MLWerke | 1842 | Marx/Engels

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 433-445.
1,5. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999

Friedrich Engels

Alexander Jung, Vorlesungen über die moderne Literatur der Deutschen

Danzig 1842. Gerhard.

Geschrieben um den 15. Juni 1842.


»Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst«, Leipzig 1842.

|433| Je erfreulicher die gewaltige geistige Bewegung ist, mit welcher Königsberg sich in den Mittelpunkt der deutschen politischen Entwicklung zu setzen sucht, je freier und ausgebildeter sich dort die öffentliche Meinung beweist, um so seltsamer erscheint es, daß an eben diesem Orte in philosophischer Beziehung ein gewisses juste-milieu sich geltend zu machen sucht, das mit der Majorität des dortigen Publikums offenbar in Widerspruch geraten muß. Und wenn Rosenkranz immer noch manche respektable Seite hat, obwohl auch ihm der Mut der Konsequenz abgeht, so tritt die ganze Schlaffheit und Erbärmlichkeit des philosophischen juste-milieu in Herrn Alexander Jung ans Tageslicht.

Es gibt bei jeder Bewegung, bei jedem Ideenkampfe eine gewisse Art verworrner Köpfe, die sich nur im trüben ganz wohl befinden. Solange die Prinzipien mit sich selbst noch nicht im reinen sind, läßt man solche Subjekte mitlaufen; solange jeder nach Klarheit ringt, ist es nicht leicht, ihre prädestinierte Unklarheit zu erkennen. Wenn aber die Elemente sich scheiden, Prinzip gegen Prinzip steht, dann ist es an der Zeit, jenen Unbrauchbaren den Abschied zu geben und sich definitiv mit ihnen ins reine zu setzen; denn dann zeigt sich ihre Hohlheit auf eine erschreckende Weise.

Zu diesen Leuten gehört auch Herr Alexander Jung. Sein obiges Buch bliebe am besten ignoriert; da er aber außerdem ein »Königsberger Literatur-Blatt« herausgibt und seinen langweiligen Positivismus auch hier allwöchentlich vors Publikum bringt, so mögen die Leser der »Jahrbücher« es mir verzeihen, wenn ich ihn einmal aufs Korn fasse und etwas ausführlicher charakterisiere.

Zur Zeit des weiland jungen Deutschlands trat er mit Briefen über die neueste Literatur auf. Er hatte sich der jüngern Richtung angeschlossen und geriet nun mit ihr in die Opposition, ohne daß er es wollte. Welche Stellung für unsren Vermittler! Herr Alexander Jung auf der äußersten Linken!

|434| Man kann sich die Unbehaglichkeit, in der er sich befand, den Schwall von Beschwichtigungen, von dem er sprudelte, leicht denken. Nun hatte er eine besondre Passion für Gutzkow, der damals für den Erzketzer galt. Er wollte seinem gepreßten Herzen Luft machen, aber er fürchtete sich, er wollte nicht anstoßen. Wie sollte er sich helfen? Er fand ein Mittelchen, das ganz seiner würdig war. Er schrieb eine Apotheose Gutzkows und vermied es, seinen Namen darin zu nennen; dann setzte er darüber: »Fragmente über den Ungenannten«. Wenn Sie erlauben, Herr Alexander Jung, das war feig!

Seitdem trat Jung wieder mit einem vermittelnden und verworrnen Buche auf: »Königsberg in Preußen und die Extreme des dortigen Pietismus.« Welch ein Titel schon! Den Pietismus selbst läßt er gelten, aber seine Extreme müssen bekämpft werden, ebensogut, wie jetzt im »Königsberger Literatur-Blatt« die Extreme der junghegelschen Richtung bekämpft werden, wie alle Extreme überhaupt vom Übel sind und nur die liebe Vermittlung und Mäßigung etwas taugt. Als wenn nicht die Extreme die bloßen Konsequenzen wären! Übrigens ist das Buch seinerzeit in den »Hallischen Jahrbüchern« besprochen worden.

Jetzt kommt er mit dem obigen Buch heran und gießt einen reichlichen Eimer voll vager, kritikloser Behauptungen, verworrner Urteile, hohler Phrasen und lächerlich beschränkter Anschauungen vor uns aus. Es ist, als wenn er seit seinen »Briefen« geschlafen hätte. Rien appris rien oublie! |Nichts gelernt, nichts vergessen!| Das junge Deutschland ist vorübergegangen, die junghegelsche Schule ist gekommen, Strauß, Feuerbach, Bauer, die »Jahrbücher« haben die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, der Kampf der Prinzipien ist in der schönsten Blüte, es handelt sich um Leben oder Tod, das Christentum steht auf dem Spiele, die politische Bewegung erfüllt alles, und der gute Jung ist noch immer des naiven Glaubens, »die Nation« habe nichts andres zu tun, als auf ein neues Stück von Gutzkow, einen versprochnen Roman von Mundt, eine zu erwartende Bizarrerie von Laube gespannt zu sein. Während ganz Deutschland widerhallt vom Kampfgeschrei, während die neuen Prinzipien zu seinen eignen Füßen debattiert werden, sitzt Herr Jung in seinem Kämmerlein, kaut in der Feder und grübelt nach über den Begriff des »Modernen«. Er hört nichts, er sieht nichts, denn er steckt bis über die Ohren in Bücherballen, für deren Inhalt sich jetzt kein Mensch mehr interessiert, und müht sich ab, die einzelnen Stücke recht ordentlich und nett unter Hegelsche Kategorien zu rangieren.

