MLWerke | Bertold Brecht

Bertolt Brecht

Das andere Deutschland/The other Germany

Dieser Aufsatz wurde in englischer Sprache zum erstenmal in der Zeitschrift »Progressive Labor«, New York, vol. 5, Nr. 3, March - April 1966, veröffentlicht. Eric Bentley schreibt in einer Vorbemerkung, Brecht habe ihm das deutsche Manuskript des Aufsatzes 1943/44 mit der Bitte gegeben, es zu übersetzen und womöglich in einer Zeltschrift unterzubringen. Bentley übersetzte den Text, fand aber niemanden, der ihn veröffentlichen wollte. Nach seinen Angaben soll das Manuskript Brecht zurückgegeben worden sein. Im Nachlaß wurde es allerdings bisher noch nicht gefunden. Aus diesem Grunde folgt hier eine Rohübersetzung der englischen Fassung von Rolf Dornbacher


In den Tagen, da Hitler durch die Großmächte noch nicht bekämpft wurde und nicht wenige Stimmen aus dem Ausland - von denen einige auch heute noch nicht verstummt sind — ihn ermutigten, wußte die Welt sehr genau, daß er von innen bekämpft wurde, und seine Feinde nannte man: das andere Deutschland. Flüchtlinge, von denen viele in der ganzen Welt bekannt waren, und ausländische Berichterstatter auf Urlaub berichteten, daß dieses andere Deutschland wirklich existierte. Zu keiner Zeit stimmte auch nur die Hälfte der Wähler für das Hitlerregime, und das Vorhandensein der furchtbarsten Instrumente der Unterdrückung und der furchtbarsten Polizeimacht, die die Welt je gesehen hatte, bewies, daß die Gegner des Regimes nicht untätig waren. Hitler verwüstete sein eigenes Land, bevor er andere Länder verwüstete; und der Zustand Polens, Griechenlands oder Norwegens ist kaum elender als der Deutschlands. Er machte im eigenen Land Kriegsgefangene; er hielt ganze Armeen in Konzentrationslagern. Im Jahr 1939 zählten diese Armeen 200.000 - mehr Deutsche, als die Russen bei Stalingrad gefangennahmen. Diese 200.000 stellen nicht die Gesamtheit des anderen Deutschland dar. Sie sind nur ein Teil seiner Kräfte.

Das andere Deutschland konnte Hitler nicht aufhalten, und in dem gegenwärtigen Krieg, der die Großmächte in Konflikt mit ihm gebracht hat, hat man das andere Deutschland fast vergessen. Viele zweifelten, ob es wirklich existierte oder sie bestritten zumindest, daß es überhaupt eine Bedeutung habe. Ein Grund dafür war, daß die kriegführenden Demokratien gegen die Illusionen über die Schlagkraft der Hitler-Armeen ankämpfen mußten. Und es gab mächtige Gruppen, die das andere Deutschland mit Mißtrauen betrachteten: sie fürchteten, es sei sozialistisch. Doch da war auch ein Verdacht, der die Freunde des anderen Deutschland beunruhigte, sogar einige, die selbst zum anderen Deutschland gehörten.

Die schreckliche Frage lautete: Hatte der Krieg den Bürgerkrieg, der in den ersten sechs Jahren der Naziherrschaft in Deutschland fortschwelte, ein Ende bereitet? Es ist schließlich wohlbekannt, daß Kriege grimmigen Nationalismus erzeugen und das Volk fester an die Herrschenden binden.

