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August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 360-378.

1. Korrektur.
Erstellt am 31.1.1999.

Siebzehntes Kapitel
Der Konzentrationsprozeß in der kapitalistischen Industrie

1. Die Verdrängung der Landwirtschaft durch Industrie

|360| Das kapitalistische Wirtschaftssystem beherrscht nicht nur die soziale Organisation, sondern auch die politische; es beeinflußt und beherrscht das Fühlen und Denken der Gesellschaft. Der Kapitalismus ist die leitende Macht. Der Kapitalist ist der Herr und Gebieter der Proletarier, deren Arbeitskraft er als Ware zur Anwendung und Ausnutzung kauft, und zwar zu einem Preise, dessen Höhe sich wie bei jeder anderen Ware nach Angebot und Nachfrage richtet und um die Herstellungskosten, bald über, bald unter ihnen, oszilliert. Der Kapitalist kauft aber die Arbeitskraft nicht um "Gottes willen" und um dem Arbeiter einen Gefallen zu erweisen - obgleich er es so darstellt -, sondern um aus dessen Arbeit einen Mehrwert zu erhalten, den er in der Form von Unternehmergewinn, Zins, Pacht, Bodenrente einsteckt. Dieser aus dem Arbeiter gepreßte Mehrwert, der, soweit er ihn nicht verjubelt, bei dem Unternehmer sich wieder zu Kapital kristallisiert, setzt diesen in die Lage, stetig seinen Betrieb zu vergrößern, den Produktionsprozeß zu verbessern und immer neue Arbeitskräfte in Anwendung zu bringen. Das ermöglicht ihm wieder, seinem schwächeren Konkurrenten wie ein geharnischter Reiter einem unbewaffneten Fußgänger gegenüberzutreten und ihn zu vernichten. Dieser ungleiche Kampf entwickelt sich mehr und mehr auf allen Gebieten, und in ihm spielt die Frau als die billigste Arbeitskraft, nach der Arbeitskraft der jungen Leute und der Kinder, eine immer wichtigere Rolle. Die Folge eines solchen Zustandes ist die immer schroffere Scheidung in eine verhältnismäßig kleine Zahl mächtiger Kapitalisten und in eine große Masse kapitalloser, auf den täglichen Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesener Habenichtse. Der Mittelstand gelangt bei dieser Entwicklung in eine immer bedenklichere Lage. Ein Arbeitsgebiet nach dem anderen, auf dem bisher das Kleingewerbe immer noch herrschte, wird von der kapitalistischen Ausnut-|361| zung erfaßt. Die Konkurrenz der Kapitalisten unter sich nötigt sie, immer neue Gebiete für ihre Ausbeutung ausfindig zu machen. Das Kapital geht einher "wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen es verschlinge". Die kleinen und schwächeren Existenzen werden vernichtet, und gelingt es ihnen nicht, sich auf ein anderes Gebiet zu retten - was immer schwieriger und unmöglicher wird -, so sinken sie in die Klasse der Lohnarbeiter oder der katilinarischen Existenzen herab. Alle Versuche, den Niedergang des Handwerkes und des Mittelstandes zu verhindern durch Gesetze und Einrichtungen, die nur aus der Rumpelkammer der Vergangenheit genommen werden können, erweisen sich als wirkungslos; sie mögen diesen und jenen eine kurze Weile über seine Lage hinwegtäuschen, aber bald schwindet vor der Wucht der in die Erscheinung tretenden Tatsachen die Illusion. Der Aufsaugungsprozeß der Kleinen durch die Großen tritt mit der Macht und der Unerbittlichkeit eines Naturgesetzes jedem sichtbar und mit Händen greifbar vor die Augen.

In welcher Weise sich die soziale Struktur Deutschlands in dem kurzen Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren - von 1882 bis 1895 und von 1895 bis 1907 - veränderte, darüber gestatten die Resultate der Gewerbezählungen in den genannten Jahren einen Vergleich.

Es waren vorhanden:

