, werden der ganzen Geschichte zugrunde gelegt und mit verschiedenen geschichtlichen Aushängeschildern behangen; sie sind, mit ihrem bescheidenen Gefolge von Hülfskategorien, der Inhalt aller vorgeführten, vorgeblich geschichtlichen Phasen. Der heilige Max bewährt hier wieder seinen riesenhaften Glauben, indem er den Glauben an den von deutschen Philosophen zubereiteten spekulativen Inhalt der Geschichte weiter treibt als irgendeiner seiner Vorgänger. Es handelt sich also in dieser feierlichen und langwierigen Geschichtskonstruktion nur darum, für drei Kategorien, die so abgedroschen sind, daß sie sich unter ihrem eignen Namen gar nicht mehr öffentlich sehen lassen dürfen, eine pomphafte Reihe volltönender Namen zu finden. Unser gesalbter Autor hätte ganz gut von dem "Manne", p. 20, sogleich auf "Ich", p. 201, oder noch besser auf den "Einzigen", p. 485, übergehen können; das aber wäre viel zu einfach gewesen. Zudem macht die große Konkurrenz unter den deutschen Spekulanten jedem neuen Mitbewerber eine schmetternde historische Annonce für seine Ware zur Pflicht.

Die "Kraft des wahren Verlaufs", um mit dem Dottore Graziano zu sprechen, "verläuft sich aufs kräftigste" in folgenden "Wandlungen":

 

Grundlage:

I.

Realismus.

II.

Idealismus.

III.

Negative Einheit Beider. "Man" (p. 485)

 

Erste Namengebung:

I.

Kind, abhängig von den Dingen (Realismus).

II.

Jüngling, abhängig von Gedanken (Idealismus).

III.

Mann - (als negative Einheit)

 

 

positiv ausgedrückt: Eigner der Gedan-
ken und Dinge,

}

(Egoismus).

 

 

negativ ausgedrückt: Los von Gedanken
und Dingen

<115>

Zweite, historische Namengebung:

I.

Neger (Realismus, Kind).

II.

Mongole (Idealismus, Jüngling).

III.

Kaukasier (Negative Einheit von Realismus und Idealismus, Mann).

 

Dritte, allgemeinste Namengebung:

I.

Realistischer Egoist (Egoist im gewöhnlichen Verstande) - Kind, Neger.

II.

Idealistischer Egoist (Aufopfernder) - Jüngling, Mongole.

III.

Wahrer Egoist (der Einzige) - Mann, Kaukasier.

 

Vierte, historische Namengebung. Wiederholung der früheren Stufen innerhalb der Kaukasier.

I.

Die Alten. Negerhafte Kaukasier - kindische Männer - Heiden - abhängig von den Dingen - Realisten - Welt.
Übergang (Kind, das hinter die "Dinge dieser Welt" kommen): Sophisten; Skeptiker etc.

II.

Die Neuen. Mongolenhafte Kaukasier - jugendliche Männer - Christen - abhängig von Gedanken - Idealisten - Geist.
1. Reine Geistergeschichte. Christentum als Geist. "Der Geist".
2. Unreine Geistergeschichte. Geist in Beziehung zu Andern. "Die Besessenen".

 

A) Reine unreine Geistergeschichte.

 

a)

der Spuk, das Gespenst, der Geist im negerhaften Zustand, als dinglicher Geist und geistiges Ding - gegenständliches Wesen für den Christen, Geist als Kind.

 

b)

Der Sparren, die fixe Idee, der Geist im mongolischen Zustand, als geistig im Geist, Bestimmung im Bewußtsein, gedachtes Wesen im Christen - Geist als Jüngling.

 

B) Unreine unreine (historische) Geistergeschichte.

 

a)

Katholizismus - Mittelalter (Neger, Kind, Realismus pp.).

 

b)

Protestantismus - Neue Zeit in der neuen Zeit - (Mongole, Jüngling, Idealismus pp.) Innerhalb des Protestantismus kann man wieder Unterabteilungen machen, z.B.

 

 

a )

englische Philosophie - Realismus, Kind, Neger.

 

 

b )

deutsche Philosophie - Idealismus, Jüngling, Mongole.

 

<116> 3. Die Hierarchie - negative Einheit Beider innerhalb des mongolenhaft-kaukasischen Standpunktes. Diese Tritt nämlich ein, wo das geschichtliche Verhältnis in ein gegenwärtiges verwandelt oder die Gegensätze als nebeneinander existierend vorgestellt werden. Hier haben wir also zwei koexistierende Stufen:

 

A) Die Unjebildeten - (Böse, Bourgeois, Egoisten im gewöhnlichen Verstande) = Neger, Kinder, Katholiken, Realisten pp.

 

B) Die Jebildeten (Gute, citoyens, Aufopfernde, Pfaffen pp.) Mongolen, Jünglinge, Protestanten, Idealisten.

 

Diese beiden Stufen existieren nebeneinander, und daraus ergibt sich "leicht", daß die Jebildeten über die Unjebildeten herrschen - dies ist die Hierarchie. In der weiteren geschichtlichen Entwicklung wird dann

 

 

aus dem Unjebildeten der Nichthegelianer,

 

 

aus dem Jebildeten der Hegelianer, (37)

 

woraus folgt, daß die Hegelianer über die Nichthegelianer herrschen. So verwandelt Stirner die spekulative Vorstellung von der Herrschaft der spekulativen Idee in der Geschichte in die Vorstellung von der Herrschaft der spekulativen Philosophen selbst. Seine bisherige Anschauung von der Geschichte, die Herrschaft der Idee, wird in der Hierarchie zu einem gegenwärtig wirklich existierenden Verhältnis, zur Weltherrschaft der Ideologen. Dies zeigt die Tiefe, bis zu der Stirner in die Spekulation versunken ist. Diese Herrschaft der Spekulanten und Ideologen entwickelt sich zu guter Letzt, "da die Zeit erfüllet war", in die folgende schließliche Namengebung:

 

a)

der politische Liberalismus, abhängig von den Dingen, unabhängig von den Personen - Realismus, Kind, Neger, Alter, Spuk, Katholizismus, Unjebildeter, herrenlos.

 

b)

der soziale Liberalismus, unabhängig von den Dingen, abhängig vom Geist, gegenstandlos - Idealismus, Jüngling, Mongole, Neuer, Sparren, Protestantismus, Jebildeter, besitzlos.

 

c)

der humane Liberalismus, herrenlos und besitzlos, nämlich gottlos, weil Gott zugleich der höchste Herr und der höchste Besitz, Hierarchie - negative Einheit innerhalb der Sphäre des Liberalismus, als <117> solche Herrschaft über die Welt der Dinge und der Gedanken, zugleich der vollendete Egoist in der Aufhebung des Egoismus - die vollendete Hierarchie. Bildet zugleich den
Übergang (Jüngling, der hinter die Welt der Gedanken kommt) zum

III.

"Ich" - d.h. dem vollendeten Christen, vollendeten Mann, kaukasischen Kaukasier und wahren Egoisten, der, wie der Christ durch Aufhebung der alten Welt der Geist - so durch Auflösung des Geisterreichs der Leibhaftige wird, indem er die Erbschaft des Idealismus, Jünglings, Mongolen, Neuen, Christen, Besessenen, Sparrens, Protestanten, Jebildeten, Hegelianers und humanen Liberalen sine beneficio deliberandi et inventarii <wörtlich: ohne die Vergünstigung der Bedenkzeit und der Bestandsaufnahme>antritt.

NB. 1. Es können nun noch "mitunter" Feuerbachsche und sonstige Kategorien, wie Verstand, Herz etc. bei passender Gelegenheit "episodisch eingelegt" werden, um den Farbenschmelz dieses Gemäldes zu erhöhen und neue Effekte zu produzieren. Es versteht sich, daß auch diese nur neue Verkleidungen des stets durchgehenden Idealismus und Realismus sind.

2. Von der wirklichen profanen Geschichte weiß der recht gläubige Sankt Max, Jacques le bonhomme, Nichts Wirkliches und Profanes zu sagen, als daß er sie unter dem Namen der "Natur", der "Welt der Dinge", der "Welt des Kindes" pp. stets dem Bewußtsein gegenüberstellt als einen Gegenstand, worüber es spekuliert, als eine Welt, die trotz ihres beständigen Vertilgtwerdens in einem mystischen Dunkel fortexistiert, um bei jeder Gelegenheit wieder zum Vorschein zu kommen; wahrscheinlich weil die Kinder und Neger fortexistieren, also auch "leicht" ihre Welt, die sogenannte Welt der Dinge. Über dergleichen historische und unhistorische Konstruktionen hat bereits der gute alte Hegel, bei Gelegenheit Schellings, des Musterreiters aller Konstruktoren, gesagt, daß hier dies zu sagen sei:

"Das Instrument dieses gleichtönigen Formalismus ist nicht schwerer zu handhaben als die Palette eines Malers, auf der sich nur zwei Farben vorfinden, etwa schwarz" (realistisch, kindlich, negerhaft etc.) "und Gelb" <Bei Hegel: Rot und Grün> (idealistisch, jünglingshaft, mongolisch etc.), "um mit jener eine Fläche anzufärben, wenn ein historisches Stück" (die "Welt der Dinge"), "mit dieser, wenn eine Landschaft" ("der Himmel", Geist, das Heilige etc.) "verlangt wäre." "Phänom[enologie]" p. 39.

Noch treffender hat das "gemeine Bewußtsein" diese Art Konstruktionen indem folgenden Liede verspottet:

<118> Der Herr, der schickt den Jochem aus,
Er sollt' den Hafer schneiden,
Der Jochem schneidt den Hafer nicht
Und kommt auch nicht nach Haus.

Da schickt der Herr den Pudel aus,
Er sollt' den Jochem beißen.
Der Pudel beißt den Jochem nicht,
Der Jochem schneidt den Hafer nicht
Und kommen nicht nach Haus.

Da schickt der Herr den Prügel aus,
Er sollt' den Pudel prügeln.
Der Prügel prügelt den Pudel nicht,
Der Pudel beißt den Jochem nicht,
Der Jochem schneidt den Hafer nicht
Und kommen nicht nach Haus.

Da schickt der Herr das Feuer aus,
Es sollt' den Prügel brennen.
Das Feuer brennt den Prügel nicht,
Der Prügel prügelt Pudel nicht,
Der Pudel beißt den Jochem nicht,
Der Jochen, schneidt den Hafer nicht
Und kommen nicht nach Haus.

Da schickt der Herr das Wasser aus,
Es sollt' das Feuer löschen.
Das Wasser löscht das Feuer nicht,
Das Feuer brennt den Prügel nicht,
Der Prügel prügelt Pudel nicht,
Der Pudel beißt den Jochem nicht,
Der Jochem schneidt den Hafer nicht
Und kommen nicht nach Haus.

Da schickt der Herr den Ochsen aus,
Er sollt' das Wasser saufen.
Der Ochse säuft das Wasser nicht,
Das Wasser löscht das Feuer nicht,
Das Feuer brennt den Prügel nicht,
Der Prügel prügelt Pudel nicht,
Der Pudel beißt den Jochem nicht,
Der Jochem schneidt den Hafer nicht
Und kommt auch nicht nach Haus.

<119> Da schickt der Herr den Schlächter aus,
Er sollt' den Ochsen schlachten.
Der Schlichter schlacht't den Ochsen nicht,
Der Ochse säuft das Wasser nicht,
Das Wasser löscht das Feuer nicht,
Das Feuer brennt den Prügel nicht,
Der Prügel prügelt Pudel nicht,
Der Pudel beißt den Jochem nicht,
Der Jochem schneidt den Hafer nicht
Und kommen nicht nach Haus.

Da schickt der Herr den Henker aus,
Er sollt' den Schlichter henken.
Der Henker hängt den Schlächter,
Der Schlächter schlacht't den Ochsen,
Der Ochse säuft das Wasser,
Das Wasser löscht das Feuer,
Das Feuer brennt den Prügel,
Der Prügel prügelt Pudel,
Der Pudel beißt den Jochem,
Der Jochem schneidt den Hafer,
Und kommen all nach Haus.

Mit welcher "Virtuosität im Denken" und mit welchem Gymnasiastenmaterial Jacques le bonhomme dieses Schema ausfüllt, werden wir sogleich zu sehen Gelegenheit haben.

3. Die Alten

 Eigentlich müßten wir hier mit den Negern beginnen; aber der heilige Max, der ohne Zweifel mit im "Rate der Wächter" sitzt, bringt in seiner unerforschlichen Weisheit die Neger erst später, und auch dann "nicht mit dem Anspruche auf Gründlichkeit und Bewährtheit" Wenn wir also die griechische Philosophie dem negerhaften Weltalter, d.h. den Zügen des Sesostris und der napoleonischen Expedition nach Ägypten vorhergehen lassen, so geschieht es in der Zuversicht, daß unser heiliger Schriftsteller Alles weislich angeordnet habe.

"Schauen wir daher in das Treiben hinein, welches" die Stirnerschen Alten "verführen".

"'Den Alten war die Welt eine Wahrheit', sagt Feuerbach; aber er vergißt den wichtigen Zusatz zu machen: eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit sie zu kommen suchten und endlich wirklich kamen." p. 22

<120> "Den Alten war" ihre "Welt" (nicht die Welt) "eine Wahrheit" - womit natürlich keine Wahrheit über die alte Welt gesagt ist, sondern nur, daß sie sich nicht christlich zu ihrer Welt verhielten. Sobald die Unwahrheit hinter ihre Welt kam (d.h. sobald diese Welt in sich selbst durch praktische Kollisionen zerfiel - und diese materialistische Entwicklung empirisch nachzuweisen wäre das einzig Interessante), suchten die alten Philosophen hinter die Welt der Wahrheit oder die Wahrheit ihrer Welt zu kommen und fanden dann natürlich, daß sie unwahr geworden war. Ihr Suchen selbst war schon ein Symptom des inneren Verfalls dieser Welt. Jacques le bonhomme macht das idealistische Symptom zur materiellen Ursache des Verfalls und läßt als deutscher Kirchenvater das Altertum selbst seine eigne Verneinung, das Christentum, suchen. Diese Stellung des Altertums ist bei ihm notwendig, weil die Alten die "Kinder" sind, die hinter die "Welt der Dinge" zu kommen suchen. "Und etwa leicht auch": Indem Jacques le bonhomme die alte Welt in das spätere Bewußtsein von der alten Welt verwandelt, kann er natürlich mit Einem Sprunge aus der materialistischen alten Welt sich in die Welt der Religion, das Christentum, hinüberschwingen. Der realen Welt des Altertums tritt nun sogleich "das göttliche Wort" gegenüber, dem als Philosoph gefaßten Alten der als moderner Zweifler gefaßte Christ. Sein Christ "kann sich niemals von der Eitelkeit des göttlichen Wortes überzeugen" und "glaubt" infolge dieser Nichtüberzeugung "an die ewige und unerschütterliche Wahrheit desselben", p.22. Wie sein Alter Alter ist, weil er der Nichtchrist, noch nicht Christ oder verborgener Christ ist, so ist sein Urchrist Christ, weil er der Nichtatheist, noch nicht Atheist, verborgener Atheist ist. Er läßt also das Christentum von den Alten, wie den modernen Atheismus von den Urchristen negiert werden, statt umgekehrt. Jacques le bonhomme, wie alle andern Spekulanten, faßt Alles beim philosophischen Schwanz an. Folgen sogleich noch ein paar Exempel dieser kindlichen Leichtgläubigkeit:

"Der Christ muß sich für einen 'Fremdling auf Erden' ansehen (Hebr[äer] 11, 13)", p.23.

Umgekehrt, die Fremdlinge auf Erden (durch höchst natürliche Gründe erzeugt, z.B. die kolossale Konzentration des Reichtums in der ganzen römischen Welt etc. etc.) mußten sich als Christen ansehen. Nicht ihr Christentum machte sie zu Vagabunden, sondern ihr Vagabundentum machte sie zu Christen. - Auf derselben Seite springt der heilige Vater von der Antigone des Sophokles und der mit ihr zusammenhängenden Heiligkeit der Totenbeistattung sogleich zum Evangelium Matthäi 8, 22 (laß die Toten ihre Toten begraben), während Hegel wenigstens in der "Phänomenologie" von der Anti- <121> gone usw. allgemach auf das Römertum übergeht. Mit demselben Rechte hätte Sankt Max sogleich ins Mittelalter übergehen und den Kreuzfahrern mit Hegel diesen Bibelspruch entgegenhalten, oder gar, um recht originell zu sein, die Bestattung des Polynices durch Antigone mit der Abholung der Asche Napoleons von St. Helena nach Paris in Gegensatz bringen können. Weiter heißt es:

"Im Christentum wird die unverbrüchliche Wahrheit der Familienbande" (die auf p. 22 als eine der "Wahrheiten" der Alten konstatiert wird) "als eine Unwahrheit dargestellt, von der man sich nicht zeitig genug losmachen könne (Mark[us] 10, 29), und so in Allem." (p. 23.)

Dieser Satz, in welchem wieder die Wirklichkeit auf den Kopf gestellt ist, muß folgendermaßen zurechtgerückt werden: Die faktische Unwahrheit der Familienbande (darüber u.a. die noch vorhandnen Dokumente der vorchristlichen römischen Gesetzgebung nachzusehen) wird im Christentum als eine unverbrüchliche Wahrheit dargestellt, "und so in Allem".

Wir sehen also an diesen Exempeln im Übermaße, wie Jacques le bonhomme, der von der empirischen Geschichte "sich nicht zeitig genug losreißen kann", die Tatsachen auf den Kopf stellt, die materielle Geschichte von der ideellen produziert werden läßt, "und so in Allem". Von vornherein erfahren wir nur, was die Alten von ihrer Welt angeblich hielten; sie werden als Dogmatiker der alten, ihrer eignen Welt gegenübergestellt, statt als Produzenten derselben aufzutreten; es handelt sich nur um das Verhältnis des Bewußtseins zum Gegenstande, zur Wahrheit; es handelt sich also nur um das philosophische Verhältnis der Alten zu ihrer Welt - an die Stelle der alten Geschichte tritt die Geschichte der alten Philosophie, und auch diese nur, wie Sankt Max sie sich nach Hegel und Feuerbach vorstellt.

Die Geschichte Griechenlands von der perikleischen Zeit inklusive an reduziert sich so auf den Kampf der Abstrakta Verstand, Geist, Herz, Weltlichkeit usw. Dies sind die griechischen Parteien. In dieser Gespensterwelt, die für die griechische Welt ausgegeben wird, "machinieren" dann auch allegorische Personen, wie Frau Herzensreinheit, und nehmen mythische Figuren wie Pilatus (der nie fehlen darf, wo Kinder sind) ernsthaft Platz neben Timon dem Phliasier.

Nachdem Sankt Max uns über die Sophisten und Sokrates einige überraschende Offenbarungen gegeben hat, springt er sogleich zu der Skeptikern über. Er entdeckt in ihnen die Vollender der von Sokrates angefangenen Arbeit. Die positive Philosophie der Griechen, die gerade auf die Sophisten und Sokrates folgt, namentlich die enzyklopädische Wissenschaft des Aristoteles existiert also für Jacques le bonhomme gar nicht, Er "kann nicht zeitig <122> genug sich" von dem Früheren "losmachen" - er eilt auf den Übergang zu den "Neuen" und findet diesen in den Skeptikern, Stoikern und Epikuräern. Sehen wir uns an, was der heilige Vater uns über diese offenbart.

"Die Stoiker wollen den Weisen verwirklichen - - den Mann, der zu leben weiß - - sie finden ihn in der Verachtung der Welt, in einem Leben ohne Lebensentwicklung, [--] ohne freundliches Vernehmen mit der Welt, d.h. im isolierten Lehen, [- -] nicht im Mitleben; nur der Stoiker lebt, alles Andre ist für ihn tot. Umgekehrt verlangen die Epikuräer ein bewegliches Leben." p. 30.

