Das Leipziger Konzil

<78> Im dritten Bande der "Wigand'schen Vierteljahrsschrift" für 1845 ereignet sich die von Kaulbach prophetisch gemalte Hunnenschlacht wirklich. Die Geister der Erschlagenen, deren Grimm auch im Tode sich nicht beruhigt, erheben ein Getöse und Heulen in der Luft, wie von Kriegen und Kriegsgeschrei, von Schwertern, Schilden und eisernen Wagen. Aber es handelt sich nicht um irdische Dinge. Der heilige Krieg wird geführt nicht um Schutzzölle, Konstitution, Kartoffelkrankheit, Bankwesen und Eisenbahnen, sondern um die heiligsten Interessen des Geistes, um die "Substanz", das "Selbstbewußtsein", die "Kritik", den "Einzigen" und den "wahren Menschen". Wir befinden uns auf einem Konzil von Kirchenvätern. Da sie die letzten Exemplare ihrer Art sind und hier hoffentlich zum letzten Mal in Sachen des Allerhöchsten, alias Absoluten, plädiert wird, so lohnt es sich, über die Verhandlungen procès-verbal <Protokoll> aufzunehmen.

Da ist zuerst der heilige Bruno, der an seinem Stock leicht zu erkennen ist, ("werde Sinnlichkeit, werde ein Stock", Wigand, p. 130). Er trägt um sein Haupt die Glorie der "reinen Kritik" und hüllt sich weltverachtend in sein "Selbstbewußtsein" ein. Er hat "die Religion in ihrer Totalität und den Staat in seinen Erscheinungen gebrochen" (p. 138), indem er den Begriff der "Substanz" im Namen des allerhöchsten Selbstbewußtseins genotzüchtigt. Die Trümmer der Kirche und die "Bruch"-stücke des Staats liegen zu seinen Füßen, während sein Blick "die Masse" in den Staub "niedermetzelt". Er ist wie Gott, er hat weder Vater noch Mutter, er ist "sein eignes Geschöpf, sein eignes Machwerk" (p. 136). Mit Einem Wort: Er ist der "Napoleon" des Geistes - im Geist "Napoleon". Seine geistlichen Übungen bestehen darin, daß er stets "sich vernimmt und in diesem Selbstvernehmen den Antrieb zur Selbstbestimmung findet" (p. 136); infolge welches anstrengenden Selbst- <79> protokollierens er sichtlich abmagert. Außer sich selbst "vernimmt" er, wie wir sehen werden, von Zeit zu Zeit auch das "Westphälische Dampfboot".

Ihm gegenüber steht der heilige Max, dessen Verdienste um das Reich Gottes darin bestehen, daß er seine Identität nunmehr auf zirka 600 Druckseiten konstatiert und bewiesen zu haben behauptet, wie er nicht Dieser und Jener, nicht "Hans oder Kunz", sondern eben der heilige Max und kein andrer sei. Von seiner Glorie und seinen sonstigen Abzeichen läßt sich nur sagen, daß sie "sein Gegenstand und darum sein Eigentum", daß sie "einzig" und "unvergleichlich" sind und daß "Namen sie nicht nennen" (p. 148). Er ist zu gleicher Zeit die "Phrase" und der "Phraseneigner", zu gleicher Zeit Sancho Pansa und Don Quijote. Seine asketischen Übungen bestehen in sauren Gedanken über die Gedankenlosigkeit, in bogenlangen Bedenken über die Unbedenklichkeit, in der Heiligsprechung der Heillosigkeit. Im übrigen brauchen wir nicht viel von ihm zu rühmen, da er die Manier hat, von allen ihm zugeschriebenen Eigenschaften, und wären ihrer mehr als der Namen Gottes bei den Muhammedanern, zu sagen: Ich bin das Alles und noch etwas mehr, Ich bin das Alles von diesem Nichts und das Nichts von diesem Allen. Er unterscheidet sich dadurch vorteilhaft von seinem düstern Nebenbuhler, daß er einen gewissen feierlichen "Leichtsinn" besitzt und von Zeit zu Zeit seine ernsten Meditationen durch ein "kritisches Juchhe" unterbricht.

Vor diese beiden Großmeister der heiligen Inquisition wird der Häretiker Feuerbach zitiert, um sich wegen einer schweren Anklage des Gnostizismus au verantworten. Der Ketzer Feuerbach, "donnert" der heilige Bruno, ist im Besitz der Hyle, der Substanz, und verweigert sie herauszugeben, auf daß sich mein unendliches Selbstbewußtsein nicht darin spiegle. Das Selbstbewußtsein muß solange wie ein Gespenst umgehen, bis es alle Dinge, die von ihm und zu ihm sind, in sich zurückgenommen hat. Nun hat es bereits die ganze Welt verschluckt, außer dieser Hyle, der Substanz, die der Gnostiker Feuerbach unter Schloß und Riegel hält und nicht herausgeben will.

Der heilige Max klagt den Gnostiker an, das durch seinen Mund geoffenbarte Dogma zu bezweifeln, daß "jede Gans, jeder Hund, jedes Pferd" der "vollkommene, ja wenn man einen Superlativ gerne hört, der vollkommenste Mensch" sei. (Wigand, p. 187): "Dem pp. fehlt auch nicht ein Titelchen von dem, was den Menschen zum Menschen macht. Freilich ist das auch derselbe Fall mit jeder Gans, jedem Hunde, jedem Pferde.")

Außer der Verhandlung dieser wichtigen Anklagen wird noch ein Prozeß der beiden Heiligen gegen Moses Heß und des heiligen Bruno gegen die Ver- <80> fasser der "Heiligen Familie" entschieden. Da diese Inkulpaten sich indes unter den "Dingen dieser Welt" herumtreiben und deshalb nicht vor der Santa Casa erscheinen, werden sie in Kontumaz verurteilt zu ewiger Verbannung aus dem Reiche des Geistes für die Dauer ihres natürlichen Lebens.

Schließlich verführen die beiden Großmeister wieder absonderliche Intrigen unter- und gegeneinander. (35)

II

Sankt Bruno

1. "Feldzug" gegen Feuerbach

<81> Ehe wir der feierlichen Auseinandersetzung des Bauerschen Selbstbewußtseins mit sich selbst und der Welt folgen, müssen wir ein Geheimnis verraten. Der heilige Bruno hat nur darum Krieg und Kriegsgeschrei erregt, weil er sich selbst und seine abgestandene, sauer gewordene Kritik vor der undankbaren Vergeßlichkeit des Publikums "sicherstellen", weil er zeigen mußte, daß auch unter den veränderten Verhältnissen des Jahres 1845 die Kritik stets sich selbst gleich und unveränderlich blieb. Er schrieb den zweiten Band der "guten Sache und seiner eignen Sache"; er behauptet sein eignes Terrain, er kämpft pro ans et focis <Für Heim und Herd>. Echt theologisch aber verdeckt er diesen Selbstzweck unter dem Schein, als wolle er Feuerbach "charakterisieren". Man hatte den guten Mann gänzlich vergessen, wie die Polemik zwischen Feuerbach und Stirner, in der er gar nicht berücksichtigt wurde, am besten bewies. Ebendarum klammert er sich an diese Polemik an, um sich als Gegensatz der Entgegengesetzten zu ihrer höheren Einheit, zum heiligen Geist proklamieren zu können.

Der heilige Bruno eröffnet seinen "Feldzug" mit einer Kanonade gegen Feuerbach, c'est-à-dire <das heißt> mit dem verbesserten und vermehrten Abdruck eines bereits in den "Norddeutschen Blättern" figurierenden Aufsatzes. Feuerbach wird zum Ritter der "Substanz" geschlagen, um dem Bauerschen "Selbstbewußtsein" größeren Relief zu verleihen. Bei dieser Transsubstantion Feuerbachs, die angeblich durch sämtliche Schriften Feuerbachs bewiesen wird, hüpft der heilige Mann von Feuerbachs Schriften über Leibniz und Bayle sogleich auf das "Wesen des Christenthums" und überspringt den Aufsatz gegen die "positiven Philosophen" in den "Hallischen Jahrbüchern". Dies "Versehen" ist "an der Stelle". Feuerbach enthüllte hier nämlich den <82> positiven Vertretern der "Substanz" gegenüber die ganze Weisheit vom "Selbstbewußtsein" zu einer Zeit, wo der heilige Bruno noch über die unbefleckte Empfängnis spekulierte.

