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»Die Rote Fahne«, 11. Januar 1919.
Die Dinge in Berlin haben eine Wendung genommen, die die schärfste Kritik und die ernsteste Überlegung der Arbeitermassen herausfordern.
Wir haben im Laufe der letzten Tage mehrmals offen und deutlich ausgesprochen, daß die Führung der Berliner Massenbewegung sehr viel an Entschlossenheit, Tatkraft und revolutionärem Elan vermissen ließ. Wir haben klar herausgesagt, daß die Führung hinter der Reife und der Kampfbereitschaft der Massen weit zurücksteht. Wir haben sowohl innerhalb dieser führenden Körperschaften durch Initiative und Überredung, wie außerhalb - in der »Roten Fahne« - durch Kritik alles getan, um die Bewegung vorwärtszutreiben, um die revolutionären Obleute der Großbetriebe zum tatkräftigen Auftreten anzuspornen.
Doch alle Anstrengungen und Versuche sind schließlich an dem zaghaften und schwankenden Verhalten jener Körperschaft gescheitert. Nachdem man vier Tage lang die prächtigste Stimmung und Kampfenergie der Massen durch völlige Direktionslosigkeit hatte verzetteln und verpuffen lassen, nachdem man durch zweimalige Anknüpfung der Unterhandlungen mit der Regierung Ebert-Scheidemann die Aussichten des revolutionären Kampfes aufs schwerste erschüttert und die Position der Regierung aufs wirksamste gestärkt hatte, entschlossen sich die revolutionären Obleute endlich in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag zum Abbruch der Unterhandlungen und zur Aufnahme des Kampfes auf der ganzen Linie. Die Parole Generalstreik wurde ausgegeben und der Ruf: Zu den Waffen!
Das war aber auch die einzige Leistung, zu der sich die revolutionären Obleute aufgerafft haben.
Es versteht sich von selbst, daß, wenn man die Parole zum Generalstreik und zur Bewaffnung in die Massen wirft, man alles tun muß, um die energischste Durchführung der Parole zu sichern. Nichts dergleichen ist von den Obleuten unternommen worden! Sie beruhigten sich bei der nackten Parole und - beschlossen gleich am Donnerstag abend, zum dritten Male in Unterhandlungen mit Ebert-Scheidemann einzutreten!
Diesmal gab die Einigungsbewegung, die unter den Arbeitern der Schwartzkopff-Leute und einiger anderer Großbetriebe in Fluß gekommen ist, den erwünschten Vorwand, um den eben in aller Form eingeleiteten Kampf wieder abzubrechen. Die Arbeiterschaft der Schwartzkopff-Werke, der AEG, der Knorr-Bremse gehört zu den Kerntruppen des Berliner revolutionären Proletariats, und ihre besten Absichten unterliegen gar keinem Zweifel. Die Arbeiterschaft ist aber in diesem Falle selbst das Objekt einer Mache, deren Drahtzieher die Haase-Leute: Oskar Cohn, Dittmann und andere sind. Indem diese Leute in demagogischster Weise mit den beliebten Schlagworten »Einigkeit«, »kein Blutvergießen« arbeiten, suchen sie die Kampfenergie der Massen zu lähmen, Verwirrung zu säen und die entscheidende Revolutionskrise in einem faulen Kompromiß mit der Gegenrevolution aufzulösen.
Es ist für jeden, der nicht getäuscht werden will, klar, daß dieser Einigungsrummel, den die USP inszeniert hat, der denkbar größte Dienst ist, den man in der gegenwärtigen Situation den Ebert-Scheidemann erweisen konnte. Selbst in der Luft hängend, vor der waghalsigen Kraftprobe mit der Arbeiterschaft zitternd, von den schwankenden Truppen nur noch halb und widerwillig gestützt, von der Bourgeoisie mißtrauisch angeknurrt, erlebten die Verräter des Sozialismus in den letzten Tagen die schwersten Stunden ihrer kurzen Regierungsherrlichkeit. Das wuchtige Auftreten der Massen auf der Straße, die Wendung, die die eigene brutale Provokation der Regierung in der Eichhorn-Sache genommen hat, war diesen Abenteurern über den Kopf gewachsen. Schon gaben sie sich halb verloren: das zeigte deutlich die ganze Unentschlossenheit, die tastende Unsicherheit ihrer gegenrevolutionären Maßnahmen in den letzten Tagen.