Wir verweisen Jacques le bonhomme, den Mann, der sich verwirklichen will und der zu leben weiß, u. a. auf Diogenes Laertius, wo er finden wird, daß der Weise, Sophos, nichts ist als der idealisierte Stoiker, nicht der Stoiker der realisierte Weise; wo er finden wird, daß der Sophos durchaus nicht bloß stoisch ist, sondern ebensogut bei den Epikuräern, Neuakademikern und Skeptikern vorkommt. Übrigens ist der Sophos die erste Gestalt, in der uns der griechische Philosophos entgegentritt; er tritt mythisch auf in den sieben Weisen, praktisch im Sokrates und als Ideal bei den Stoikern, Epikuräern, Neuakademikern und Skeptikern. Jede dieser Schulen hat natürlich einen eignen sojoz <Weisen> wie Sankt Bruno sein eignes, "einziges Geschlecht" hat. Ja, Sankt Max kann "le sage" <den Weisen> wiederfinden im achtzehnten Jahrhundert in der Aufklärungsphilosophie und sogar bei Jean Paul in den "weisen Männern" wie Emanuel etc. Der stoische Weise stellt sich kein "Leben ohne Lebensentwicklung", sondern ein absolut bewegliches Leben vor, was schon aus seiner Naturanschauung hervorgeht, welche die heraklitische, die dynamische, entwickelnde, lebendige ist, während bei den Epikuräern der mors immortalis <unsterbliche Tod>, wie Lukrez sagt, das Atom das Prinzip der Naturanschauung ist und an die Stelle des "beweglichen Lebens" die göttliche Muße im Gegensatz zur göttlichen Energie des Aristoteles als Lebensideal vorgestellt wird.

"Die Ethik der Stoiker (ihre einzige Wissenschaft, da sie nichts vom Geiste auszusagen wußten, als wie er sich zur Welt verhalten solle, und von der Natur - Physik - nur dies, daß der Weise sich gegen sie zu behaupten habe) ist nicht eine Lehre des Geistes, sondern nur eine Lehre der Weltabstoßung und Selbstbehauptung gegen die Welt." p. 31.

Die Stoiker wußten "von der Natur dies zu sagen", daß die Physik für den Philosophen eine der wichtigsten Wissenschaften sei, und gaben sich deshalb sogar die Mühe, die Physik des Heraklit weiter auszubilden; sie "wußten ferner zu sagen", daß die wra , die männliche Schönheit, das Höchste sei, was von dem Individuum darzustellen sei, und feierten gerade das Leben im Ein- <123> klang mit der Natur, obgleich sie dabei in Widersprüche geraten. Nach den Stoikern zerfällt die Philosophie in drei Doktrinen: "Physik, Ethik, Logik".

"Sie vergleichen die Philosophie dem Tier und dem Ei, die Logik den Knochen und Sehnen des Tiers, der äußeren Schale des Eis, die Ethik dem Fleisch des Tiers, und im Ei dem Eiweiß und die Physik der Seele des Tiers und der Eidotter." (Diog[enes] Laert[ius] Zeno.

Wir sehen schon hieraus, wie wenig "die Ethik die einzige Wissenschaft der Stoiker ist". Hierzu kommt noch, daß sie, nach Aristoteles, die Hauptbegründer der formalen Logik und der Systematik überhaupt sind.

"Die Stoiker wußten" so wenig "Nichts vom Geiste auszusagen", daß bei ihnen sogar die Geisterseherei beginnt, weswegen Epikur ihnen als Aufklärer gegegenübertritt und sie als "alte Weiber" verspottet, während gerade die Neuplatoniker einen Teil ihrer Geistergeschichten den Stoikern entnommen haben. Diese Geisterseherei der Stoiker geht einerseits aus der Unmöglichkeit hervor, eine dynamische Naturanschauung ohne das von einer empirischen Naturwissenschaft zu liefernde Material durchzuführen, und andrerseits aus ihrer Sucht, die alte griechische Welt und selbst die Religion spekulativ zu interpretieren und dem denkenden Geiste analog zu machen.

"Die stoische Ethik" ist so sehr "eine Lehre der Weltabstoßung und Selbstbehauptung gegen die Welt", daß z.B. zur stoischen Tugend gerechnet wird: "ein tüchtiges Vaterland, einen braven Freund haben", daß "das Schöne allein" für "das Gute" erklärt wird, und daß dem stoischen Weisen erlaubt ist, sich in jeder Weise mit der Welt zu vermengen, z.B. Blutschande zu begehen etc. etc. Der stoische Weise ist so sehr "im isolierten Lehen, nicht im Mitleben" befangen, daß es von ihm bei Zeno heißt:

"Der Weise bewundre Nichts von dem, was wunderbar erscheint - aber der Tüchtige wird auch nicht in der Einsamkeit leben, denn er ist gesellschaftlich von Natur und praktisch tätig." (Diog[enes] Laert[ius] Lib[er stromatum] VII, 1.)

Übrigens wäre es zuviel verlangt, wenn man gegenüber dieser Gymnasiastenweisheit des Jacques le bonhomme die sehr verwickelte und widerspruchsvolle Ethik der Stoiker entwickeln sollte.

Bei Gelegenheit der Stoiker existieren dann auch die Römer für Jacques le bonhomme (p. 31), von denen er natürlich nichts zu sagen weiß, da sie keine Philosophie haben. Wir hören nur von ihnen, daß Horaz! es "nicht weiter als bis zur stoischen Lebensweisheit gebracht hat". p. 32. Integer vitae, scelerisque purus! <Von makellosem Lebenswandel und unbefleckt von Verbrechen!>

<124> Bei Gelegenheit der Stoiker wird auch Demokrit erwähnt, und zwar, indem aus irgendeinem Handbuch eine konfuse Stelle des Diogenes Laertius (Democr[it], lib. IX, 7, 45), und noch dazu falsch übersetzt, abgeschrieben und hierauf eine lange Diatribe über Demokrit begründet wird. Diese Diatribe zeichnet sich dadurch aus, daß sie mit ihrer Grundlage, der obigen konfusen und falsch übersetzten Stelle, in direkten Widerspruch tritt und aus der "Gemütsruhe" (der Stirnerschen Übersetzung von eudumia <Heiterkeit; Frohsinn> - niederdeutsch Wellmuth) die "Weltabstoßung" macht. Stirner bildet sich nämlich ein, Demokrit sei ein Stoiker gewesen, und zwar ein solcher Stoiker, wie ihn sich der Einzige und das gemeine Gymnasiastenbewußtsein vorstellen; er meint, "seine ganze Tätigkeit gehe in dem Bemühen auf, von der Welt loszukommen , "also im Abstoßen der Welt", und kann nun im Demokrit die Stoiker widerlegen. Daß das bewegte, weltdurchstreifende Leben des Demokrit dieser Vorstellung des heiligen Max ins Gesicht schlägt, daß die eigentliche Quelle für die demokritische Philosophie Aristoteles ist und nicht die paar Anekdoten des Diogenes Laertius, daß Demokrit so wenig die Welt abstieß, daß er vielmehr ein empirischer Naturforscher und der erste enzyklopädische Kopf unter den Griechen war - daß seine kaum bekannte Ethik sich auf einige Glossen beschränkt, die er als alter vielgereister Mann gemacht haben soll, daß seine naturwissenschaftlichen Sachen nur per abusum <mißbräuchlich> Philosophie genannt werden, weil bei ihm das Atom, im Unterschiede von Epikur, nur eine physikalische Hypothese, ein Notbehelf zur Erklärung von Tatsachen ist, gerade wie in den Mischungsverhältnissen der neueren Chemie (Dalton usw.) - Alles Das paßt nicht in Jacques le bonhomme's Kram; Demokrit muß "einzig" aufgefaßt werden, Demokrit spricht von der Euthymie, also der Gemütsruhe, also der Zurückziehung in sich selbst, also der Weltabstoßung, Demokrit ist ein Stoiker und unterscheidet sich vom indischen Fakir, der "Brahm" (soll heißen "Om") wispert, nur wie der Komparativ vom Superlativ, nämlich "nur dem Grade nach".

Von den Epikuräern weiß unser Freund geradesoviel wie von den Stoikern, nämlich das unvermeidliche Gymnasiastenquantum. Er stellt die epikuräische Hedone der stoischen und skeptischen Ataraxie gegenüber und weiß nicht, daß diese Ataraxie ebenfalls bei Epikur, und zwar als der Hedone übergeordnet, vorkommt, wodurch sein ganzer Gegensatz zusammenfällt. Er erzählt uns, daß die Epikuräer "nur ein anderes Verhalten gegen die Welt lehren" als die Stoiker; er möge uns den (nichtstoischen) Philosophen der "alten und neuen Zeit" zeigen, der nicht "nur" dasselbe tue. Schließlich bereichert uns <125> der heilige Max mit einem neuen Ausspruch der Epikuräer: "Die Welt muß betrogen werden, denn sie ist meine Feindin"; bisher war es nur bekannt, daß die Epikuräer sich dahin aussprachen: Die Welt muß enttäuscht, namentlich von der Furcht der Götter befreit werden, denn sie ist meine Freundin.

Um unsrem Heiligen eine Andeutung von der der Philosophie des Epikur zugrunde liegenden realen Basis zu geben, brauchen wir nur zu erwähnen, daß sich bei ihm zuerst die Vorstellung findet, daß der Staat auf einem gegenseitigen Vertrage der Menschen, einem contrat social (sundhch ) beruhe.

Wie sehr die Aufschlüsse des heiligen Max über die Skeptiker in demselben Geleise bleiben, geht schon daraus hervor, daß er ihre Philosophie für radikaler hält als die des Epikur. Die Skeptiker reduzierten das theoretische Verhältnis der Menschen zu den Dingen auf den Schein und ließen in der Praxis Alles beim Alten, indem sie sich ebensosehr nach diesem Scheine richteten wie Andre nach der Wirklichkeit; sie gaben der Sache nur einen andern Namen. Epikur dagegen war der eigentliche radikale Aufklärer des Altertums, der die antike Religion offen angriff und von dem auch bei den Römern der Atheismus, soweit er bei ihnen existierte, ausging. Daher hat ihn auch Lukrez als einen Helden gefeiert, der zuerst die Götter gestürzt und die Religion mit Füßen getreten habe, daher hat Epikur bei allen Kirchenvätern, von Plutarch bis Luther, den Ruf des gottlosen Philosophen par excellence, des Schweins, behalten, weshalb auch Clemens Alexandrinus sagt, wenn Paulus gegen die Philosophie eifere, so meine er damit nur die epikuräische. (stromatum lib. 1, [cap. Xl] p. 295 der Kölner Ausg. 1688.) Wir sehen hieraus, wie "listig, betrügerisch" und "klug" dieser offne Atheist sich zur Welt verhielt, indem er ihre Religion unverhohlen angriff, während die Stoiker sich die alte Religion spekulativ zurechtmachten und die Skeptiker ihren "Schein" zum Vorwande nahmen, um ihr Urteil überall mit einer reservatio mentalis <(geheimen) geistigen Vorbehalt> begleiten zu können.

So kommen nach Stirner die Stoiker zuletzt auf die "Verachtung" der Welt (p. 30), die Epikuräer auf "dieselbe Lebensweisheit wie die Stoiker" p. 32, die Skeptiker darauf heraus, daß sie "die Welt stehen lassen und sich nichts aus ihr machen". Alle drei also nach Stirner enden in der Gleichgültigkeit gegen die Welt, der "Weltverachtung" (p. 485). Dies drückte Hegel längst vor ihm so aus: Stoizismus, Skeptizismus, Epikuräismus - "gingen darauf aus, den Geist gegen Alles gleichgültig zu machen, was die Wirklichkeit darbietet". "Phil[osophie] d[er] Gesch[ichte]", p. 327.

"Die Alten", so faßt Sankt Max seine Kritik der alten Gedankenwelt zu- <126> sammen, "hatten wohl Gedanken, allein den Gedanken kannten sie nicht." p. 30. Hierbei "erinnere man sich dessen, was oben über Unsere Kindergedanken gesagt wurde". (ibid.) Die Geschichte der alten Philosophie muß sich nach der Konstruktion Stirners richten. Damit die Griechen nicht aus ihrer Kinderrolle fallen, darf Aristoteles nicht gelebt haben und bei ihm das an und für sich seiende Denken (h nohsiz h cad authn ), der sich selbst denkende Verstand (Auton de noei o nouz ) und das sich selbst denkende Denken (h nohsiz thz nohsewz ) nicht vorkommen; überhaupt dürfen seine Metaphysik und das dritte Buch seiner Psychologie nicht existieren.

So gut wie Sankt Max hier "an das, was oben über Unsere Kinderjahre gesagt wurde", erinnert, so gut hätte er bei "Unseren Kinderjahren" sagen können: man sehe nach, was später über die Alten und die Neger gesagt und über den Aristoteles nicht gesagt werden wird.

Um die wirkliche Bedeutung der letzten antiken Philosophien während der Auflösung des Altertums zu würdigen, hätte Jacques le bonhomme nur die wirkliche Lebensstellung ihrer Jünger unter der römischen Weltherrschaft zu betrachten brauchen. Er konnte u.a. bei Lukian ausführlich beschrieben finden, wie sie vom Volk als öffentliche Possenreißer betrachtet und von den römischen Kapitalisten, Prokonsuln etc. als Hofnarren zur Unterhaltung gedungen wurden, um, nachdem sie sich über der Tafel mit den Sklaven um ein paar Knochen und Brotkrumen gezankt und einen aparten sauren Wein vorgesetzt bekommen hatten, den großen Herrn und seine Gäste mit den ergötzlichen Phrasen Ataraxie, Aphasie, Hedone usw. zu amüsieren (38).

Wollte übrigens unser guter Mann einmal die Geschichte der alten Philosophie zur Geschichte des Altertums machen, so verstand es sich von selbst, daß er die Stoiker, Epikuräer und Skeptiker sich in die Neuplatoniker auflösen lassen mußte, deren Philosophie nichts weiter ist als die phantastische Zusammenfassung der stoischen, epikuräischen und skeptischen Doktrin mit dem Inhalt der Philosophie des Plato und Aristoteles. Statt dessen läßt er diese Doktrinen direkt ins Christentum sich auflösen (39).

<127> "Stirner" hat nicht die griechische Philosophie "hinter sich", sondern die griechische Philosophie hat "den Stirner" hinter ihr. (Vgl. Wig[and,] p.186.) Statt uns zu sagen, wie "das Altertum" zu einer Welt der Dinge kommt und mit ihr "fertig" wird, läßt der unwissende Schulmeister es durch ein Zitat von Timon selig verschwinden, womit um so natürlicher das Altertum sein "letztes Absehen erreicht", als die Alten nach Sankt Max "durch die Natur" sich in das antike "Gemeinwesen gestellt sahen", was, "um hiermit zu schließen", um so leichter "einleuchten kann", als man dies Gemeinwesen, Familie etc. "die sogenannten natürlichen Bande" nennt. (p. 33.) Durch die Natur wird die alte "Welt der Dinge" gemacht, durch Timon und Pilatus (p. 32) vernichtet. Statt die "Welt der Dinge" zu schildern, die dem Christentum zur materiellen Basis dient, läßt er diese "Welt der Dinge" vertilgt werden in der Welt des Geistes im - Christentum.

Die deutschen Philosophen sind gewohnt, das Altertum als die Epoche des Realismus der christlichen und neueren Zeit als der Epoche des Idealismus entgegenzustellen, während die französischen und englischen Ökonomen, Geschichts- und Naturforscher gewohnt sind, das Altertum als die Periode Idealismus gegenüber dem Materialismus und Empirismus der neueren Zeit aufzufassen. Ebenso kann man das Altertum insofern als idealistisch fassen, als die Alten in der Geschichte den "citoyen" repräsentieren, den idealistischen Politiker, während die Neuen zuletzt auf den "bourgeois" den realistischen ami du commerce <Freund des Handels>, hinauslaufen - oder auch wieder realistisch, weil bei ihnen das Gemeinwesen "eine Wahrheit" war, während es bei den Neuen eine idealistische "Lüge" ist. So wenig kommt bei allen diesen abstrakten Gegensätzen und Geschichtskonstruktionen heraus.

Das "Einzige", was wir aus dieser ganzen Darstellung der Alten lernen, ist, daß Stirner von der alten Welt zwar wenig "Dinge" "weiß", sie aber dafür desto "besser durchschaut hat". (Vgl. Wigand, p. 191.)

Stirner ist wirklich jenes "Knäblein", von dem die Offenbarung Johannis 12, 5 weissagt. "Der alle Heiden sollte weiden mit der eisernen Rute." Wir haben gesehen, wie er mit der eisernen Rute seiner Unwissenheit auf die armen Heiden loshaut. Den "Neuen" wirds nicht besser gehen.

4. Die Neuen

"Darum, ist Jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden. (2. Cor[inther] 5, 17.) (p. 33.)

<128> Vermittelst dieses Bibelspruchs ist die alte Welt nun wirklich "vergangen" oder, wie Sankt Max eigentlich sagen wollte, "alle jeworden", und wir sind mit Einem Satze in die neue, christliche, jünglingshafte, mongolenhafte "Welt des Geistes" herübergesprungen. Wir werden auch diese in kürzester Frist "Alle werden" sehen.

"Wurde oben gesagt: 'Den Alten war die Welt eine Wahrheit', so müssen wir hier sagen: 'Den Neuen war der Geist eine Wahrheit', dürfen aber, wie dort, so hier, den wichtigen Zusatz nicht vergessen: 'eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit sie zu kommen suchten und endlich wirklich kamen'." p. 33.

Wenn wir keine Stirnerschen Konstruktionen machen wollen, "so müssen wir hier sagen": Den Neuen war die Wahrheit ein Geist - nämlich der heilige Geist. Jacques le bonhomme faßt wieder die Neuen nicht in ihrem wirklichen ( historischen Zusammenhange mit der "Welt der Dinge", die trotz ihres Allewerdens ja noch immer fortexistiert, sondern in ihrem theoretischen, und zwar religiösen, Verhalten; die Geschichte des Mittelalters und der neueren Zeit existiert für ihn wieder nur als Geschichte der Religion und Philosophie; alle Illusionen dieser Epochen und die philosophischen Illusionen über diese Illusionen werden treulich geglaubt. Nachdem Sankt Max so der Geschichte der Neuen dieselbe Wendung wie der der Alten gegeben hat, kann er in ihr dann leicht "einen ähnlichen Gang, wie ihn das Altertum genommen, nachweisen", und ebenso rasch, wie er von der alten Philosophie auf die christliche Religion kam, von dieser auf die neuere deutsche Philosophie kommen. Er charakterisiert seine historische Illusion selbst p. 37, indem er entdeckt, daß "die Alten nichts aufzuweisen haben als Weltweisheit", und "die Neuen es niemals weiter als bis zur Gottesgelahrtheit brachten und bringen", und die feierliche Frage aufwirft: "Hinter was suchten die Neuen zu kommen?" Die Alten wie die Neuen tun weiter Nichts in der Geschichte, als daß sie "hinter etwas zu kommen suchen", die Alten hinter die Welt der Dinge, die Neuen hinter die Welt des Geistes. Die Alten werden am Ende "weltlos", die Neuen werden "geistlos", die Alten wollten Idealisten, die Neuen Realisten werden (p. 485), Beiden war es nur um das Göttliche zu tun (p. 488) - "die bisherige Geschichte" ist nur "die Geschichte des geistigen Menschen" (welcher Glaube!) p. 442 - kurz, wir haben hier wieder Kind und Jüngling, Neger und Mongole und wie die ganze Terminologie der "mancherlei Wandlungen'" weiter heißt.

Dabei wird dann die spekulative Manier, die Kinder ihren Vater erzeugen und das Frühere durch das Spätere bewirken zu lassen, gläubig nachgeahmt. Die Christen müssen gleich von vornherein "hinter die Unwahrheit ihrer Wahrheit zu kommen suchen", sie müssen sogleich verborgene Atheisten und <129> Kritiker sein, wie schon bei den Alten angedeutet wurde. Damit nicht zufrieden, gibt Sankt Max noch ein glänzendes Exempel seiner "Virtuosität im" (spekulativen) "Denken", p. 230: 

"Jetzt, nachdem der Liberalismus den Menschen proklamiert hat, kann man es aussprechen, daß damit nur die letzte Konsequenz des Christentums vollzogen wurde, und daß das Christentum sich von Haus aus keine andre Aufgabe stellte, als den Menschen --- zu realisieren."

Nachdem angeblich die letzte Konsequenz des Christentums vollzogen wurde, kann "Man" es aussprechen - daß sie vollzogen wurde. Sobald die Späteren das Frühere umgestaltet haben, "kann Man es aussprechen", daß die Früheren "von Haus aus", nämlich "in Wahrheit", im Wesen, im Himmel, als verborgene Juden, "sich keine andere Aufgabe stellten", als von den Späteren umgestaltet zu werden. Das Christentum ist für Jacques le bonhomme sich selbst setzendes Subjekt, der absolute Geist, der "von Haus aus" sein Ende als seinen Anfang setzt. Vgl. Hegels "Encycl[opädie]" etc.