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß Sankt Bruno sich noch immer auf seinem althegelschen Schlachtroß herumtummelt. Man höre gleich den ersten Passus seiner neuesten Offenbarungen aus dem Reiche Gottes:

"Hegel hatte die Substanz Spinozas und das Fichtesche Ich in eins zusammengefaßt; die Einheit von Beiden, die Verknüpfung dieser entgegengesetzten Sphären pp. bilden das eigentümliche Interesse, aber auch zugleich die Schwäche der Hegelschen Philosophie. [...] Dieser Widerspruch, in dem sich das Hegelsche System hin und her bewegte, mußte gelöst und vernichtet werden. Er konnte es aber nur dadurch, daß die Aufstellung der Frage: wie verhält sich das Selbstbewußtsein zum absoluten Geiste? ... für immer unmöglich gemacht wurde. Es war nach zwei Seiten möglich. Entweder muß das Selbstbewußtsein wieder in der Glut der Substanz verbrennen, d.h. das reine Substantialitätsverhältnis feststehen und bestehen, oder es muß aufgezeigt werden, daß die Persönlichkeit der Urheber ihrer Attribute und ihres Wesens ist, daß es im Begriffe der Persönlichkeit überhaupt liegt, sich selbst" (den "Begriff" oder die "Persönlichkeit"?) "beschränkt zu setzen und diese Beschränkung, die sie durch ihr allgemeines Wesen setzt, wieder aufzuheben, da eben dieses Wesen nur das Resultat ihrer - innern Selbstunterscheidung, ihrer Tätigkeit ist." Wigand, p. [86,] 87, 88.

Die Hegelsche Philosophie war in der "Heiligen Familie" p. 220 als Einheit von Spinoza und Fichte dargestellt und zugleich der Widerspruch, der darin liegt, hervorgehoben. Dem heiligen Bruno gehört eigentümlich, daß er nicht, wie die Verfasser der "Heiligen Familie", die Frage vom Verhältnis des Selbstbewußtseins zur Substanz für eine "Streitfrage innerhalb der Hegelschen Spekulation" hält, sondern für eine welthistorische, ja für eine absolute Frage. Es ist die einzige Form, in welcher er die Kollisionen der Gegenwart aussprechen kann. Er glaubt wirklich, daß der Sieg des Selbstbewußtseins über die Substanz nicht nur vom wesentlichsten Einfluß auf das europäische Gleichgewicht, sondern auch auf die ganze zukünftige Entwicklung der Oregonfrage sei. Inwiefern dadurch die Abschaffung der Korngesetze in England bedingt ist, darüber ist bis jetzt wenig verlautet.

Der abstrakte und verhimmelte Ausdruck, wozu eine wirkliche Kollision sich bei Hegel verzerrt, gilt diesem "kritischen" Kopf für die wirkliche Kollision. Er akzeptiert den spekulativen Widerspruch und behauptet den einen Teil desselben dem andern gegenüber. Die philosophische Phrase der wirklichen Frage ist für ihn die wirkliche Frage selbst. Er hat also auf der einen Seite statt der wirklichen Menschen und ihres wirklichen Bewußtseins <83> von ihren ihnen scheinbar selbständig gegenüberstehenden gesellschaftlichen Verhältnissen die bloße abstrakte Phrase: das Selbstbewußtsein; wie statt der wirklichen Produktion die verselbständigte Tätigkeit dieses Selbstbewußtseins; auf der andern Seite statt der wirklichen Natur und der wirklich bestehenden sozialen Verhältnisse die philosophische Zusammenfassung aller philosophischen Kategorien oder Namen dieser Verhältnisse in der Phrase: die Substanz, da er mit allen Philosophen und Ideologen die Gedanken, Ideen, den verselbständigten Gedankenausdruck der bestehenden Welt für die Grundlage dieser bestehenden Welt versieht. Daß er nun mit diesen beiden sinnlos und inhaltslos gewordenen Abstraktionen allerlei Kunststücke machen kann, ohne von den wirklichen Menschen und ihren Verhältnissen etwas zu wissen, liegt auf der Hand. (Siehe übrigens über die Substanz, was bei Feuerbach, bei Sankt Max über den "humanen Liberalismus" und über das "Heilige" gesagt ist.) Er verläßt also nicht den spekulativen Boden, um die Widersprüche der Spekulation zu lösen; er manövriert von diesem Boden aus und steht selbst so sehr noch auf speziell Hegelschem Boden, daß das Verhältnis "des Selbstbewußtseins" zum "absoluten Geist" ihm immer noch den Schlaf raubt. Mit einem Wort, wir haben hier die in der "Kritik der Synoptiker" angekündigte, im "Entdeckten Christenthum" ausgeführte und leider in der Hegelschen "Phänomenologie" längst antizipierte Philosophie des Selbstbewußtseins. Diese neue Bauersche Philosophie hat in der "Heiligen Familie" p. 220 seqq. und 304-307 ihre vollständige Erledigung gefunden. Sankt Bruno bringt es indes hier fertig, sich selbst noch zu karikieren, indem er die "Persönlichkeit" hereinschmuggelt, um mit Stirner den Einzelnen als sein "eignes Machwerk" und um Stirner als Brunos Machwerk darstellen zu können. Dieser Fortschritt verdient eine kurze Notiz.

Zunächst vergleiche der Leser diese Karikatur mit ihrem Original, der Erklärung des Selbstbewußtseins im "Entdeckten Christenthum", p. 113, und diese Erklärung wieder mit ihrem Ur-Original, Hegels "Phänomenologie", p. 575, 583 und anderwärts. (Beide Stellen sind abgedruckt: "Heilige Familie" p.221, 223, 224.) Nun aber die Karikatur! "Persönlichkeit überhaupt"! "Begriff"! "Allgemeines Wesen"! "Sich selbst beschränkt setzen und diese Beschränkung wieder aufheben"! "innere Selbstunterscheidung"! Welche gewaltigen "Resultate"! "Persönlichkeit überhaupt" ist entweder "überhaupt" Unsinn oder der abstrakte Begriff der Persönlichkeit. Es liegt also "im Begriff" des Begriffs der Persönlichkeit, "sich selbst beschränkt zu setzen". Diese Beschränkung, die im "Begriff" ihres Begriffs liegt, setzt sie <84> gleich darauf "durch ihr allgemeines Wesen". Und nachdem sie diese Beschränkung wieder aufgehoben hat, zeigt sich, daß "eben dieses Wesen" erst "das Resultat ihrer innern Selbstunterscheidung ist". Das ganze großmächtige Resultat dieser verzwickten Tautologie läuft also auf das altbekannte Hegelsche Kunststück der Selbstunterscheidung des Menschen im Denken heraus, welche uns der unglückliche Bruno beharrlich als die einzige Tätigkeit der "Persönlichkeit überhaupt" predigt. Daß mit einer "Persönlichkeit", deren Tätigkeit sich auf diese trivial gewordenen logischen Sprünge beschränkt, nichts anzufangen ist, hat man dem heiligen Bruno schon vor längerer Zeit bemerklich gemacht. Zugleich enthält dieser Passus das naive Geständnis, daß das Wesen der Bauerschen "Persönlichkeit" der Begriff eines Begriffs, die Abstraktion von einer Abstraktion ist.

Die Kritik Feuerbachs durch Bruno, soweit sie neu ist, beschränkt sich darauf, Stirners Vorwürfe gegen Feuerbach und Bauer heuchlerischerweise als Bauers Vorwürfe gegen Feuerbach darzustellen. So z.B., daß "das Wesen des Menschen Wesen überhaupt und etwas Heiliges" sei, daß "der Mensch der Gott des Menschen" sei, daß die Menschengattung "das Absolute" sei, daß Feuerbach den Menschen "in ein wesentliches und unwesentliches Ich" spalte (obwohl Bruno stets das Abstrakte für das Wesentliche erklärt und in seinem Gegensatz von Kritik und Masse sich diese Spaltung noch viel ungeheuerlicher vorgestellt als Feuerbach), daß der Kampf gegen "die Prädikate Gottes" geführt werden müsse etc. Über eigennützige und uneigennützige Liebe schreibt Bruno den Stirner, dem Feuerbach gegenüber, auf drei Seiten (p. 133-135) fast wörtlich ab, wie er auch die Phrasen von Stirner: "jeder Mensch sein eigenes Geschöpf", "Wahrheit ein Gespenst" usw. sehr ungeschickt kopiert. Bei Bruno verwandelt sich das "Geschöpf" noch dazu in ein "Machwerk". Wir werden zurückkommen auf die Exploitation Stirners durch Sankt Bruno.