Das Geschäft des Flüchtlings ist: hoffen. Es bietet keine erstklassigen Sicherheiten. Einige sagten voraus, das Naziregime werde nicht fähig ein, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen; und als sie beseitigt war, sagten sie voraus, er werde bankrott gehen. Einige setzten ihre Hoffnung auf die Reichswehr, auf den Klassenstolz der preußischen Junker, die es ablehnen würden, unter der Führung eines Gefreiten in den Krieg zu ziehen; oder auf die Industriellen des Rheinlandes, die im allgemeinen den Krieg gefürchtet haben müssen. Sogar als der Krieg ausbrach, sagten einige: »Das Regime kann den Krieg fortsetzen, solange er ein Blitzkrieg bleibt, geführt von zwanzigjährigen Jungen und einer mechanisierten Armee von Fachleuten, aber nicht länger. Die Arbeiter bleiben in den Fabriken und man benötigt mindestens dreißig SS-Divisionen, um sie zu bewachen.« Die Eroberung Polens und Norwegens, sogar die Unterwerfung Frankreichs schien von dieser Armee von Fachleuten durchgeführt worden zu sein. Doch dann kam der russische Feldzug, und mit ihm eine Furcht, die beinahe jeden erfaßte. Besonders jene, die die Sowjetunion haßten, hatten Angst. Denn das war kein Krieg von Fachleuten. Das ganze Volk würde in ihn verwickelt werden. Die höheren Altersgruppen, »die sich mit Schaudern an den ersten Weltkrieg noch erinnerten«, Hunderttausende von Arbeitern, die Rußland als ihr Vaterland ansahen, wurden einberufen. Die Arbeiter, der Teil des Volkes, den das Regime selbst immer seinen unerschütterlichsten Feind genannt hatte, traten in genau dem Augenblick in den Krieg ein, als er jenes Land erfaßte, das sie mit besonderer Sympathie betrachtet hatten. Sogar jene, die am unerschütterlichsten gehofft hatten, verstummten. Gab es kein anderes Deutschland?

Ein Mann bleibt bei seinem Geschäft, und das Geschäft des Flüchtlings ist: hoffen. Sehr bald wurden deshalb alle möglichen Erklärungen angeboten, alle mehr oder weniger formaler Art. Das Hitlerregime, so wurde gesagt, mußte bis zur letzten Minute zwei Völker über die Invasion im Ungewissen halten, die Russen und die Deutschen. Das beweist doch wohl, daß die ganze Angelegenheit dem Regime peinlich war? Untersuchungen über die Arbeitspolitik der Nazis während ihrer fünfjährigen Kriegsvorbereitungen waren eine ernstere, Sache. Schon im letzten Jahr der Weimarer Republik war die Lage der Arbeiterklasse katastrophal. Die Rationalisierung der Industrie hatte Arbeitslosigkeit hervorgerufen; die Weltwirtschaftskrise, die Deutschland mit besonderer Gewalt traf, verwandelte die Arbeitslosigkeit in eine nationale Katastrophe. Der Konkurrenzkampf unter den Arbeitern wurde zu einem richtigen Krieg. Die deutsche Arbeiterklasse war bereits uneinig; nun kehrt sich ihre Uneinigkeit gegen sie selbst. Diese Hinterlassenschaft wurde jetzt von dem großen und, wie viele meinen, legitimen Erben der Weimarer Republik übernommen: dem Dritten Reich. Die Arbeitslosigkeit wurde im Handumdrehen beseitigt. Tatsächlich erfolgte die Beseitigung so außerordentlich schnell und umfassend, daß sie wie eine Revolution erschien. Die Fabriken waren mit Gewalt genommen worden. Der vierte Stand stürmte die Bastille ..., nur um dort in Gefangenschaft zu bleiben. Zur selben Zeit wurden die Organisationen der Arbeiterklasse aufgelöst und durch die Polizei dezimiert. So wurde diese Klasse in einen gestaltlosen Mob ohne Willen und ohne politisches Bewußtsein verwandelt. Von nun an hatte der Staat nichts mehr mit Organisationen, sondern nur noch mit Einzelnen zu tun. Napoleon hatte behauptet, man brauche nur an einem bestimmten Punkt und zu einer bestimmten Zeit stärker zu sein; Hitler hat diese Strategie glänzend in die Tat umgesetzt. Seine Maßnahmen brauchen nicht mehr durch diese »Privatpersonen« gebilligt zu werden. Aber das ist nicht alles. Eine friedliche Industrie, die Waren produziert, verlangt nicht, daß die Arbeiter an ihrer Arbeit Freude haben; der moderne mechanisierte Krieg, der nichts anderes ist als eine Industrie der Vernichtung, verlangt nicht, daß die Arbeiter Freude am Krieg haben. Die Ware, mit der sie handeln, ist Vernichtung. Das ist die technisch-ökonomische Seite eines Gesellschaftssystems, das den einfachen Mann sowohl politisch als auch ökonomisch zu einem Werkzeug erniedrigt.