Da kamen ihnen als rettende Frist die Unterhandlungen und schließlich die Einigungsbewegung. Die USP erwies sich hier wieder als der rettende Engel der Gegenrevolution. Haase-Dittmann sind von der Regierung Eberts zurückgetreten, aber sie setzen auf der Straße dieselbe Politik des Feigenblatts der Scheidemänner fort.
Und die Linke der USP unterstützt und macht diese Politik mit! Die Bedingungen für die neuerdings beschlossenen Unterhandlungen mit der Regierung, die von den revolutionären Obleuten angenommen wurden, sind von Ledebour formuliert. Man verlangt von dieser Seite als Preis für die Kapitulation der Arbeiter unter anderem den Rücktritt der Personen Eberts, Scheidemanns, Noskes und Landsbergs von der Regierung. Als ob es sich hier um Personen, nicht um eine bestimmte Politik handelte! Als ob es nicht auf eine bloße Verwirrung und Irreführung der Massen hinausliefe, die typischen und berufenen Vertreter der infamen Politik der Scheidemänner von der Vorderbühne wegzuschieben und durch irgendwelche farblose Statisten zu ersetzen, die nur Strohmänner derselben Politik bleiben, während die Ebert-Scheidemann hinter den Kulissen als Drahtzieher wirken und sich so dem Gericht der Massen entziehen!
So oder anders läuft die ganze von der USP eingeleitete, von den revolutionären Obleuten mitgemachte Unterhandlungspolitik auf eine Kapitulation der revolutionären Arbeiterschaft, auf Vertuschung der inneren Gegensätze und Widersprüche hinaus. Es ist die Politik des 9. November, auf die die seit acht Wochen gereifte Situation und politische Eintracht der Massen zurückgeschraubt werden soll!
Die Kommunistische Partei macht diese beschämende Politik selbstverständlich nicht mit und lehnt jede Verantwortung für sie ab. Wir betrachten nach wie vor als unsere Pflicht, die Sache der Revolution vorwärtszutreiben, uns allen Verwirrungsversuchen mit eiserner Energie entgegenzustellen und durch rücksichtslose Kritik die Massen vor den Gefahren der Zauderpolitik der revolutionären Obleute wie der Sumpfpolitik der USP zu warnen.
Die Krise der letzten Tage ruft den Massen Lehren von höchster Wichtigkeit und Dringlichkeit zu. Der bisherige Zustand der mangelnden Führung, des fehlenden Organisationszentrums der Berliner Arbeiterschaft ist unhaltbar geworden. Soll die Sache der Revolution vorwärts gehen, soll der Sieg des Proletariats, soll der Sozialismus mehr als ein Traum bleiben, dann muß sich die revolutionäre Arbeiterschaft führende Organe schaffen, die auf der Höhe sind, die die Kampfenergie der Massen zu leiten und zu nutzen verstehen. Vor allem aber muß die nächste Zeit der Liquidierung der USP, dieses verwesenden Leichnams gewidmet werden, dessen Zersetzungsprodukte die Revolution vergiften. Die Auseinandersetzung mit der Kapitalistenklasse gestaltet sich in Deutschland in erster Linie als Abrechnung mit den Scheidemann-Ebert, die die Schutzwand der Bourgeoisie sind. Und die Abrechnung mit den Scheidemännern setzt voraus die Liquidierung der USP, die als Schutzwand der Ebert-Scheidemann fungiert.
Klarheit, schärfster, rücksichtsloser Kampf allen Vertuschungs-, Vermittlungs-, Versumpfungsversuchen gegenüber, Zusammenballung der revolutionären Energie der Massen und Schaffung entsprechender Organe zu ihrer Führung im Kampf: das sind die brennendsten Aufgaben der nächsten Periode, das sind die bedeutsamen Lehren aus den letzten fünf Tagen wuchtigster Anläufe der Massen und kläglichsten Versagens der Führer.
Quelle: »die nicht mehr existierende Website "Unser Kampf" auf früher "http://felix2.2y.net/deutsch/index.html"«
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