Das Erste, was wir also bei Sankt Bruno fanden, war seine fortwährende Abhängigkeit von Hegel. Wir werden auf seine aus Hegel kopierten Bemerkungen natürlich nicht weiter eingehen, sondern nur noch einige Sätze zusammenstellen, aus denen hervorgeht, wie felsenfest er an die Macht der Philosophen glaubt und wie er ihre Einbildung teilt, daß ein verändertes Bewußtsein, eine neue Wendung der Interpretation der existierenden Verhältnisse die ganze bisherige Welt umstürzen könne. In diesem Glauben läßt sich Sankt Bruno auch durch einen Schüler, Heft IV der Wigand'schen Quartalschrift, pag. 327, das Attest ausstellen, daß seine obigen, in Heft III proklamierten Phrasen über Persönlichkeit "weltumstürzende Gedanken" seien.

<85> Sankt Bruno sagt p. 95 Wigand:

 "Die Philosophie ist nie etwas Anderes gewesen als die auf ihre allgemeinste Form reduzierte, auf ihren vernünftigsten Ausdruck gebrachte Theologie."

Dieser gegen Feuerbach gerichtete Passus ist fast wörtlich abgeschrieben aus Feuerbachs "Philosophie der Zukunft", pag. 2:

"Die spekulative Philosophie ist die wahre, die konsequente, die vernünftige Theologie."

Bruno fährt fort:

"Die Philosophie hat selbst im Bunde mit der Religion stets auf die absolute Unselbständigkeit des Individuums hingearbeitet und dieselbe wirklich vollbracht, indem sie das Einzelleben in dem allgemeinen Leben, das Akzidens in der Substanz, den Menschen im absoluten Geist aufgehen hieß und ließ."

Als ob "die Philosophie" Brunos "im Bunde mit der" Hegelschen und seinem noch fortdauernden verbotenen Umgang mit der Theologie "den Menschen" nicht in der Vorstellung eines seiner "Akzidentien", des Selbstbewußtseins, als der "Substanz", "aufgehen hieße", wenn auch nicht "ließe". Man ersieht übrigens aus dem ganzen Passus, mit welcher Freudigkeit der "kanzelberedsamkeitliche" Kirchenvater noch immer seinen "weltumstürzenden" Glauben an die geheimnisschwangere Macht der heiligen Theologen und Philosophen bekennt. Natürlich im Interesse "der guten Sache der Freiheit und seiner eignen Sache".

p. 105 hat der gottesfürchtige Mann die Unverschämtheit, Feuerbach vorzuwerfen:

"Feuerbach hat aus dem Individuum, aus dem entmenschten Menschen des Christentums, nicht den Menschen, den wahren" (!) "wirklichen" (!!) "persönlichen" (!!!) "Menschen" (durch die "Heilige Familie" und Stirner veranlaßte Prädikate), "sondern den entmannten Menschen, den Sklaven gemacht"

und damit u. a. den Unsinn zu behaupten, daß er, der heilige Bruno, mit dem Kopfe Menschen machen könne.

Ferner heißt es ibid.:

"Bei Feuerbach muß sich das Individuum der Gattung unterwerfen, ihr dienen. Die Gattung Feuerbachs ist das Absolute Hegels, auch sie existiert nirgends."

Hier wie in allen andern Stellen ermangelt Sankt Bruno nicht des Ruhmes, die wirklichen Verhältnisse der Individuen von der philosophischen Interpretation derselben abhängig zu machen. Er ahnt nicht, in welchem Zusammenhang die Vorstellungen des Hegelschen "absoluten Geistes" und der Feuerbachschen "Gattung" zur existierenden Welt stehen.

<86> Der heilige Vater skandaliert sich p. 104 erschrecklich über die Ketzerei, womit Feuerbach die göttliche Dreieinigkeit von Vernunft, Liebe und Wille zu etwas macht, das "in den Individuen über den Individuen ist"; als ob heutzutage nicht jede Anlage, jeder Trieb, jedes Bedürfnis als eine Macht "in dem Individuum über dem Individuum" sich behauptete, sobald die Umstände deren Befriedigung verhindern. Wenn der heilige Vater Bruno z.B. Hunger verspürt, ohne die Mittel, ihn zu befriedigen, so wird sogar sein Magen zu einer Macht "in ihm über ihm". Feuerbachs Fehler besteht nicht darin, dies Faktum ausgesprochen zu haben, sondern darin, daß er es in idealisierender Weise verselbständigte, statt es als das Produkt einer bestimmten und überschreitbaren historischen Entwicklungsstufe aufzufassen.

p. 111:

"Feuerbach ist ein Knecht, und seine knechtische Natur erlaubt ihm nicht, das Werk eines Menschen zu vollbringen, das Wesen der Religion zu erkennen" (schönes "Werk eines Menschen"!) ... "er erkennt das Wesen der Religion nicht, weil er die Brücke nicht kennt, auf der er zum Quell der Religion kommt." 

Sankt Bruno glaubt alles Ernstes noch, daß die Religion ein eignes "Wesen" habe. Was die "Brücke" betrifft, "auf der" man zum "Quell der Religion" kommt, so muß die Eselsbrücke notwendig ein Aquadukt sein. Sankt Bruno etabliert sich zugleich als wunderlich modernisierter und durch die Brücke in Ruhestand versetzter Charon, indem er als tollkeeper <Zolleinnehmer> an der Brücke zum Schattenreich der Religion jedem Passierenden seinen Halfpenny abverlangt.

p. 120 bemerkt der Heilige:

"Wie könnte Feuerbach existieren, wenn es keine Wahrheit gäbe und die Wahrheit nichts als ein Gespenst" (Stirner hilf!) "wäre, vor dem sich der Mensch bisher fürchtete."

Der "Mensch", der sich vor dem "Gespenst" der "Wahrheit" fürchtet, ist Niemand anders als der ehrwürdige Bruno selbst. Bereits zehn Seiten vorher, p. 110, stieß er vor dem "Gespenst" Wahrheit folgenden welterschütternden Angstschrei aus:

"Die Wahrheit, die nirgends für sich als fertiges Objekt zu finden ist und nur in der Entfaltung der Persönlichkeit sich entwickelt und zur Einheit zusammenfaßt."

So haben wir hier also nicht nur die Wahrheit, dieses Gespenst, in eine Person verwandelt, die sich entwickelt und zusammenfaßt, sondern dies Kunststück noch obendrein nach Art der Bandwürmer in einer dritten Per- <87> sönlichkeit außer ihr vollzogen. Über des heiligen Mannes früheres Liebesverhältnis zur Wahrheit, da er noch jung war und des Fleisches Lüste stark in ihm siedeten, siehe "Heilige Familie", p. 115 seqq.