Ans Tor seiner Vorlesungen stellt er als Wache den Popanz des »Modernen« |435|* auf. Was ist das »Moderne«? Herr Jung sagt, als Ausgangspunkte dafür setze er Byron und George Sand voraus, die nächsten prinzipiellen Elemente der neuen Weltzeit seien für Deutschland: Hegel und die Schriftsteller der sogenannten jungen Literatur. - Was dem armen Hegel nicht alles zugeschoben wird! Atheismus, Alleinherrschaft des Selbstbewußtseins, revolutionäre Staatslehre, und jetzt noch das junge Deutschland. Es ist aber geradezu lächerlich, Hegel mit dieser Koterie in Verbindung zu bringen. Weiß denn Herr Jung nicht, daß Gutzkow von jeher gegen die Hegelsche Philosophie polemisiert hat, daß Mundt und Kühne so gut wie gar nichts von der Sache verstehen, daß namentlich Mundt in der »Madonna« und sonst das verrückteste Zeug, die größten Mißverständnisse in bezug auf Hegel ausgesprochen hat und jetzt erklärter Gegner seiner Lehre ist? Weiß er nicht, daß Wienbarg sich ebenfalls gegen Hegel aussprach und Laube in seiner Literaturgeschichte Hegelsche Kategorien fortwährend falsch gebrauchte?

Jetzt geht Herr Jung an den Begriff des »Modernen« und quält sich auf sechs Seiten damit herum, ohne ihn zu bewältigen. Natürlich! Als ob das »Moderne« jemals »in den Begriff erhoben werden« könne! Als ob eine so vage, gehaltlose, unbestimmte Phrase, die von oberflächlichen Köpfen in gewisser geheimnisvoller Weise überall vorgeschoben wurde, jemals eine philosophische Kategorie werden könne! Welcher Abstand von dem »Modernen« Heinrich Laubes, das nach aristokratischen Salons riecht und sich nur in Gestalt eines Dandy verkörpert, bis zu der »modernen Wissenschaft« auf dem Titel der Straußschen Glaubenslehre. Das hilft aber alles nicht, Herr A. Jung sieht diesen Titel als einen Beweis an, daß Strauß das Moderne, das speziell jungdeutsche Moderne als eine Macht über sich anerkenne, und bringt ihn flugs mit der jungen Literatur unter einen Hut. Endlich bestimmt er den Begriff des Modernen als die Unabhängigkeit des Subjekts von jeder bloß äußerlichen Autorität. Daß das Streben danach ein Hauptmoment der Zeitbewegung sei, haben wir längst gewußt, und daß die »Modernen« damit zusammenhängen, leugnet keiner; aber es zeigt sich hier recht glänzend die Verkehrtheit, mit der Herr Jung platterdings einen Teil zum Ganzen, eine überlebte Durchgangsepoche zur Blütezeit erheben will. Das junge Deutschland soll nun einmal, es mag biegen oder brechen, zum Träger des ganzen Zeitinhalts gemacht werden, und nebenbei soll Hegel auch noch sein Stückchen abbekommen. Man sieht, wie Herr Jung bisher in zwei Teile geteilt war; in der einen Herzkammer trug er Hegel, in der andern das junge Deutschland. Jetzt, als er diese Vorlesungen schrieb, mußte er diese beiden notwendig in Zusammenhang bringen. Welche Verlegenheit! Die linke Hand karessierte die Philosophie, die rechte die oberflächliche, schillernde Unphilosophie |436|*, und auf gut christlich wußte die rechte Hand nicht, was die linke tat. Wie sollte er sich helfen? Statt ehrlich zu sein, und von den beiden unvereinbaren Liebhabereien die eine fallenzulassen, machte er eine kühne Wendung und leitete die Unphilosophie aus der Philosophie ab.