Solche Erklärungen sind aufschlußreicher als die der Geschichtsphilosophen, die töricht und demagogisch jammern, das deutsche Volk sei kriegslüstern von Natur aus, seiner Eroberungssucht käme nur seine Bereitschaft zum Gehorsam gleich, und so weiter. Doch diese Erklärungen stellen nicht die ganze Wahrheit dar. Sie zeigen, wie die arbeitenden Klassen in sklavische Abhängigkeit von den herrschenden Klassen gerieten; sie zeigen nicht, wie die Arbeiter von den Erfolgen der Herrschenden im Krieg abhängig geworden sind. (Emil) Ludwig und Vansittart beklagen, daß das deutsche Volk Hitlers Krieg zumindest duldete. Die Wahrheit ist, daß es den Krieg dulden mußte, weil es ein System duldete, das - neben anderen Dingen - Kriege braucht.

Wenn man beklagt, das deutsche Volk lasse zu, daß seine Regierung einen schrecklichen Angriffskrieg führt, dann beklagt man in Wahrheit, daß das deutsche Volk keine gesellschaftliche Revolution durchführt. Für wessen Interessen wird der Krieg geführt? Eben für die Interessen jener, die nur durch eine gesellschaftliche Revolution gigantischen Ausmaßes aus ihren hohen Stellungen entfernt werden können. Die Interessen der Industriellen und der Junker mögen manchmal voneinander abweichen, beide aber brauchen den Krieg. Sie mögen über die Kriegsführung streiten; aber sie sind gleicherweise überzeugt, daß er geführt werden soll. Bedeutende englische Zeitschriften haben beschrieben, wie die Junker im Kriegsministerium die Konkurrenz zwischen den Trusts anheizen und wie wirkungsvoll die Trusts darum kämpfen, Einfluß auf die Kriegsführung zu gewinnen. Keine Gruppe, die irgend etwas besitzt, ist gegen den Krieg. Wenn der Krieg aussichtslos wird, dann werden die Trusts vielleicht versuchen, die Hitlerbande oder sogar die Generäle um des Friedens willen loszuwerden; aber sie werden nur Frieden schließen, um später wieder Krieg mit allen möglichen zu führen. Für sie ist es natürlich wichtig, das zu behalten, was sie besitzen; wirtschaftliche Macht nämlich, ohne die sie niemals hoffen können, die politische Macht wiederzuerlangen, die sie brauchen, um Krieg zu führen. Französische Minister haben beschrieben - und General de Gaulle hat ihre Beschreibung bestätigt -, daß die französischen Industriellen vor ihrem eigenen Volk solche Angst hatten, daß sie sich vor ihren deutschen Unterdrückern gar nicht schnell genug in den Staub werfen konnten. Sie glaubten, die deutschen Bajonette seien notwendig zur Erhaltung ihres Besitzes. Eines Tages werden die deutschen Industriellen versuchen, Bajonette zu finden (gleichgültig woher) in der Hoffnung, der Verlust ihrer politischen Macht werde nur vorübergehend sein, wenn ihre wirtschaftliche Macht gerettet werden kann. Ist das klar?

Aber wie steht es mit dem Rest des deutschen Volkes, den neunundneunzig Prozent? Liegt der Krieg auch in ihrem Interesse? Brauchen sie Krieg? Wohlmeinende Leute sind allzu voreilig, wenn sie zuversichtlich antworten: Nein. Eine tröstliche Antwort, aber keine richtige. Die Wahrheit ist, daß der Krieg siegt, solange sie nicht das System, unter dem sie leben, abschütteln können oder wollen. Als Hitler an die Macht kam, standen sieben Millionen Familien, das ist ein Drittel der Bevölkerung, vor dem Hungertod. Das System konnte keine Arbeit für sie finden, es konnte ihnen nicht einmal hinreichende Wohlfahrtsunterstützung gewähren. Als dann Arbeit für sie gefunden wurde, bestand sie nur in industriellen Kriegsvorbereitungen. Inzwischen war der sogenannte Mittelstand ruiniert und in die Munitionsfabriken getrieben worden. Hunderttausende von Geschäften und Werkstätten wurden geschlossen, und zwar für immer: Man schmolz die Registrierkassen ein. Auch die Bauern wurden ruiniert, sie sind jetzt reine Pächter, die auf Befehl handeln. Sie können ihr Land nur noch durch billigste Sklavenarbeit bestellen, durch die Arbeit von Kriegsgefangenen. Sogar die kleinsten Fabriken sind für immer ruiniert und ihre Besitzer müssen Anstellungen in der Verwaltung suchen, die sie aber nur finden können, wenn der Staat gesiegt und Gebiete erobert hat, über die er verfügen kann. So haben sie alle ein Interesse am Krieg. Alle. Ist das klar?

