MLWerke | Kurt Eisner

Kurt Eisner: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Reden und Aufsätze. Edition Suhrkamp.
1. Korrektur
Erstellt am 20.11.1999

Kurt Eisner

Im preußischen Herrenhaus

in: Der Zukunftsstaat der Junker. Manteuffeleien gegen die Sozialdemokratie im preußischen Herrenhaus am 11. und 13. Mai 1904, Berlin 1904, S. 3-10


Der sozialdemokratische Dreimillionen-Sieg hat auf die herrschenden Klassen einen weit tieferen Eindruck gemacht, als sie äußerlich zugaben. Die unmittelbare Wirkung war der Zusammenschluß nach rechts.

Heimliche Intrigen und dann auch öffentliche Angriffe richteten sich zunächst gegen das Reichstagswahlrecht. Die unterirdischen, weit verzweigten Verschwörungen gegen das Wahlrecht wurden aufgedeckt, auch nationalliberale Abgeordnete wurden als Mitschuldige entlarvt. Bald zeigten sämtliche Parteien ihren Haß gegen das Wahlrecht. Im preußischen Abgeordnetenhaus verstanden sich die Freisinnigen zu einem Reformantrag, dessen Endergebnis noch eine Verschlechterung des Dreiklassensystems zuungunsten des in Preußen parlamentarisch rechtlosen Proletariats sein muß. Der Führer des Zentrums, das seine Zuverlässigkeit in der Wahlrechtsfrage immer beteuert, Herr Dr. Bachern, sprach am 23. Januar 1904 im preußischen Abgeordnetenhaus gegen die Demokratisierung des preußischen Wahlrechts, »weil doch das bestehende Reichstagswahlrecht auch als das reine Ideal nicht anerkannt werden kann, und es doch, wie es sich gezeigt hat. Mißstände mit sich bringen kann. Mißbräuchen einen gewissen Raum bringt«. Der nationalliberale Abgeordnete Menk blies das große Wecken gegen das Wahlrecht des Umsturzes. Von der Partei gerüffelt, erklärte er keck, wie er dächten alle, sie seien nur zu feige dazu, es öffentlich zu sagen. Um den Schein zu wahren, schloß man ihn aus der Fraktion aus - eine doppelte Bestätigung für Herrn Menk, eine Bekräftigung nationalliberaler Feigheit und nationalliberaler Herzenswünsche.

Daneben wiesen andere Erscheinungen den Weg. Die Arbeitgeber schlössen sich zu Trutzbünden zusammen. Im Reichstag fanden sich die bürgerlichen Parteien bei jedem unmöglichen Anlaß gegen die Sozialdemokratie in Ausbrüchen dummen und fanatischen Hasses. Während sozialdemokratische Mandate unsinnigerweise für ungültig erklärt wurden, weil gegen unsere Partei Wahlbeeinflussung getrieben wurde, bestätigte man das Mandat eines Herbert Bismarck, der es lediglich durch gröbste Ungesetzlichkeiten gewann.

Der preußische Partikularismus wurde immer verwegener. Preußen brach rücksichtslos in Reichsrechte ein und kümmerte sich, um seine Absichten durchzusetzen, nicht um Verfassung und Gesetz. In der preußischen Ansiedlungsnovelle und dem Kontraktbruchgesetz lebt schon der offene Aufruhr des Staatsstreichs. Während der preußische Landtag alle Reichsangelegenheiten vor sein Gericht zog, verbot man geradezu den preußischen Ministern, im Reichstag Rede zu stehen. Im Herrenhaus wurde schließlich ausgesprochen, was ist.

Es ist seit Jahren das Vorrecht des Herrenhauses, die gewaltsame Beseitigung des Reichstagwahlrechts zu fordern. Schon am 28. März 1895 erklärte an dieser Stelle Graf Mirbach: es werde mit Jubel begrüßt werden, »wenn die verbündeten Fürsten sich entschlössen, einen neuen Reichstag auf der Basis eines neuen Wahlrechts ins Leben treten zu lassen, und zwar unverzüglich«. Er deutete auch klar an, wie er sich die Ausführung dieses Wunsches dächte, indem er an Alexander den Großen und den gordischen Knoten erinnerte. Alexander löste ihn mit einem - Schwerthieb!

Aber alle diese Äußerungen blieben vereinzelt und wurden verschüchtert abgeleugnet.

(...)