Zu diesem Zwecke wird der arme Hegel auf dreißig Seiten beleuchtet. Eine schwülstige, phrasenstrotzende Apotheose ergießt ihre trübe Flut auf das Grab des großen Mannes; sodann plagt sich Herr Jung, zu beweisen, daß der Grundzug des Hegelschen Systems die Behauptung des freien Subjekts gegen die Heteronomie der starren Objektivität sei. Man braucht aber nicht eben bewandert im Hegel zu sein, um zu wissen, daß er einen weit höhern Standpunkt in Anspruch nimmt, den der Versöhnung des Subjekts mit den objektiven Gewalten, daß er einen ungeheuren Respekt vor der Objektivität hatte, die Wirklichkeit, das Bestehende weit höher stellte, als die subjektive Vernunft des einzelnen, und gerade von diesem verlangte, die objektive Wirklichkeit als vernünftig anzuerkennen. Hegel ist nicht der Prophet der subjektiven Autonomie, wie Herr Jung meint und wie sie als Willkür im jungen Deutschland zutage kommt, Hegels Prinzip ist auch Heteronomie, Unterwerfung des Subjekts unter die allgemeine Vernunft. Zuweilen sogar, z.B. in der Religionsphilosophie, unter die allgemeine Unvernunft. Das, was Hegel am meisten verachtete, war der Verstand, und was ist dieser andres, als die in ihrer Subjektivität und Vereinzelung fixierte Vernunft? Nun wird mir aber Herr Jung antworten, so habe er das nicht gemeint, er rede nur von bloß äußerlicher Autorität, er wolle in Hegel auch nichts andres sehen als die Vermittlung beider Seiten, und das »moderne« Individuum wolle seiner Ansicht nach weiter nichts, als eben sich bedingt sehen nur »durch eigne Einsicht in die Vernünftigkeit eines Objektiven« - dann bitte ich mir aber auch aus, daß er mir Hegel nicht mit den Jungdeutschen zusammenbringt, deren Wesen eben die subjektive Willkür, die Marotte, das Kuriosum ist; dann ist »das moderne Individuum« nur ein andrer Ausdruck für einen Hegelianer. Bei einer so grenzenlosen Verwirrung muß Herr Jung denn auch das »Moderne« innerhalb der Hegelschen Schule aufsuchen, und richtig ist die linke Seite dazu vorzugsweise berufen, mit den Jungdeutschen zu fraternisieren.

Endlich kommt er zur »modernen« Literatur, und es geht jetzt eine allgemeine Anerkennung und Loberei los. Da ist keiner, der nicht irgend etwas Gutes getan hätte, keiner, der nicht etwas Bemerkenswertes repräsentierte, keiner, dem die Literatur nicht irgendeinen Fortschritt verdankte. Dieses ewige Bekomplimentieren, dieses Vermittlungsstreben, diese Wut, den literarischen Kuppler und Unterhändler zu spielen, ist unerträglich. Was |437| geht das die Literatur an, ob dieser oder jener ein bißchen Talent hat, hier und da eine Kleinigkeit leistet, wenn er sonst nichts taugt, wenn seine ganze Richtung, sein literarischer Charakter, seine Leistungen im Großen nichts wert sind? In der Literatur gilt jeder nicht für sich, sondern nur in seiner Stellung zum Ganzen. Wenn ich mich zu einer solchen Art Kritik hergeben wollte, so müßte ich auch mit Herrn Jung selbst glimpflicher verfahren, weil vielleicht fünf Seiten in diesem Buche nicht übel geschrieben sind und einiges Talent verraten. - Eine Masse komischer Aussprüche fließen Herrn Jung mit einer großen Leichtigkeit und einer gewissen Grandezza aus der Feder. So, von den scharfen Abfertigungen Pücklers durch die Kritik sprechend, freut er sich, daß diese »ohne Ansehen der Person und des Ranges ihr Urteil falle. Es zeugt dieses in Wahrheit von einem hohen, in sich selbst unabhängigen Standpunkt deutscher Kritik.« Welch eine schlechte Meinung muß Herr Jung von der deutschen Nation haben, daß er ihr dergleichen so hoch anrechnet! Als ob wunders welche Courage dazu gehörte, die Werke eines Fürsten zu tadeln!