Irgendwo muß ein schrecklicher Rechenfehler liegen, auch das ist klar, und es wird um so klarer werden, je schlimmer der Krieg wird. In den bombardierten Städten hocken Menschen in den Kellern brennender Häuser, geschüttelt von tierischer Angst, und beginnen zu lernen. Vermutlich beginnen die im Süden und Osten zurückweichenden Armeen ebenfalls zu lernen. Wo liegt der Rechenfehler? Irgendwo in der Nähe von Smolensk richtet ein schlesischer Soldat sein Gewehr auf einen russischen Panzer, der ihn zermalmt, wenn er nicht angehalten wird. Es bleibt kaum Zeit um zu erkennen, daß das, worauf er sein Gewehr richtet, die Arbeitslosigkeit ist. Und wenn er es erkennt, wie wenig ist damit gewonnen! Ein Ingenieur bemüht sich um eine Verbesserung in der Konstruktion schneller Jagdflugzeuge. Er hat kaum Zeit zu überlegen, was er in einem verarmten Deutschland, das den Krieg verloren hat, anfangen wird. Aber bestimmt ist tief in seinem Innern, wenn auch noch so unerklärlich, etwas in Bewegung geraten; vielleicht ahnt er, daß irgendwo ein Rechenfehler stecken muß. Hamburg brennt, und eine Menschenmenge versucht, aus der Stadt herauszukommen; ein SS-Mann schlägt sie nach Hause zurück. Seine Eltern besaßen ein Möbelgeschäft in Breslau. Jetzt ist es geschlossen werden. Was ist, wenn der Krieg verloren wird? Er fährt fort, die Menge zu prügeln. Viele Eltern sind darunter.

Nur der einzelne kann denken. Nur die Gruppe kann Krieg fuhren. Für das Individuum ist es leichter, der Gruppe zu folgen, als selbst zu denken. Jedes Individuum in einer Menge würde vermutlich etwas tun, aber die Menge tut etwas anderes. Die Russen und die Amerikaner sind weiter entfernt als der Unteroffizier, die RAF ist weiter entfernt als die Polizei. Und der Krieg ist eine Tatsache, während das Denken schwach und unpraktisch ist, eine Träumerei. Der Krieg fordert alles, aber er liefert auch alles. Er liefert Nahrung, Wohnung, Arbeit. Man kann nichts tun, was nicht dem Krieg diente; etwas Gutes tun bedeutet »gut für den Krieg«. Im Krieg werden alle Laster und Schwächen freigesetzt. Doch der Krieg bringt auch alle Tugenden zum Vorschein: Fleiß, Erfindungsgabe, Ausdauer, Tapferkeit, Kameradschaft und sogar Güte. Und doch steckt irgendwo ein enormer Rechenfehler. Wo?

Wenn das Geschick von so vielem und so vielen betroffen ist, dann fällt es schwer zu glauben, nur die Führenden seien für den Krieg verantwortlich. Es fällt leichter anzunehmen, daß die Führenden nur für den verlorenen Krieg verantwortlich sind. Nun ist es unwahrscheinlich, daß das Naziregime, so verbrecherisch es auch ist, Krieg zum Spaß führen würde. Das hat es nicht getan. Was Krieg und Frieden betrifft, so hatte das Regime wahrscheinlich keine andere Wahl. Wer auch immer die Herrschenden sind, sie herrschen nicht nur über den Körper, sondern auch über den Geist; sie schreiben nicht nur das Handeln, sondern auch das Denken vor. Das Regime mußte den Krieg wählen, weil das ganze Volk den Krieg brauchte; doch das Volk brauchte den Krieg nur unter diesem Regime und muß deshalb eine andere Lebensform suchen. Das ist eine ungeheuerliche Folgerung. Und selbst, wenn die Hand am Zügel unsicher wird, ist der Weg zu dieser Folgerung weit. Denn es ist der Weg zur gesellschaftlichen Revolution.

Die Geschichte zeigt, daß Völker nicht leichtfertig radikale Änderungen des ökonomischen Systems vornehmen. Die Völker sind keine Spieler. Sie spekulieren nicht. Sie hassen und fürchten die Unordnung, die mit gesellschaftlicher Veränderung einhergeht. Nur wenn die Ordnung, unter der sie bisher lebten, sich in unbezweifelbare und unerträgliche Unordnung verwandelt, wagt das Volk - und auch dann nur furchtsam, unsicher, immer wieder aus Angst zurückschreckend -, die Situation zu ändern. Eine Welt, die vom deutschen Volk erwartet, es werde revoltieren und sich in eine friedliche Nation verwandeln, erwartet viel. Sie erwartet vom deutschen Volk Mut, Entschlossenheit und neue Opfer. Wenn unser anderes Deutschland siegen soll, dann muß es seine Lektion gelernt haben.