Noch in anderer Hinsicht ist eine bedeutsame Wandlung seit dem 16. Juni 1903 eingetreten. Die Regierung, die vordem immer noch den Schein einer Versöhnungspolitik zu wahren suchte und gegen die äußerste Agrarfronde sich, wie matt immer, zur Wehr setzte, ist vollständig geschwenkt. Wie auf Kommando benutzen sie jetzt jede Gelegenheit, Reden gegen die Sozialdemokratie zu schleudern, die im Stil und Geist der Instruktionsstunden beim Rekrutendrill gehalten sind. Bülow und Budde ließen ihre Reden gegen den Umsturz als Flugblätter verbreiten. Herr v. Hammerstein, der preußische Polizeiminister, erklärte den boshaften Wahnsinn des preußischen Dreiklassensystems für das beste aller Wahlrechte, und der deutsche Reichskanzler leistete im preußischen Herrenhaus den Schwur: »Der König in Preußen voran, Preußen in Deutschland voran, Deutschland in der Welt voran« -was im gewöhnlichen Deutsch bedeutet: der Junker überall voran!

Überhaupt verlegten die Minister ihre Tätigkeit immer mehr in die preußischen Parlamente. Noch 1902 protestierte der preußische Finanzminister v. Rheinbaben gegen die herrenhäuslerischen Übergriffe, sich als höhere Instanz über die Reichspolitik aufzuwerfen, indem er dem Grafen Mirbach gegenüber bemerkte: »Ich kann im wohlverstandenen Interesse dieses Hohen Hauses wie überhaupt des preußischen Landtags nur dringend davor warnen, Angelegenheiten des Reichstages hier zur Sprache zu bringen.«

Im Mai 1903 verließen die Minister den Saal des Herrenhauses, sobald dieses die Handelspolitik des Reiches zu erörtern begann.

Diesmal verantwortete sich Graf Bülow, der Reichskanzler, sehr ausführlich und höchst demütig gegen die Angriffe auf die »Schwäche« seiner Reichspolitik, und anstatt die Reichsverfassung gegen die Gewaltaufreizungen der preußischen Junker zu verteidigen, erkannte er grundsätzlich ihre Forderungen an. Ja, noch mehr:

Als am zweiten Tag der Debatte geradezu eine Treibjagd gegen den schwächlichen Reichskanzler veranstaltet wurde, erhob der Finanzminister v. Rheinbaben, nicht etwa um den abwesenden Ministerpräsidenten zu schützen, sondern um den einzigen Redner abzuwehren, der für die Regierung gesprochen - eine Szene, die im Vorwärts wie folgt geschildert wurde: Während die Lucius und Manteuffel Angriff und Angriff, Anklage auf Anklage häuften gegen eine Regierung, deren »Nachsicht« gegenüber der Sozialdemokratie »an Schwäche grenze«, und die dem fluchwürdigen geheimen Reichstagswahlrecht durch Einführung des Klosettgesetzes gar noch Zugeständnisse gemacht habe, spielte Herr v. Rheinbaben elegant mit seinem Bleistift, saß Herr v. Hammerstein, in sich selbst verkrochen, bei seinen Akten, bemühten sich auch die Herren v. Budde und v. Podbielski, vollendete Gleichgültigkeit zu heucheln, indes der angegriffene Ministerpräsident fern blieb, sei es im Gefühl der Sicherheit seiner Position, sei es, um einen verlorenen Posten rechtzeitig zu räumen.

Die Debatte selbst begann mit einem gottseligen Vorspiel. Etliche evangelische Ritter führten ein Turnier auf zur Wahrung ihres vom Katholizismus bedrohten Gewissens, weil die Regierung eine belanglose Bestimmung des Jesuitengesetzes aufgehoben hatte. Der geistliche Streit endigte in einem Versöhnungsfest. Auch das gehört zum Bild dieser Zeit. Man will vom konfessionellen Gegensatz nichts mehr wissen. Konfessioneller Friede - ist die Losung im protestantischen wie im katholischen Lager. Was bedeutet das? Ist die Ausbeutung nicht immer konfessionslos gewesen? Sitzen nicht evangelische, katholische und jüdische Unternehmer friedlich in ihren Kampforganisationen gegen die Arbeiter beisammen? Ist nicht auch der Zollwucher konfessionslos und wird gleichermaßen von Magnaten katholischen und protestantischen Glaubens als höchste Religion bekannt? Der konfessionelle Friede bedeutet eben lediglich den Frieden der Besitzenden. Hinter der Formel steckt jedoch noch etwas anderes: die Auslieferung der Schule an die Kirche, insonderheit an die katholische Kirche, die es bisher noch immer verstanden hat, Arbeitermassen um die sozialistische Aufklärung zu betrügen. Konfessioneller Friede der Herrschenden - das ist die konfessionelle Spaltung der Arbeiter, die verhindert werden sollen, sich ohne Unterschied der Konfession, so wie es ihre Unterdrücker tun, zu vereinigen.