"Daher" (nämlich weil man dem Christentum eine eingebildete Aufgabe unterlegen kann) "denn die Täuschung" (natürlich, vor Feuerbach konnte man nicht wissen, welche Aufgabe sich das Christentum "von Haus aus gestellt hatte"), "es lege das Christentum dem Ich einen unendlichen Wert bei, wie z.B. in der Unsterblichkeitslehre und Seelsorge an den Tag kommt. Nein, diesen Wert erteilt es allein dem Menschen , nur der Mensch ist unsterblich, und nur weil Ich Mensch bin, bin auch Ich's."

Wenn auch schon aus der ganzen Stirnerschen Konstruktion und Aufgabenstellung klar genug hervorgeht, daß das Christentum nur "dem Menschen" Feuerbachs die Unsterblichkeit verleihen kann, so erfahren wir hier noch zum Überfluß, daß dies auch deshalb geschieht, weil das Christentum diese Unsterblichkeit - nicht auch den Tieren zuschreibt.

Konstruieren wir auch einmal à la Sankt Max.

"Jetzt, nachdem" der moderne, aus der Parzellierung hervorgegangene große Grundbesitz das Majorat faktisch "proklamiert hat, kann man es aussprechen, daß damit nur die letzte Konsequenz" der Parzellierung des Grundbesitzes "vollzogen wurde" "und daß" die Parzellierung "in Wahrheit sich von Haus keine andre Aufgabe stellte, als" das Majorat, das wahre Majorat "zu realisieren." "Daher denn die Täuschung, es lege" die Parzellierung dem gleichen Rechte der Familienglieder "einen unendlichen Wert bei, wie z.B." in dem Erbrecht des Code Napoleon "an den Tag kommt. Nein, diesen Wert erteilt sie allein" dem ältesten Sohne; "nur" der älteste Sohn, der zukünftige Majoratsherr, wird großer Grundbesitzer, "und nur weil Ich" ältester Sohn "bin, werde auch Ich's."

<130> Auf diese Weise ist es unendlich leicht, der Geschichte "einzige" Wendungen zu geben, indem man stets nur ihr allerneustes Resultat als "die Aufgabe" zu schildern hat, die "sie sich von Haus aus in Wahrheit stellte". Dadurch treten die früheren Zeiten in einer bizarren und noch nie dagewesenen Gestalt auf. Das frappiert, ohne viele Produktionskosten zu machen. Z.B. wenn man sagt, die eigentliche "Aufgabe", welche sich die Institution des Grundeigentums "von Haus aus stellte", sei gewesen, Menschen durch Schafe zu verdrängen, eine Konsequenz, die in Schottland etc. neuerdings hervorgetreten sei; oder auch die Proklamation der Kapetinger habe sich "von Haus aus in Wahrheit die Aufgabe gestellt", Ludwig XVI. auf die Guillotine und Herrn Guizot ins Ministerium zu bringen. Namentlich muß man dies in einer feierlichen, heiligen, priesterlichen Weise tun, tiefen Atem schöpfen und dann hervorplatzen: "Jetzt endlich kann Man es aussprechen."

Was Sankt Max in dem vorliegenden Abschnitte p. 33-37 über die Neuen sagt, ist nur der Prolog der uns bevorstehenden Geistergeschichte. Wir sehen auch hier, wie er sich von den empirischen Tatsachen "nicht zeitig genug losmachen kann" und dieselben Parteien wie bei den Alten: Verstand, Herz, Geist, etc. wieder auftreten läßt - nur daß sie andere Namen erhalten. Aus den Sophisten werden sophistische Scholastiker, "Humanisten, Machiavellismus (Buchdruckerkunst, Neue Welt" etc., vgl. Hegel, "Geschichte der Philosophie", III, p. 128), die den Verstand repräsentieren, Sokrates verwandelt sich in Luther; der das Herz proklamiert (Hegel, l. c. p. 227), und von der nachreformatorischen Zeit erfahren wir, daß es sich in ihr um die "leere Herzlichkeit" (die bei den Alten "Herzensreinheit" hieß, vgl. Hegel, l. c. p. 241) handelte. Alles das auf p. 34. Auf diese Weise "weist" der heilige Max "im Christentum einen ähnlichen Gang wie im Altertum nach". Nach Luther dgibt er sich nun gar nicht mehr die Mühe, seine Kategorien mit Namen zu bekleiden; mit Meilenstiefeln eilt er der neueren deutschen Philosophie zu - vier Appositionen ("bis Nichts als die leere Herzlichkeit übrigbleibt, die ganze allgemeine Menschenliebe, die Liebe des Menschen, das Freiheitsbewußtsein, das 'Selbstbewußtsein'", p. 34; Hegel, l. c. p. 228, 229), vier Worte füllen die Kluft zwischen Luther und Hegel aus, und "so erst ist das Christentum vollendet". Diese ganze Entwicklung wird in einem meisterhaften Satze und mit Hebebäumen wie "endlich" - "und seitdem" - "indem man" "auch" - "von Tag zu Tag" - "bis zuletzt" usw. fertiggebracht, einem Satze, den der Leser auf der erwähnten klassischen Seite 34 selbst nachsehen mag.

Zu guter Letzt gibt Sankt Max noch ein paar Proben seines Glaubens, indem er sich des Evangeliums so wenig schämt, daß er behauptet: "und <131> Geist sind wir doch allein wirklich" - und darauf besteht, daß "der Geist" am Ende der alten Welt "nach langem Mühen die Welt" wirklich "losgeworden ist" - und hiernächst noch einmal das Geheimnis seiner Konstruktion verrät, indem er von dem christlichen Geiste aussagt, daß er "wie ein Jüngling mit Weltverbesserungs- oder Welterlösungsplänen umgehe". Alles p. 36.

"Und er brachte mich im Geist in die Wüste. Und ich sahe das Weib sitzen auf einem rosinfarbenen Tier, das war voll Namen der Lästerung -. Und an ihrer Stirn geschrieben den Namen, das Geheimnis, die große Babylon - - und ich sahe das Weib trunken von dem Blute der Heiligen pp." Off[enbarung] Joh[annis] 17, v. 3, 5, 6. -

Der Apokalyptiker hat diesmal nicht genau geweissagt. Jetzt endlich, nachdem Stirner den Mann proklamiert hat, kann man es aussprechen, daß er so hätte sagen müssen: Und er brachte Mich in die Wüste des Geistes. Und Ich sahe den Mann sitzen auf einem rosinfarbenen Tier, das war voll Lästerung der Namen - - und an seiner Stirn geschrieben den Namen, das Geheimnis, den Einzigen - - und Ich sahe den Mann trunken von dem Blute Heiligen etc.

Wir geraten also jetzt in die Wüste des Geistes.

A) Der Geist (Reine Geistergeschichte)

Das Erste, was wir vom "Geiste" erfahren, ist, daß nicht der Geist, sondern das Geisterreich ungeheuer groß ist". Sankt Max weiß sogleich vom Geiste nichts zu sagen, als daß ein "ungeheuer großes Geisterreich" existiert, gerade wie er vom Mittelalter nur weiß, daß es "eine lange Zeit" war. Nachdem dies "Geisterreich" als existierend vorausgesetzt worden ist, wird seine Existenz nachträglich vermittelst zehn Thesen bewiesen.

1. Der Geist ist nicht freier Geist, bevor er sich nicht mit sich allein beschäftigte, bevor er es nicht mit seiner Welt, "der geistigen, allein zu tun hatte" - (erst mit sich allein, dann mit seiner Welt);
2. "Er ist freier Geist erst in einer ihm eignen Welt";
3. "Nur mittelst einer geistigen Welt ist der Geist wirklich Geist";
4. "Bevor der Geist sich seine Geisterwelt erschafft, ist er nicht Geist" -
5. "Seine Schöpfungen machen ihn zum Geist" -
6. "Seine Schöpfungen sind seine Welt" -
7. "Der Geist ist der Schöpfer einer geistigen Welt" -
8. "Der Geist ist nur, wenn er Geistiges schafft -
9. "Er ist nur mit dem Geistigen, seinem Geschöpfe, zusammen wirklich" -
10. "Die Werke oder Kinder des Geistes sind aber nichts Anders als - Geister."
p. 38-39.

<132> Die "geistige Welt" wird in These 1 gleich wieder als existierend vorausgesetzt, statt entwickelt zu werden, und diese These 1 uns dann These 2-9 in acht neuen Wandlungen wieder vorgepredigt. Am Ende von These 9 sind wir geradeso weit wie am Ende von These 1 und nun bringt These 10 plötzlich ein "Aber" uns "die Geister" herein, von denen bisher noch keine Rede gewesen war.

"Da der Geist nur ist, indem er Geistige schafft, so sehen wir uns nach seinen ersten Schöpfungen um." p. 41. -

Nach These 3, 4, 5, 8 und 9 ist aber der Geist seine eigne Schöpfung. Dies wird jetzt so ausgedrückt, daß der Geist, d.h. die erste Schöpfung des Geistes,

"aus dem Nichts hervorgehen muß" - - "er muß sich erst erschaffen" - - "seine erste Schöpfung ist er selber, der Geist" (ibid.). "Hat er diese erst vollbracht, so folgt fortan eine natürliche Fortpflanzung von Schöpfungen, wie nach der Mythe nur die ersten Menschen geschaffen zu werden brauchten, das übrige Geschlecht sich von selbst fortpflanzte." (ibid.)

"So mystisch dies auch klinge, so erleben Wir's doch als eine alltägliche Erfahrung. Bist Du eher ein Denkender, als Du denkst? Indem Du den ersten Gedanken erschaffst, erschaffst Du Dich, den Denkenden, denn Du denkst nicht, bevor Du einen Gedanken denkst, d.h." - d.h. - "hast. Macht Dich nicht erst Dein Singen zum Sänger, Dein Sprechen zum sprechenden Menschen? Nun, so macht Dich auch das Hervorbringen von Geistigem erst zum Geiste."

Der heilige Eskamoteur unterstellt, daß der Geist Geistiges hervorbringt, um zu folgern, daß er sich selbst als Geist hervorbringt, und andrerseits unterstellt er ihn als Geist, um ihn zu seinen geistigen Schöpfungen (die "nach der Mythe sich von selbst fortpflanzen" und Geister werden) kommen zu lassen. Bis hieher altbekannte, rechtgläubig-hegelsche Phrase. Die eigentlich "einzige" Entwicklung Dessen, was Sankt Max sagen will, fängt erst bei seinem Beispiel an. Wenn nämlich Jacques le bonhomme gar nicht weiter kann, wenn selbst "Man" und "Es" nicht imstande sind, das gestrandete Boot wieder flott zu machen, dann ruft "Stirner" seinen dritten Leibeignen zu Hülfe, den "Du", der ihn nie im Stich läßt und auf den er sich in der höchsten Not verlassen kann. Dieser "Du" ist ein Individuum, das uns nicht zum ersten mal vorkommt, ein frommer und getreuer Knecht, den wir durch Dick und Dünn haben gehen sehen, ein Arbeiter im Weinberge seines Herrn, der sich durch Nichts schrecken läßt - er ist, mit Einem Wort: Szeliga (40). Wenn "Stirner" in den höchsten Entwicklungsnöten ist, so ruft er aus: Szeliga, hilf! und der <133> treue Eckart Szeliga setzt sogleich die Schultern an, um den Karren aus dem Dreck zu heben. Wir werden über das Verhältnis von Sankt Max zu Szeliga später noch Mehr zu sagen haben.

Es handelt sich um den Geist, der sich selbst aus Nichts erschafft - also um Nichts, das sich aus Nichts zum Geist schafft. Sankt Max macht hieraus die Schöpfung des Szeligaschen Geistes aus Szeliga. Und wem anders als Szeliga könnte "Stirner" es zumuten, sich in der Weise, wie es oben geschieht, dem Nichts unterschieben zu lassen? Wem anders als Szeliga, der sich schon dadurch aufs Höchste geschmeichelt fühlt, daß er überhaupt als handelnde Person auftreten darf, wird eine solche Eskamotage imponieren? Sankt Max mußte beweisen, nicht daß ein gegebenes "Du", also der gegebne Szeliga, zum Denkenden, Sprechenden, Sänger wird, wenn er zu denken, zu sprechen, zu singen anfängt - sondern: Der Denker schafft sich aus Nichts, indem er zu denken anfängt, der Sänger schafft sich aus Nichts, indem er zu singen anfängt etc. - und nicht einmal der Denker und Sänger, sondern der Gedanke und der Gesang als Subjekte schaffen sich aus Nichts, indem sie zu denken und singen anfangen. Sonst "stellt Stirner bloß die höchst einfache Reflexion an" und spricht bloß den "höchst populären" Satz aus (vgl. Wigand, p. 156), daß Szeliga eine seiner Eigenschaften entwickelt, indem er sie entwickelt. Es ist freilich durchaus nicht "zu verwundern", daß Sankt Max "dergleichen einfache Reflexionen" nicht einmal richtig "anstellt", sondern sie falsch ausspricht, um dadurch einen noch viel falscheren Satz vermittelst der falschesten Logik von der Welt zu beweisen.

Weit entfernt, daß ich "aus dem Nichts" mich z. B. als "Sprechenden" erschüfe, ist das Nichts, was hier zugrunde liegt, ein sehr mannigfaltiges Etwas, das wirkliche Individuum, seine Sprachorgane, eine bestimmte Stufe der physischen Entwicklung, vorhandene Sprache und Dialekte, hörende Ohren und eine menschliche Umgebung, die etwas zu hören gibt, etc. etc. Es wird also bei der Ausbildung einer Eigenschaft Etwas von Etwas durch Etwas geschaffen, und keineswegs, wie in der Hegelschen Logik, von Nichts durch Nichts zu Nichts gekommen.

Jetzt, nachdem Sankt Max einmal seinen getreuen Szeliga bei der Hand hat, geht die Fahrt wieder flott voran. Wir werden sehen, wie er vermittelst seines "Du" den Geist wieder in den Jüngling verwandelt, gerade wie er früher den Jüngling in den Geist verwandelte; wir werden die ganze Jünglingsgeschichte hier fast wörtlich, nur mit einigen verdeckenden Umstellungen, wiederfinden - wie schon das "ungeheuer große Geisterreich" von p. 37 Nichts andres war als das "Reich des Geistes", welches der Geist des Jünglings p. 17 zu stiften und auszubreiten "das Absehen" hatte.

<134> "Wie Du indes vom Denker, Sänger, Sprecher Dich unterscheidest, so unterscheidest Du Dich nicht minder vom Geiste und fühlst sehr wohl, daß Du noch etwas Anderes bist als Geist. Allein wie dem denkenden Ich im Enthusiasmus des Denkens leicht Hören und Sehen vergeht, so hat auch Dich der Geist-Enthusiasmus ergriffen, und Du sehnst Dich nun mit aller Gewalt, ganz Geist zu werden und im Geiste aufzugehen. Der Geist ist Dein Ideal, das Unerreichte, das Jenseitige: Geist heißt Dein - Gott, 'Gott ist Geist' - - Du eiferst gegen Dich selbst, der Du einen Rest von Nichtgeistigem nicht los wirst. Statt zu sagen: Ich bin mehr als Geist, sagst Du mit Zerknirschung: Ich bin weniger als Geist, und Geist, reinen Geist, oder den Geist, der Nichts als Geist, den kann Ich mir nur denken, bin es aber nicht, und da Ich's nicht bin, so ist's ein Andrer, existiert als ein Andrer, den Ich 'Gott' nenne."

Nachdem wir vorher uns eine lange Zeit mit dem Kunststück beschäftigten, aus Nichts Etwas zu machen, kommen wir jetzt plötzlich ganz "natürlich" zu einem Individuum, das noch etwas Anderes als Geist, also Etwas ist, Geist und reiner Geist, d.h. Nichts, werden will. Wir haben mit diesem viel leichteren Problem (aus Etwas Nichts zu machen) sogleich wieder die ganze Geschichte vom Jüngling, der "den vollendeten Geist erst suchen muß", und brauchen jetzt nur wieder die alten Phrasen von p. 17 bis 18 hervorzuholen, um aller Not überhoben zu sein. Besonders, wenn man einen so gehorsamen und gläubigen Diener hat wie Szeliga, dem "Stirner" aufbinden kann, wie ihm, "Stirner", "im Enthusiasmus des Denkens leicht" (!) "Hören und Sehen vergehe", so habe auch ihn, Szeliga, "der Geist-Enthusiasmus ergriffen", und er, Szeliga, "sehne sich nun mit aller Gewalt danach, Geist zu werden", statt Geist zu bekommen, d.h., er habe jetzt die Rolle des Jünglings von p. 18 zu spielen. Szeliga glaubt das und gehorcht in Furcht und Zittern; er gehorcht, wenn ihm Sankt Max zudonnert: Der Geist ist Dein Ideal - Dein Gott, Du tust mir dies, Du tust mir Das, jetzt "eiferst Du", jetzt "sagst Du", jetzt "kannst Du Dir denken" usw. Wenn "Stirner" ihm aufbindet, daß "der reine Geist ein Andrer sei, da er" (Szeliga) "es nicht sei", so ist doch wirklich nur Szeliga imstande, ihm dies zu glauben und den ganzen Unsinn Wort für Wort nachzuplappern. Die Methode übrigens, mit der Jacques le bonhomme diesen Unsinn zusammenbringt, ist bereits bei Gelegenheit des Jünglings ausführlich analysiert. Weil Du sehr wohl fühlst, daß Du noch etwas andres als Mathematiker bist so sehnst Du Dich, ganz Mathematiker zu werden, in der Mathematik aufzugehen, der Mathematiker ist Dein Ideal, Mathematiker heißt Dein - Gott - - Du sagst mit Zerknirschung: Ich bin weniger als Mathematiker, und den Mathematiker kann Ich mir nur vorstellen, und da Ich's nicht bin, so ist's ein Andrer, existiert als ein Andrer, den Ich "Gott" nenne. Ein Andrer als Szeliga würde sagen Arago.

<135> "Jetzt endlich, nachdem" wir den Stirnerschen Satz als die Wiederholung des "Jünglings" nachgewiesen haben, "kann man es aussprechen", daß er "in Wahrheit von Haus aus sich keine andre Aufgabe stellte", als den Geist der christlichen Askese mit Geist überhaupt und die frivole Geistreichheit z.B. des achtzehnten Jahrhunderts mit der christlichen Geistlosigkeit zu identifizieren.

Also nicht, wie Stirner behauptet, "weil Ich und Geist verschiedne Namen für Verschiednes sind, weil Ich nicht Geist und Geist nicht Ich ist" (p. 42), erklärt sich die Notwendigkeit, daß der Geist im Jenseits haust, d.h. Gott ist - sondern aus dem dem Szeliga ganz grundlos zugemuteten "Geistesenthusiasmus", der ihn zum Asketen macht, d.h. zu Einem, der Gott (reiner Geist) werden will, und, weil er dies nicht kann, den Gott außer sich setzt. Es handelte sich aber darum, daß der Geist erst sich aus Nichts und dann aus sich Geister schaffen sollte. Statt dessen produziert jetzt Szeliga Gott (den einzigen Geist, der hier vorkommt) - nicht weil er, Szeliga, der Geist, sondern weil er Szeliga, d. h. unvollendeter Geist, ungeistiger Geist, also zugleich der Nichtgeist ist. Wie aber die christliche Vorstellung vom Geiste als Gott entsteht, darüber sagt der heilige Max kein Wort; obwohl dies jetzt kein so großes Kunststück mehr ist; er setzt ihre Existenz voraus, um sie zu erklären.

Die Schöpfungsgeschichte des Geistes "stellt sich in Wahrheit von Haus aus keine andre Aufgabe", als Stirners Magen unter die Sterne zu versetzen.

"Gerade weil Wir nicht der Geist sind, der in Uns wohnt, gerade darum mußten Wir ihn außer

Gerade weil wir nicht der Magen sind, der in Uns wohnt, gerade darum mußten Wir ihn außer

Uns versetzen, er war nicht Wir, und darum konnten Wir ihn nicht anders existierend denken als außer Uns, jenseits von Uns, im Jenseits." p. 43.

Es handelte sich darum, daß der Geist erst sich und dann etwas Andres als sich aus sich schaffen sollte; die Frage war, was dieses Andre sei? Diese Frage wird nicht beantwortet, sondern nach den obigen "mancherlei Wandlungen" und Wendungen in die folgende neue Frage verdreht:

"Der Geist ist etwas Andres als Ich. Dieses Andre aber, was ist's?" (p. 45.)