Der letzte Krieg hatte, in der Niederlage endend, das deutsche Volk für einige Zeit von seinen politischen Fesseln befreit. In den Jahren nach dem Krieg bemühte sich das ganze Volk, eine Regierung für das Volk und durch das Volk zu schaffen. Riesige Arbeiterparteien und kleine bürgerliche Parteien, zum Teil unter katholischem Einfluß, verdammten den Krieg und jede Politik, die zum Krieg führt. Es schien, als ob der Krieg für Generationen in Verruf gebracht worden wäre. Die Künste, Musik, Malerei, Literatur und Theater blühten auf.

Das dauerte nicht lange. Das Volk hatte versäumt, die Schlüsselpositionen in der Volkswirtschaft zu besetzen. Jene, die es gewohnt waren, Befehle zu erteilen, boten ihre Dienste als Spezialisten der Ordnung an, und ihre Dienste wurden angenommen. Die vielgepriesene Ordnung, die sie bewahrten, war die Ordnung von angreifenden Bataillonen; das vielzitierte Chaos, das sie verhinderten, war die Besetzung der Schlüsselstellungen in der Wirtschaft durch das Volk. Und nach einem oder zwei Jahren, in denen ihre wirtschaftlichen Stellungen nicht einmal angezweifelt worden waren, übernahmen sie wieder die politischen Stellungen, und die Vorbereitung des nächsten Krieges begann. Wird all das noch einmal geschehen? Um diese Fragen zu verneinen, muß man eben jene Tatsache günstig interpretieren können, die zunächst die Fragestellung unsinnig erscheinen läßt, nämlich die vielzitierte »unerschütterliche Moral Hitlerdeutschlands«.

Die Tatsache, daß auf die Entbehrungen und Niederlagen Nazideutschlands keine rasche Reaktion erfolgte, ist zugegebenermaßen störend. Man muß jedoch fähig sein zu erkennen, daß gerade diese Verzögerung anzeigt, wie tief und umfassend die Reaktion sein wird. Dieses Mal haben die Imperialisten keine Parlamente, an die sie sich wenden können, wenn sie möchten, daß jemand den Krieg für sie beendet. Heute gibt es keine Dynastien, die als Sündenbock geopfert werden können, ohne die Struktur des Staates im mindesten zu gefährden. Wenn auf der anderen Seite die Massen versuchen, sich einen Ausweg aus dem Krieg zu erkämpfen, dann müssen sie gegen Hunderttausende von Hitleranhängern antreten, die nur in einem ungeheuren Bürgerkrieg besiegt werden können, einem Bürgerkrieg, der mit den improvisierten Truppen einer Volksregierung geführt werden müßte. Das Volk müßte aufstehen gegen seine Unterdrücker - die Unterdrücker der ganzen Welt - und sie besiegen.

Eines ist sicher. Wenn das deutsche Volk seine Beherrscher nicht abschütteln kann, wenn es diesen Beherrschern im Gegenteil gelingt, eine »friderizianische Variation« zu spielen, das heißt, wenn es ihnen gelingt, den Krieg fortzusetzen, bis Uneinigkeit unter den Alliierten die Gelegenheit für einen Verhandlungsfrieden bietet; oder wenn andererseits die Beherrscher Deutschlands militärisch besiegt werden, wirtschaftlich aber an der Macht bleiben, dann ist eine Befriedung Europas undenkbar. Im letzten Fall würde eine militärische Besetzung durch die Alliierten bestimmt nicht helfen. Es ist schwer genug, heutzutage Indien durch gewaltsame Kolonisierung unter Kontrolle zu halten; es wäre ganz unmöglich, Mitteleuropa zu beherrschen. Sollten die Alliierten die Waffen nicht nur gegen das erschöpfte Regime, sondern auch gegen das Volk wenden, dann würden sie ungeheure Kräfte benötigen; die Nazis brauchten mehr als eine halbe Million SS-Männer, die größte Polizeimacht der Geschichte, und einen Blockwart für jeden Block in jeder Stadt; sie mußten auch die Hoffnung auf einen Erfolg des Eroberungskrieges aufrechterhalten, ohne die sowohl die Polizei als auch die Bevölkerung verhungern würde. Der fremde Soldat mit einem Gewehr in der einen Hand und einer Flasche Milch in der anderen würde nur dann als ein Freund angesehen, würdig der großen Demokratien, die ihn geschickt haben, wenn die Milch für das Volk und das Gewehr für das Regime bestimmt wäre. Der Gedanke, ein ganzes Volk mit Gewalt zu erziehen, ist absurd. Was das deutsche Volk aus blutigen Niederlagen, Bombardements, Verarmung und aus den Bestialitäten seiner Führer innerhalb und außerhalb Deutschlands nicht gelernt hat, wenn dieser Krieg vorüber ist, das wird es auch nicht aus Geschichtsbüchern lernen. Völker können sich nur selbst erziehen; und sie werden eine Herrschaft des Volkes nicht errichten, wenn ihre Hirne, sondern nur, wenn ihre Hände sie ergreifen.