Ich übergehe dies Geschwätz, das den Anspruch macht, Literaturgeschichte zu sein und außer seiner innern Hohlheit und Zusammenhangslosigkeit auch noch grenzenlos lückenhaft ist; so fehlen die Lyriker Grün, Lenau, Freiligrath, Herwegh, so die Dramatiker Mosen und Klein usw. Endlich kommt er dahin, worauf er von vornherein losgearbeitet hat, auf sein liebes junges Deutschland, das für ihn die Vollendung des »Modernen« ist. Er beginnt mit Börne. In Wahrheit aber ist Börnes Einfluß auf das junge Deutschland so groß nicht, Mundt und Kühne erklärten ihn für verrückt, Lauben war er zu demokratisch, zu entschieden, und nur bei Gutzkow und Wienbarg äußerten sich nachhaltigere Wirkungen. Gutzkow namentlich verdankt Börnen sehr viel. Der größte Einfluß, den Börne gehabt hat, das ist jener stille auf die Nation, die seine Werke als ein Heiligtum bewahrt und sich daran gestärkt und aufrecht erhalten hat in den trüben Zeiten von 1832 bis 1840, bis die wahren Söhne des Pariser Briefstellers in den neuen, philosophischen Liberalen erstanden. Ohne die direkte und indirekte Wirkung Börnes wäre es der aus Hegel hervorgehenden freien Richtung weit schwerer geworden, sich zu konstituieren. Es kam jetzt aber bloß darauf an, die verschütteten Gedankenwege zwischen Hegel und Börne auszugraben, und das war so schwer nicht. Diese beiden Männer standen sich näher als es schien. Die Unmittelbarkeit, die gesunde Anschauung Börnes erwies sich als die praktische Seite dessen, was Hegel theoretisch wenigstens in Aussicht stellte. Herr Jung sieht das natürlich wieder nicht ein. Börne ist ihm gewissermaßen allerdings ein respektabler Mann, der sogar Charakter hatte, |438| was unter Umständen gewiß viel wert ist, er hat unleugbare Verdienste, wie etwa Varnhagen und Pückler auch, und hat namentlich gute Theaterkritiken geschrieben, aber er war ein Fanatiker und Terrorist, und davor behüte uns der liebe Gott! Pfui über so eine schlaffe, mattherzige Auffassung eines Mannes, der allein durch seine Gesinnung ein Träger seiner Zeit wurde! Dieser Jung, der das junge Deutschland und sogar die Persönlichkeit Gutzkows aus dem absoluten Begriff konstruieren will, ist nicht einmal imstande, einen so einfachen Charakter wie Börne zu begreifen; er sieht nicht ein, wie notwendig, wie konsequent auch die extremsten, radikalsten Aussprüche aus Börnes innerstem Wesen hervorgehen, daß Börne seiner Natur nach Republikaner war, und für einen solchen die »Pariser Briefe« wahrlich nicht zu stark geschrieben sind. Oder hat Herr Jung nie einen Schweizer oder Nordamerikaner über monarchische Staaten sprechen hören? Und wer will es Börnen zum Vorwurf machen, daß er »das Leben nur aus dem Gesichtspunkte der Politik betrachtete«? Tut nicht Hegel dasselbe? Ist nicht auch ihm der Staat in seinem Übergange zur Weltgeschichte, also in den Verhältnissen der innern und äußern Politik, die konkrete Realität des absoluten Geistes? Und - es ist lächerlich - bei dieser unmittelbaren, naiven Anschauung Börnes, die in der erweiterten Hegelschen ihre Ergänzung findet und oft aufs überraschendste zu ihr stimmt, meint Herr Jung dennoch, Börne habe sich »ein System der Politik und des Völkerglücks entworfen«, so ein abstraktes Wolkengebilde, aus dem man sich seine Einseitigkeiten und Verhärtungen erklären müsse! Herr Jung hat keine Ahnung von der Bedeutung Börnes, von seinem eisernen, geschloßnen Charakter, von seiner imponierenden Willensfestigkeit; eben weil er selbst so ein gar kleines, weichherziges, unselbständiges Allerweltsmännchen ist. Er weiß nicht, daß Börne einzig dasteht als Persönlichkeit in der deutschen Geschichte, er weiß nicht, daß Börne der Bannerträger deutscher Freiheit war, der einzige Mann in Deutschland zu seiner Zeit; er ahnt nicht, was es heißt, gegen vierzig Millionen Deutsche aufstehen und das Reich der Idee proklamieren; er kann es nicht begreifen, daß Börne der Johannes Baptista der neuen Zeit ist, der den selbstzufriednen Deutschen von der Buße predigt und ihnen zuruft, daß die Axt schon an der Wurzel des Baumes liege und der Stärkere kommen wird, der mit Feuer tauft und die Spreu unbarmherzig von der Tenne fegt. Zu dieser Spreu darf sich auch Herr A. Jung rechnen. Endlich kommt Herr Jung zu seinem lieben jungen Deutschland und beginnt mit einer erträglichen, aber viel zu ausführlichen Kritik Heines. Die übrigen werden sodann nach der Reihe durchgenommen, zuerst Laube, Mundt, Kühne, sodann Wienbarg, dem verdientermaßen gehuldigt wird, und endlich auf fast fünfzig Seiten |439| Gutzkow. Die ersten drei verfallen der gewöhnlichen juste-milieu-Huldigung, viel Anerkennung und sehr bescheidner Tadel; Wienbarg wird entschieden hervorgehoben, aber kaum auf vier Seiten, und Gutzkow endlich mit einer unverschämten Unterwürfigkeit zum Träger des »Modernen« gemacht, nach dem Hegelschen Begriffsschema konstruiert und als Persönlichkeit ersten Ranges behandelt.

Wäre es ein junger, sich erst entwickelnder Autor, der mit solchen Urteilen aufträte, man ließe sich das gefallen; es gibt manchen, der eine Zeitlang Hoffnungen auf die junge Literatur gesetzt und im Hinblick auf eine erwartete Zukunft ihre Werke nachsichtiger betrachtet hat, als er es sonst vor sich selbst verantworten konnte. Namentlich wer die jüngsten Entwicklungsstufen des deutschen Geistes in seinem eignen Bewußtsein reproduziert hat, wird irgendeinmal mit Vorliebe auf die Produktionen Mundts, Laubes oder Gutzkows geblickt haben. Aber der Fortschritt über diese Richtung hinaus hat sich seitdem viel zu energisch geltend gemacht, und die Gehaltlosigkeit der meisten Jungdeutschen ist auf eine erschreckende Weise offenbar geworden.