Jetzt fragt es sich also: Was ist der Geist anderes als Ich? während die ursprüngliche Frage war: Was ist der Geist durch seine Schöpfung aus Nichts anderes als er selbst? Hiermit springt Sankt Max in die nächste "Wandlung" über.

B) Die Besessenen (Unreine Geistergeschichte)

<136> Sankt Max hat, ohne es zu wissen, bisher weiter nichts getan als eine Anleitung zum Geistersehen gegeben, indem er die alte und neue Welt nur als "Scheinleib eines Geistes", als gespenstige Erscheinung faßte und nur Geisterkämpfe in ihr sah. Jetzt gibt er mit Bewußtsein und ex professo <wörtlich: von Berufs wegen; hier: mit Vorbedacht> eine Anleitung zum Gespenstersehen.

Anleitung zum Geistersehen. Man muß sich zuerst in einen erzdummen Teufel verwandeln, d.h. sich als Szeliga setzen, und dann zu sich selbst sprechen, wie Sankt Max zu diesem Szeliga: "Blick umher in der Welt, und sage selbst, ob nicht aus Allem Dich ein Geist anschaut!" Ist man dahin gekommen, sich dies einzubilden, so kommen die Geister "leicht" von selbst, in der "Blume" sieht man nur den "Schöpfer", in den Bergen "einen Geist der Erhabenheit", im Wasser "einen Geist der Sehnsucht" oder die Sehnsucht des Geistes, und man hört "aus den Menschen Millionen Geister reden". Hat man es bis zu dieser Stufe gebracht, kann man mit Stirner ausrufen: "Ja, es spukt in der Ganzen Welt", so "ist der Fortgang dahin nicht schwer" (p. 93), daß man den weiteren Ausruf tut: "Nur in ihr? Nein, sie selber spukt" (Eure Rede sei Ja, Ja, Nein, Nein, was darüber ist, das ist vom Übel, nämlich logischer Übergang), "sie ist der wandelnde Scheinleib eines Geistes, sie ist ein Spuk." Dann "schau" getrost "in die Nähe oder in die Ferne, Dich umgibt eine gespenstige Welt - - Du siehst Geister". Hiermit kannst Du zufrieden sein, wenn Du ein gewöhnlicher Mensch bist; gedenkst Du aber Dich mit Szeliga messen zu können, so kannst Du auch in Dich selbst schauen und darfst "Dich dann nicht wundern", wenn Du bei dieser Gelegenheit und auf dieser Höhe der Szeligaität findest, daß auch "Dein Geist in Deinem Leibe spukt", daß Du selbst ein Gespenst bist, das "auf Erlösung harrt, nämlich ein Geist". Hiermit bist Du so weit gekommen, daß Du in "Allen" Menschen "Geister" und "Gespenster" sehen kannst, womit die Geisterseherei "ihr letztes Absehen erreicht". p. 46, 47.

Die Grundlage dieser Anleitung findet sich, nur viel richtiger ausgedrückt, bei Hegel u. a. "Geschichte der Philosophie" III, p. 124, 125.

Der heilige Max glaubt seiner eignen Anleitung so sehr, daß er darüber selbst zum Szeliga wird und behauptet:

"Seit das Wort Fleisch geworden ist, seitdem ist die Welt vergeistigt, verzaubert, ein Spuk." p. 47.

<137> "Stirner" "sieht Geister".

Sankt Max beabsichtigt, uns eine Phänomenologie des christlichen Geistes zu geben, und nimmt nach seiner Gewohnheit nur die eine Seite heraus. Den Christen war die Welt nicht allein vergeistigt, sondern ebensosehr entgeistigt, wie Hegel z.B. in der ebengenannten Stelle dies ganz richtig anerkennt und die beiden Seiten miteinander in Beziehung bringt, was Sankt Max, wenn er historisch verfahren wollte, ebenfalls hätte tun müssen. Der Entgeistigung der Welt im christlichen Bewußtsein gegenüber können die Alten, "die überall Götter sahen", mit gleichem Recht als Vergeistiger der Welt aufgefaßt werden, eine Auffassung, die unser heiliger Dialektiker mit der wohlmeinenden Ermahnung zurückweist: "Götter, mein lieber Neuer, sind keine Geister." p. 47. Der gläubige Max erkennt nur den heiligen Geist als Geist an.

Aber selbst wenn er uns diese Phänomenologie gegeben hätte (was nach Hegel übrigens überflüssig ist), so hätte er uns noch Nichts gegeben. Der Standpunkt, auf dem man sich mit solchen Geistergeschichten begnügt, ist selbst ein religiöser, weil man sich auf ihm bei der Religion beruhigt, die Religion als causa sui <Ursache ihrer selbst> auffaßt (denn auch "das Selbstbewußtsein" und "der Mensch" sind noch religiös), statt sie aus den empirischen Bedingungen zu erklären und nachzuweisen, wie bestimmte industrielle und Verkehrsverhältnisse notwendig mit einer bestimmten Gesellschaftsform, damit einer bestimmten Staatsform, und damit einer bestimmten Form des religiösen Bewußtseins verbunden sind. Hätte Stirner sich die wirkliche Geschichte des Mittelalters angesehen, so hätte er finden können, warum die Vorstellung der Christen von der Welt im Mittelalter gerade diese Gestalt annahm, und wie es kam, daß sie später in eine andre überging; er hätte finden können, daß "das Christentum" gar keine Geschichte hat und alle die verschiednen Formen, in denen es zu verschiednen Zeiten aufgefaßt wurde, nicht "Selbstbestimmungen" und "Fortentwicklungen" "des religiösen Geistes" waren, sondern von ganz empirischen, allem Einflusse des religiösen Geistes entzogenen Ursachen bewirkt wurden.

Da Stirner "nicht am Schnürchen geht" (p. 45), so kann, ehe wir auf die Geisterseherei weiter eingehen, schon hier gesagt werden, daß die verschiedenen "Wandlungen" der Stirnerschen Menschen und ihrer Welt nur in der Verwandlung der ganzen Weltgeschichte in den Leib der Hegelschen Philosophie bestehen; in Gespenster, die nur zum Schein ein "Anderssein" der Gedanken des Berliner Professors sind. In der "Phänomenologie", der Hegelschen Bibel, "dem Buch", werden zunächst die Individuen in "das Bewußtsein" [und die] Welt in "den Gegenstand" ver[wa]ndelt, wodurch die <138> Mannigfaltigkeit des Lebens und der Geschichte sich auf ein verschiedenes Verhalten "des Bewußtseins" zu "dem Gegenstande" reduziert. Dies verschiedene Verhalten wird wieder auf drei Kardinalverhältnisse reduziert: 1. Verhältnis des Bewußtseins zum Gegenstand als der Wahrheit oder zur Wahrheit als bloßem Gegenstand (z.B. sinnliches Bewußtsein, Naturreligion, ionische Philosophie, Katholizismus, Autoritätsstaat pp.) - 2. Verhältnis des Bewußtseins als des Wahren zum Gegenstand (Verstand, geistige Religion, Sokrates, Protestantismus, französische Revolution) - 3. wahres Verhalten des Bewußtseins zur Wahrheit als Gegenstand oder zum Gegenstand als Wahrheit (logisches Denken, spekulative Philosophie, der Geist als für den Geist). Das erste wird auch bei Hegel gefaßt als Gottvater, das zweite als Christus, das dritte als Heiliger Geist usw. Stirner hat diese Wandlungen schon angebracht bei Kind und Jüngling, Alten und Neuen, wiederholt sie später bei Katholizismus und Protestantismus, Neger und Mongole etc. und akzeptiert diese Reihe von Verkleidungen eines Gedankens nun auf Treu und Glauben als die Welt, gegen die er sich als "leibhaftiges Individuum" geltend zu machen, zu behaupten hat.

Zweite Anleitung zum Geistersehen. Wie man die Welt in das Gespenst der Wahrheit und sich selbst in einen Geheiligten oder Gespenstigen verwandelt. Ein Gespräch zwischen Sankt Max und Szeliga, seinem Knecht. (p. 47, 48.)

Sankt Max. "Du hast Geist, denn Du hast Gedanken. Was sind Deine Gedanken?"
Szeliga. "Geistige Wesen."
Sankt Max. "Also keine Dinge?"
Szeliga. "Nein, aber der Geist der Dinge, die Hauptsache an allen Dingei, ihr Innerstes, ihre - Idee."
Sankt Max. "Was Du denkst, ist mithin nicht bloß Dein Gedanke?"
Szeliga. "Im Gegenteil, es ist das Wirklichste, das eigentlich Wahre an der Welt: es ist die Wahrheit selber; wenn ich nur wahrhaft denke, so denke ich die Wahrheit. Ich kann mich zwar über die Wahrheit täuschen und sie verkennen; wenn ich aber wahrhaft erkenne, so ist der Gegenstand meiner Erkenntnis die Wahrheit."
Sankt Max. "So trachtest Du wohl allezeit die Wahrheit zu erkennen?"
Szeliga. "Die Wahrheit ist mir heilig. - - Die Wahrheit kann ich nicht abschaffen; an die Wahrheit glaube ich, darum forsche ich in ihr; über sie geht's nicht hinaus, sie ist ewig. Heilig, ewig ist die Wahrheit, sie ist das Heilige, das Ewige."
Sankt Max (erbost). Du aber, der Du von diesem Heiligen Dich erfüllen lässest, wirst selbst geheiligt!"

Also, wenn Szeliga einen Gegenstand wahrhaft erkennt, so hört der Gegenstand auf, Gegenstand zu sein, und wird "die Wahrheit". Erste Gespensterfabrikation im Großen. - Es handelt sich nun nicht mehr um das Erkennen der Gegenstände, sondern um die Erkenntnis der Wahrheit; erst erkennt er <139> Gegenstände wahrhaft, das fixiert er als Wahrheit der Erkenntnis, und diese verwandelt er in Erkenntnis der Wahrheit. Nachdem sich so Szeliga von dem drohenden Heiligen die Wahrheit als Gespenst hat aufbinden lassen, so rückt ihm sein gestrenger Herr mit der Gewissensfrage auf den Leib, ob er "allezeit" trächtig sei mit der Sehnsucht nach Wahrheit, worauf der verwirrte Szeliga etwas vor der Zeit mit der Antwort hervorplatzt - die Wahrheit ist mir heilig. Er merkt aber sogleich sein Versehen und nimmt es nach, indem er beschämt die Gegenstände in Wahrheiten, nicht mehr in die Wahrheit, verwandelt und sich als die Wahrheit dieser Wahrheiten "die Wahrheit" abstrahiert, die er nun nicht mehr abschaffen kann, nachdem er sie von den abschaffbaren Wahrheiten unterschieden hat. Damit ist sie dann "ewig". Aber nicht damit zufrieden, ihr Prädikate wie "heilig, ewig" beizulegen, verwandelt er sie in das Heilige, das Ewige als Subjekt. Jetzt kann ihm Sankt Max natürlich erklären, daß er, nachdem er sich vom Heiligen habe "erfüllen" lassen, "selbst geheiligt werde", und sich "nicht wundern dürfe", wenn er nunmehr in sich "nichts als einen Spuk finde". Der Heilige beginnt sodann eine Predigt: "Auch ist das Heilige nicht für Deine Sinne" und schließt ganz folgerichtig durch ein "und" an: "niemals entdeckst Du als ein Sinnlicher seine Spur"; nachdem nämlich die sinnlichen Gegenstände "alle jeworden" sind und an ihre Stelle "die Wahrheit", "die Heilige Wahrheit", "das Heilige" getreten ist. "Sondern" - versteht sich! - "für Deinen Glauben, oder bestimmter noch für Deinen Geist" (für Deine Geistlosigkeit), denn es ist ja selbst ein Geistiges" (per appositionem <durch den Beisatz; durch Apposition>), "ein Geist" (wieder per appos.), "ist Geist für den Geist". Dies ist die Kunst, wie man die profane Welt, die "Gegenstände", vermittelst einer arithmetischen Reihe von Appositionen in "Geist für den Geist" verwandelt. Wir können hier diese dialektische Methode der Appositionen nur noch bewundern - später werden wir Gelegenheit haben, sie zu ergründen und in ihrer ganzen Klassizität darzustellen.

Die Appositionsmethode kann auch umgedreht werden - so hier, wo, nachdem wir "das Heilige" bereits erzeugt haben, es nicht wieder Appositionen erhält, sondern zur Apposition einer neuen Bestimmung gemacht wird: dies ist die Vereinigung der Progression mit der Gleichung. So wird hier der aus irgendeinem dialektischen Prozeß "übrigbleibende Gedanke an ein Anderes", dem "Ich mehr dienen sollte als Mir" (per appos.), "das Mir wichtiger sein müßte als Alles" (per appos.), "kurz, ein Etwas, worin Ich Mein Wahres Heil zu suchen hätte" (und endlich per appos. die Rückkehr auf die <140> erste Reihe) "- ein 'Heiliges'" (p. 48). Wir haben hier zwei Progressionen, die einander gleichgesetzt werden und so zu einer großen Mannigfaltigkeit von Gleichungen Gelegenheit geben können. Hierüber später. Durch diese Methode hat dann auch "das Heilige", das wir bisher nur als eine rein theoretische Bestimmung für rein theoretische Verhältnisse kennenlernten, einen neuen praktischen Sinn bekommen, als "Etwas, worin Ich Mein wahres Heil zu suchen hätte", wodurch es möglich wird, das Heilige zum Gegensatz des Egoisten zu machen. Wir brauchen übrigens kaum zu erwähnen, daß dieser ganze Dialog, nebst nachfolgender Predigt, weiter nichts ist als eine neue Wiederholung der bereits drei- bis viermal dagewesenen Jünglingsgeschichte.

Hier, bei dem "Egoisten" angekommen, schneiden wir Stirners "Schnürchen" ab, weil wir erstens seine Konstruktion in ihrer Reinheit darzustellen haben, frei von allen dazwischengeworfenen Intermezzos, und weil zweitens er diese Intermezzi (Sancho würde nach Analogie "des Lazaroni" (Wig[and], p. 159, soll heißen Lazzarone) sagen: Intermezzi's) an andern Stellen des Buchs ohnehin wieder vorkommen, da Stirner, weit entfernt, sich nach seiner eigenen Zumutung "stets in sich zurückzunehmen", im Gegenteil sich stets von Neuem von sich gibt. Wir erwähnen nur noch eben, daß die p. 45 aufgeworfene Frage: Was ist dies vom Ich Unterschiedene, das der Geist ist, jetzt dahin beantwortet ist, daß es das Heilige, id est das dem Ich Fremde ist und daß Alles dem Ich Fremde - kraft einiger nicht ausgesprochenen Appositionen, Appositionen "an sich" - hiernach ohne Weiteres als Geist gefaßt wird. Geist, Heiliges, Fremdes sind identische Vorstellungen, denen er den Krieg erklärt, wie dies schon bei dem Jüngling und Mann ganz im Anfang fast wörtlich dagewesen ist. Wir sind also noch keinen Schritt weiter, als wir p. 20 waren. 

a) Der Spuk

Sankt Max macht jetzt Ernst mit den "Geistern", welche die "Kinder des Geistes sind" (p. 39), mit der Gespensterhaftigkeit Aller (p. 47). Wenigstens bildet er sichs ein. In Wahrheit aber schiebt er nur seiner bisherigen Geschichtsauffassung, nach der die Menschen von vornherein die Repräsentanten von allgemeinen Begriffen waren, einen andern Namen unter. Diese allgemeinen Begriffe treten hier zuerst im negerhaften Zustande, als objektive, den Menschen gegenständliche Geister auf und heißen auf dieser Stufe Gespenster oder - Spuk. Das Hauptgespenst ist natürlich "der Mensch" selbst, da die Menschen nach dem Bisherigen nur als Repräsentanten eines Allgemeinen, Wesens, Begriffs, Heiligen, Fremden, Geistes, d. h. nur als Gespenstige, Gespenster füreinander vorhanden sind, und da schon nach <141> Hegels "Phänomenologie" p. 255 und anderwärts der Geist, sofern er "die Form der Dingheit" für den Menschen hat, ein anderer Mensch ist. (Siehe weiter unten über "den Menschen".)

Wir sehen also hier den Himmel offen und die verschiedenen Gespenster der Reihe nach vor uns vorüberziehen. Jacques le bonhomme vergißt nur, daß er die alte und neue Zeit als Riesengespenster bereits hat vor uns vorbeiziehen lassen, wogegen alle die harmlosen Einfälle von Gott etc. wahre Lumpereien sind.

Gespenst Nr. 1: das höchste Wesen, Gott (p. 53). Wie nach dem Bisherigen zu erwarten, glaubt der alle weltgeschichtlichen Berge durch seinen Glauben versetzende Jacques le bonhomme, daß "die Menschen sich jahrtausendelang die Aufgabe setzten", sich "mit der gräßlichen Unmöglichkeit, der endlosen Danaidenarbeit abquälten" - "das Dasein Gottes zu beweisen". Über diesen unglaublichen Glauben brauchen wir kein Wort mehr zu verlieren.

Gespenst Nr. 2: das Wesen. Was unser guter Mann über das Wesen sagt, beschränkt sich nach Abzug des aus Hegel Abgeschriebenen auf "pomphafte Worte und armselige Gedanken" (p. 53). "Der Fortgang vom" Wesen "auf" das Weltwesen "ist nicht schwer", und dies Weltwesen ist natürlich

Gespenst Nr. 3, die Eitelkeit der Welt. Hierüber ist Nichts zu sagen, als daraus "leicht"

Gespenst Nr. 4, die guten und bösen Wesen werden. Hierüber wäre zwar etwas zu sagen, wird aber nichts gesagt, und sogleich zum nächsten

Gespenst Nr. 5: das Wesen und sein Reich fortgeschritten. Daß wir das Wesen hier zum zweiten Male haben, darf uns bei unsrem ehrlichen Schriftsteller, der seine "Unbeholfenheit" (Wigand, p. 166) sehr gut kennt und deshalb Alles mehrmals sagt, damit es ja nicht mißverstanden werde, keineswegs verwundern. Das Wesen wird hier zuerst als Inhaber eines "Reiches" bestimmt und sodann von ihm ausgesagt, daß es "das Wesen" ist (p. 54), worauf es sich flugs in

Gespenst Nr. 6: "die Wesen" verwandelt. Sie und sie allein zu erkennen und anzuerkennen, das ist Religion. "Ihr Reich" (der Wesen) "ist - ein Reich der Wesen." (p. 54.) Plötzlich tritt hier

Gespenst Nr. 7, der Gottmensch, Christus, ohne alle sichtbare Veranlassung herein. Von ihm weiß Stirner zu sagen, daß er "beleibt" gewesen ist. Wenn Sankt Max nicht an Christus glaubt, so glaubt er wenigstens an seinen "wirklichen Leib". Christus hat nach Stirner eine große Misère in die Geschichte gebracht, und der sentimentale Heilige erzählt mit Tränen in den Augen, "wie sich die kräftigsten Christenmenschen abgemartert haben, um <142> ihn zu begreifen" - ja - "seelenmarternder war noch nie ein Gespenst, und kein Schamane, der bis zu rasender Wut und nervenzerreißenden Krämpfen sich aufstachelt, kann solche Qual erdulden, wie Christen sie von jenem unbegreiflichsten Gespenst erlitten". Sankt Max weint eine empfindsame Zähre auf dem Grabe der Opfer Christi und kommt dann zum "grauenhaften Wesen",

dem Gespenst Nr. 8, dem Menschen. Hier "graut" es unsrem wackeren Schriftsteller in Eins fort - "er erschrickt vor sich selbst", er sieht in jedem Menschen einen "grausigen Spuk"' einen "unheimlichen Spuk", in dem es "umgeht" (p. 55, 56). Er fühlt sich höchst unbehaglich. Der Zwiespalt zwischen Erscheinung und Wesen läßt ihn nicht ruhen. Er ist wie Nabal, der Gemahl der Abigail, von dem geschrieben steht, daß sein Wesen ebenfalls von seiner Erscheinung getrennt war: Es war ein Mann zu Maon und sein Wesen zu Carmel (1. Samuel 25, 2). Zur rechten Zeit und ehe sich der "seelengemarterte" Sankt Max aus Verzweiflung eine Kugel durch den Kopf jagt, fallen ihm plötzlich die Alten ein, die "so etwas nicht in ihren Sklaven beachteten". Dies bringt ihn auf

Gespenst Nr. 9, den Volksgeist (p. 56), über den sich Sankt Max, an dem jetzt kein Aufhalten mehr ist, ebenfalls "grausige" Einbildungen macht, um

Gespenst Nr. 10: "Alles" in einen Spuk zu verwandeln, und schließlich, wo alles Zählen aufhört, den "heiligen Geist", die Wahrheit, das Recht, das Gesetz, die gute Sache (die er noch immer nicht vergessen kann) und ein halbes Dutzend anderer, einander wildfremder Dinge in der Klasse Gespenster zusammenzuwerfen.