Wie gereinigt von allen fleischlichen Lüsten und weltlichen Begierden der heilige Mann derzeit dasteht, zeigt seine heftige Polemik gegen Feuerbachs Sinnlichkeit. Bruno greift keineswegs die höchst bornierte Weise an, worin Feuerbach die Sinnlichkeit anerkennt. Der verunglückte Versuch Feuerbachs gilt ihm schon als Versuch, der Ideologie zu entspringen, für - Sünde. Natürlich! Sinnlichkeit - Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Wesen, Scheuel und Greuel vor dem Herrn! Wisset Ihr nicht, daß fleischlich gesinnet sein ist der Tod, aber geistlich gesinnet sein ist Leben und Friede; denn fleischlich gesinnet sein ist eine Feindschaft wider die Kritik, und alles, so da fleischlich ist, das ist von dieser Welt, und wisset Ihr auch, was geschrieben steht: Offenbar sind aber die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen, von welchen ich Euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, daß die solches tun, werden das Reich der Kritik nicht ererben; sondern wehe ihnen, denn sie gehen den Weg Kains und fallen in den Irrtum Balaams um Genusses willen, und kommen um in dem Aufruhr Korah. Diese Unfläter prassen von Euren Almosen ohne Scheu, weiden sich selbst, sie sind Wolken ohne Wasser, von dem Winde umgetrieben, kahle unfruchtbare Bäume, zweimal erstorben und ausgewurzelt, wilde Wellen des Meers, die ihre eigne Schande ausschäumen, irrige Sterne, welchen behalten ist das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit. Denn wir haben gelesen, daß in den letzten Tagen werden greuliche Zeiten kommen, Menschen, die von sich selbst halten, Schänder, Unkeusch, die mehr lieben Wollust als die Kritik, die da Rotten machen, kurz, Fleischliche. Diese verabscheut Sankt Bruno, der da geistlich gesinnet ist und hasset den befleckten Rock des Fleisches; und so verdammt er Feuerbach, den er für den Korah der Rotte hält, draußen zu bleiben, wo da sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Totschläger. "Sinnlichkeit" - pfui Teufel, das bringt den heiligen Kirchenvater nicht nur in die ärgsten Krämpfe und Verzuckungen, das bringt ihn sogar zum Singen, und er singt p. 121 "das Lied vom Ende und das Ende vom Liede". Sinnlichkeit, weißt du auch wohl, was Sinnlichkeit ist, Unglückseliger? Sinnlichkeit ist "ein Stock", p. 130. In seinen Krämpfen ringt der heilige Bruno auch einmal mit Einem seiner Sätze, wie weiland Jakob mit Gott, nur mit dem <88> Unterschiede, daß Gott dem Jakob die Hüfte verrenkte, während der heilige Epileptiker seinem Satze alle Glieder und Bänder verrenkt und so die Identität von Subjekt und Objekt an mehreren schlagenden Exempeln klarmacht:

"Mag darum Feuerbach immerhin sprechen ... er vernichtet" (!) "dennoch den Menschen ... weil er das Wort Mensch zur bloßen Phrase macht ... weil er nicht den Menschen ganz macht" (!) "und schafft" (!) "sondern die ganze Menschheit zum Absoluten erhebt, weil er auch nicht die Menschheit, vielmehr den Sinn zum Organ des Absoluten, und als das Absolute, das Unbezweifelbare, das unmittelbar Gewisse, das Objekt des Sinnes, der Anschauung, der Empfindung - das Sinnliche stempelt." Womit Feuerbach - dies ist die Meinung des heiligen Bruno - "wohl Luftschichten erschüttern, aber nicht Erscheinungen des menschlichen Wesen zerschmettern kann, weil sein innerstes" (!) "Wesen und seine belebende Seele [...] schon den äußern" (!) "Klang zerstört und hohl und schnarrend macht." p. 121.

Der heilige Bruno gibt uns selbst über die Ursachen seiner Widersinnigkeit zwar geheimnisvolle, aber entscheidende Aufschlüsse:

"Als ob mein Ich nicht auch dieses bestimmte, vor allen Andern einzige Geschlecht und diese bestimmten einzigen Geschlechtsorgane hätte!"

(Außer seinen "einzigen Geschlechtsorganen" hat der Edle noch ein apartes "einziges Geschlecht"!) Dieses einzige Geschlecht wird p. 121 dahin erläutert, daß

"die Sinnlichkeit wie ein Vampyr alles Mark und Blut dem Menschenleben aussaugt, die unüberschreitbare Schranke ist, an der sich der Mensch den Todes-Stoß geben muß".

Aber auch der Heiligste ist nicht rein! Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor dem "Selbstbewußtsein" haben sollen. Der heilige Bruno, der um Mitternacht sich im einsamen Kämmerlein mit der "Substanz herumschlägt, wird von den lockeren Schriften des Ketzers Feuerbach auf das Weib und die weibliche Schönheit aufmerksam gemacht. Plötzlich verdunkelt sich sein Blick; das reine Selbstbewußtsein wird befleckt, und die verwerfliche sinnliche Phantasie umgaukelt mit lasziven Bildern den geängstigten Kritiker. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Er strauchelt, er fällt, er vergißt, daß er die Macht ist, die "mit ihrer Kraft bindet und löst und die Welt beherrscht", daß diese Ausgeburten seiner Phantasie "Geist von seinem Geiste" sind, er verliert alles "Selbstbewußtsein" und stammelt berauscht einen Dithyrambos auf die weibliche Schönheit "im Zarten, im Weichlichen, im Weiblichen", auf die "schwellenden abgerundeten Glieder" und den "wogenden, wallenden, siedenden, brausenden und zischenden, wellenförmigen Körperbau" des Weibes. Aber die Unschuld <89> verrät sich stets, selbst wo sie sündigt. Wer wüßte nicht, daß ein "wogender, wallender, wellenförmiger Körperbau" ein Ding ist, das kein Auge je gesehen, noch ein Ohr gehöret hat? Darum stille, liebe Seele, der Geist wird gar bald die Oberhand über das rebellische Fleisch bekommen und den übersiedenden Lüsten eine unüberwindliche "Schranke" in den Weg setzen, "an der" sie sich bald "den Todesstoß" geben.

"Feuerbach" - dahin ist endlich der Heilige mittels eines kritischen Verständnisses der "Heiligen Familie" gekommen - "ist der mit Humanismus versetzte und zersetzte Materialist, d.h. der Materialist, der es nicht auf der Erde und ihrem Sein auszuhalten vermag" (Sankt Bruno kennt ein von der Erde unterschiednes Sein der Erde und weiß, wie man es anfangen muß, um es "auf dem Sein der Erde auszuhalten"!), "sondern sich vergeistigen und in den Himmel einkehren will, und der Humanist, der nicht denken und eine geistige Welt aufbauen kann, sondern der sich mit Materialismus schwängert pp.", p. 123.

Wie hiernach bei Sankt Bruno der Humanismus im "Denken" und "Aufbauen einer geistigen Welt" besteht, so der Materialismus in folgendem:

"Der Materialist erkennt nur das gegenwärtige, wirkliche Wesen an, die Materie" (Als wenn der Mensch mit allen seinen Eigenschaften, auch dem Denken, nicht ein "gegenwärtiges, wirkliches Wesen" wäre), "und sie als tätig sich in die Vielheit ausbreitend und verwirklichend, die Natur." p. 123.

Die Materie ist zuerst ein gegenwärtiges wirkliches Wesen, aber nur an sich, verborgen; erst wenn sie "tätig sich in die Vielheit ausbreitet und verwirklicht" (ein "gegenwärtiges wirkliches Wesen" "verwirklicht sich"!!), erst dann wird sie Natur. Zuerst existiert der Begriff der Materie, das Abstraktum, die Vorstellung, und diese verwirklicht sich in der wirklichen Natur. Wörtlich die Hegelsche Theorie von der Präexistenz der schöpferischen Kategorien. Von diesem Standpunkt aus versteht es sich dann auch, daß Sankt Bruno die philosophischen Phrasen der Materialisten über die Materie für den wirklichen Kern und Inhalt ihrer Weltanschauung versieht.

2. Sankt Brunos Betrachtungen über den Kampf
zwischen Feuerbach und Stirner

Nachdem Sankt Bruno Feuerbach also einige gewichtige Worte ans Herz gelegt hat, sieht er sich den Kampf zwischen diesem und dem Einzigen an. Das Erste, wodurch er sein Interesse an diesem Kampf bezeugt, ist ein methodisches, dreimaliges Lächeln.

<90> "Der Kritiker geht unaufhaltsam, siegsgewiß und siegreich seines Weges. Man verleumdet Ihn: er lächelt. Man verketzert ihn: er lächelt. Die alte Welt macht sich auf in einem Kreuzzug gegen ihn: er lächelt."

Der heilige Bruno, das ist also konstatiert, geht seiner Wege, aber er geht sie nicht wie andre Leute, er geht einen kritischen Gang, er vollzieht diese wichtige Handlung mit Lächeln.