Das junge Deutschland rang sich aus der Unklarheit einer bewegten Zeit empor und blieb selbst noch mit dieser Unklarheit behaftet. Gedanken, die damals noch formlos und unentwickelt in den Köpfen goren, die später erst durch Vermittlung der Philosophie zum Bewußtsein kamen, wurden vom jungen Deutschland zum Spiel der Phantasie benutzt. Daher die Unbestimmtheit, die Verwirrung der Begriffe, die unter den Jungdeutschen selbst herrschte. Gutzkow und Wienbarg wußten noch am meisten, was sie wollten, Laube am wenigsten. Mundt lief sozialen Marotten nach, Kühne, in dem etwas Hegel spukte, schematisierte und klassifizierte. Aber bei der allgemeinen Unklarheit konnte nichts Rechtes zutage kommen. Der Gedanke von der Berechtigung der Sinnlichkeit wurde nach Heines Vorgang roh und flach gefaßt, die politisch-liberalen Prinzipien waren nach den Persönlichkeiten verschieden, und die Stellung des Weibes gab zu den fruchtlosesten und konfusesten Diskussionen Anlaß. Keiner wußte, woran er mit dem andern war. Auf die allgemeine Verwirrung der Zeit müssen auch die Maßregeln der verschiedenen Regierungen gegen diese Leute geschoben werden. Die phantastische Form, in der jene Vorstellungen propagiert wurden, konnte nur dazu beitragen, jenen wirren Zustand zu vermehren. Durch das glänzende Exterieur der jungdeutschen Schriften, die geistreiche, pikante, lebendige Schreibart derselben, die geheimnisvolle Mystik, mit welcher die Hauptschlagwörter umgeben waren, sowie durch die Regeneration der Kritik und die Belebung der belletristischen Zeitschriften, die von ihnen ausging, zogen sie bald jüngere Schriftsteller in Masse an sich, und es dauerte nicht lange, |440| so hatte jeder von ihnen, mit Ausnahme Wienbargs, seinen Hof. Die alte schlaffe Belletristik mußte dem jungen Andrange weichen, und die »junge Literatur« nahm das eroberte Feld in Besitz, teilte sich darein und - zerfiel in sich selbst über der Teilung. Hier kam die Unzulänglichkeit des Prinzips zum Vorschein. Jeder hatte sich im andern getäuscht. Die Prinzipien verschwanden, es handelte sich nur noch um Persönlichkeiten, Gutzkow oder Mundt, das war die Frage. Cliquenwesen, Häkeleien, Streitigkeiten um nichts und wieder nichts begannen die Journale zu füllen.

Der leichte Sieg hatte die jungen Herren übermütig und eitel gemacht. Sie hielten sich für welthistorische Charaktere. Wo ein junger Schriftsteller auftrat, gleich wurde ihm die Pistole auf die Brust gesetzt und unbedingte Unterwerfung gefordert. Jeder machte den Anspruch, exklusiver Literaturgott zu sein. Du sollst keine andern Götter haben neben mir! Der geringste Tadel erregte tödliche Feindschaften. Auf diese Weise verlor die Richtung allen geistigen Inhalt, den sie noch etwa gehabt hatte, und sank in den reinen Skandal herab, der in Heines Buch über Börne kulminierte und in infame Gemeinheit überging. Von den einzelnen Persönlichkeiten ist Wienbarg unbedingt die nobelste; ein ganzer, kräftiger Mann, eine Statue von hellglänzendem Erz aus einem Gusse, daran kein Rostfleck ist. Gutzkow ist der Klarste, Verständigste; er hat am meisten produziert und neben Wienbarg auch die entschiedensten Zeugnisse seiner Gesinnung gegeben. Will er auf dem dramatischen Gebiet bleiben, so sorge er indes für beßre, ideenvollre Stoffe, als er sie bisher gewählt hat, und schreibe statt aus dem »modernen« aus dem wirklichen Geist der Gegenwart heraus. Wir verlangen mehr Gedankengehalt als die liberalen Phrasen des Patkul oder die weiche Empfindsamkeit des Werner. Wozu Gutzkow viel Talent hat, ist die Publizistik; er ist ein geborner Journalist, aber er kann sich nur durch ein Mittel halten: wenn er sich die neuesten religions- und staatsphilosophischen Entwicklungen aneignet und seinen »Telegraphen«, den er, wie es heißt, wieder auferstehen lassen will, der großen Zeitbewegung unbedingt widmet. Läßt er aber die entartete Belletristerei seiner Herr werden, so wird er nicht besser werden als die übrigen schönwissenschaftlichen Journale, die nicht Fisch und nicht Fleisch sind, von langweiligen Novellen strotzen, kaum durchblättert werden und überhaupt an Gehalt und in der Achtung des Publikums mehr als je gesunken sind. Ihre Zeit ist vorbei, sie lösen sich allmählich in die politischen Zeitungen auf, die das bißchen Literatur noch ganz gut mit abfertigen können.