Sonst ist in dem ganzen Kapitel Nichts bemerkenswert als die Versetzung eines historischen Berges durch Sankt Maxens Glauben. Er meint nämlich p. 56, "nur um eines höheren Wesens willen sei man von jeher geehrt, nur als ein Gespenst für eine geheiligte, d.h." (das heißt!) "geschützte und anerkannte Person betrachtet worden". Versetzen wir diesen durch bloßen Glauben versetzten Berg wieder an seine rechte Stelle, so "heißt es nun": Nur um der geschützten, d.h. sich selbst schützenden, und privilegierten, d. h. sich selbst privilegierenden Personen willen wurden höhere Wesen verehrt und Gespenster geheiligt. Sankt Max bildet sich z.B. ein, daß im Altertum, wo jedes Volk durch materielle Verhältnisse und Interessen, z.B. Feindschaft der verschiednen Stämme etc., zusammengehalten wurde, wo wegen Mangel an Produktivkräften Jeder entweder Sklave sein oder Sklaven haben mußte etc. etc., wo es also vom "natürlichsten Interesse" (Wigand, p. [162]) war, einem Volke anzugehören - daß also damals der Begriff Volk oder "das Volks- <143> wesen" erst diese Interessen aus sich erzeugt habe; daß in der neueren Zeit, wo die freie Konkurrenz und der Welthandel den heuchlerischen, bürgerlichen Kosmopolitismus und den Begriff des Menschen erzeugte, umgekehrt die spätere philosophische Konstruktion des Menschen jene Verhältnisse als seine "Offenbarungen" (p. 51) produziert habe. Ebenso mit der Religion, dem Reich der Wesen, das er für das einzige Reich hält, von deren Wesen er aber nichts weiß, weil er sonst wissen müßte, daß sie, als Religion, weder ein Wesen noch ein Reich hat. In der Religion machen die Menschen ihre empirische Welt zu einem nur gedachten, vorgestellten Wesen, das ihnen fremd gegenübertritt. Dies ist keineswegs wieder aus andern Begriffen zu erklären, aus "dem Selbstbewußtsein" und dergleichen Faseleien, sondern aus der ganzen bisherigen Produktions- und Verkehrsweise, die ebenso unabhängig vom reinen Begriff ist wie die Erfindung der self-acting mule und Anwendung der Eisenbahnen von der Hegelschen Philosophie. Will er einmal von einem "Wesen" der Religion sprechen, d.h. von einer materiellen Grundlage dieses Unwesens, so hat er es weder im "Wesen des Menschen" noch in den Prädikaten Gottes zu suchen, sondern in der von jeder Stufe der religiösen Entwicklung vorgefundenen materiellen Welt. (Vgl. oben Feuerbach.)

Die sämtlichen "Gespenster", die wir Revue passieren ließen, waren Vorstellungen. Diese Vorstellungen, abgesehen von ihrer realen Grundlage (von der Stirner ohnehin absieht), als Vorstellungen innerhalb des Bewußtseins, als Gedanken im Kopfe der Menschen gefaßt, aus ihrer Gegenständlichkeit in das Subjekt zurückgenommen, aus der Substanz ins Selbstbewußtsein erhoben, sind - der Sparren oder die fixe Idee.

Über den Ursprung von Sankt Maxens Gespenstergeschichte siehe Feuerbach in den "Anekdotis" II, p. 66, wo es heißt :

"Die Theologie ist Gespensterglaube. Die gemeine Theologie hat aber ihre Gespenster in der sinnlichen Imagination, die spekulative Theologie in der unsinnlichen Abstraktion."

Da nun Sankt Max mit sämtlichen kritischen Spekulanten der neueren Zeit den Glauben teilt, daß verselbständigte Gedanken, verkörperte Gedanken - Gespenster - die Welt beherrscht haben und beherrschen, daß alle bisherige Geschichte Geschichte der Theologie gewesen sei, so war nichts leichter, als sie in eine Gespenstergeschichte zu verwandeln. Sanchos Gespenstergeschichte beruht also auf dem traditionell überlieferten Gespensterglauben der Spekulanten.

b) Der Sparren

<144> "Mensch, es spukt in Deinem Kopfe! - - Du hast eine fixe Idee!" donnert der heilige Max seinen Sklaven Szeliga an. "Denke nicht, daß Ich scherze", droht er ihm. Untersteh Dich nicht zu glauben, daß der feierliche "Max Stirner" scherzen könne.

Der Mann Gottes hat wieder seinen getreuen Szeliga nötig, um vom Objekt auf das Subjekt, vom Spuk auf den Sparren zu kommen.

Der Sparren ist die Hierarchie im einzelnen Individuum, die Herrschaft des Gedankens "in ihm über ihm". Nachdem die Welt dem phantasierenden Jüngling von p. 20 als Welt seiner "Fieberphantasien", als Gespensterwelt gegenübergetreten ist, wachsen ihm die "eignen Geburten seines Kopfs" innerhalb seines Kopfs über seinen Kopf. Die Welt seiner Fieberphantasien - das ist sein Fortschritt - existiert nun als die Welt seines zerrütteten Kopfes. Sankt Max, der Mann, der die "Welt der Neuen" als den phantasierenden Jüngling sich gegenüberstehen hat, muß notwendig erklären, daß "beinahe die ganze Menschenwelt aus veritablen Narren, Narren im Tollhause bestehe". (p. 57.)

Der Sparren, den Sankt Max in den Köpfen der Menschen entdeckt, ist nichts als sein eigner Sparren, der Sparren "des Heiligen", der die Welt sub specie aeterni <vom Gesichtspunkt der Ewigkeit> betrachtet und sowohl die heuchlerischen Phrasen wie die Illusionen der Menschen für die wirklichen Motive ihrer Handlungen versieht; weswegen auch der naive, gläubige Mann getrost den großen Satz ausspricht: "Fast die ganze Menschenwelt hängt am Höheren." (p. 57.)

Der "Sparren" ist "eine fixe Idee", d.h. "eine Idee, die den Menschen sich unterworfen hat", oder, wie später populärer gesagt wird, allerlei Abgeschmacktheiten, die die Leute "sich in den Kopf gesetzt haben". Mit spielender Leichtigkeit ergibt sich für Sankt Max, daß Alles, was die Menschen sich unterworfen hat, z. B. die Notwendigkeit zu produzieren, um zu leben, und die davon abhängigen Verhältnisse eine solche "Abgeschmacktheit" oder "fixe Idee" ist. Da die Kinderwelt die einzige "Welt der Dinge" ist, wie wir in der Mythe vom "Menschenleben" sahen, so ist Alles, was "für das Kind" (von Zeit zu Zeit auch für das Tier) nicht existiert, jedenfalls "eine Idee" und "leicht auch" eine "fixe Idee". Wir sind den Jüngling und das Kind noch lange nicht los.

Das Kapitel vom Sparren hat bloß den Zweck, die Kategorie des Sparrens in der Geschichte "des Menschen" zu konstatieren. Der eigentliche Kampf <145> gegen die Sparren zieht sich durch das ganze "Buch" und wird namentlich im zweiten Teil geführt. Wir können uns deshalb hier mit ein paar Beispielen von Sparren begnügen.

p. 59 glaubt Jacques le bonhomme, daß "unsere Zeitungen von Politik strotzen, weil sie in dem Wahne gebannt sind, der Mensch sei dazu geschaffen, ein Zoon politikon <gesellschaftliches Wesen> zu werden". Also nach Jacques je bonhomme wird Politik getrieben, weil unsre Zeitungen davon strotzen! Wenn ein Kirchenvater die Börsennachrichten unserer Zeitungen ansähe, so könnte er gar nicht anders urteilen wie Sankt Max und müßte sagen: Diese Zeitungen strotzen von Börsennachrichten, weil sie in den Wahn gebannt sind, der Mensch sei dazu geschaffen, in Fonds zu spekulieren. Also nicht die Zeitungen haben den Sparren, sondern der Sparren hat den "Stirner".

Die Verpönung der Blutschande und die Institutionen der Monogamie werden aus "dem Heiligen" erklärt, "sie sind das Heilige". Wenn bei den Persern die Blutschande nicht verpönt ist und die Institution der Polygamie bei den Türken sich vorfindet, so sind dort also Blutschande und Polygamie "das Heilige". Zwischen diesen beiden "Heiligen" wäre kein Unterschied anzugeben, als daß Perser und Türken sich andres dummes Zeug "in den Kopf gesetzt haben" als die christlich germanischen Völker. - Kirchenväterliche Manier, sich "zeitig genug" von der Geschichte "loszumachen". - Jacques le bonhomme ahnt so wenig die wirklichen, materialistischen Ursachen der Verpönung der Polygamie und Blutschande unter gewissen sozialen Verhältnissen, daß er sie nur für einen Glaubenssatz erklärt und sich in Gemeinschaft mit jedem Spießbürger einbildet, wenn einer für derartige Vergehen eingesperrt werde, so sperre ihn "die Sittenreinheit" in ein "Sittenverbesserungshaus" (p. 61), wie denn die Kerker ihm überhaupt - und hierin steht er unter dem gebildeten Bourgeois, der dies besser weiß, vgl. die Gefängnisliteratur - als Sittenverbesserungshäuser erscheinen. "Stirners" "Kerker sind die allertrivialsten Illusionen des Berliner Bürgers, die indes für ihn schwerlich ein "Sittenverbesserungshaus" genannt zu werden verdienen.

Nachdem Stirner durch eine "episodisch eingelegte" "geschichtliche Reflexion entdeckt hat, daß "es dahin kommen mußte", daß der ganze Mensch sich mit allen seinen Fähigkeiten als religiös erwies" (p 64), "so ist auch in der Tat "nicht zu verwundern", "weil wir jetzt so durch und durch religiös sind daß" der Eid "der Geschworen uns zum Tode verdammt und der Polizeidiener uns als guter Christ durch 'Amtseid' ins Loch bringt". Wenn ihn ein Gensdarme wegen Rauchens im Tiergarten anhält, so schlägt ihm nicht <146> der kgl. preuß. dafür bezahlte und an den Strafgeldern beteiligte Gensdarme, sondern der "Amtseid" die Zigarre aus dem Munde. Geradeso verwandelt sich für ihn die Macht des Bourgeois im Geschwornengerichte, wegen des scheinheiligen Aussehens, das sich die amis du commerce <Freunde des Handels> hier geben, in die Macht des Schwörens, des Eides, in "das Heilige". Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. (Matth[äi] 8, 10.)

"Bei so Manchem wird ein Gedanke zur Maxime, so daß nicht Er die Maxime, sondern diese vielmehr Ihn hat, und mit der Maxime hat er wieder einen festen Standpunkt." Aber "so liegt es nun nicht an Jemandes Wollen, Sollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen". Röm[er] 9, 16. Darum muß der heilige Max sogleich auf derselben Seite einige Pfähle ins Fleisch bekommen und uns selbst mehrere Maximen geben: nämlich erstens die Maxime, keine Maxime, damit zweitens die Maxime, keinen festen Standpunkt zu haben, drittens die Maxime: "Wir sollen zwar Geist haben, aber der Geist soll Uns nicht haben"; und viertens die Maxime, daß man auch sein Fleisch vernehmen soll, "denn nur wenn ein Mensch sein Fleisch vernimmt, vernimmt er sich ganz, und nur wenn er sich ganz vernimmt, ist er vernehmend oder vernünftig".

C) Unreine unreine Geistergeschichte

a) Neger und Mongolen

Wir kehren jetzt zum Anfang der "einzigen" Geschichtskonstruktion und Namengebung zurück. Das Kind wird Neger, der Jüngling Mongole. Siehe die Ökonomie des Alten Bundes.

"Die geschichtliche Reflexion über Unser Mongolentum, welche Ich an dieser Stelle episodisch einlegen will, gebe Ich nicht mit dem Anspruche auf Gründlichkeit oder auch nur auf Bewährtheit, sondern lediglich darum, weil Mich dünkt, sie könne zur Verdeutlichung des Übrigen beitragen." p. 87.

Sankt Max sucht sich seine Phrasen über Kind und Jüngling zu "verdeutlichen", indem er ihnen weltumfassende Namen gibt, und diese weltumfassenden Namen, indem er ihnen seine Phrasen über Kind und Jüngling unterschiebt. "Die Negerhaftigkeit stellt dar das Altertum, die Abhängigkeit von den Dingen" (Kind); "die Mongolenhaftigkeit die Zeit der Abhängigkeit von Gedanken, die christliche" (Jüngling). (Vergl. "Ökonomie des Alten Bundes".) "Der Zukunft sind die Worte vorbehalten: Ich bin Eigner der Welt der Dinge, und Ich bin Eigner der Welt der Gedanken." (p. 87,88.) Diese "Zukunft" hat <147> sich bereits einmal auf p. 20 bei Gelegenheit des Mannes zugetragen und wird sich später noch einmal, von p. 226 an, ereignen.

Erste "geschichtliche Reflexion ohne Anspruch auf Gründlichkeit oder auch nur auf Bewährtheit". Weil Ägypten zu Afrika gehört, wo die Neger hausen, so "fallen" p. 88 die nie vorgekommenen "Züge des Sesostris" und die "Bedeutsamkeit Ägyptens" (auch unter den Ptolemäern, Napoleons Expedition nach Ägypten, Mehemet Ali, orientalische Frage, Duvergier de Haurannes Broschüren pp.) "und Nordafrikas überhaupt" (also Karthagos, Hannibals Zug nach Rom und "leicht auch" von Syrakus und Spanien, Vandalen, Tertullian, Mauren, Al Hussein Abu Ali Ben Abdallah Ebn Sina, Raubstaaten, Franzosen in Algier, Abd el Kâder, Père Enfantin und die vier neuen Kröten des "Charivari") "in das negerhafte Weltalter". p. 88. Also Stirner verdeutlicht hier die Züge des Sesostris pp., indem er sie in das negerhafte Zeitalter versetzt, und das negerhafte Weltalter, indem er es als historische Illustration zu seinen einzigen Gedanken "über Unsere Kinderjahre" "episodisch einlegt".

Zweite "geschichtliche Reflexion" "Dem mongolenhaften Weltalter gehören die Hunnen- und Mongolenzüge an, bis hinauf zu den Russen" (und Wasserpolacken), wo denn wieder die Hunnen- und Mongolenzüge nebst den Russen dadurch "verdeutlicht" werden, daß sie dem "mongolenhaften Weltalter" angehören, und das "mongolenhafte Weltalter" dadurch, daß es das Weltalter der schon als Jüngling aufgetretenen Phrase "Abhängigkeit von Gedanken" ist.

Dritte "geschichtliche Reflexion":

Im mongolenhaften Weltalter "kann der Wert Meiner unmöglich hoch angeschlagen werden, weil der harte Demant des Nicht-Ich zu hoch im Preise steht, weil es noch zu körnig und unbezwinglich ist, um von Mir absorbiert und verzehrt zu werden. Vielmehr kriechen die Menschen nur mit außerordentlicher Geschäftigkeit auf diesem Unbeweglichen, dieser Substanz, herum, wie Schmarotzertierchen auf einem Leibe, von dessen Säften sie Nahrung ziehen, ohne ihn deshalb aufzuzehren. Es ist die Geschäftigkeit des Ungeziefers, die Betriebsamkeit der Mongolen. Bei den Chinesen bleibt ja Alles beim Alten etc. - - Sonach" (weil bei den Chinesen Alles beim Alten bleibt) "ist in unsrem mongolischen Weltalter alle Veränderung nur eine reformatorische und ausbessernde, keine destruktive oder verzehrende oder vernichtende gewesen. Die Substanz, das Objekt bleibt. All unsre Betriebsamkeit ist nur Ameisentätigkeit und Flohsprung ... Jongleurkünste auf dem Seile des Objektiven" pp. (p. 88. Vgl. Hegel, Phil[osophie] der Gesch[ichte]" p. 113, 118, 119 (die undurchweichte Substanz), 140 etc., wo China als die "Substantialität" gefaßt wird.)

Also hier erfahren wir, daß in dem wahren kaukasischen Weltalter die Menschen die Maxime haben werden, die Erde, die "Substanz", "das <148> Objekt", das "Unbewegliche" zu verschlingen, "verzehren", "vernichten", "absorbieren", "destruieren", und mit der Erde zugleich das nicht von ihr zu trennende Sonnensystem. Der weltverschlingende "Stirner" hat uns die "reformatorische oder ausbessernde Tätigkeit" des Mongolen bereits als "Welterlösungs- und WeltverbesserungspIäne" des Jünglings und Christen p. 36 vorgeführt. Wir sind also noch immer keinen Schritt weiter. Charakteristisch für die ganze "einzige" Geschichtsauffassung ist, daß die höchste Stufe dieser mongolischen Tätigkeit den Namen der "wissenschaftlichen" verdient - woraus schon jetzt zu folgern ist, was Sankt Max uns später sagt, daß die Vollendung des mongolischen Himmels das Hegelsche Geisterreich ist.

Vierte "geschichtliche Reflexion". Die Welt, auf der die Mongolen herumkriechen, verwandelt sich jetzt vermittelst eines "Flohsprungs" in "das Positive", dies in "die Satzung", und die Satzung wird vermittelst eines Absatzes p. 89 zur "Sittlichkeit". "Diese gibt sich in ihrer ersten Form als Gewohnheit" - sie tritt also als Person auf; flugs verwandelt sie sich aber in einen Raum. "Nach seines Landes Sitte und Gewohnheit handeln, heißt da" (nämlich in der Sittlichkeit) "sittlich sein". "Darum" (weil dies in der Sittlichkeit als Gewohnheit passiert) "wird ein lauteres, sittliches Handeln am schlichtesten in - - China geübt!"

Sankt Max ist unglücklich in seinen Exempeln. p. 116 schiebt er ebenso den Nordamerikanern die "Religion der Rechtschaffenheit" unter. Er hält die beiden spitzbübischsten Völker der Erde, die patriarchalischen Betrüger, die Chinesen, und die zivilisierten Betrüger, die Yankees, für "schlicht", "sittlich" und "rechtschaffen". Hätte er seine Eselsbrücke nachgesehen, so hätte er die Nordamerikaner p. 81 der "Philosophie der Geschichte" und die Chinesen p. 130 ibid. als Betrüger klassifiziert finden können.

Freund "Man" verhilft dem heiligen Biedermann jetzt auf die Neuerung; von dieser bringt ihn ein "Und" wieder auf die Gewohnheit, und somit ist das Material präpariert, um in der

Fünften geschichtlichen Reflexion einen Hauptcoup vollziehen zu können. "Es unterliegt auch in der Tat keinem Zweifel, daß der Mensch sich durch Gewohnheit gegen die Zudringlichkeit der Dinge[,] der Welt sichert" - z.B. gegen den Hunger -

"und" - wie hieraus ganz natürlich folgt -

"eine eigne Welt gründet" - die "Stirner" jetzt nötig hat -"

in welcher er allein heimisch und zu Hause ist" - "allein", nachdem er sich erst durch "Gewohnheit" in der bestehenden "Welt" "heimisch" gemacht hat -

"d.h. sich einen Himmel gründet" - weil China das himmlische Reich heißt. -

<149> "Hat ja doch der Himmel keinen andern Sinn als den, daß er die eigentliche Heimat des Menschen ist" - wo er im Gegenteil die vorgestellte Uneigentlichkeit der eigentlichen Heimat zum Sinn hat -

"worin ihn Nichts Fremdes mehr bestimmt" - d.h. worin ihn das Eigne als Fremdes bestimmt, und wie die nun in Gang gebrachte Leier weiter heißt. "Vielmehr", um mit Sankt Bruno, oder "etwa leicht", um mit Sankt Max zu sprechen, müßte dieser Satz so heißen:

Stirnerscher Satz, ohne Anspruch auf Gründlichkeit oder auch nur auf Bewährtheit

Geläuterter Satz

"Es unterliegt auch in der Tat keinem Zweifel, daß der Mensch sich durch Gewohnheit gegen die Zudringlichkeit der Dinge, der Welt, sichert und eine eigne gründet, in welcher er allein heimisch und zu Hause ist, d.h. sich einen Himmel erbaut. Hat ja doch der "Himmel keinen andern Sinn als den, daß er die eigentliche Heimat des Menschen sei, worin ihn nichts Fremdes mehr bestimmt und beherrscht, kein Einfluß des Irdischen mehr ihn selbst entfremdet, kurz, worin die Schlacken des Irdischen abgeworfen sind und der Kampf gegen die Welt ein Ende gefunden hat, worin ihm also nichts mehr versagt ist." p. 89.  