"Er lächelt mehr Linien in sein Gesicht hinein, als auf der Weltkarte mit beiden Indien stehen. Das Fräulein wird ihm Ohrfeigen geben, und wenn sie's tut, wird er lächeln und es für eine große Kunst halten",

wie Malvoglio bei Shakespeare. 

Sankt Bruno selbst rührt keinen Finger, um seine beiden Gegner zu widerlegen, er weiß ein besseres Mittel, sie loszuwerden, er überläßt sie -divide et impera - ihrem eigenen Streit. Dem Stirner stellt er den Menschen Feuerbachs, p. 124, und dem Feuerbach den Einzigen Stirners, p. 126 seqq., gegenüber; er weiß, daß sie so erbittert aufeinander sind wie die beiden Katzen von Kilkenny in Irland, die einander so vollständig auffraßen, daß zuletzt nur die Schwänze übrigblieben. Über diese Schwänze spricht nun Sankt Bruno das Urteil aus, daß sie "Substanz", also auf ewig verdammt seien.

Er wiederholt in seiner Gegenüberstellung von Feuerbach und Stirner dasselbe, was Hegel über Spinoza und Fichte sagte, wo bekanntlich das punktuelle Ich als die eine, und zwar härteste Seite der Substanz dargestellt wird. Sosehr er früher gegen den Egoismus polterte, der sogar als odor specificus <eigentümliche Geruch> der Massen galt, akzeptiert er p. 129 von Stirner den Egoismus, nur soll dieser "nicht der von Max Stirner", sondern natürlich der von Bruno Bauer sein. Den Stirnerschen brandmarkt er mit dem moralischen Makel, "daß sein Ich zur Stützung seines Egoismus der Heuchelei, des Betrugs, der äußeren Gewalt bedarf". Im übrigen glaubt er (siehe p. 124) an die kritischen Wundertaten des heiligen Max und sieht in dessen Kampf p. 126 "ein wirkliches Bemühen, die Substanz von Grund aus zu vernichten". Statt auf Stirners Kritik der Bauerschen "reinen Kritik" einzugehen, behauptet er p. 124, Stirners Kritik könne ihm ebensowenig wie jede andre etwas anhaben, "weil er der Kritiker selber" sei.

Schließlich widerlegt Sankt Bruno Beide, Sankt Max und Feuerbach, indem er eine Antithese, die Stirner zwischen dem Kritiker Bruno Bauer und dem Dogmatiker zieht, ziemlich wörtlich auf Feuerbach und Stirner anwendet.

<91> Wigand, p. 138:

"Feuerbach stellt sich und steht hiermit" (!) "dem Einzigen gegenüber. Er ist und will sein Kommunist, dieser ist und soll sein Egoist; er der Heilige, dieser der Profane, er der Gute, dieser der Böse; er der Gott, dieser der Mensch. Beide - Dogmatiker."

Also die Pointe ist, daß er Beiden Dogmatismus vorwirft.

"Der Einzige und sein Eigenthum", p. 194:

"Der Kritiker fürchtet sich, dogmatisch zu werden oder Dogmen aufzustellen. Natürlich, er würde dadurch zum Gegensatz des Kritikers, zum Dogmatiker, er würde, wie er als Kritiker gut ist, nun böse, oder er würde aus einem Uneigennützigen" (Kommunisten) "ein Egoist usw. Nur kein Dogma - das ist sein Dogma."

3. Sankt Bruno contra die Verfasser der "Heiligen Familie"

Sankt Bruno, der auf die angegebene Weise mit Feuerbach und Stirner fertig geworden ist, der dem "Einzigen jeden Fortschritt abgeschnitten" hat, wendet sich nun gegen die angeblichen "Konsequenzen Feuerbachs", die deutschen Kommunisten und speziell die Verfasser der "Heiligen Familie". Das Wort "realer Humanismus", das er in der Vorrede dieser Streitschrift fand, bildet die Hauptgrundlage seiner Hypothese. Er wird sich einer Bibelstelle erinnern:

"Und ich, lieben Brüder, konnte nicht mit Euch reden als mit Geistlichen, sondern als mit Fleischlichen" (in unsrem Falle war es gerade umgekehrt), wie mit jungen Kindern in Christo. Milch habe ich Euch zu trinken gegeben und nicht Speise, denn Ihr konntet noch nicht." 1. Cor[inther] 3,1-2.

Der erste Eindruck, den die "Heilige Familie" auf den ehrwürdigen Kirchenvater macht, ist der einer tiefen Betrübnis und einer ernsten, biedermännischen Wehmut. Die einzige gute Seite des Buchs - daß es

"zeigte, was Feuerbach werden mußte und wie sich seine Philosophie stellen kann, wenn sie gegen die Kritik kämpfen will", p. 138,

daß es also auf eine ungezwungene Weise das "Wollen" mit dem "Können" und "Müssen" vereinigte, wiegt dennoch die vielen betrübenden Seiten nicht auf. Die Feuerbachsche, hier komischerweise vorausgesetzte Philosophie

"darf und kann den Kritiker nicht verstehen - sie darf und kann die Kritik in ihrer Entwicklung nicht kennen und erkennen - sie darf und kann es nicht wissen, daß die Kritik aller Transzendenz gegenüber ein immerwährendes Kämpfen und Siegen, ein fortdauerndes Vernichten und Schaffen, das einzig" (!) Schöpferische und Produzierende ist. Sie darf und kann nicht wissen, wie der Kritiker gearbeitet hat und noch arbeitet, um die transzendenten Mächte, die bisher die Menschheit niederhielten und <92> nicht zum Atmen und zum Leben kommen ließen, als das zu setzen und zu dem zu machen"(!), "was sie wirklich sind, als Geist vom Geist, als Inneres aus dem Innern, als Heimatliches" (!) "aus und in der Heimat, als Produkte und Geschöpfe des Selbstbewußtseins. Sie darf und kann nicht wissen, wie einzig und allein der Kritiker die Religion in ihrer Totalität, den Staat in seinen verschiednen Erscheinungen gebrochen hat pp.", p. 138, 139.

Ist es nicht auf ein Haar der alte Jehova, der seinem durchgebrannten Volk, das an den lustigen Göttern der Heiden mehr Spaß findet, nachläuft und schreit:

"Höre mich, Israel, und verschließe dein Ohr nicht, Juda! Bin ich nicht der Herr dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführet hat in das Land, da Milch und Honig fleußt, und siehe, ihr habet von Jugend auf getan, das mir übel gefällt, und habet mich erzürnet durch meiner Hände Werk, und habt mir den Rücken und nicht das Angesicht zugekehret, wiewohl ich sie stets lehren ließ; und haben mir ihre Greuel in mein Haus gesetzt, daß sie es verunreinigten, und haben die Höhen des Baals gebaut im Tal Ben Himmon, davon ich ihnen nichts befohlen habe, und ist mir nicht in den Sinn gekommen, daß sie solche Greuel tun sollten; und habe zu euch gesandt meinen Knecht Jeremiam, zu dem mein Wort geschehen ist von dem dreizehnten Jahr des Königs Josia, des Sohnes Amon, bis auf diesen Tag, und derselbige hat euch nun dreiundzwanzig Jahr mit Fleiß gepredigt, aber ihr habt nie hören wollen. Darum spricht der Herr Herr: Wer hat je dergleichen gehöret, daß die Jungfrau Israel so gar greuliches Ding tut? Denn das Regenwasser verschießt nicht so bald, als mein Volk meiner vergißt. O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!"