The Other Germany/Das andere Deutschland

In the days when the great powers were not yet fighting Hitler and not a few voices from abroad - some not silent even today - gave him encouragement, the world well knew that he was being fought from within and his enemies were called: the other Germany. Refugees, many of them known throughout the world, and foreign correspondents on furlough, reported that this other Germany really existed. At no time were even half the votes cast for the Hitler regime and the existence of the most frightful Instruments of oppression and the most frightful police force which the world has ever known, proved that the opponents of the regime were not inactive. Hitler ravaged his own country before he ravaged other countries; and the plight of Poland, Greece, or Norway is scarcely worse than that of Germany. He made prisoners of war in his own country; he kept whole armies in concentration camps. In 1939 these armies numbered 200.000 - more Germans than the Russians took at Stalingrad. These 200.000 do not comprise the whole of the other Germany. They are only one detachment of its forces.

The other Germany could not stop Hitler, and in the present war which has brought the great powers into conflict with him, the Other Germany has almost been forgotten. Many doubted if it really existed or at least denied that it had any significance. One factor was that the fighting democracies had to combat illusions about the striking-power of Hitler's armies. And there were powerful groups that regarded the other Germany with mistrust; they feared it was socialist. But there was also a suspicion that confused the friends of the other Germany, even some who themselves belonged to the other Germany.

The terrible question was; had the war put an end to the civil war which smoldered in Germany all through the first six years of Nazi reign? It is well known, after all, that wars engender fierce nationalism and bind the peoples more securely to their rulers.

The exile's trade is: hoping. It affords no gilt-edged securities. Some fore-cast that the Nazi regime would not be able to abolish unemployment; and when it was abolished, they forecast that it would go bankrupt. Some placed their hopes upon the Reichswehr, on the pride of caste of the Prussian Junkers, who would not want to go to war under the leadership of a corporal; or upon the Rhineland industrialists who in general must have feared a war. Even when war broke out, some said: »the regime can keep the war going while it remains a Blitzkrieg fought by boys of twenty and a mechanized army of experts: but no longer. The workers remain in the factories and at least thirty SS divisions are needed to guard them.« The conquest of Poland and Norway, even the subjection of France seemed to be handled by this army of experts. But then came the Russian campaign, and with it an almost universal fear. Especially those who hated the Soviet Union were afraid. For this was no war of experts. The whole people would be drawn in. The higher age-groups »who still recalled with a shudder the First World War«, hundreds of thousands of workers who regarded Russia as their fatherland were drafted. The workers, precisely that part of the people which the regime itself had always called its most unshakable enemy, entered the war precisely at the moment when it involved the country which they had viewed with special sympathy. Even those who had hoped most invincibly were silenced. Did no other Germany exist?

A man sticks to his trade, and the exile's trade is: hoping. Very soon therefore all sorts of explanations were available, all more or less technical. The Hitler regime, it was said, had had to keep two countries in the dark about the invasion to the very last minute, the Russians and the Germans. That proves, does it not, that the regime was embarrassed by the whole affair? Investigations of Nazi labor policy during their five years of preparation for war were a more serious matter. Already in the last year of the Weimar Republic the situation of the working class was catastrophic. Rationalization of industry had created unemployment; the world crisis, which struck Germany with particular force, turned unemployment into a national catastrophe. Competition among the workers themselves became a very war. The German working class was already divided into parties; the parties were now divided against themselves. This legacy was taken over by the great and, as many think, legitimate heir of the Weimar Republic: the Third Reich. Unemployment was done away with in short order. Indeed the speed and scope of the abolition were so extraordinary that it seemed like a revolution. The factories had been taken over by force. The Fourth Estate stormed the Bastille ... only to remain there in captivity. At the same time the political organizations of the working class were dissolved and decimated by the police. In this manner this class was transformed into an amorphous mob without will or political awareness. From now on the state did not have to deal with organizations, only with individuals. Napoleon had maintained that one need only be stronger at a given point at a given time; Hitler put this strategy to brilliant use. His policies need no longer be approved by these »private persons«. But that is not all. Peaceful industry, which produces commodities, does not require that the workers take pleasure in their work; modern mechanized war, which is simply the industry of destruction, does not require that the workers take pleasure in war. Destruction is the commodity they deal in. Such is the technical-economic side of a social system which degrades the common man to the status of a tool politically as well as economically.