 

"Es unterliegt auch in der Tat keinem Zweifel", daß, weil China das himmlische Reich heißt, weil "Stirner" gerade von China spricht und "gewohnt" ist, sich durch Unwissenheit "gegen die Zudringlichkeit der Dinge, der Welt, zu sichern und eine eigne Welt zu gründen, in welcher er allein heimisch und zu Hause ist", er sich aus dem himmlischen Reich China "einen Himmel erbaut. Hat ja doch" die Zudringlichkeit der Welt, der Dinge, "keinen andern Sinn als den, daß" sie "die eigentliche" Hölle des Einzigen "sind, worin ihn "Alles als "Fremdes bestimmt und beherrscht", die er sich aber dadurch in einen "Himmel" zu verwandeln weiß, daß er sich allem "Einfluß der irdischen", geschichtlichen Tatsachen und Zusammenhänge "entfremdet", daher sich also nicht mehr vor ihnen befremdet, "kurz, wo die Schlacken des Irdischen", Historischen "abgeworfen sind und" Stirner im "Ende" "der Welt" keinen "Kampf" mehr "findet , womit also Alles gesagt ist.

Sechste "geschichtliche Reflexion". p. 90 bildet sich Stirner ein:

"In China ist für Alles vorgesehen; was auch kommen mag, es weiß der Chinese immer, wie er sich zu verhalten hat, und er braucht sich nicht erst nach den Umständen zu bestimmen; aus dem Himmel seiner Ruhe stürzt ihn kein unvorhergesehener Fall."

<150> Auch kein englisches Bombardement - er wußte ganz genau, "wie er sich zu verhalten hatte", besonders den ihm unbekannten Dampfschiffen und Schrapnell-Bomben gegenüber.

Sankt Max hat dies sich aus Hegels "Philosophie der Geschichte" p. 118 und p. 127 abstrahiert, wo er freilich einiges Einzige hinzufügen mußte, um seine obige Reflexion zustande zu bringen.

"Mithin", fährt Sankt Max fort, "besteigt die Menschheit auf der Stufenleiter der Bildung durch die Gewohnheit die erste Sprosse, und da sie sich vorstellt, im Erklimmen der Kultur zugleich den Himmel, das Reich der Kultur oder zweiten Natur zu erklimmen, so besteigt sie wirklich die erste Sprosse der - Himmelsleiter." p. 90.

"Mithin", d.h. weil Hegel mit China die Geschichte anfängt und weil "der Chinese nicht außer Fassung kommt", verwandelt "Stirner" die Menschheit in eine Person, die "auf der Stufenleiter der Kultur die erste Sprosse" ersteigt, und zwar "durch die Gewohnheit", weil China für Stirner keine andre Bedeutung hat, als "die Gewohnheit" zu sein. Jetzt handelt es sich für unsren Eiferer gegen das Heilige nur noch darum, die "Stufenleiter" in die "Himmelsleiter" zu verwandeln, da China auch noch den Namen des Himmlischen Reichs führt. "Da die Menschheit sich vorstellt" ("woher nur" Stirner "Alles das weiß, was" die Menschheit sich vorstellt, Wigand, p. 189) - was Stirner zu beweisen hatte - erstens "die Kultur" in "den Himmel der Kultur" und zweitens "den Himmel der Kultur" in "die Kultur des Himmels" zu verwandeln (eine angebliche Vorstellung der Menschheit, die p. 91 als Vorstellung Stirners auftritt und dadurch ihren richtigen Ausdruck erhält), "so besteigt sie wirklich die erste Sprosse der Himmelsleiter." Da sie sich vorstellt, die erste Sprosse der Himmelsleiter zu besteigen - - so - - besteigt sie sie wirklich! "Da" "der Jüngling" "sich vorstellt", reiner Geist zu werden, wird er es wirklich! Siehe "Jüngling" und "Christ" über den Übergang aus der Welt der Dinge in die Welt des Geistes, wo sich die einfache Formel für diese Himmelsleiter der "einzigen" Gedanken vorfindet.

Siebente geschichtliche Reflexion. p. 90. "Hat das Mongolentum" (folgt unmittelbar auf die Himmelsleiter, womit nämlich "Stirner" vermittelst der angeblichen Vorstellung der Menschheit ein geistiges Wesen konstatiert hat) - "hat das Mongolentum das Dasein geistiger Wesen festgestellt" (vielmehr "Stirner" seine Einbildung vom geistigen Wesen der Mongolen festgestellt), "so haben die Kaukasier Jahrtausende mit diesen geistigen Wesen gerungen, um ihnen auf den Grund zu kommen." (Jüngling, der zum Manne wird und "hinter die Gedanken zu kommen", Christ, der die "Tiefen der Gottheit zu ergründen" "allezeit trachtet".) Weil die Chinesen das Dasein Gott weiß welcher geistigen Wesen konstatiert haben ("Stirner" konstatiert <151> außer seiner Himmelsleiter kein einziges), so müssen die Kaukasier Jahrtausende sich mit "diesen" chinesischen "geistigen Wesen" herumzanken; ja, Stirner konstatiert zwei Zeilen weiter, daß sie wirklich den "mongolischen Himmel, den Thiän, gestürmt haben", und fährt fort: "Wann werden sie diesen Himmel vernichten, wann werden sie endlich wirkliche Kaukasier werden und sich selber finden?" Hier haben wir die negative Einheit, die früher schon als Mann auftrat, als "wirklichen Kaukasier", d.h. als nicht negerhaften, nicht mongolischen - als kaukasischen Kaukasier, der hier also als Begriff, als Wesen von den wirklichen Kaukasiern getrennt, ihnen entgegengestellt wird als "Ideal des Kaukasiers", als "Beruf", in dem "sie sich selber finden" sollen, als "Bestimmung", "Aufgabe", als "das Heilige", "der heilige" Kaukasier, "der vollendete" Kaukasier, "welcher eben der" Kaukasier "im Himmel - Gott ist".

"Im industriösen Ringen der mongolischen Rasse hatten die Menschen einen Himmel erbaut" - so glaubt p. 91 "Stirner", der es vergißt, daß die wirklichen Mongolen viel mehr mit den Hämmeln, als mit den Himmeln zu haben - "als die vom kaukasischen Stamme, solange sie - - es mit dem Himmel zu tun haben - - die himmelstürmende Tätigkeit übernahmen." Hatten Himmel erbaut, als - -, solange haben, - - übernahmen. Die anspruchslose "geschichtliche Reflexion" drückt sich in einer consecutio temporum <Aufeinanderfolge der grammatischen Zeitformen> die ebenfalls keinen "Anspruch" auf Klassizität "oder auch nur" auf grammatische Richtigkeit "macht"; der Konstruktion der Geschichte entspricht die Konstruktion der Sätze; "darauf beschränken sich" "Stirners" "Ansprüche" und "erreichen damit ihr letztes Absehen".

Achte geschichtliche Reflexion, die die Reflexion der Reflexionen, das Alpha und Omega der ganzen Stirnerschen Geschichte ist: Jacques le bonhomme sieht in der ganzen bisherigen Völkerbewegung, was wir ihm von Anfang an nachweisen, nur eine Aufeinanderfolge von Himmeln (p. 91), was auch so ausgedrückt werden kann, daß die bisherigen aufeinanderfolgenden Generationen kaukasischer Rasse weiter nichts taten als sich mit dem Begriff der Sittlichkeit herumzanken (p. 92) und daß "darauf sich ihre Tat beschränkt" (p. 91). Hätten sie sich die leidige Sittlichkeit, diesen Spuk, aus dem Kopfe geschlagen, so würden sie es zu etwas gebracht haben; so aber kamen sie zu Nichts und wieder Nichts und müssen sich von Sankt Max wie Schuljungen ein Pensum stellen lassen. Dieser seiner Geschichtsanschauung entspricht denn vollständig, daß am Schluß (p. 92) die spekulative Philosophie heraufbeschworen wird, damit "in ihr dies Himmelreich, das Reich der Geister und <152> Gespenster, seine rechte Ordnung finde" - und an einer späteren Stelle als das "vollendete Geisterreich" selbst gefaßt wird.

Warum man, wenn man die Geschichte in Hegelscher Manier auffaßt, zuletzt zu dem in der spekulativen Philosophie vollendeten und in Ordnung gebrachten Geisterreich als dem Ergebnis der bisherigen Geschichte kommen mußte - dies Geheimnis konnte "Stirner" bei Hegel selbst sehr einfach enthüllt finden. Um zu diesem Resultat zu kommen, "muß der Begriff des Geistes zugrunde gelegt und nun gezeigt werden, daß die Geschichte der Prozeß des Geistes selbst ist". ("Gesch[ichte] der Phil[osophie]" III, p. 9l) Nachdem "der Begriff des Geistes" der Geschichte als Grundlage untergeschoben worden ist, kann man natürlich sehr leicht "zeigen", daß er sich überall wiederfindet, und dies dann als einen Prozeß "seine rechte Ordnung finden" lassen.

Jetzt kann Sankt Max, nachdem er Alles "seine rechte Ordnung hat finden" lassen, begeistert ausrufen: "Dem Geiste Freiheit erwerben wollen, das ist Mongolentum" usw. (vergl. p. 17: "Den reinen Gedanken zutage zu fördern etc., das ist Jünglingslust" etc.) und die Heuchelei begehen, zu sagen: "Es springt daher in die Augen, daß das Mongolentum -- die Unsinnlichkeit und Unnatur repräsentiere" etc. - wo er hätte sagen müssen: Es springt in die Augen, daß der Mongole nur der verkleidete Jüngling ist, der als Negation der Welt der Dinge auch "Unnatur", "Unsinnlichkeit" etc. genannt werden kann.

Wir sind jetzt wieder so weit, daß der "Jüngling" in den "Mann" übergehen kann: "Wer aber wird den Geist in sein Nichts auflösen? Er, der mittelst des Geistes die Natur als das Nichtige, Endliche, Vergängliche darstellte" (d.h. sich vorstellte - und dies tat nach p. 16 ff. der Jüngling, später der Christ, dann der Mongole, dann der mongolenhafte Kaukasier, eigentlich aber nur der Idealismus), "er kann allein auch den Geist zu gleicher Nichtigkeit" (nämlich in seiner Einbildung) "herabsetzen" (also der Christ pp.? Nein, ruft "Stirner", mit einer ähnlichen Eskamotage wie p. 19/20 beim Mann), "Ich kann es, Jeder unter Euch kann es, der als unumschränktes Ich waltet und schafft" (in seiner Einbildung), "es kann's mit Einem Worte - der Egoist" (p. 93) - also der Mann, der kaukasische Kaukasier, der sonach der vollendete Christ, der rechte Christ, der Heilige, das Heilige ist.

Ehe wir auf die weitere Namengebung eingehen, "wollen wir an dieser Stelle" ebenfalls "eine geschichtliche Reflexion" über den Ursprung von Stirners "geschichtlicher Reflexion über Unser Mongolentum einlegen", die sich aber von der Stirnerschen dadurch unterscheidet, daß sie allerdings "Anspruch auf Gründlichkeit und Bewährtheit macht". Seine ganze geschichtliche Reflexion, wie die über die "Alten", ist aus Hegel zusammengebraut. <153> "Die Negerhaftigkeit wird darum als "das Kind" aufgefaßt, weil Hegel, Phil[osophie] d[er] Gesch[ichte]" p. 89, sagt:

"Afrika ist das Kinderland der Geschichte." "Bei der Bestimmung des afrikanischen" (negerhaften) "Geistes müssen wir auf die Kategorie der Allgemeinheit ganz Verzicht leisten" p. 90 - d.h. das Kind oder der Neger hat zwar Gedanken, aber noch nicht den Gedanken. "Bei den Negern ist das Bewußtsein noch nicht zu einer festen Objektivität gekommen, wie z.B. Gott, Gesetz, worin der Mensch die Anschauung seines Wesens hätte" - - "wodurch ganz das Wissen von einem absoluten Wesen fehlt. Der Neger stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Unbändigkeit dar." (p. 90.) "Obgleich sie sich der Abhängigkeit vom Natürlichen" (den Dingen, wie "Stirner" sagt) "bewußt sein müssen, so führt dies doch nicht zum Bewußtsein eines Höheren." p. 91.

Hier finden wir sämtliche Stirnersche Bestimmungen des Kindes und Negers wieder - Abhängigkeit von den Dingen, Unabhängigkeit von Gedanken, speziell von "dem Gedanken", "dem Wesen", "dem absoluten" (heiligen) "Wesen" pp.

Die Mongolen und speziell die Chinesen fand er bei Hegel als den Anfang der Geschichte vor, und da diesem ebenfalls die Geschichte eine Geistergeschichte (nur nicht so kindisch wie "Stirners") ist, so versteht es sich von selbst, daß die Mongolen den Geist in die Geschichte gebracht haben und die Urrepräsentanten alles "Heiligen" sind. Speziell faßt Hegel noch p. 110 "das mongolische Reich" (des Dalai Lama) als "das geistliche", das "Reich der theokratischen Herrschaft", ein "geistiges, religiöses Reich" - gegenüber dem chinesischen weltlichen Reich. "Stirner" muß natürlich China mit den Mongolen identifizieren. p. 140 kommt bei Hegel sogar "das mongolische Prinzip" vor, woraus "Stirner" das "Mongolentum" macht. Wenn er übrigens einmal die Mongolen auf die Kategorie "der Idealismus" reduzieren wollte, so konnte er in der Dalai-Lama-Wirtschaft und dem Buddhismus ganz andere "geistige Wesen" "festgestellt finden" als seine gebrechliche "Himmelsleiter". Aber er hatte nicht einmal die Zeit, die Hegelsche Geschichtsphilosophie ordentlich anzusehen. Die Eigenheit und Einzigkeit des Stirnerschen Verhaltens zur Geschichte besteht darin, daß der Egoist sich in einen "unbeholfenen" Kopisten Hegels verwandelt.

b) Katholizismus und Protestantismus

(Vgl. die "Ökonomie des Alten Bundes")

Was wir hier Katholizismus nennen, nennt "Stirner" "das Mittelalter"; da er aber das heilige, religiöse Wesen des Mittelalters, die Religion des Mittelalters, mit dem wirklichen, profanen, leibhaftigen Mittelalter <154> verwechselt (wie "in Allem"), geben wir der Sache lieber gleich ihren richtigen Namen.

"Das Mittelalter" war "eine lange Zeit, in der man sich mit dem Wahne begnügte" (weiter verlangte und tat man Nichts), "die Wahrheit zu haben, ohne daß man ernstlich daran dachte, ob man selbst wahr sein müßte, um die Wahrheit zu besitzen." - - "Im Mittelalter kasteite man" (also das ganze Mittelalter) "sich, um fähig zu werden, das Heilige in sich aufzunehmen." p. 108.

Hegel bestimmt das Verhältnis zum Göttlichen in der katholischen Kirche dahin,

"daß man sich zum Absoluten als bloß äußerlichem Ding verhalte" (Christentum in der Form des Äußerlichseins), "Gesch[ichte] der Phil[osophie]." III, p. 148 und anderwärts. Das Individuum muß allerdings gereinigt werden. um die Wahrheit aufzunehmen, aber "auch dies geschieht auf eine äußerliche Weise, durch Abkaufen, Abfasten, Abprügeln, Abmarschieren, Pilgrimschaft". (p. 140 ibid.)

Diesen Übergang macht "Stirner" durch:

"Wie man freilich auch sein Auge anstrengt, um das Entfernte zu sehen, - - so kasteite man sich etc."

Weil nun bei "Stirner" das Mittelalter mit dem Katholizismus identifiziert wird, endet es natürlich auch mit Luther. p. 108. Dieser selbst wird auf folgende, schon beim Jüngling, im Gespräch mit Szeliga und sonst vorgekommene Begriffsbestimmung reduziert:

"daß der Mensch, wenn er die Wahrheit auffassen wolle, ebenso wahr werden müsse wie die Wahrheit selbst. Nur wer die Wahrheit schon im Glauben hat, kann ihrer teilhaftig werden."

Hegel sagt in bezug auf das Luthertum:

"Die Wahrheit des Evangeliums [...] existiert nur im wahrhaften Verhalten zu demselben. - - Das wesentliche Verhalten des Geistes ist nur für den Geist. - - Es ist also das Verhalten des Geistes zu diesem Inhalt, daß der Inhalt zwar wesentlich ist, daß aber ebenso wesentlich ist, daß der heilige und heiligende Geist sich zu ihm verhalte." ("Gesch. d. Phil." III. p. 234.) "Dies ist nun der lutherische Glaube - sein" (nämlich des Menschen) "Glaube ist gefordert und kann allein wahrhaft in Betracht kommen." (l.c.p. 230.) "Luther - - behauptet: daß das Göttliche nur insofern göttlich ist, als es in dieser subjektiven Geistigkeit des Glaubens genossen wird." (l.c.p. 138.) "Die Lehre der" (katholischen) "Kirche ist die Wahrheit als vorhandene Wahrheit." ("Ph[ilosophie] der Rel[igion]" II, p. 331.)

"Stirner" fährt fort:

"Demnach geht mit Luther die Erkenntnis auf, daß die Wahrheit, weil sie Gedanke ist, nur für den denkenden Menschen sei, und dies heißt, daß der Mensch einen <155> schlechterdings andern Standpunkt einnehmen müsse, den gläubigen" (per appos[itionem]), "wissenschaftlichen, oder den Standpunkt des Denkens gegenüber seinem Gegenstande, dem Gedanken." p. 110.

Außer der Wiederholung, die "Stirner" hier wieder "einlegt", ist nur der Übergang vom Glauben zum Denken zu beachten. Diesen Übergang macht Hegel wie folgt:

"Dieser Geist" (nämlich der heilige und heiligende Geist) "ist zweitens aber wesentlich auch denkender Geist. Das Denken als solches muß sich auch darin entwickeln etc." p. 234.

"Stirner" fährt fort:

"Dieser Gedanke" ("daß Ich Geist bin, nur Geist") "durchzieht die Reformationsgeschichte bis heute." p. 111.

Eine andre Geschichte als die Reformationsgeschichte existiert für "Stirner" vom sechzehnten Jahrhundert an nicht - und auch diese bloß in der Auffassung, in der Hegel sie darstellt.

Sankt Max hat wieder seinen Riesenglauben bewiesen. Er hat wieder sämtliche Illusionen der deutschen spekulativen Philosophie wörtlich für wahr genommen, ja er hat sie noch spekulativer, noch abstrakter gemacht. Für ihn existiert nur die Geschichte der Religion und Philosophie - und diese existiert nur durch Hegel für ihn, der mit der Zeit zur allgemeinen Eselsbrücke, zum Konversationslexikon aller neuen deutschen Prinzipspekulanten und Systemfabrikanten geworden ist.

Katholizismus = Verhalten zur Wahrheit als Ding, Kind, Neger, "Alter".
Protestantismus = Verhalten zur Wahrheit im Geist, Jüngling, Mongole, "Neuer".

Die ganze Konstruktion war überflüssig, da dies Alles schon beim "Geist" dagewesen war.

Wie schon in der "Ökonomie des Alten Bundes" angedeutet, kann man nun innerhalb des Protestantismus wieder Kind und Jüngling in neuen "Wandlungen" auftreten lassen, wie "Stirner" dies p. 112 tut, wo er die englische, empirische Philosophie als Kind in Gegensatz zur deutschen, spekulativen Philosophie, dem Jüngling, faßt. Er schreibt hier wieder Hegel aus, der hier wie sonst "im Buche" sehr häufig als "Man" auftritt.

"Man" - d.h. Hegel - "verwies den Baco aus dem Reiche der Philosophie." "Und weiter scheint es allerdings dasjenige, was man englische Philosophie nennt, nicht gebracht zu haben als bis zu den Entdeckungen sogenannter offner Köpfe wie Bacon und Hume" (p. 112) -

was Hegel so ausdrückt:

<156> "Bacon ist in der Tat eigentlich der Anführer und Repräsentant dessen, was in England Philosophie genannt wird und worüber die Engländer noch durchaus nicht hinausgekommen sind." "Gesch[ichte] d[er] Phil[osophie]", III, p. 254.