Nachdem dermaßen die geistige Fessel für die Arbeiterschaft in frommem Gottesstreit geschmiedet, wurde dann in der allgemeinen Diskussion die wirtschaftliche und politische Alleinherrschaft der Gutsherrn proklamiert.

Diesen Feudalherren erfüllt sich der Zweck der menschlichen Gesellschaft, wenn den Herren ein standesgemäßes Dasein und absolute Freiheit über die Masse der Frohndenden gewährt wird. Ihre wirtschaftliche Existenz soll durch Kündigung der Handelsverträge gesichert werden. Diese Kleinigkeit verlangten die Edlen sofort und unbedingt von der Regierung. Mag die Industrie darüber zugrundegehen - das Ideal der Feudalherren, der Zukunftsstaat der Junker ist das Monopol der nationalen Lebensmittelerzeugung, ist ein Agrarsyndikat, das bei Aussperrung aller fremden Zufuhr die Möglichkeit hat, dem Volk die Preise zu diktieren, die es zu zahlen hat, damit der Junker bestehen könne. Weil aber das zu politischer Mündigkeit erwachte Proletariat diesen Selbstmord freiwillig niemals begehen wird, darum muß es zunächst niedergeschlagen werden. Das war der Sinn und der Zweck der Sozialistenhetze.

(...) Es ist erstaunlich, wie armselig eine Versammlung über die höchsten Kulturprobleme schwatzt, eine Körperschaft, die doch aus den Sprößlingen tausendjähriger vornehmster Zucht und dem feinsten Ausschuß des Bürgertums, den Universitätsprofessoren und den Spitzen der städtischen Gemeinden besteht. Nirgends erhob sich die Debatte über die jämmerlichen Phrasen von sozialdemokratischer Vaterlandslosigkeit und Religionszerstörung. Diese Herren, die behaupteten, die gesamte sozialdemokratische Literatur gelesen zu haben, verrieten auch nicht die Kenntnis eines einzigen Satzes aus dem sozialdemokratischen Programm. Nichts als öde Verleumdungen, tausendfach widerlegte Flugblattmärchen und dazwischen wunderbare Räubergeschichten, wie sie sich die alten Weiber auf den entlegensten Gutshöfen gruselnd erzählen mögen.

Freilich, darauf kam es auch nicht an. Darüber war sich das hohe Haus, das die lebendige Widerlegung des aristokratischen Prinzips als eines Kulturprinzips ist, durchweg einig: Mit geistigen Waffen läßt sich die Sozialdemokratie nicht besiegen. Natürlich: wie soll sich die Wahrheit, die Vernunft, die Notwendigkeit geistig widerlegen lassen? Das Junkertum vertraut auf keinem Gebiet den geistigen Waffen. Dann, das weiß es, muß es unterliegen. Darum wendet es seine ganze ungeheure gesellschaftliche Macht dazu an, den freien Wettbewerb der Bildung und Fähigkeit auszuschalten und den hochwohlgeborenen Erzeugnissen der Gutsbezirke Armee, Verwaltung, Justiz ausschließlich zu sichern.

Hilft der Geist nicht, so muß die Faust retten. So wurde es denn als Programm mit brutaler Offenheit verkündet: Politische Entrechtung der Arbeiter, Beseitigung des Reichstagswahlrechts, Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokratie. Man weiß, was das bedeutet: Knebelung der Presse, Zerstörung des Versammlungsund Vereinswesens, Zuchthausvorlagen gegen die Gewerkschaften, weiterhin: Beschränkung der Freizügigkeit und Beseitigung aller Maßnahmen, die geeignet sind, die Ausbeutung der Besitzlosen irgendwie zu mildern. Von der Sozialpolitik des Reiches, diesem Reklamestolz des christlich-monarchischen Staates, wollen die Magnaten Preußens gar nichts wissen. Der Arbeiter sei doch nicht »dankbar«, sie sind dazu da, billig zu arbeiten und teuer die Produkte der nationalen Agrarier zu bezahlen - zu weiter nichts. Es war der Graf Mirbach, der darüber zornig klagte, daß die Belastung der Gutsbesitzer durch das Unfallgesetz unerträglich sei. Zwei und eine halbe Mark haben die ostpreußischen Feudalherren auf den Kopf ihrer Arbeiter jährlich dafür zu zahlen, daß die in ihren Diensten getöteten oder zu Krüppeln gewordenen Arbeiter unterstützt werden können; auch diese Bettelpfennige sind schon unerträglich.