Sankt Bruno behauptet also in einer langen Rede über Dürfen und Können, daß seine kommunistischen Gegner ihn mißverstanden hätten. Die Art und Weise, wie er in dieser Rede die Kritik neuerdings schildert, wie er die bisherigen Mächte, die das "Leben der Menschheit" niederhielten, in "transzendente", und diese transzendenten Machte in "Geist vom Geist" verwandelt, wie er "die Kritik" für den einzigen Produktionszweig ausgibt, beweist zugleich, daß das angebliche Mißverständnis nichts ist als ein mißliebiges Verständnis. Wir bewiesen, daß die Bauersche Kritik unter aller Kritik ist, wodurch wir notwendig Dogmatiker werden. Ja er wirft uns alles Ernstes den unverschämten Unglauben an seine althergebrachten Phrasen vor. Die ganze Mythologie der selbständigen Begriffe, mit dem Wolkensammler Zeus, dem Selbstbewußtsein, an der Spitze, paradiert hier wieder mit "dem Schellenspiel von Redensarten einer ganzen Janitscharenmusik gangbarer Kategorien" ("Lit[eratur]-Z[ei]t[un]g vgl. "Heilige Familie", p. 234), Zuerst natürlich die Mythe von der Weltschöpfung, nämlich von der sauren <93> "Arbeit" des Kritikers, die das "einzig Schöpferische und Produzierende, ein immerwährendes Kämpfen und Siegen, ein fortdauerndes Vernichten und Schaffen", ein "Arbeiten" und "Gearbeitet-Haben" ist. Ja der ehrwürdige Vater wirft der "Heiligen Familie" sogar vor, daß sie "die Kritik" so verstanden hat, wie er selbst sie in der gegenwärtigen Replik versteht. Nachdem er die "Substanz" "in ihr Geburtsland, das Selbstbewußtsein, den kritisierenden und" (seit der "Heiligen Familie" auch) "kritisierten Menschen zurückgenommen und verworfen hat" (das Selbstbewußtsein scheint hier die Stelle einer ideologischen Rumpelkammer einzunehmen), fährt er fort:

"Sie" (die angebliche Feuerbachsche Philosophie) "darf nicht wissen, daß die Kritik und die Kritiker, solange sie sind" (!), "die Geschichte gelenkt und gemacht haben, daß sogar ihre Gegner und alle Bewegungen und Regungen der Gegenwart ihre Geschöpfe sind, daß sie allein es sind, die die Gewalt in ihren Händen haben, weil die Kraft in ihren Bewußtsein, und weil sie die Macht aus sich selber, aus ihren Taten, aus der Kritik, aus ihren Gegnern, aus ihren Geschöpfen schöpfen; daß erst mit dem Akte der Kritik der Mensch befreit wird, und damit die Menschen, der Mensch geschaffen" (!) wird, und damit die Menschen."

Also die Kritik und die Kritiker sind zuerst zwei ganz verschiedene, außereinander stehende und handelnde Subjekte. Der Kritiker ist ein andres Subjekt als die Kritik, und die Kritik ein andres Subjekt als der Kritiker. Diese personifizierte Kritik, die Kritik als Subjekt, ist ja eben die "kritische Kritik", gegen die die "Heilige Familie" auftrat. "Die Kritik und die Kritiker haben, solange sie sind, die Geschichte gelenkt und gemacht." Daß sie dies nicht tun konnten, "solange sie" nicht "sind", ist klar, und daß sie, "solange sie sind", in ihrer Weise "Geschichte gemacht" haben, ist ebenfalls klar. Sankt Bruno kommt endlich so weit, uns einen der tiefsten Aufschlüsse über die staatsbrecherische Macht der Kritik geben zu "dürfen und können", den Aufschluß nämlich, daß "die Kritik und die Kritiker die Gewalt in ihren Händen haben, weil" (schönes Weil!) "die Kraft in ihrem Bewußtsein", und zweitens, daß diese großen Geschichtsfabrikanten "die Gewalt in ihren Händen haben", weil sie "die Macht aus sich selber und aus der Kritik" (also noch einmal aus sich selber) "schöpfen" - wobei leider noch immer nicht bewiesen, daß da drinnen, in "sich selber", in "der Kritik", irgend etwas zu "schöpfen" ist. Wenigstens sollte man nach der eignen Aussage der Kritik glauben, daß es schwer sein müßte, dort etwas andres zu "schöpfen" als die dorthin "verworfene" Kategorie der "Substanz". Schließlich "schöpft" die Kritik noch "die Kraft" zu einem höchst ungeheuerlichen Orakelspruch "aus der Kritik". Sie enthüllt uns nämlich das Geheimnis, so da verborgen war unsern Vätern und verschlossen unsern Großvätern, daß "erst mit dem Akte der Kritik der <94> Mensch geschaffen wird, und damit die Menschen", während man bisher die Kritik für einen Akt der durch ganz andre Akte präexistierenden Menschen versah. Der heilige Bruno selbst scheint hiernach durch "die Kritik", also durch generatio aequivoca <Urzeugung>, "in die Welt, von der Welt und zu der Welt" gekommen zu sein. Vielleicht indes ist dies Alles bloß eine andre Interpretation der Stelle aus der Genesis: Und Adam erkannte, id est kritisierte, sein Weib Hevam, und sie ward schwanger pp.

Wir sehen hier also die ganze altbekannte kritische Kritik, die schon in der "Heiligen Familie" hinreichend signalisiert, nochmals und als ob gar nichts passiert wäre, mit ihren sämtlichen Schwindeleien auftreten. Wundern dürfen wir uns nicht darüber, denn der heilige Mann jammert ja selbst p. 140, daß die "Heilige Familie" "der Kritik jeden Fortschritt abschneide". Mit der größten Entrüstung wirft Sankt Bruno den Verfassern der "Heiligen Familie" vor, daß Sie die Bauersche Kritik vermittelst eines chemischen Prozesses aus ihrem "flüssigen" Aggregatzustande zu einer "kristallinischen" Formation abgedampft habe.

Also die "Institutionen des Bettlertums", das "Taufzeugnis der Mündigkeit", die "Region des Pathos und donnerähnlicher Aspekten", die "moslemitische Begriffsaffektion" ("Heilige Familie", p. 2, 3, 4 nach der kritischen "Lit.-Ztg.") sind nur Unsinn, wenn man sie "kristallinisch" auffaßt; die achtundzwanzig geschichtlichen Schnitzer, die man der Kritik in ihrem Exkurse über "Englische Tagesfragen" nachgewiesen hat, sind, "flüssig" betrachtet, keine Schnitzer? Die Kritik besteht darauf, daß sie, flüssig betrachtet, die Nauwercksche Kollision, nachdem sie längst vor ihren Augen passiert, a priori prophezeit, nicht post festum konstruiert habe? sie besteht noch darauf, daß maréchal, "kristallinisch" betrachtet, ein Hufschmied heißen könne, aber "flüssig" betrachtet, jedenfalls ein Marschall sein müsse? daß, wenn auch für die "kristallinische" Auffassung un fait physique "eine physische Tatsache" sein dürfe, die wahre, "flüssige" Übersetzung davon "eine Tatsache der Physik" laute? daß la malveillance de nos bourgeois juste-milieux im "flüssigen" Zustande noch immer "die Sorglosigkeit unsrer guten Bürger" bedeute? daß, "flüssig" betrachtet, "ein Kind, das nicht wieder Vater oder Mutter wird, wesentlich Tochter ist"? daß Jemand die Aufgabe haben kann, "gleichsam die letzte Wehmutsträne der Vergangenheit darzustellen"? daß die verschiedenen Portiers, Lions, Grisetten, Marquisen, Spitzbuben und hölzernen Türen von Paris in ihrer "flüssigen" Form weiter nichts sind als <95> Phasen des Geheimnisses, "in dessen Begriff es überhaupt liegt, sich selbst beschränkt zu setzen und diese Beschränkung, die es durch sein allgemeines Wesen setzt, wieder aufzuheben, da eben dieses Wesen nur das Resultat seiner innern Selbstunterscheidung, seiner Tätigkeit ist"? daß die kritische Kritik im "flüssigen" Sinne "unaufhaltsam, siegreich und siegsgewiß ihres Weges geht", wenn sie bei einer Frage zuerst behauptet, ihre "wahre und allgemeine Bedeutung" enthüllt zu haben, alsdann zugibt, daß sie "über die Kritik nicht hinausgehen wollte und durfte", und schließlich bekennt, "daß sie noch einen Schritt hätte tun müssen, der aber unmöglich war, weil - er unmöglich war". (p. 184 der "Heiligen Familie")? daß, "flüssig" betrachtet, "die Zukunft noch immer das Werk" der Kritik ist, wenn auch "das Schicksal entscheiden wie es will"? daß, flüssig betrachtet, die Kritik nichts Übermenschliches beging, wenn sie "mit ihren wahren Elementen in einen Widerspruch trat, der in jenen Elementen bereits seine Auflösung gefunden hatte"?