Was "Stirner" "offene Köpfe" nennt, nennt Hegel, l. c. p. 255, "gebildete Weltmänner" - diese verwandelt Sankt Max einmal auch in "die Einfalt des kindlichen Gemütes", weil die englischen Philosophen das Kind repräsentieren müssen. Aus demselben kindlichen Grunde darf "sich Baco nicht um die theologischen Fragen und Kardinalpunkte bekümmert" haben, was auch seine Schriften (speziell "De Augmentis Scientiarum", "Novum Organum" und die Essays) sagen mögen. Dagegen "sieht - - das deutsche Denken - - im Erkennen selbst erst das Leben" (p. 112), denn es ist der Jüngling. Ecce iterum Crispinus! <übertragen: "Wieder dieselbe Figur!">

Wie Stirner den Cartesius in einen deutschen Philosophen verwandelt, kann man "im Buche" p. 112 selbst nachsehen.

D) Die Hierarchie

Jacques le bonhomme faßt in der bisherigen Darstellung die Geschichte nur als das Produkt abstrakter Gedanken - oder vielmehr seiner Vorstellungen von den abstrakten Gedanken -, als beherrscht von diesen Vorstellungen, die sich alle in letzter Instanz in "das Heilige" auflösen. Diese Herrschaft des "Heiligen", des Gedankens, der Hegelschen absoluten Idee über die empirische Welt stellt er nun als gegenwärtiges historisches Verhältnis dar, als Herrschaft der Heiligen, Ideologen über die profane Welt - als Hierarchie. In dieser Hierarchie haben wir das, was früher nacheinander erschien, nebeneinander, so daß eine der beiden koexistierenden Entwicklungsformen über die andre herrscht. So herrscht also der Jüngling über das Kind, der Mongole über den Neger, der Neue über den Alten, der aufopfernde Egoist (citoyen) über den Egoisten im gewöhnlichen Verstande (bourgeois) etc. - siehe die "Ökonomie des Alten Bundes". Die "Vernichtung" der "Welt der Dinge" durch die "Welt des Geistes" tritt hier als "Herrschaft" der "Welt der Gedanken" über die "Welt der Dinge" auf. Es muß natürlich dahin kommen, daß die Herrschaft, die die "Welt der Gedanken" von Anfang an in der Geschichte führt, am Ende derselben auch als wirkliche, faktisch existierende Herrschaft der Denkenden - und wie wir sehen werden, in letzter Instanz der spekulativen Philosophen - über die Welt der Dinge dargestellt wird, so daß Sankt Max dann nur noch gegen Gedanken und Vorstellungen der Ideologen zu kämpfen und sie zu überwinden hat, um sich zum "Eigner der Welt der Dinge und der Welt der Gedanken" zu machen.

<157> "Hierarchie ist Gedankenherrschaft, Herrschaft des Geistes. Hierarchisch sind wir bis auf diesen Tag, unterdrückt von denen, die sich auf Gedanken stützen, und Gedanken sind" - wer hat das nicht längst gemerkt - "das Heilige." (p. 97.) (Stirner hat vor dem Vorwurf, als mache er in seinem ganzen Buch nur "Gedanken", d.h. "das Heilige", dadurch zu bewahren gesucht, daß er darin wirklich nirgendwo Gedanken macht. Allerdings schreibt er sich bei Wigand "Virtuosität im Denken", d.h. nach ihm in der Fabrikation "des Heiligen" zu - und das letztere wird ihm konzediert.) - "Hierarchie ist Oberherrlichkeit des Geistes." p. 467. - "Jene mittelaltrige Hierarchie war nur eine schwächliche Hierarchie gewesen, da sie alle mögliche Barbarei des Profanen unbezwungen neben sich hergehen lassen mußte" ("woher nur Stirner das alles weiß, was die Hierarchie mußte", wird sich gleich finden), "und erst die Reformation stählte die Kraft der Hierarchie." p. 110. "Stirner" meint nämlich, "die Geisterherrschaft sei nie zuvor so umfassend und allmächtig gewesen" als nach der Reformation; er meint, daß diese Geisterherrschaft, "statt das religiöse Prinzip von Kunst, Staat und Wissenschaft loszureißen, vielmehr diese ganz aus der Wirklichkeit in das Reich des Geistes erhob und religiös machte".

In dieser Auffassung der neueren Geschichte ist nur wieder die alte Illusion der spekulativen Philosophie über die Herrschaft des Geistes in der Geschichte breitgetreten. Ja, diese Stelle zeigt sogar, wie der gläubige Jacques le bonhomme fortwährend die ihm von Hegel überkommene, für ihn traditionell gewordene Weltanschauung für die Wirkliche Welt auf Treu und Glauben annimmt und nun von diesem Boden aus "machiniert". Was an dieser Stelle "eigen" und "einzig" erscheinen könnte, ist die Auffassung dieser Geistesherrschaft als Hierarchie - und hier wollen wir wiederum eine kurze "geschichtliche Reflexion" über den Ursprung der Stirnerschen "Hierarchie" "einlegen".

Hegel spricht sich in folgenden "Wandlungen" über die Philosophie der Hierarchie aus:

 "Wir haben bei Plato in seiner Republik die Idee gesehen, daß die Philosophen regieren sollen; jetzt" (im katholischen Mittelalter) "ist die Zeit, wo es ausgesprochen wird, daß das Geistige herrschen solle; aber das Geistige hat den Sinn erhalten, daß das Geistliche, die Geistlichen herrschen sollen. Das Geistige ist so zur besondern Gestalt, zum Individuum gemacht." ("Gesch[ichte] d[er] Phil[osophie]" III, p. 132.) - "Die Wirklichkeit, das Irdische, ist damit gottverlassen - - einzelne wenige Individuen sind heilig, die Andern unheilig." (l. c. p. 136.) Die "Gottverlassenheit" wird näher so bestimmt. "Alle diese Formen" (Familie, Arbeit, Staatsleben etc.) "gelten als nichtige, unheilige." ("Phil[osophie] d[er] Rel[igion]" II, p. 343.) - "Es ist eine Vereinigung mit der Weltlichkeit, die unversöhnt ist, die Weltlichkeit roh in sich" (wofür Hegel sonst das Wort Barbarei braucht, vergl. z.B. "Gesch. d. Phil." III, p. 136). "und die roh in sich nur beherrscht wird." ("Phil. d. Rel." II, p. 342, 343.) - "Diese Herrschaft" (die Hierarchie der katholischen Kirche) "ist also, obgleich sie Herrschaft des <158> Geistigen sein soll, eine Herrschaft der Leidenschaft." ("Gesch. d. Phil." III. p. 134.) - "Die wahrhafte Herrschaft des Geistes kann aber nicht Herrschaft des Geistes in dem Sinne sein, daß das Gegenüberstehende ein Unterworfenes ist." (l. c. p. 131.) "Der rechte Sinn ist, daß das Geistige als solches" (nach "Stirner" "das Heilige") "das Bestimmende sein soll, was bis auf unsere Zeiten gegangen ist: So sehen wir in der französischen Revolution" (was "Stirner" Hegel nachsieht), "daß der abstrakte Gedanke herrschen soll; nach ihm sollen Staatsverfassungen und Gesetze bestimmt werden, er soll das Band unter den Menschen ausmachen, und das Bewußtsein der Menschen soll sein, daß das, was unter ihnen gilt, abstrakte Gedanken sind, Freiheit und Gleichheit etc." ("Gesch. d. Phil." III, p. 132.) Die wahre Herrschaft des Geistes im Gegensatz zu ihrer unvollkommenen Form in der katholischen Hierarchie, wie sie durch den Protestantismus herbeigeführt wird, wird weiter dahin bestimmt, daß "das Weltliche in sich vergeistigt wird". ("Gesch. d. Phil." III, p. 185.) "Daß das Göttliche sich im Felde der Wirklichkeit realisiert" (also die katholische Gottverlassenheit der Wirklichkeit aufhört - "Phil. d. Rel." II, p. 343); daß der "Widerspruch" zwischen Heiligkeit und Weltlichkeit "sich auflöst in der Sittlichkeit" ("Phil.d. Rel." II, p. 343); daß "die Institutionen der Sittlichkeit" (Ehe, Familie, Staat, Selbsterwerb etc.) "göttliche, heilige" sind. ("Phil. d. Rel." II, p. 344.) Diese wahre Herrschaft des Geistes spricht Hegel in zwei Formen aus: "Staat, Regierung, Recht, Eigentum, bürgerliche Ordnung" (und wie wir aus andern Werken von ihm wissen, auch Kunst, Wissenschaft etc.), "alles dies ist das Religiöse - - herausgetreten in die Form der Endlichkeit." ("Gesch. d. Ph." III, p. 185.) Und diese Herrschaft des Religiösen, Geistigen etc. wird endlich ausgesprochen als die Herrschaft der Philosophie: "Das Bewußtsein des Geistigen ist jetzt" (im achtzehnten Jahrhundert) "wesentlich das Fundament, und die Herrschaft ist dadurch der Philosophie geworden." ("Phil. d. Gesch." p. 440.)

Hegel schiebt also der katholischen Hierarchie des Mittelalters die Absicht unter, als hätte sie "die Herrschaft des Geistes sein" wollen, und faßt sie demnächst als eine beschränkte, unvollkommene Form dieser Geistesherrschaft, deren Vollendung er im Protestantismus und dessen angeblicher Ausbildung sieht. So unhistorisch dies ist, so ist er doch noch historisch genug, um den Namen der Hierarchie nicht über das Mittelalter hinaus auszudehnen. Sankt Max weiß aber aus ebendemselben Hegel, daß die spätere Epoche die "Wahrheit" der früheren ist, also die Epoche der vollkommenen Herrschaft des Geistes die Wahrheit der Epoche, in welcher der Geist nur noch unvollkommen herrschte, daß also der Protestantismus die Wahrheit der Hierarchie, also die wahre Hierarchie ist. Da aber nur die wahre Hierarchie den Namen der Hierarchie verdient, so ist es klar, daß die Hierarchie des Mittelalters eine "schwächliche" sein mußte, was ihm um so leichter zu beweisen wird, als in den obigen und hundert andern Hegelschen Stellen die Unvollkommenheit der Geistesherrschaft im Mittelalter dargestellt war, was er nur abzuschreiben brauchte und wobei seine ganze "eigne" Tätigkeit darin bestand, das Wort <159> "Geistesherrschaft" durch "Hierarchie" zu ersetzen. Die einfache Schlußfolge, durch welche sich ihm die Geistesherrschaft schlechthin in die Hierarchie verwandelte, brauchte er nicht einmal zu machen, nachdem es unter den deutschen Theoretikern Mode geworden war, die Wirkung mit dem Namen der Ursache zu belegen und Alles z.B. in die Kategorie der Theologie zurückzuwerfen, was aus der Theologie hervorgegangen war und noch nicht ganz auf der Höhe der Prinzipien dieser Theoretiker stand - z.B. die Hegelsche Spekulation, den Straußischen Pantheismus pp. - ein Kunststück, das namentlich im Jahre 1842 an der Tagesordnung war. Aus den obigen Stellen geht ebenfalls hervor, daß Hegel 1. die französische Revolution als eine neue und vollendetere Phase dieser Geistesherrschaft faßt, 2. in den Philosophen die Weltherrscher des neunzehnten Jahrhunderts sieht, 3. behauptet, daß jetzt nur abstrakte Gedanken unter den Menschen gelten, 4. daß schon bei ihm Ehe, Familie, Staat, Selbsterwerb, bürgerliche Ordnung, Eigentum pp. als "Göttlich und Heilig", als "das Religiöse" gefaßt werden, und 5. daß die Sittlichkeit als verweltlichte Heiligkeit oder geheiligte Weltlichkeit, als die höchste und letzte Form der Herrschaft des Geistes über die Welt dargestellt wird - Alles Dinge, die wir bei "Stirner" wörtlich wiederfinden.

Hiernach wäre in Beziehung auf die Stirnersche Hierarchie gar nichts mehr zu sagen und nachzuweisen, als warum Sankt Max Hegel abgeschrieben hat - ein Faktum, zu dessen Erklärung aber wieder materielle Fakta notwendig sind und das deshalb nur für diejenigen erklärlich ist, die die Berliner Luft kennen. Eine andre Frage ist, wie die Hegelsche Vorstellung von der Herrschaft des Geistes zustande kommt, und hierüber siehe oben.

Die Adoption der Hegelschen Weltherrschaft der Philosophen und ihre Verwandlung in eine Hierarchie durch Sankt Max kommt vermittelst der gänzlich unkritischen Leichtgläubigkeit unsres Heiligen und durch eine "heilige" oder heillose Unwissenheit zustande, die sich damit begnügt, die Geschichte zu "durchschauen" (d.h. die Hegelschen geschichtlichen Sachen durchzuschauen), ohne von ihr viele "Dinge" zu "wissen". Überhaupt müßte er ja fürchten, sobald er "lernte" - sich nicht mehr "abschaffend und auflösend" (p. 96) zu verhalten, also in der "Geschäftigkeit des Ungeziefers" steckenzubleiben - Grund genug, um nicht zur "Abschaffung und Auflösung" seiner eignen Unwissenheit "weiterzugehen".

Macht man, wie Hegel, eine solche Konstruktion zum ersten Male für die ganze Geschichte und die gegenwärtige Weit in ihrem ganzen Umfange, so ist dies nicht möglich ohne umfassende positive Kenntnisse, ohne wenigstens stellenweise auf die empirische Geschichte einzugehen, ohne große Energie <160> und Tiefblick. Begnügt man sich dagegen, eine vorhandene überlieferte Konstruktion zu seinen eignen Zwecken zu exploitieren und umzuwandeln und diese "eigene" Auffassung an einzelnen Exempeln (z.B. Negern und Mongolen, Katholiken und Protestanten, der französischen Revolution pp.) nachzuweisen - und dies tut unser Eiferer wider das Heilige - so ist dazu durchaus keine Kenntnis der Geschichte nötig. Das Resultat dieser ganzen Exploitation wird notwendig komisch; am komischsten, wenn aus der Vergangenheit in die unmittelbarste Gegenwart hinübergesprungen wird, wie wir davon beim "Sparren" schon Exempel fanden.

Was nun die wirkliche Hierarchie des Mittelalters betrifft, so bemerken wir hier bloß, daß diese für das Volk, für die große Masse der Menschen nicht existierte. Für die große Masse existierte nur die Feudalität, und die Hierarchie nur, insofern sie selbst entweder Feudalität oder antifeudal (innerhalb der Feudalität) ist. Die Feudalität selbst hat ganz empirische Verhältnisse zu ihrer Grundlage. Die Hierarchie und ihre Kämpfe mit der Feudalität (die Kämpfe der Ideologen einer Klasse gegen die Klasse selbst) sind nur der ideologische Ausdruck der Feudalität und der innerhalb der Feudalität selbst sich entwickelnden Kämpfe, wozu auch die Kämpfe der feudalistisch organisierten Nationen unter sich gehören. Die Hierarchie ist die ideale Form der Feudalität; die Feudalität - die politische Form der mittelaltrigen Produktions- und Verkehrsverhältnisse. Aus der Darstellung dieser praktischen, materiellen Verhältnisse ist also allein der Kampf der Feudalität gegen die Hierarchie zu erklären; mit dieser Darstellung hört von selbst die bisherige Geschichtsauffassung auf, die die Illusionen des Mittelalters auf Treu und Glauben annahm, namentlich die Illusionen, die Kaiser und Papst in ihrem Kampfe gegeneinander geltend machen.

Da Sankt Max nur Hegels Abstraktionen über Mittelalter und Hierarchie auf "pomphafte Worte und armselige Gedanken" reduziert, ist keine Veranlassung gegeben, auf die wirkliche, geschichtliche Hierarchie weiter einzugehen.

Aus dem Obigen geht schon hervor, daß man das Kunststück auch umdrehen und den Katholizismus nicht nur als Vorstufe, sondern auch als Verneinung der wahren Hierarchie fassen kann; so ist also Katholizismus Negation des Geistes, Ungeist, Sinnlichkeit, und hierbei kommt dann der große Satz unsres Jacques le bonhomme heraus, daß die Jesuiten "Uns vor dem Verkommen und Untergang der Sinnlichkeit gerettet haben". (p. 118.) Was aus "Uns" geworden wäre, wenn der "Untergang" der Sinnlichkeit zustande gekommen, erfahren wir nicht. Die ganz[e] materielle Bewegung seit dem sechzehnten Jahrhundert, die "Uns" nicht vor dem "Verkommen" der Sinn- <161> lichkeit rettete, sondern im Gegenteil die "Sinnlichkeit" viel weiter ausbildete, existiert für "Stirner" nicht - es sind die Jesuiten, die alles das zustande gebracht haben. Man vergleiche übrigens Hegels "Phil[osophie] d[er] Gesch[ichte]", p. 425.

Indem Sankt Max die alte Pfaffenherrschaft in die neuere Zeit überträgt, hat er damit die neuere Zeit als "das Pfaffentum" aufgefaßt; und indem er diese in die neuere Zeit übertragene Pfaffenherrschaft wieder in ihrem Unterschiede von der alten mittelalterlichen Pfaffenherrschaft faßt, stellt er sie als Herrschaft der Ideologen, als "das Schulmeistertum" dar. So ist also Pfaffentum = Hierarchie als Geistesherrschaft, Schulmeistertum = Geistesherrschaft als Hierarchie.

Diesen einfachen Übergang auf das Pfaffentum, der gar kein Übergang ist, bringt "Stirner" in drei schweren Wandlungen fertig.

Zum ersten "hat" er den "Begriff des Pfaffentums" in Jedem, "der für eine große Idee, eine gute Sache" (noch immer die gute Sache!), "eine Lehre pp. lebt".

Zum Zweiten "stößt" Stirner in seiner Welt des Wahns auf "den uralten Wahn der Welt, die des Paffentums noch nicht entraten gelernt hat", nämlich "für eine Idee zu leben und zu schaffen pp.".

Zum Dritten "ist dies die Herrschaft der Idee oder das Pfaffentum", nämlich "Robespierre z.B." (zum Beispiel!), "St.-Just usw." (und so weiter!) "waren durch und durch Pfaffen" pp. Alle drei Wandlungen, in denen das Pfaffentum "entdeckt", "aufgestoßen" und "berufen" wird (alle p. 100), drücken also weiter Nichts aus als was Sankt Max uns bereits früher schon wiederholt gesagt hat, nämlich die Herrschaft des Geistes, der Idee, des Heiligen über das "Leben" (ibid.).

