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Über die nationale Gleichberechtigung

Wladimir Iljitsch Lenin

16. April 1914

Seitenzahlen in diesem Text beziehen sich auf die Veröffentlichung in Lenin Werke, Band 20.
Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Dietz-Verlag Berlin, 1977. S. 234-235

Die Sozialdemokratische Arbeiterfraktion Rußlands hat in Nr. 48 des „Put Prawdy“ (vom 28. März) einen Gesetzentwurf über die nationale Gleichberechtigung oder, wie der offizielle Titel lautet, einen „Gesetzentwurf über die Aufhebung sämtlicher Beschränkungen der Rechte der Juden und überhaupt aller Beschränkungen, die mit der Abstammung oder mit der Zugehörigkeit zu irgendeiner Nationalität verbunden sind“, veröffentlicht.

Die russischen Arbeiter können und dürfen über der Unruhe und den Widerwärtigkeiten, die der Kampf ums Dasein und ums tägliche Brot mit sich bringt, nicht die nationale Unterdrückung vergessen, unter deren Joch viele Dutzend Millionen „Fremdstämmiger“ in Rußland schmachten. Die herrschende Nationalität - die Großrussen - bildet etwa 45 Prozent der gesamten Bevölkerung des Reiches. Von 100 Einwohnern gehören mehr als 50 zu den „Fremdstämmigen“.

Und diese ganze Bevölkerungsmasse lebt in Verhältnissen, die noch unmenschlicher sind als die der russischen Menschen.

Die Politik der Unterdrückung der Nationalitäten ist die Politik der Trennung der Nationen. Sie ist gleichzeitig die Politik der systematischen Demoralisierung des Volksbewußtseins. Die Interessen der verschiedenen Nationen in Gegensatz bringen, das Bewußtsein der unaufgeklärten und unterdrückten Massen vergiften, darauf gründen sich alle Pläne der Schwarzhunderter. Nehmt ein beliebiges Schwarzhunderterblättchen, und ihr werdet sehen, daß die Verfolgung der „Fremdstämmigen“, daß die Entfachung des gegenseitigen Mißtrauens zwischen dem russischen Bauern, dem russischen Kleinbürger, dem russischen Handwerker und dem jüdischen, finnischen, polnischen, georgischen, ukrainischen Bauern, Klein<235bürger und Handwerker das tägliche Brot der ganzen Schwarzhunderter-bande ist.

Der Arbeiterklasse tut aber nicht die Trennung, sondern die Einigkeit not. Es gibt für sie keinen ärgeren Feind als die barbarischen Vorurteile und den Aberglauben, die von den Feinden der Arbeiterklasse in die unaufgeklärte Masse hineingetragen werden. Die Unterdrückung der „Fremdstämmigen“ ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits schlägt es die „Fremdstämmigen“, anderseits das russische Volk.

Und deshalb muß sich die Arbeiterklasse aufs entschiedenste gegen jede wie immer geartete Unterdrückung der Nationalitäten aussprechen.

Der Agitation der Schwarzhunderter, die bemüht sind, die Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse auf die Hetze gegen die Fremdstämmigen abzulenken, muß sie ihre Überzeugung von der Notwendigkeit der vollen Gleichberechtigung und des vollständigen und endgültigen Verzichts auf jedes Privileg für jedwede Nation entgegenstellen.

Eine besonders gehässige Agitation wird von den Schwarzhundertern gegen die Juden betrieben. Die Purischkewitsch versuchen, das jüdische Volk zum Sündenbock für alle ihre eigenen Sünden zu machen.

Es ist daher ganz richtig, wenn die SDA-Fraktion Rußlands den ersten Platz in ihrem Gesetzentwurf der jüdischen Rechtlosigkeit einräumt.

Die Schule, die Presse, die Parlamentstribüne, alles, alles wird ausgenutzt, um einen finsteren, wilden, grimmigen Haß gegen die Juden auszusäen.

Mit diesem schmutzigen, niederträchtigen Werk befaßt sich nicht nur der Auswurf der Schwarzhunderter, sondern auch reaktionäre Professoren, Gelehrte, Journalisten und Abgeordnete befassen sich damit. Millionen und Milliarden Rubel werden verschwendet, um das Bewußtsein des Volkes zu vergiften.

Es ist Ehrensache für die russischen Arbeiter, den Gesetzentwurf der SDA-Fraktion Rußlands gegen die nationale Unterdrückung durch viele Tausende proletarische Unterschriften und Erklärungen zu unterstützen ... Das wird mehr als alles andere die vollkommene Einheit und den Zusammenschluß aller Arbeiter Rußlands ohne Unterschied der Nationalität festigen.

„Put Prawdy“ Nr. 62, 16. April 1914.
Nach dem Text des „Put Prawdy“.