Laube ist bei all seinen schlechten Eigenschaften doch noch gewissermaßen liebenswürdig; aber seine unordentliche, prinziplose Schreiberei, |441| heut Romane, morgen Literaturgeschichte, übermorgen Kritiken, Dramen usw., seine Eitelkeit und Flachheit läßt ihn nicht aufkommen. Den Mut der Freiheit hat er ebensowenig als Kühne. Die »Tendenzen« der weiland »jungen Literatur« sind längst vergessen, das leere, abstrakte Literaturinteresse hat beide ganz in Anspruch genommen. Dagegen ist die Indifferenz bei Heine und Mundt zur offnen Apostasie geworden. Heines Buch über Börne ist das Nichtswürdigste, was jemals in deutscher Sprache geschrieben wurde; Mundts neueste Tätigkeit im »Piloten« nimmt dem Verfasser der »Madonna« die letzte Spur von Achtung in den Augen der Nation. Man weiß hier in Berlin nur zu gut, was Herr Mundt mit einer solchen Selbstentwürdigung bezweckt, nämlich eine Professur; um so ekelerregender ist diese plötzlich in Herrn Mundt gefahrne Untertänigkeit. Herr Mundt und sein Waffenträger F. Radewell mögen nur fortfahren, die neuere Philosophie zu verdächtigen, den Notanker der Schellingschen Offenbarung zu ergreifen und sich durch ihre unsinnigen Versuche, selbst zu philosphieren, vor der Nation lächerlich zu machen. Die freie Philosophie kann ihre philosophischen Schülerarbeiten ruhig und unwiderlegt in die Welt gehen lassen; sie zerfallen in sich selbst. Was den Namen des Herrn Mundt an der Stirn trägt, ist, wie die Werke Leos, mit dem Malzeichen der Apostasie gebrandmarkt. Vielleicht bekommt er an Herrn Jung bald einen neuen Hintersassen; er läßt sich bereits gut an, wie wir gesehen haben und noch weiter sehen werden.

Nachdem Herr Jung nun den eigentlichen Zweck seiner Vorlesungen hinter sich hat, drängt es ihn gewaltig, sich zum Schluß noch einmal recht dem Gelächter der Nation preiszugeben. Er geht von Gutzkow auf David Strauß über, schreibt ihm das eminente Verdienst zu, »die Resultate von Hegel und Schleiermacher und des modernen Stils« (ist das etwa moderner Stil?) in sich zusammengezogen zu haben, klagt dabei aber entsetzlich über die greuliche, ewige Negation. Ja, die Negation, die Negation! Die armen Positivisten und juste-milieu-Leute sehen die negative Flut immer höher und höher schwellen, klammern sich fest aneinander und schreien nach etwas Positivem. Da jammert nun so ein Alexander Jung über die ewige Bewegung der Weltgeschichte, nennt den Fortschritt Negation und spreizt sich zuletzt zum falschen Propheten auf, der »eine große positive Geburt« weissagt; die er mit den verschrobensten Phrasen im voraus beschreibt, und die Strauß, Feuerbach und was damit zusammenhängt, mit dem Schwerte des Herrn besiegen werde. Auch in seinem »Literatur-Blatt« predigt er das Wort vom neuen »positiven« Messias. Kann es etwas Unphilosophischeres geben als ein so unverhohlnes Mißvergnügen, eine so offne Unbefriedigung in der Gegenwart? Kann man sich weibischer und kraftloser betragen, als es Herr A. Jung |442| tut? Kann man sich eine ärgre Phantasterei denken - die neuschellingsche Scholastik ausgenommen - als diesen frommen Glauben an den »positiven Messias«? Wann gab es eine größre - und leider auch verbreitetre Verwirrung als diejenige, welche jetzt in Beziehung auf die Begriffe »positiv und negativ« herrscht? Man gebe sich nur einmal die Mühe, die verschriene Negation näher anzusehen, und man wird finden, daß sie durch und durch selbst Position ist. Für diejenigen freilich, die das Vernünftige, den Gedanken, weil er nicht still steht, sondern sich bewegt, für nicht positiv erklären, und deren kraftloses Efeugemüt einer alten Mauerruine, eines Faktums bedarf, um sich an ihm zu halten, für die ist freilich aller Fortschritt Negation. In Wahrheit aber ist der Gedanke in seiner Entwicklung das allein Ewige und Positive, während die Faktizität, die Äußerlichkeit des Geschehens eben das Negative, Verschwindende und der Kritik Anheimfallende ist.

»Wer aber wird der Heber dieses unendlichen, in unsrer Nähe weilenden Schatzes sein?« fährt Herr Jung mit gesteigertem Pathos fort. Ja, wer wird der Messias sein, der die schwachen, zagenden Seelen aus dem Exil der Negation, aus der finstern Nacht der Verzweiflung zurückführen wird in das Land, da Milch und Honig fließt? »Ob Schelling? - - - - Große, heilige Hoffnungen setzen wir auf Schelling, eben weil Er so lange der Einsamkeit vertraut, eben weil er jenen Ruhesitz am Urquelle des Denkens und Schaffens entdeckt hat, jenen Herrschersitz, welcher die Zeit aufhören macht, Zeit zu sein!« usw. Ja, so spricht ein Hegelianer, und weiter (»Königsberger Literatur-Blatt« Nr. 4): »Wir versprechen uns von Schelling außerordentlich viel. Schelling wird, hoffen wir, mit derselben Leuchte eines niegesehenen, neuen Lichtes durch die Geschichte schreiten, wie er einst durch die Natur geschritten ist« usw. Sodann Nr. 7 eine Huldigung für den unbekannten Gott Schellings. Die Philosophie der Mythologie und der Offenbarung wird als notwendig konstruiert, und Herr Jung ist selig in dem Bewußtsein, Schellings, des großen Schelling Gedankenbahnen auch schon von ferne mit seinem begeisterten Auge nachahnen zu können. Solch ein markloser, sehnsüchtiger Geist ist dieser Jung, daß er nur in der Hingebung an einen andern, in der Unterwerfung unter fremde Autorität sich befriedigt findet. Keine Ahnung von Selbständigkeit ist bei ihm zu finden; sowie ihm der Halt genommen wird, den er umfaßt, knickt er in sich selbst zusammen und weint helle Tränen der Sehnsucht. Sogar an etwas, was er noch nicht kennt, wirft er sich weg, und trotz der ziemlich genauen Nachrichten, die man schon vor Schellings Auftreten in Berlin über seine Philosophie und den speziellen Inhalt seiner Vorlesungen hatte, kennt Herr Jung keine größre Seligkeit, als zu |443| Schellings Füßen im Staube zu sitzen. Er weiß nicht, wie Schelling sich in der Vorrede zu dem Cousinschen Werk über Hegel ausgesprochen hat, oder vielmehr er weiß es wohl, und dennoch wagt er, ein Hegelianer, sich an Schelling wegzuschenken, wagt es, nach solchen Antezedentien den Namen Hegels noch in den Mund zu nehmen, auf ihn gegen die neuesten Entwicklungen zu provozieren! Und um seiner Selbstentwürdigung die Krone aufzusetzen, fällt er in Nr. 13 nochmals anbetend vor Schelling nieder, der ersten Vorlesung desselben den Weihrauch seiner ganzen Bewundrung und Proskynese zollend. Ja, er findet es hier alles bestätigt, was er von Schelling