Allerdings begingen die Verfasser der "Heiligen Familie" die Frivolität, alle diese und hundert andre Sätze als Sätze aufzufassen, die einen festen, "kristallinischen" Unsinn ausdrücken - aber man muß die Synoptiker "flüssig", d.h. im Sinne ihrer Verfasser, und beileibe nicht "kristallinisch", d.h. nach ihrem wirklichen Unsinn lesen, um zu dem wahren Glauben zu kommen und die Harmonie des kritischen Haushalts zu bewundern.

"Engels und Marx kennen daher auch nur die Kritik der 'Literatur-Zeitung'" - eine wissentliche Lüge, die beweist, wie "flüssig" der heilige Mann ein Buch gelesen hat, worin seine letzten Arbeiten nur als die Krone seines ganzen "Gearbeitet-Habens" dargestellt werden. Aber der Kirchenvater ermangelte der Ruhe, kristallinisch zu lesen, da er in seinen Gegnern Konkurrenten fürchtet, die ihm die Kanonisation streitig machen, ihn "aus seiner Heiligkeit herausziehen wollen, um sich heilig zu machen".

Konstatieren wir noch im Vorbeigehen die eine Tatsache, daß nach der jetzigen Aussage des heiligen Bruno seine "Literatur-Zeitung" keineswegs die "gesellschaftliche Gesellschaft" zu stiften oder "gleichsam die letzte Wehmutsträne" der deutschen Ideologie "darzustellen" bezweckte, noch den Geist in den schärfsten Gegensatz zur Masse zu stellen und die kritische Kritik in ihrer vollen Reinheit zu entwickeln, sondern - "den Liberalismus und Radikalismus des Jahres 1842 und deren Nachklänge in ihrer Halbheit und Phrasenhaftigkeit darzulegen", also die "Nachklänge" eines bereits Verschollenen zu bekämpfen. Tant de bruit pour une omelettel <Soviel Lärm um einen Eierkuchen!> Übrigens zeigt sich gerade hierin wieder die Geschichtsauffassung der deutschen Theorie <96> in ihrem "reinsten" Licht. Das Jahr 1842 gilt für die Glanzperiode des Liberalismus in Deutschland, weil sich die Philosophie damals an der Politik beteiligte. Der Liberalismus verschwindet für den Kritiker mit dem Aufhören der "Deutschen Jahrbücher" und der "Rheinischen Zeitung" , den Organen der liberalen und radikalen Theorie. Er läßt nur noch "Nachklänge" zurück, während erst jetzt, wo das deutsche Bürgertum das wirkliche, durch ökonomische Verhältnisse erzeugte Bedürfnis der politischen Macht empfindet und zu verwirklichen strebt, während erst jetzt der Liberalismus in Deutschland eine praktische Existenz und damit die Chance eines Erfolgs hat.

Die tiefe Betrübnis Sankt Brunos über die "Heilige Familie" erlaubte ihm nicht, diese Schrift "aus sich selbst und durch sich selbst und mit sich selbst" zu kritisieren. Um seinen Schmerz bemeistern zu können, mußte er sie sich erst in einer "flüssigen" Form verschaffen. Diese flüssige Form fand er in einer konfusen und von Mißverständnissen wimmelnden Rezension im "Westphälischen Dampfboot", Maiheft, p. 206-214. Alle seine Zitate sind aus den im "Westphälischen Dampfboot" zitierten Stellen zitiert, und ohne dasselbige ist Nichts zitiert, was zitiert ist.

Auch die Sprache des heiligen Kritikers ist durch die Sprache des westfälischen Kritikers bedingt. Zuerst werden sämtliche Sätze, die der Westfale ("Dampfboot", p. 206) aus der Vorrede anführt, in die "Wigand'sche Vierteljahrsschrift", p. 140, 141, übertragen. Diese Übertragung bildet den Hauptteil der Bauerschen Kritik, nach dem alten, schon von Hegel empfohlenen Prinzip:

"Sich auf den gesunden Menschenverstand zu verlassen, und, im übrigens auch mit der Zeit und der Philosophie fortzuschreiten, Rezensionen von philosophischen Schriften, etwa gar die Vorreden und ersten Paragraphen derselben zu lesen; denn diese geben die allgemeinen Grundsätze, worauf Alles ankommt, und jene neben der historischen Notiz noch die Beurteilung, die sogar, weil sie Beurteilung ist, über das Beurteilte hinaus ist. Dieser gemeine Weg macht sich im Hausrocke; aber im hohenpriesterlichen Gewande schreitet das Hochgefühl des Ewigen, Heiligen, Unendlichen einher, ein Weg",

den Sankt Bruno auch, wie wir sahen, "niedermetzelnd" zu "gehen" weiß.

- Hegel, "Phänomenologie", p. 54.

Der westfälische Kritiker fährt nach einigen Zitaten aus der Vorrede fort:

"So durch die Vorrede selbst auf den Kampfplatz des Buches geführt" usw. p. 206.

Der heilige Kritiker, nachdem er diese Zitate in die "Wigand'sche Vierteljahrsschrift" übertragen, distinguiert feiner und sagt:

<97> "Das ist das Terrain und der Feind, den sich Engels und Marx zum Kampfe geschaffen haben."

Der westfälische Kritiker setzt aus der Erörterung des kritischen Satzes:

"Der Arbeiter schafft Nichts" nur den zusammenfassenden Schluß hin.

Der heilige Kritiker glaubt wirklich, dies sei Alles, was über den Satz gesagt worden, schreibt p. 141 das westfälische Zitat ab und freut sich der Entdeckung, daß man der Kritik nur "Behauptungen" entgegengesetzt habe.

Aus der Beleuchtung der kritischen Expektorationen über die Liebe schreibt sich der westfälische Kritiker p. 209 erst das corpus delicti <Beweisstück> teilweise und dann aus der Widerlegung einige Sätze ohne allen Zusammenhang heraus, die er als Autorität für seine schwammige, liebesselige Sentimentalität hinstellen möchte.

Der heilige Kritiker schreibt ihm p. 141, 142 alles buchstäblich ab, Satz für Satz in der Ordnung, wie sein Vorgänger zitiert.

Der westfälische Kritiker ruft über der Leiche des Herrn Julius Faucher aus: "Das ist das Los des Schönen auf der Erde!"

Der heilige Kritiker darf seine "saure Arbeit" nicht vollenden, ohne diesen Ausruf p. 142 bei unpassender Gelegenheit sich anzueignen.

Der westfälische Kritiker gibt p. 212 eine angebliche Zusammenfassung der in der "Heiligen Familie" gegen Sankt Bruno selbst gerichteten Entwicklungen.

Der heilige Kritiker kopiert diese Siebensachen getrost und. wörtlich mit allen westfälischen Exklamationen. Er denkt nicht im Traum daran, daß ihm nirgends in der ganzen Streitschrift vorgeworfen wird, er "verwandle die Frage der politischen Emanzipation in die der menschlichen", er "wolle die Juden totschlagen", er "verwandle die Juden in Theologen", er "verwandle Hegel in Herrn Hinrichs" pp. Gläubig plappert der heilige Kritiker dem westfälischen die Angabe nach, als erbiete sich Marx in der "Heiligen Familie" zur Lieferung eines gewissen scholastischen Traktätleins "als Erwiderung auf die alberne Selbstapotheose Bauers". Nun kommt die vom heiligen Bruno als Zitat angeführte "alberne Selbstapotheose" in der ganzen "Heiligen Familie" nirgends, wohl aber bei dem westfälischen Kritiker vor. Ebensowenig wird das Traktätlein als Erwiderung auf die "Selbstapologie" der Kritik, "Heilige Familie" p. 150-163, angeboten, sondern erst im folgenden Abschnitt p. 165 bei Gelegenheit der weltgeschichtlichen Frage, "warum Herr Bauer politisieren mußte?"

Schließlich läßt Sankt Bruno p. 143 Marx als "ergötzlichen Komödianten" <98> auftreten, nachdem sein westfälisches Vorbild bereits "das welthistorische Drama der kritischen Kritik" sich in die "ergötzlichste Komödie" p. 213 hat auflösen lassen.