Als Mindestgrenze der politischen Entrechtung wurde die »Reform« des Reichstagswahlrechts in der Richtung gefordert, daß die Wahl öffentlich und an eine direkte Steuerleistung gebunden, das Wahlalter auf 50 Jahre heraufgesetzt werde. Es war der Hausminister des Königs von Preußen, des deutschen Kaisers, Herr v. Wedel-Piesdorf, der dieses Programm aufstellte, obwohl doch dieselbe Verfassung, die dem Rechtsgrund der deutschen Kaiserkrone bildet, das demokratische Wahlrecht enthält.

Über die Durchführung dieser Diktatur des Junkertums machen sich die Herren nicht die geringste Sorge. Das Herrenhaus, das ein Rechtsbruch schuf, vertritt seit jeher die Politik des Staatsstreichs. In der Konfliktszeit 1861 - unmittelbar nach dem Regierungsantritt Bismarcks - war es das Herrenhaus, das am 11. Oktober, ohne einen Augenblick zu schwanken, verfassungswidrig einen anderen Etatsentwurf beschloß, als es vom Abgeordnetenhaus erhalten hatte. Man lachte darüber, daß der Präsident des damals oppositionellen Landtags mit pathetischer Gebärde den »verfassungswidrigen Beschluß von der Barre dieses Hauses zurückwies«. Die Grafen und Barone der ersten Kammer hielten den Rechtsbruch für »geboten«, und so verübten sie ihn.

Man hat auch genügend deutlich verraten, wie gegen das Wahlrecht vorzugehen sei. Dieser Reichstag werde allerdings für eine Reform nicht zu haben sein. Dann müsse eben an einen anderen Reichstag appelliert werden! Wenn dieser Satz einen Sinn haben soll - es ist ja klar, daß ein unter der Parole der Beseitigung des Wahlrechts erfolgender Wahlkampf keinen Reichstag gegen das Wahlrecht ergeben würde -, so kann er nur bedeuten, daß nach dem Vorgang der preußischen Konterrevolution der Reichstag aufgelöst und auf Grund eines oktroyierten Wahlrechts ein neuer gewählt wird, der dann den Staatsstreich zu legitimieren hätte.

Der verantwortliche Hüter der Reichsverfassung aber fand kein Wort des Protestes gegen die Aufreizungen zum Hochverrat. Zwar ist Graf Bülow nicht geneigt, sofort zu handeln. Aber wenn das Wahlrecht weiter »falsch« angewendet werden sollte, dann werde man es ändern müssen. Das heißt, das Elementarrecht des Bürgers im modernen Staat grundsätzlich preisgeben. Er will auch die Sozialreform fortsetzen, aber nur, um ein gutes Gewissen zur Schau tragen zu können, wenn zu anderen Maßnahmen gegen die Freiheitsbewegung des Proletariats übergegangen werden sollte, das heißt: den Arbeiterschutz als Freibier und Freischnaps verwenden, um den Arbeitern im Rausch das Bewußtsein ihres Elends und ihrer Zukunft zu entwenden.

Und die Vertreter des Bürgertums? Seitdem die deutsche Bourgeoisie, aus feiger und kurzsichtiger Angst vor dem Proletariat, ihre historische Aufgabe verraten hat, mit dem Feudalismus aufzuräumen, ist sie politisch gebrochen. Zwar richtet sich der Aufstand des Junkertums auch gegen den bürgerlichen Kapitalismus, die industrielle Entwicklung, die Regierungs- und Verwaltungsfähigkeit des Bürgertums im Staat - aber man geht lieber zugrunde, als daß man mit dem Proletariat »paktiert«.

