MLWerke | 1842 | Marx/Engels

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 456/467.
1,5. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999

Friedrich Engels

Die Korngesetze


[»Rheinische Zeitung« Nr. 360/361 vom 27. Dezember 1842]

|466| *†* Aus Lancashire, 22. Dezember. Die bestehenden Korngesetze gehen ihrem Ende rasch entgegen. Das Volk hat eine wahre Wut auf die »Brottaxe«, und die Tories mögen machen, was sie wollen, sie können gegen den Andrang der erbitterten Masse nicht standhalten. Sir Robert Peel hat das Parlament bis zum zweiten Februar vertagt - sechs Wochen Zeit für die Opposition, jene Wut noch mehr zu schüren. Peel wird sich gleich von vornherein bei Eröffnung der neuen Session über die sliding-scale zu erklären haben; man glaubt allgemein, daß er in seiner Ansicht über sie wenigstens wankend geworden ist. Entschließt er sich, sie fallenzulassen, so wird die strengere Torypartei das Ministerium ohne Zweifel verlassen und den gemäßigten Whigs Platz machen, so daß schon dann die Koalition Peel-Russell zustande käme. In jedem Falle wird die Aristokratie sich hartnäckig verteidigen, und ich meinerseits glaube nicht, daß sie gutwillig zur Freigebung der Korneinfuhr zu bringen ist. Der englische Adel hat die Reformbill und die Emanzipation der Katholiken durchgehen lassen, aber die Selbstüberwindung, die ihm dies gekostet hat, würde nichts sein gegen die, mit der er die Korngesetze abschaffte. Was ist die Schwächung des aristokratischen Einflusses auf die Wahl des Unterhauses gegen die Herabsetzung des Vermögens aller englischen Adligen um 30 Prozent? Und wenn schon die beiden obigen Bills solche Kämpfe gemacht haben, wenn die Reformbill nur mit Hülfe von Volksaufständen, mit Steinwürfen in die Fenster der Aristokraten durchgesetzt wurde, dann sollte der Adel es bei dieser Frage nicht darauf ankommen lassen, ob das Volk mutig und stark genug ist, seinen Willen durchzuführen? Ohnehin haben die Sommerunruhen dem Adel ja gezeigt, wie wenig das englische Volk taugt, wenn es revoltiert. Ich hin fest überzeugt, daß die Aristokratie diesmal standhalten wird, bis ihr das Messer an der Kehle sitzt. Daß das Volk aber nicht lange mehr von jedem Pfunde Brot, das es verzehrt, der Aristokratie |467|* einen Penny (zehn Pfennige preußisch) bezahlen wird, ist gewiß. Dafür hat die Anti-Corn-Law League gesorgt. Ihre Tätigkeit ist ungeheuer gewesen, einen genauern Bericht darüber behalte ich mir vor. Soviel für heute, daß eines der wichtigsten Resultate, das teils die Korngesetze, teils die League hervorgebracht haben, die Befreiung der Pächter von dem moralischen Einfluß ihrer adligen Grundbesitzer ist. Bisher war niemand gegen politische Verhältnisse gleichgültiger gewesen als die englischen Pächter, d.h. der ganze ackerbauende Teil der Nation. Der Landlord (Gutsbesitzer) war, wie sich von selbst versteht, Tory, und jagte jeden Pächter fort, der bei den Parlamentswahlen gegen die Tories stimmte. Daher kam es denn, daß die 252 Parlamentsglieder, welche das platte Land im vereinigten Königreiche zu wählen hat, regelmäßig fast lauter Tories waren. Durch die Wirkungen der Korngesetze sowie durch die Publikationen der League, die in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet wurden, ist aber nun in dem Pächter der politische Sinn geweckt worden. Er hat eingesehen, daß sein Interesse nicht mit dem des Landlords identisch, sondern ihm gerade entgegengesetzt ist, und daß die Korngesetze für niemand ungünstiger gewesen sind als für ihn. Daher ist denn auch eine bedeutende Veränderung unter den Pächtern vorgegangen; die Mehrzahl derselben ist jetzt Whig, und da es den Landlords schwerfallen dürfte, jetzt noch einen durchgreifenden Einfluß auf die Stimme der Pächter bei den Wahlen auszuüben, so werden die 252 Tories wohl bald in ebensoviel Whigs übergehen. Wenn dieser Übergang auch nur bei der Hälfte einträte, so würde dadurch schon die Gestalt des Unterhauses bedeutend verändert werden, indem hierdurch die Majorität des Unterhauses den Whigs für immer gesichert wäre. Und das m«ß geschehen. Vollends wenn die Korngesetze aufgehoben wären, denn dann wäre der Pächter ganz unabhängig gegen den Landlord, weil von jener Aufhebung an die Pachtkontrakte unter ganz neuen Bedingungen geschlossen werden müssen. Die Aristokratie hat wunders einen klugen Streich zu machen gemeint, als sie die Korngesetze gab; aber das Geld was sie dadurch bekommen hat, wiegt lange nicht den Nachteil auf, den ihr jene Gesetze gebracht haben. Und dieser Nachteil besteht eben darin, daß von nun an die Aristokratie nicht mehr als die Vertreterin des Ackerbaus, sondern ihrer eigenen selbstsüchtigen Interessen dasteht.


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