Such explanations are more illuminating than those of philosophers of history who in foolish and demagogical resentment cry that the German people are by nature bellicose, that their desire to conquer is only equal-led by their willingness to obey - and so forth. But these explanations are not the whole truth. They show how the working classes came to be slavishly dependent upon the ruling classes; they do not show how the workers have come to be dependent on the success of their rulers in war. (Emil) Ludwig and Vansittart complain that the German people at least put up with Hitler's war. The truth is that they had to put up with the war because they put up with a system that demands - among other things - wars.

To complain that the German people allows its government to wage frightful war of aggression is actually to complain that the German people does not make a social revolution. In whose interest is the war being fought? Precisely in the interest of those who can only be removed from their high positions by a social revolution on a gigantic scale. The interests of the industrialists and the Junkers may sometimes diverge, but both need war. They may quarrel about the conduct of the war; but they are alike sure that it should be conducted. Important English Journals have described how the Junkers in the Ministry of War whip up competition between the trusts and how effectualy the trusts fight to get influence on the conduct of the war. No group that owns anything is against the war. If the war becomes hopeless the trusts may try to get rid of the Hitler gang or even of the generals for the sake of peace; but they will only make peace in order to make war later with all possible strength and as soon as possible. The important thing for them is naturally to keep what they own, namely, economic power, without which they could never hope to regain the political power which they need to make war. French ministers have described, and General de Gaulle has confirmed their descriptions, how the French industrialists were so afraid of their own people that they could not prostrate themselves before their German conquerors quickly enough. They thought the German bayonets necessary to the preservation of their property. One day the German industrialists will try to find bayonets (and any bayonets will do) in the hope that their loss of political power will only be temporary if their economic power can be salvaged. Is that clear?

But how is it with the rest of the German people, the ninety-nine percent? Is the war in their interest too? Do they need war? Well-meaning people are too hasty by half when they confidently answer: No. A comforting reply, but not a true one. The truth is that the war is in their interest so long as they cannot or will not shake off the system under which they live. When Hitler came to power, seven million families, that is more than a third of the population, faced starvation. The system could find no work for them, could not even keep them on relief. When work was found for them it was only in industrial preparations for war. Meanwhile the so-called middleclass was ruined and driven into the munitions' factories. Hundreds of thousands of shops and workshops were closed and closed for good: the cash-registers were melted down. The farmers also were ruined; they are now mere tenants acting under orders. They can cultivate their land only with the cheapest slave-labor, the labor of prisoners of war. Even the smallest factories are ruined for good and their owners have to look for administrative jobs which they can only find if the state is victorious and has occupied territories to dispose of. So they all have a stake in the war. All. Is that clear?

Somewhere there must be a terrible miscalculation, that is clear too, and will be clearer still as the war gets worse and worse. In the bombed cities men crouch in the cellars of burning houses shaken by animal fear and begin to learn. Presumably the retreating armies in the south and in the east are also beginning to learn. Where is the miscalculation? Somewhere near Smolensk a Silesian soldier points his gun at a Russian tank which will crush him if it is not stopped. There is hardly time to realize that what he is pointing his gun at is unemployment. And if he does realize, how little has been gained! An engineer is bent over an improvement in the construction of fast fighter-planes. He hardly has time to consider what he is going to do in a poverty-stricken Germany that has lost the war. But surely something in the back of his mind is, however mysteriously, stirred; perhaps he half-suspects there must be a miscalculation somewhere. Hamburg is burning and a crowd of people is trying to get out of the town; an SS man beats them back home. His parents owned a furniture store in Breslau. It is closed down now. What if the war is lost? What if it is won? He continues to club the crowd. There are many parents in it.