Indem die preußischen Herrenhausritter die gewaltsame Niederwerfung der Arbeiterbewegung fordern, bekämpfen sie nicht nur den Sozialismus. Sie errichten den Feudalismus gegen die Demokratie, gegen den Liberalismus. Das Junkertum fühlt, daß alles Echte und Große einer liberalen Weltanschauung in die Arbeiterbewegung übergegangen ist. So wiederholt sich in der Staatsstreichpolitik des Herrenhauses gegen alle Grundrechte des modernen Staates tatsächlich zunächst noch einmal der Kampf des Feudalismus gegen das Bürgertum, des Feudalismus, der logisch 1789 in den Katakomben der Weltgeschichte beigesetzt ist, in Preußen und Deutschland aber nach seinem Tode noch verpestend bis zum heutigen Tage herrscht. Es wiederholt sich und vollendet sich die preußische Junkerrebellion der fünfziger Jahre, und diesmal wird das Bürgertum politisch für immer vernichtet werden. Nicht das Proletariat, gegen das sich der Kampf richtet, wird politisch unterliegen, sondern die Bourgeoisie, die sich hinter den breiten Rücken der Feudalherren verkrochen hat.

Die Wortführer des Bürgertums schwiegen in dieser Herrenhausdebatte durchweg, obwohl es doch auch um ihre Sache sich handele, wie übrigens auch die Führer des Zentrums keinerlei Einwendungen erhoben. Nur zwei Bürgermeister machten einige schüchterne Bedenken gehend, und zwei Professoren bekundeten den traurigen Niedergang deutscher Wissenschaft. Da sprach ein berühmter Universitätsmann (Der Nationalökonom Gustav Schmoller Anm. d. Hg.). in einem lichten marxistischen Augenblick unter der stürmischen Unruhe der Erlauchten von einem feudal-aristokratischen Klassenregiment, um im gleichen Atemzug über den Klassenkampf des Proletariats zu jammern; da wehrte er sich in kläglichen Ausflüchten gegen den furchtbaren Verdacht, er habe mit der Sozialdemokratie bei den Berliner Landtagswahlen kompromisselt und dadurch das Interesse der freien Forschung, die allein von der Sozialdemokratie unbedingt verteidigt wird, gegen die Erstickung durch die Junkergewalt schützen wollen. Und ein anderer, noch berühmterer Professor (Der Jurist und Zivilrechtler Heinrich Dernburg Anm. d. Hg.) rief beschwörend die Hohenzollerntreue an, um die Anklage zu entkräften, die preußische, etatmäßige Wissenschaft könne jemals so tief sinken, daß sie mit der Revolution sich verbrüdere.

(...)

Es ist kein Zweifel, daß das deutsche Proletariat erst am Anfang seiner Kämpfe steht. Ehe nicht das Junkertum gebrochen ist, sind selbst die Elementarrechte des Volkes, die Grundbedingungen jeder Kultur, dauernd gefährdet. Kein altes Recht ist gesichert, kein neues Recht wird uns zugestanden. Zwischen der Sozialdemokratie und dem Junkertum gibt es ebensowenig eine Brücke und eine Verständigung wie zwischen dem Feudalismus und moderner Weltanschauung. Das deutsche Proletariat hat noch immer um die Rechte zu ringen, die seit der großen französischen Kultur Gemeingut und heiligster Besitz der Kulturstaaten geworden sind, um die Vorbedingungen jeden Aufstiegs und jeder Entwicklung der Gesellschaft.

Aber das in der Sozialdemokratie organisierte Proletariat wird in diesem Kampf siegen, wie schwer er sich gestalten mag; denn mit ihr ist die Vernunft, die geschichtliche Notwendigkeit. Es gibt nur ein Mittel, um unsere Sache zu überwältigen. Sie müßten das gesamte Proletariat totschlagen. Das aber tun sie nicht, weil sie ohne uns nicht leben können. Sie brauchen unsere Hände, unsere Köpfe, sie sind nichts ohne uns. Selbst für das Totschlagen brauchen sie Proletarier, die noch unwissend genug sind, um gegen sich selbst zu wüten.

Die Junkerherrschaft muß zugrunde gehen. Sie kann nur eines leisten: die inneren Verhältnisse vorübergehend zerrütten und Deutschland im Rat der Völker wehrlos machen und isolieren. Die Unfreiheit der verjunkerten Zustände Deutschlands hat bereits jetzt dazu geführt, daß sich die demokratischen Staaten Europas, Frankreich, England, Italien, gegen das Deutschland der Reaktion zusammengeschlossen haben. Die Inzucht der junkerlichen Monopolisten aller Staatsgewalt hat den öffentlichen Geist Deutschlands verödet und verdorben. Kein staatsmännisches Talent zeigt sich irgendwo an leitender Stelle, kein Charakter, geschweige eine geniale Persönlichkeit. Hohle Diplomaten und unwissende Bürokraten schleppen von Tag zu Tag, ohne irgendwelches bedeutende Ziel, die Regierung weiter. Kein frischer Wind, kein freies Atmen!


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