»nicht bloß voraussetzte, sondern wußte, jene wunderbar frische, jene auch der Form nach vollendete Durchdringung aller wissenschaftlichen, künstlerischen und sittlichen Elemente, welche in solcher Vereinigung antiker und christlicher Welt den so Verherrlichten zu einem ganz andern Priester des Höchsten und seiner Offenbarung weihen mag, als es Priestern niedern Grades und Laien auch nur einfallen kann«. Freilich werden einige so verworfen sein, »daß sie aus Neid sogar die Größe wegleugnen, welche sich hier rein und klar wie das Licht der Sonne jedem offenbart«. »Die ganze Größe Schellings, die Überlegenheit über alles Ausgezeichnete bloß einseitiger Richtungen strahlt uns aus seiner ersten Vorlesung herrlich entgegen.«... »Wer so anfangen kann, der muß gewaltig fortfahren, muß als Sieger enden, und wenn sie alle ermüden, weil sie alle, solchen Fluges ungewohnt, sinken, und keiner mehr zu folgen, zu verstehen vermag, was Du von Ur an Begeisterter sprichst; so lauschen Dir sicher die Manen des mit Dir Ebenbürtigen, des treuesten, des herrlichsten Deiner Freunde, es lauschen Dir die Manen des alten Hegel!« -

Was mag Herr Jung dabei sich vorgestellt haben, als er diesen Enthusiasmus ins Blaue, diese romantische Schwebelei zu Papier brachte! Was wenigstens hier in Berlin jeder im voraus wußte oder mit Sicherheit schließen konnte, davon ahnt unser frommer »Priester« nichts. Was aber jener »Priester des Höchsten« uns für »Offenbarungen« gepredigt, worin die »Größe«, der »Beruf, der Menschheit das Höchste zu enthüllen«, der »gewaltige Flug« bestanden, wie Schelling »als Sieger geendigt« hat, das weiß jetzt alle Welt; in dem Schriftchen: »Schelling und die Offenbarung«, als dessen Verfasser ich mich hiemit bekenne, habe ich den Inhalt der neuen Offenbarung in durchaus objektiver Weise dargelegt. Herr Jung möge die Erfüllung seiner Hoffnungen daran nachweisen oder wenigstens die Aufrichtigkeit und den - Mut haben, seinen glänzenden Irrtum einzugestehen.