Nachdem so der Geschichte die "Herrschaft der Idee oder das Pfaffentum" ein mal untergeschoben ist, kann Sankt Max natürlich ohne Schwierigkeit in der ganzen bisherigen Geschichte "das Pfaffentum" wiederfinden, und "Robespierre z.B., St-Just usw." als Pfaffen darstellen und mit Innozenz III. und Gregor VII. identifizieren, wo somit alle Einzigkeit vor dem Einzigen verschwindet. Sie sind ja Alle eigentlich nur verschiedene Namen, verschiedene Verkleidungen einer Person, "des" Pfaffentums, das die ganze Geschichte vom Anfang des Christentums an gemacht hat. Wie man in dieser Art der Geschichtsauffassung "alle Kühe grau macht", indem man alle historischen Unterschiede "aufhebt" und in "den Begriff des Pfaffentums" "auflöst", davon gibt uns der heilige Max sogleich ein schlagendes Beispiel an "Robespierre z.B., St.-Just usw.". Hier wird uns zuerst Robespierre als "Beispiel" von Saint-Just und Saint-Just als "undsoweiter" von Robespierre <162> angeführt. Sodann heißt es: "Diesen Vertretern heiliger Interessen steht eine Welt zahlloser 'persönlicher', profaner Interessen gegenüber." Wer stand ihnen gegenüber? Die Girondins und Thermidoriens, die ihnen, den wirklichen Repräsentanten der revolutionären Force - d.h. der nur wirklich revolutionären Klasse, der "zahllosen" Masse - gegenüber beständig (siehe "Mémoires" de R. Levasseur "z.B.", "usw.", "d.h." Nougaret, "Hist[oire] des prisons" - Barère - "Deux amis de la liberté" (et du commerce) <(und des Handels)> - Montgaillard, "Hist[oire]de France" - Mme Roland, "Appel à la postérité" - "Mémoires" de J. B. Louvet - und selbst die ekelhaften "Essais historiques" par Beaulieu ppp., sowie sämtliche Verhandlungen vor dem Revolutionstribunal "usw.") die Verletzung der "heiligen Interessen", der Konstitution, der Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte, Republikanismus, Recht, sainte propriété <heiliges Eigentum>, "z.B." Teilung der Gewalten, Menschlichkeit, Sittlichkeit, Mäßigung "usw." vorwarfen. Ihnen standen gegenüber alle Pfaffen, die sie der Verletzung sämtlicher Haupt- und Nebenstücke des religiösen und moralischen Katechismus anklagten (siehe "z.B." "Histoire de clergé de France pendant la révolution" par M.R., Paris, libraire catholique 1828 "usw."). Die historische Glosse des Bürgers, daß während des règne de la terreur <Schreckensherrschaft> "Robespierre z.B., St.-Just usw." den honnêtes gens <anständigen Leuten> (siehe die unzähligen Schriften des einfältigen Herrn Peltier "z.B.", "Conspiration de Robespierre" par Montjoie "usw.") die Köpfe abschlugen, drückt der heilige Max in folgender Wandlung aus: "Weil die revolutionären Pfaffen oder Schulmeister dem Menschen dienten, darum schnitten sie den Menschen die Hälse ab." Hiermit ist Sankt Max natürlich der Mühe überhoben, über die wirklichen, empirischen, auf höchst profanen Interessen, freilich nicht der Agioteurs, sondern der "zahllosen" Masse basierten Gründe des Kopfabschlagens auch nur ein "einziges" Wörtlein zu verlieren. Ein früherer "Pfaffe", Spinoza, hatte bereits im siebzehnten Jahrhundert die Unverschämtheit, "ein Zuchtmeister" auf Sankt Max zu sein, indem er sagte: "Die Ignoranz ist kein Argument". Dafür haßt der heilige Max auch den Pfaffen Spinoza so sehr, daß er seinen Antipfaffen, den Pfaffen Leibniz, akzeptiert und für alle dergleichen wundersame Phänomene, wie der Terrorismus "z.B.", das Kopfabschlagen "usw. , einen "zureichenden Grund" produziert, nämlich, daß "die geistlichen Menschen sich so etwas in den Kopf gesetzt haben". (p. 98.)

Der selige Max, der für Alles den zureichenden Grund gefunden hat ("Ich habe nun den Grund gefunden, an dem Mein Anker ewig hält", wo anders <163> als in der Idee "z.B.", dem "Pfaffentum" "usw." von "Robespierre z.B." Saint-Just usw.", George Sand, Proudhon, die Berliner keusche Nähterin pp.), "verdenkt es der Bürgerklasse nicht, daß sie bei ihrem Egoismus anfragte, wie weit sie der revolutionären Idee Raum geben dürfe". Für Sankt Max ist "die revolutionäre Idee" der habits bleus und honnêtes gens von 1789 dieselbe "Idee" wie die der sansculottes von 1793, dieselbe Idee, worüber beraten wird, ob ihr "Raum zu geben" sei - worüber keiner "Idee" weiter "Raum gegeben" werden kann.

Wir kommen jetzt auf die gegenwärtige Hierarchie, die Herrschaft der Idee im gewöhnlichen Leben. Der ganze zweite Teil "des Buchs" wird von dem Kampfe gegen diese "Hierarchie" ausgefüllt. Wir gehen also erst in diesem zweiten Teil auf sie ein. Da indes Sankt Max gerade wie beim "Sparren" schon hier seine Ideen vorläufig genießt und im Anfange das Spätere wiederholt, wie im Späteren den Anfang, sind wir gezwungen, schon jetzt einige Exempel seiner Hierarchie zu konstatieren. Seine Methode des Buchmachens ist der einzige "Egoismus", der sich im ganzen Buche vorfindet. Sein Selbstgenuß und der Genuß des Lesers stehen in umgekehrtem Verhältnis.

Weil die Bürger Liebe zu ihrem Reich, ihrem Régime verlangen, wollen sie nach Jacques le bonhomme ein "Reich der Liebe auf Erden gründen" (p. 98). Weil sie Respekt vor ihrer Herrschaft und den Verhältnissen ihrer Herrschaft fordern, also die Herrschaft über den Respekt usurpieren wollen, verlangen sie nach demselben Biedermann die Herrschaft des Respekts schlechthin, verhalten sie sich zum Respekt als zum heiligen Geist, der in ihnen lebt (p. 95). Die verdrehte Form, worin die scheinheilige und heuchlerische Ideologie der Bourgeois ihre aparten Interessen als allgemeine Interessen ausspricht, wird von dem Berge versetzenden Glauben unsres Jacques le bonhomme als wirkliche, profane Grundlage der bürgerlichen Weit akzeptiert. Warum diese ideologische Täuschung bei unserm Heiligen gerade diese Form annimmt, werden wir heim "politischen Liberalismus" sehen.

Ein neues Beispiel gibt uns Sankt Max p. 115 in der Familie. Er erklärt, man könne sich zwar sehr leicht von der Herrschaft seiner eigenen Familie emanzipieren, aber "der aufgekündigte Gehorsam fährt Einem leicht ins Gewissen", und so hält man die Familienliebe, den Familienbegriff fest; man hat also den "heiligen Familienbegriff", "das Heilige" (p. 116).

Der gute Junge sieht hier wieder die Herrschaft des Heiligen, wo ganz empirische Verhältnisse herrschen. Der Bourgeois verhält sich zu den Institutionen seines Regimes wie der Jude zum Gesetz; er umgeht sie, sooft es tunlich ist, in jedem einzelnen Fall, aber er will, daß alle Andern sie halten <164> sollen. Wenn sämtliche Bourgeois in Masse und auf Einmal die Institutionen der Bourgeoisie umgingen, so würden sie aufhören, Bourgeois zu sein - ein Verhalten, das ihnen natürlich nicht einfällt und keineswegs von ihrem Wollen oder Laufen abhängt. Der liederliche Bourgeois umgeht die Ehe und begeht heimlichen Ehebruch; der Kaufmann umgeht die Institution des Eigentums, indem er Andre durch Spekulation, Bankerott pp. um ihr Eigentum bringt - der junge Bourgeois macht sich von seiner eignen Familie unabhängig, wenn kann, löst für sich die Familie praktisch auf; aber die Ehe, das Eigentum, die Familie bleiben theoretisch unangetastet, weil sie praktisch die Grundlagen sind, auf denen die Bourgeoisie ihre Herrschaft errichtet hat, weil sie in ihrer Bourgeoisform die Bedingungen sind, die den Bourgeois zum Bourgeois machen, gerade wie das stets umgangene Gesetz den religiösen Juden zum religiösen Juden macht. Dieses Verhältnis des Bourgeois zu seinen Existenzbedingungen erhält eine seiner allgemeinen Formen in der bürgerlichen Moralität. Es ist überhaupt nicht von "der" Familie zu sprechen. Die Bourgeoisie gibt historisch der Familie den Charakter der bürgerlichen Familie, worin die Langweile und das Geld das Bindende ist und zu welcher auch die bürgerliche Auflösung der Familie gehört, bei der die Familie selbst stets fortexistiert. Ihrer schmutzigen Existenz entspricht der heilige Begriff in offiziellen Redensarten und in der allgemeinen Heuchelei. Wo die Familie mit wirklich aufgelöst ist, wie im Proletariat, findet grade das Gegenteil von dem statt, was "Stirner" meint. Dort existiert der Familienbegriff durchaus nicht, während stellenweise allerdings Familienzuneigung, gestützt auf höchst reale Verhältnisse, gefunden wird. Im achtzehnten Jahrhundert wurde der Familienbegriff von den Philosophen aufgelöst, weil die wirkliche Familie auf den höchsten Spitzen der Zivilisation bereits in der Auflösung begriffen war. Aufgelöst war das innere Band der Familie, die einzelnen Teile, aus denen der Familienbegriff komponiert ist, z.B. Gehorsam, Pietät, eheliche Treue pp.; aber der wirkliche Körper der Familie, Vermögensverhältnis, ausschließliches Verhältnis gegen andre Familien, gezwungenes Zusammenleben, die Verhältnisse, die schon durch die Existenz der Kinder, den Bau der jetzigen Städte, Bildung des Kapitals pp. gegeben waren, blieben, wenn auch vielfach gestört, weil das Dasein der Familie durch ihren Zusammenhang mit der vom Willen der bürgerlichen Gesellschaft unabhängigen Produktionsweise nötig gemacht ist. Am frappantesten zeigt sich diese Unentbehrlichkeit in der französischen Revolution, wo die Familie für einen Augenblick gesetzlich so gut als aufgehoben war. Die Familie existiert sogar im neunzehnten Jahrhundert noch fort, nur daß die Tätigkeit der Auflösung nicht des Begriffs wegen, sondern wegen entwickelterer Industrie und Konkurrenz allgemeiner geworden ist; <165> existiert noch immer, trotzdem daß ihre Auflösung längst von französischen und englischen Sozialisten proklamiert und vermittelst französischer Romane endlich auch zu den deutschen Kirchenvätern gedrungen ist.

Noch ein Beispiel von der Herrschaft der Idee im gewöhnlichen Leben. Weil die Schulmeister über ihren geringen Sold mit der Heiligkeit der Sache, der sie dienen, vertröstet werden mögen (was bloß in Deutschland vorfallen kann), glaubt Jacques le bonhomme wirklich, diese Redensart sei die Ursache ihrer niedrigen Besoldung (p. 100). Er glaubt, daß "das Heilige" in der heutigen bürgerlichen Welt einen wirklichen Geldwert habe, er glaubt, daß die dürftigen Ressourcen des preußischen Staats, worüber u.a. Browning zu vergleichen, sich durch die Abschaffung "des Heiligen" so sehr vergrößern würden, daß jeder Dorfschulmeister plötzlich wie ein Minister salasiert werden könnte.

Dies ist die Hierarchie des Unsinns.

Der "Schlußstein des erhabnen Domwerkes" wie der große Michelet sagt, der Hierarchie ist "mitunter" die Tat von "Man".

"Man teilt mitunter die Menschen in zwei Klassen, in Gebildete und Ungebildete." (Man teilt mitunter die Affen in zwei Klassen, in Geschwänzte und Ungeschwänzte.) "Die Ersteren beschäftigten sich, soweit sie ihres Namens würdig waren, mit Gedanken, mit dem Geiste." Sie "waren in der nachchristlichen Zeit die Herrschenden und forderten für ihre Gedanken - - Respekt". Die Ungebildeten (Tier, Kind, Neger) sind "schwach" gegen die Gedanken und "werden von ihnen beherrscht. Dies ist der Sinn der Hierarchie."

Die Jebildeten (Jüngling, Mongole, Neuer) sind also wieder nur mit "dem Geist", dem reinen Gedanken pp. beschäftigt, Metaphysiker von Profession, in letzter Instanz Hegelianer. "Daher" sind die Unjebildeten die Nichthegelianer. Hegel war ohne Zweifel der allerjebildetste Hegelianer, und darum muß auch bei ihm "an den Tag kommen, welche Sehnsucht gerade der Gebildetste nach den Dingen hat". Nämlich der Jehildete und Unjebildete stoßen auch ineinander aneinander, und zwar in jedem Menschen stößt der Ungebildete auf den Jebildeten. Da nun bei Hegel die größte Sehnsucht nach den Dingen, also nach dem, was des Unjebildeten ist, an den Tag kommt, so kommt hier ebenfalls an den Tag, daß der Allerjebildetste zugleich der Unjebildetste ist. "Da" (bei Hegel) "soll dem Gedanken ganz und gar die Wirklichkeit entsprechen und kein Begriff ohne Realität sein." Soll heißen: Da soll denn ganz und gar die gewöhnliche Vorstellung von der Wirklichkeit ihren philosophischen Ausdruck erhalten, wobei Hegel sich nun umgekehrt einbildet, daß "mithin" jeder philosophische Ausdruck sich die ihm entsprechende Wirklichkeit erschaffe. Jacques le bonhomme nimmt die Illusion, die <166> Hegel von seiner Philosophie hat, für die bare Münze der Hegelschen Philosophie.

Die Hegelsche Philosophie, die in der Herrschaft der Hegelianer über die Nichthegelianer als Krone der Hierarchie auftritt, erobert nun das letzte Weltreich.

"Hegels System - war die höchste Despotie und Alleinherrschaft des Denkens, die Allgewalt und Allmacht des Geistes." (p. 97.)

Hier geraten wir also in das Geisterreich der Hegelschen Philosophie, das von Berlin bis Halle und Tübingen geht, das Geisterreich, dessen Geschichte Herr Bayrhoffer geschrieben und wozu die statistischen Notizen von dem großen Michelet zusammengetragen sind.

Die Vorbereitung zu diesem Geisterreich war die französische Revolution, die "nichts anders getan hat als die Dinge in Vorstellungen von den Dingen verwandelt" (p. 115 - vergl. oben Hegel über die Revolution p. [158]). "So blieb man Staatsbürger" (dies geht zwar bei "Stirner" vorher, aber "was Stirner sagt, ist nicht das Gemeinte, und was er meint, ist unsagbar", Wig[and,] p. 149) und "lebte in der Reflexion, man hatte einen Gegenstand, auf den man reflektierte, vor dem man" (per appos[itionem]) "Ehrfurcht und Furcht empfand". "Stirner" sagt einmal p. 98: "Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert." Wir sagen dagegen: Der Weg zum Einzigen ist mit schlechten Nachsätzen gepflastert, mit Appositionen, die seine den Chinesen abgeborgte "Himmelsleiter" und sein "Seil des Objektiven" (p. 88) sind, auf dem er seine "Flohsprünge" macht. Hiernach war es für "die neuere Philosophie oder Zeit" - seit dem Hereinbrechen des Geisterreiches ist ja die neuere Zeit Nichts Andres als die neuere Philosophie - ein Leichtes, "die existierenden Objekte in vorgestellte, d.h. in Begriffe zu verwandeln", p. 114, eine Arbeit, die Sankt Max weiter fortsetzt.

Wir haben unsren Ritter von der traurigen Gestalt bereits, "ehe denn die Berge waren", die er nachher durch seinen Glauben versetzte, bereits im Anfange seines Buches auf das große Resultat seines "erhabenen Domwerkes" mit verhängtem Zügel lostraben sehen. Sein "Grauer", die Apposition, konnte ihm nicht rasch genug springen; jetzt endlich, auf p. 114, hat er sein Ziel erreicht und durch ein mächtiges Oder die neuere Zeit in die neuere Philosophie verwandelt.

Hiermit hat die alte (d.h. die alte und neue, negerhafte und mongolische, eigentlich aber nur die vorstirnersche) Zeit, "ihr letztes Absehen erreicht". Wir können jetzt enthüllen, weshalb Sankt Max seinen ganzen ersten Teil "Der Mensch" betitelt und seine ganze Zauber-, Gespenster- und Ritter- <167> geschichte für die Geschichte "des Menschen" ausgegeben hat. Die Ideen und Gedanken der Menschen waren natürlich Ideen und Gedanken über sich und ihre Verhältnisse, ihr Bewußtsein von sich, von den Menschen, denn es war ein Bewußtsein nicht nur der einzelnen Person, sondern der einzelnen Person im Zusammenhange mit der ganzen Gesellschaft und von der ganzen Gesellschaft, in der sie lebten. Die von ihnen unabhängigen Bedingungen, innerhalb deren sie ihr Leben produzierten, die damit zusammenhängenden notwendigen Verkehrsformen, die damit gegebenen persönlichen und sozialen Verhältnisse, mußten, soweit sie in Gedanken ausgedrückt wurden, die Form von idealen Bedingungen und notwendigen Verhältnissen annehmen, d.h. als aus dem Begriff des Menschen, dem menschlichen Wesen, der Natur des Menschen, dem Menschen hervorgehende Bestimmungen ihren Ausdruck im Bewußtsein erhalten. Was die Menschen waren, was ihre Verhältnisse waren, erschien im Bewußtsein als Vorstellung von dem Menschen, von seinen Daseinsweisen oder von seinen näheren Begriffsbestimmungen. Nachdem die Ideologen nun vorausgesetzt hatten, daß die Ideen und Gedanken die bisherige Geschichte beherrschten, daß ihre Geschichte alle bisherige Geschichte sei, nachdem sie sich eingebildet hatten, die wirklichen Verhältnisse hätten sich nach dem Menschen und seinen idealen Verhältnissen, id est Begriffsbestimmungen gerichtet, nachdem sie überhaupt die Geschichte des Bewußtseins der Menschen von sich zur Grundlage ihrer wirklichen Geschichte gemacht hatten, war Nichts leichter als die Geschichte des Bewußtseins, der Ideen, des Heiligen, der fixierten Vorstellungen Geschichte "des Menschen" zu nennen und diese der wirklichen Geschichte unterzuschieben. Sankt Max zeichnet sich vor allen seinen Vorgängern nur dadurch aus, daß er von diesen Vorstellungen, selbst in ihrer willkürlichen Isolierung vom wirklichen Leben, dessen Produkte sie waren, Nichts weiß und seine nichtige Schöpfung darauf beschränkt, in seiner Kopie der Hegelschen Ideologie die Unkenntnis selbst dessen, was er kopiert, zu konstatieren, - Schon hieraus ergibt sich, wie er seiner Phantasie von der Geschichte des Menschen die Geschichte des wirklichen Individuums in der Form des Einzigen gegenüberstellen kann.

Die einzige Geschichte trägt sich anfangs in der Stoa zu Athen, später fast gänzlich in Deutschland und schließlich am Kupfergraben in Berlin zu, wo der Despot der "neueren Philosophie oder Zeit" seine Hofburg aufgeschlagen hatte. Schon daraus geht hervor, welch eine ausschließlich nationale und lokale Angelegenheit hier verhandelt wird. Statt der Weltgeschichte gibt der heilige Max uns einige, noch dazu höchst dürftige und schiefe Glossen über die Geschichte der deutschen Theologie und Philosophie. Wenn wir einmal zum Schein aus Deutschland heraustreten, so geschieht es nur, <168> um die Taten und Gedanken andrer Völker, z.B. die französische Revolution, in Deutschland und zwar am Kupfergraben "ihr letztes Absehen erreichen" zu lassen. Nur deutsch-nationale Tatsachen werden zitiert, nach deutsch-nationaler Weise werden sie verhandelt und aufgefaßt, und das Resultat bleibt ein national-deutsches. Aber auch damit ist es nicht genug. Die Auffassung und Bildung unsres Heiligen ist nicht nur deutsch, sie ist durch und durch berlinisch. Die Rolle, die der Hegelschen Philosophie erteilt wird, ist dieselbe, die sie in Berlin spielt, und Stirner verwechselt nun Berlin mit der Welt und ihrer Geschichte. Der "Jüngling" ist ein Berliner, die guten Bürger, die uns im ganzen Buche begegnen, sind Berliner Weißbierphilister. Mit solchen Prämissen kommt man natürlich nur zu einem innerhalb der Nationalität und Lokalität befangenen Resultate. "Stirner" und seine ganze philosophische Bruderschaft, deren Schwächster und Unwissendster er ist, liefern den praktischen Kommentar zu dem wackern Verslein des wackern Hoffmann von Fallersleben:

Nur in Deutschland, nur in Deutschland,
Da möcht' ich ewig leben.

Das Berliner Lokalresultat unsres wackern Heiligen, daß die ganze Welt in der Hegelschen Philosophie alle jeworden sei, befähigt ihn nun, ohne große Unkosten zu einem "eignen" Weltreich zu kommen.. Die Hegelsche Philosophie hat Alles in Gedanken, in das Heilige, in Spuk, in Geist, in Geister, in Gespenster verwandelt. Diese wird "Stirner" bekämpfen, in seiner Einbildung überwinden und auf ihren Leichen sein "eignes", "einziges", "leibhaftiges" Weltreich, das Weltreich des "ganzen Kerls" stiften.

"Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren dieser Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel." Epheser 6, 12.

Jetzt ist "Stirner" "an Beinen gestiefelt, als fertig zu treiben" den Kampf gegen die Gedanken. Den "Schild des Glaubens" braucht er nicht erst zu "ergreifen", da er ihn nie aus den Händen gegeben hat. Mit dem "Helm" des Unheils und dem "Schwert" der Geistlosigkeit (vergl. ibid.) gewappnet, zieht er in den Kampf. "Und es ward ihm gegeben, zu streiten wider das Heilige", aber nicht, es "zu besiegen". (Offenb[arung] Joh[annis] 13, 7.)