Siehe, so "dürfen und können" die Gegner der kritischen Kritik es "wissen, wie der Kritiker gearbeitet hat und noch arbeitet!"

4. Nachruf an "M. Heß"

"Was Engels und Marx noch nicht konnten, das vollendet M. Heß."

Großer, göttlicher Übergang, der dem heiligen Manne durch das relative "Können" und "Nichtkönnen" der Evangelisten so fest in den Fingern sitzen geblieben ist, daß er in jedem Aufsatze des Kirchenvaters passend oder unpassend seine Stelle finden muß.

"Was Engels und Marx noch nicht konnten, das vollendet M. Heß." Und was ist das "Was", das "Engels und Marx noch nicht konnten"? Nun, nichts mehr und nichts weniger, als - Stirner kritisieren. Und warum "konnten Engels und Marx Stirner "noch nicht" kritisieren? Aus dem zureichenden Grunde, weil - Stirners Buch noch nicht erschienen war, als sie die "Heilige Familie" schrieben.

Dieser spekulative Kunstgriff, Alles zu konstruieren und das Disparateste in einen vorgeblichen Kausalzusammenhang zu bringen, ist unsrem Heiligen wirklich aus dem Kopf in die Finger gefahren. Er erreicht bei ihm die gänzliche Inhaltslosigkeit und sinkt herab zu einer burlesken Manier, Tautologien mit wichtiger Miene zu sagen. Z.B. schon in der "Allg[emeinen] Literat[ur]-Z[ei]t[un]g" I, 5:

"Der Unterschied zwischen meiner Arbeit und den Blättern, die z.B. ein Philippson vollschreibt" (also den leeren Blattern, auf die "z.B. ein Philippson" schreibt), "muß dann auch so beschaffen sein, wie er in der Tat beschaffen ist"!!!

"M. Heß", für dessen Schriften Engels und Marx durchaus keine Verantwortlichkeit übernehmen, ist dem heiligen Kritiker eine so merkwürdige Erscheinung, daß er weiter nichts tun kann als lange Stellen aus den "Letzten Philosophen" abschreiben und das Urteil fällen, daß "diese Kritik in einzelnen Punkten den Feuerbach nicht kapiert hat oder auch" (o, Theologie!) "das Gefäß sich gegen den Töpfer empören will". Vergl. Römer, 9, 20-21. Nach einer erneuerten "sauren Arbeit" des Zitierens kommt unser heiliger Kritiker dann schließlich zu dem Resultate, daß Heß, weil er die beiden Worte "vereinigt" und "Entwicklung" gebraucht, Hegel abschreibt. Sankt Bruno mußte natürlich den in der "Heiligen Familie" gelieferten Nachweis seiner totalen <99> Abhängigkeit von Hegel durch einen Umweg auf Feuerbach zurückzuwerfen suchen.

"siehe, so mußte Bauer enden! Er hat gegen alle Hegelschen Kategorien", mit Ausnahme des Selbstbewußtseins, "gekämpft, wie und was er nur konnte", speziell in dem famosen Literaturzeitungskampf gegen Herrn Hinrichs. Wie er sie bekämpft und besiegt hat, haben wir gesehen. Zum Überfluß zitieren wir noch Wigand p. 110, wo er behauptet, daß die

"wahre" (1) "Auflösung" (2) "der Gegensätze" (3) "in Natur und Geschichte" (4), "die wahre Einheit" (5) "der getrennten Relationen" (6), "der wahrhaftige" (7) "Grund" (8) "und Abgrund" (9) "der Religion, die wahre unendliche"(10), "unwiderstehliche, selbstschöpferische" (11) "Persönlichkeit" (12) "noch nicht gefunden ist".

In drei Zeilen nicht zwei zweifelhafte, wie bei Heß, sondern ein volles Dutzend "wahrer, unendlicher, unwiderstehliche[r]" und durch "die wahre Einheit der getrennten Relationen" sich als solche beweisende[r] Hegelsche[r] Kategorien - "siehe, so mußte Bauer enden"! Und wenn der heilige Mann in Heß einen gläubigen Christen zu entdecken meint, nicht weil Heß "hofft", wie Bruno sagt, sondern weil er nicht hofft und weil er von "Auferstehen" spricht, so setzt uns der große Kirchenvater in den Stand, ihm aus ebenderselben pagina 110 das prononcierteste Judentum nachzuweisen. Er erklärt dort,

"daß der wirkliche, lebende und leibhaftige Mensch noch nicht geboren ist"!!! (neuer Aufschluß über die Bestimmung des "einzigen Geschlechts") "und die erzeugte Zwittergestalt" (Bruno Bauer?!?) "noch nicht imstande ist, aller dogmatischen Formeln Herr zu werden" pp. -

d.h., daß der Messias noch nicht geboren ist, daß des Menschen Sohn erst in die Welt kommen soll und diese Welt, als Welt des Alten Bundes, noch unter der Zuchtrute des Gesetzes, "der dogmatischen Formeln", steht.

In derselben Weise, wie Sankt Bruno oben "Engels und Marx" zu einem Obergange zu Heß benutzte, dient ihm hier Heß dazu, Feuerbach schließlich wieder in einen Kausalnexus mit seinen Exkursen über Stirner, die "Heilige Familie" und die "Letzten Philosophen" zu bringen:

"Siehe, so mußte Feuerbach enden!" "Die Philosophie mußte fromm enden" pp., Wigand p.145.

Der wahre Kausalnexus ist aber der, daß diese Exklamation eine Nachahmung einer u. a. gegen Bauer gerichteten Stelle aus Heß' "Letzten Philosophen", Vorrede. p. 4, ist:

<100> "So [...] und nicht anders mußten die letzten Nachkommen der christlichen Asketen [...] Abschied von der Welt nehmen."

__________

Sankt Bruno schließt sein Plaidoyer gegen Feuerbach und angebliche Konsorten mit einer Anrede an Feuerbach, worin er ihm vorwirft, er könne nur "ausposaunen", "Posaunenstöße erlassen", während Monsieur B. Bauer oder Madame la critique, "die erzeugte Zwittergestalt" des unaufhörlichen "Vernichtens" nicht zu erwähnen, "auf seinem Triumphwagen fährt und neue Triumphe sammelt" (p. 125), "vom Throne stößt" (p. 119), "niedermetzelt" (p. 111), "niederdonnert" (p. 115), "ein für allemal zugrunde richtet" (p. 120), "zerschmettert" (p. 121), der Natur nur zu "vegetieren" erlaubt (p. 120), "straffere" (!) "Gefängnisse" baut (p. 104) und endlich mit "niedermetzelnder" Kanzelberedsamkeit frischfrommfröhlichfrei das "Fixfirmfestbestehende" p. 105 entwickelt, Feuerbach p. 110 "das Felsige und den Felsen" an den Kopf wirft und schließlich mit einer Seitenwendung auch Sankt Max überwindet, indem er die "kritische Kritik", die "gesellschaftliche Gesellschaft", "das Felsige und den Felsen" noch durch "die abstrakteste Abstraktheit" und "härteste Härte" p. 124 ergänzt.

Alles dies hat Sankt Bruno vollbracht "durch sich selbst und in sich selbst und mit sich selbst", denn er ist "Er selber", ja er ist "stets und selbst der Größeste und kann der Größeste sein" (ist es und kann es sein!) "durch sich selbst und in sich selbst und mit sich selbst" (p. 136). Sela. <Abgemacht; Schluß>

Sankt Bruno wäre für das weibliche Geschlecht allerdings gefährlich, da er die "unwiderstehliche Persönlichkeit" ist, fürchtete er nicht "auf der andern Seite ebensosehr" "die Sinnlichkeit als die Schranke, an der sich der Mensch den Todes-Stoß gehen muß". Er wird daher "durch sich selbst und in sich selbst und mit sich selbst" wohl keine Blumen brechen, sondern sie verwelken lassen in unbegrenzter Sehnsucht und schmachtender Hysterie nach der "unwiderstehlichen Persönlichkeit", die "dieses einzige Geschlecht und diese einzigen, bestimmten Geschlechtsorgane besitzt ". (36)