Only the individual can think. Only the group can go to war. It is easier for the individual to follow the group than to think for himself. Every individual in a crowd would perhaps do one thing, but the crowd does another thing. The Russians and the Americans are further away than the sergeant; the RAF is further away than the police. And the war is a fact, whereas thinking is weak and unpractical, a dreamy affair. War demands everything but it provides everything too. It provides food, shelter, work. One can do nothing that is not for the war; to do something good means »good for the war«. In war all vices and weaknesses are released. But the war also brings out all the virtues: diligence, inventiveness, perseverance, bravery, comradeship and even kindness. And yet there is an enormous miscalculation somewhere. Where?

When the fate of so much and so many is involved, it is hard to think that only the leaders are responsible for the war. It is easier to assume that the leaders are only responsible for the war's being lost. Now it is very unlikely that the Nazi regime, vicious as it is, would go to war for fun. It has not done so. As far as war and peace are concerned, the regime probably had no choice. Whoever rulers are, they rule not only over bodies but also over minds; they command not only deeds but thoughts. The regime had to choose war because the whole people needed war; but the people needed war only under this regime and therefore have to look for another way of life. This is a colossal conclusion. And even when the hand on the reins becomes uncertain, the road to this conclusion is a long one. For it is the road to social revolution.

History shows that peoples do not lightly undertake radical changes in the economic system. The people are not gamblers. They do not speculate. They hate and fear the disorder which accompanies social change. Only when the order under which they have lived turns to an indubitable and intolerable disorder do the people dare, and even then nervously, uncertainly, again and again shrinking back in terror, to change the situation. A world which expects the German people to revolt and turn itself into a peaceful nation is expecting much. It is expecting of the German people courage, determination, and new sacrifice. If our other Germany is to win, it will have to have learned its lesson.

Ending in defeat, the last war freed the German people of their political fetters for a time. In the years after the war the whole people were actively trying to create a government for the people and by the people. Gigantic labor parties and small bourgeois parties, partly under catholic influence, condemned war and all policies that lead to war. It seemed that war would be discredited for generations. The arts, music, painting, literature, and theatre flourished.

It did not last long. The people had neglected to occupy the key-positions in the national economy. Those who had been used to giving the orders offered their services as specialists of order and their services were accepted. The boasted order which they kept was the order of attacking battalions; the much talked of chaos which they avoided was the occupation by the people of the key-positions in the economy. And after a year or two in which their economic positions had not been even challenged, they took back the political positions, and the preparation of the next war began. Will all this happen again? In order to answer this question in the negative one must be able to interpret favorably the very fact which at first seems to make nonsense of the query, namely, the much-reported »unshakable morale of Hitler Germany.«

The fact that there has been no quick reaction to the privations and defeats of Nazi Germany is admittedly irritating. One must, however, be able to see that precisely this delay indicates how deep and broad the reaction will be. This time the imperialists have no parliaments to turn to when they want someone to end their war for them. Today there are no dynasties which can be sacrificed as scapegoats without in the least endangering the structure of the state. On the other hand if the masses try to fight their way out of the war they will have to confront hundreds of thousands of Hitlerites who can only be defeated in a tremendous civil war, a civil war which must be conducted with the improvised commandos of a popular government. The people must rise against their torturers - the torturers of the whole world - and defeat them.

One thing is certain. If the German people cannot throw off their rulers, if on the contrary these rulers manage to play a »Frederickian Variation,« that is, manage to keep the war going until disagreement among the allies presents an opportunity for a negotiated peace; or, alternatively, if the rulers of Germany are beaten militarily but left in power economically, a pacification of Europe is unthinkable. In the latter case military occupation by the allies would certainly not help. It is hard enough to control India in these days by violent colonization; it would be quite impossible to control Central Europe. Should the allies take up arms not only against the harassed regime but also against the whole people, they would need immense forces; the Nazis needed more than half a million SS men, the largest police force in history, and a fanatical block-warden in every block in every town; they also had to hold out a hope of a successful war of conquest without which both the police and the population would starve. The foreign soldier with a gun in one hand and a bottle of milk in the other would only be regarded as a friend worthy of the great democracies that sent him if the milk were for the people and the gun for use against the regime.

The idea of forcibly educating a whole people is absurd. What the German people have not learned when this war is over from bloody defeats, bombings, impoverishment, and from the bestialities of its leaders inside and outside Germany, it will never learn from history books. Peoples can only educate themselves; and they will establish popular government not when they grasp it with their minds but when they grasp it with their hands.


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