Ohne mich auf die Kritik Sealsfields, mit der Herr Jung sein Buch schließt, weiter einzulassen, da ich vom belletristischen Felde doch schon weit genug entfernt bin, will ich zum Schlusse noch auf einige Stellen des »Königsberger Literatur-Blatts« eingehen, um auch hier die Mattherzigkeit und marklose Aufgedunsenheit Herrn Jungs nachzuweisen. Gleich in Nr. 1 |444| wird, jedoch sehr zurückhaltend, auf Feuerbachs »Wesen des Christentums« hingewiesen, in Nr. 2 die Negationstheorie der »Jahrbücher« angegriffen, jedoch noch mit Respekt, in Nr. 3 wird Herbarten gehuldigt, wie vorhin Schellingen, in Nr. 4 allen beiden und zugleich noch eine Verwahrung gegen den Radikalismus ausgesprochen, in Nr. 8 beginnt eine ausführliche Kritik des Feuerbachschen Buchs, in der die Halbheit des juste-milieu ihre Überlegenheit über den entschiednen Radikalismus geltend machen will. Und was sind die schlagenden Argumente, die hier aufgewandt werden? Feuerbach, sagt Herr Jung, hätte ganz recht, wenn die Erde das ganze Universum wäre; vom irdischen Standpunkte aus ist sein ganzes Werk schön, schlagend, vortrefflich, unwiderleglich; aber vom universalen, vom Weltgesichtspunkt aus ist es nichtig. Schöne Theorie! Als ob auf dem Monde zwei mal zwei fünf wäre, als ob auf der Venus die Steine lebendig herumliefen und auf der Sonne die Pflanzen sprechen könnten! Als ob jenseits der Erdatmosphäre eine aparte, neue Vernunft anfinge und der Geist nach der Entfernung von der Sonne gemessen würde! Als ob das Selbstbewußtsein, zu dem die Erde in der Menschheit kommt, nicht in demselben Augenblick Weltbewußtsein würde, in welchem es seine Stellung als Moment desselben erkennt! Als ob ein solcher Einwand nicht nur ein Vorwand wäre, um die fatale Antwort auf die alte Frage hinauszuschieben in die schlechte Endlosigkeit des Raumes! Klingt es nicht seltsam naiv, wenn Herrn Jung mitten in die Hauptreihe seiner Argumente sich der Satz eingeschmuggelt hat: »die Vernunft, welche über jede bloß sphärische Bestimmtheit hinausgeht«? Wie kann er dann, bei zugestandner Konsequenz und Vernünftigkeit des Bestrittnen vom irdischen Gesichtspunkt aus, diesen vom »universalen« unterscheiden? Es ist aber eines Phantasten, eines Gefühlsschwärmers, wie Herr Jung einer ist, vollkommen würdig, sich in die schlechte Unendlichkeit des Sternenhimmels zu verlieren und über denkende, liebende, phantasierende Wesen auf den andern Weltkörpern sich allerhand kuriose Hypothesen und wundersame Träumereien auszuklauben. Dabei ist es lächerlich, wie er vor der Seichtigkeit warnt, Feuerbach und Strauß nun ohne weitres des Atheismus und der unbedingten Leugnung der Unsterblichkeit zu beschuldigen. Herr Jung sieht nicht, daß diese Leute gar keinen andern Standpunkt in Anspruch nehmen. Weiter. In Nr. 12 droht uns Herr Jung bereits mit seinem Zorn; in Nr. 26 wird Leo konstruiert und über das unleugbare Talent des Mannes seine Gesinnung ganz und gar vergessen und beschönigt; ja Rugen wird ebensosehr unrecht gegeben wie Leon. Nr. 29 erkennt Hinrichs' nichtssagende Kritik der »Posaune« in den »Berliner Jahrbüchern« an und erklärt sich noch entschiedner gegen die Linke; Nr. 35 vollends liefert einen langen, grauenvollen |445| Artikel über F. Baader, dessen somnambüle Mystik und Unphilosophie ihm noch dazu als Verdienst angerechnet wird; endlich Nr. 36 klagt über »unselige Polemik«, mit andern Worten offenbar über einen Artikel von E. Meyen in der »Rheinischen Zeitung«, worin Herrn Jung einmal die Wahrheit gesagt wird - es ist sonderbar! In einem solchen Dusel und Traumleben ergeht sich Herr Jung, daß er glaubt, er sei unser »Kampfgenosse«, er »verteidige dieselben Ideen«, daß er glaubt, es »walteten zwar Differenzen« zwischen ihm und uns ob, »doch stehe die Identität der Prinzipien und Zwecke fest«. Hoffentlich wird er jetzt gesehen haben, daß wir mit ihm fraternisieren weder wollen noch können. Solche unglückliche Amphibien und Achselträger sind nicht brauchbar für den Kampf, den nun einmal entschiedne Leute entzündet und nur Charaktere hindurchführen können. Im Verfolge obiger Zeilen tut er sich noch den Tort an, daß er in die trivialste Redeweise von literarischer Despotie der Liberalen verfällt und sich seine Freiheit wahrt. Die soll ihm bleiben; es wird ihn jeder ruhig fortfaseln lassen bis in alle Ewigkeit. Aber er wird uns erlauben, für seine Unterstützung zu danken und ihm ehrlich und offen zu sagen, wofür man ihn hält. Sonst wäre er ja der literatische Despot, und dazu ist er doch etwas zu weichherzig. Dieselbe Nummer wird in würdiger Weise beschlossen von einem Hilferuf gegen »das selbstsüchtige, hohle Geschrei, welches in rasender Weise das Selbstbewußtsein zum Gott erhebt« -, nun wagt das »Königsberger Literatur-Blatt« es, diese schaudervollen Ausrufungen nachzusprechen: »Nieder mit dem Christentum, nieder mit der Unsterblichkeit, nieder mit Gott!!« Doch es tröstet sich damit, daß »die Träger bereits im Vorhause stehen, um diejenigen, welche noch bei so guter Stimme sind, als lautlose Leichen herauszutragen«. Also wieder die Kraftlosigkeit einer Appellation an die Zukunft!

Eine weitre Nummer des Jungschen Blattes ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen. Ich denke, die gegebnen Beweise werden genügen, die Zurückweisung des Herrn Jung aus der Gemeinschaft der Entschiednen und »Freien« zu begründen; er selbst ist jetzt in den Stand gesetzt, zu sehen, was man an ihm auszusetzen hat. Noch eine Bemerkung sei mir gestattet. Herr Jung ist unzweifelhaft der charakterschwachste, kraftloseste, unklarste Schriftsteller Deutschlands. Woher kommt das alles, woher die erbauliche Form, die er überall zur Schau trägt? Sollte es damit zusammenhängen, daß Herr Jung, wie es heißt, früher ex officio erbaulich sein mußte?

Friedrich Oswald


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