Erwerbstätige im Hauptberuf

Ab- oder Zunahme
seit 1882

1882

1895

1907

Landwirtschaft

8.236.496

8.292.692

9.883.257

+

1.646.761

=

19,99

Industrie

6.396.465

8.281.220

11.256.254

+

4.859.786

=

75,98

Handel und Verkehr

1.570.318

2.338.511

3.477.626

+

1.907.308

=

121,46

Häusliche Dienste

397.582

432.491

471.695

+

74.113

=

18,63

Öffentliche Dienste und freie Berufe

1.031.147

1.425.961

1.738.530

+

707.383

=

68,56

Berufslose

1.334.486

2.142.808

3.404.983

+

2.050.497

=

151,40

Zusammen

18.986.494

22.913.683

30.232.345

+

11.245.851

=

53,95

Erwerbstätige mit Angehörigen

Ab- oder Zunahme
seit 1882

1882

1895

1907

Landwirtschaft

19.225.455

18.501.307

17.681 176

-

1.544.279

=

18,18

Industrie

16.058.080

20.253.241

26.386.537

+

10.328.457

=

64,25

Handel und Verkehr

4.531.080

5.966.846

8.278.239

+

3.747.159

=

82,69

Häusliche Dienste

938.294

886.807

792.748

-

145.546

=

15,57

Öffentliche Dienste und freie Berufe

2.222.982

2.835.014

3.407.126

+

1.184.144

=

53,33

Berufslose

2.246.222

3.327.069

5.174.703

+

2.928.481

=

130,36

Zusammen

45.222.113

51.770.284

61.720.529

+

16.498.416

=

34,27

Hierzu kommen Dienstboten

1.324.924

1.339.318

1.264.755

-

60.169

=

4,53

|362| Diese Zahlen zeigen, daß innerhalb der erwähnten fünfundzwanzig Jahre eine außerordentlich starke Verschiebung der Bevölkerung und ihres Erwerbes stattgefunden hat. Die von Industrie (Bergbau und Baugewerbe), Handel und Verkehr lebende Bevölkerung hat sich auf Kosten der landwirtschaftlichen Bevölkerung vermehrt; fast die ganze Zunahme der Bevölkerung - 6.548.171 von 1882 bis 1895 und 9.950.245 von 1895 bis 1907 - haben die ersteren allein in Anspruch genommen. Zwar ist die Zahl der Erwerbstätigen im Hauptberuf in der Landwirtschaft um 1.646.761 Köpfe gestiegen, sie blieb aber weit hinter dem Wachstum der Gesamtbevölkerung zurück, und die Zahl der Angehörigen dieser Kategorie der Erwerbstätigen ist sogar um 1.544.279 = 8 Prozent gesunken.

Ganz anders in Industrie (einschließlich Haugewerbe und Bergbau), Handel und Verkehr. In beiden Kategorien stieg die Zahl der Erwerbstätigen wie ihrer Angehörigen sehr erheblich, und zwar mehr, als die Bevölkerung wuchs. Die Zahl der Erwerbstätigen in der Industrie, die schon im Jahre 1895 die Zahl der in der Landwirtschaft Erwerbstätigen erreichte, überstieg sie jetzt um 1.372.997 Köpfe oder um 15 Prozent. Die Zahl ihrer Angehörigen aber wuchs über die der Angehörigen der landwirtschaftlichen Erwerbstätigen um 8.705.361 Köpfe oder um 49 Prozent hinaus (im Jahre 1895 um 1.751.934). Eine noch stärkere Steigerung weist die Zahl der Erwerbstätigen mit ihren Angehörigen in Handel und Verkehr auf.

Das Resultat ist, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung, das heißt der eigentliche konservative Teil der Bevölkerung, der die Hauptstütze der alten Ordnung der Dinge bildet, immer mehr zurückgedrängt und in immer schnellerem Tempo von der Industrie, Handel und Verkehr treibenden Bevölkerung weit überflügelt wird. Die erhebliche Steigerung, welche die im öffentlichen Dienste und in freien Berufen Erwerbstätigen nebst ihren Angehörigen ebenfalls seit 1882 erfuhren, ändert nichts an dieser Tatsache. Außerdem muß noch bemerkt werden, daß diese Berufsabteilung bei der letzten Zählung eine geringe Einbuße der Erwerbstätigen erlitt - zwar nur relativ -, bei den Berufszugehörigen jedoch setzt sich die Steigerung 1895 gegenüber 1882 auch 1907 fort, obwohl die Steigerung viel geringer ist - von 1882 bis auf 1895 um 38,29 und von 1895 bis 1907 nur um 21,96 Prozent. Die starke Steigerung der Berufslosen und ihrer Angehörigen ist zurückzuführen auf die Vermehrung der Rentner ein- |363| schließlich der Unfallversicherungs-, Invaliditäts- und Altersversicherungsrentner, die höhere Zahl der Almosenempfänger, der Studierenden aller Art, der Insassen der Armen-, Siechen- und Irrenhäuser, der Gefängnisse.

Charakteristisch ist auch die geringe Zunahme der Erwerbstätigen im häuslichen Dienste und die direkte Abnahme der Dienstboten, was dafür spricht, erstens, daß relativ die Zahl derjenigen abnimmt, deren Einkommensverhältnisse ihnen die Beschäftigung solcher Personen gestatten, und zweitens, daß dieser Beruf unter den Proletarierinnen, die größere persönliche Unabhängigkeit erstreben, je länger desto weniger beliebt wird.

Im Jahre 1882 bildeten die in der Landwirtschaft im Hauptberuf Erwerbstätigen 43,38 Prozent, 1895 36,19 und 1907 nur noch 32,69 Prozent der Erwerbstätigen; die gesamte landwirtschaftliche Bevölkerung umfaßte 1882 42,51 Prozent, 1895 35,74 und 1907 nicht mehr als 28,65 Prozent der Bevölkerung überhaupt. Dagegen bildeten die in Industrie (einschließlich Bergbau und Baugewerbe) im Hauptberuf Erwerbstätigen 1882 33,69 Prozent, 1895 36,14 und im Jahre 1907 37,25 Prozent. Mit ihren Angehörigen bildeten sie 1882 35,51, 1895 39,12, aber im Jahre 1907 schon 42,75 Prozent. Für die in Handel und Verkehr Erwerbstätigen und ihre Angehörigen waren die betreffenden Zahlen:

1882

1895

1907

Mit Angehörigen

10,02

11,52

13,41

Ohne Angehörige

8,27

10,21

11,50

Wir sehen also, daß jetzt 56,16 Prozent (in Sachsen sogar 74,5) der Gesamtbevölkerung in Deutschland auf Industrie und Handel angewiesen sind, und daß die Landwirtschaft nicht mehr als 28,65 (in Sachsen nur 10,07) Prozent beschäftigt.

2. Fortschreitende Proletarisierung.
Die Vorherrschaft des Großbetriebs

Wichtig ist aber auch zu konstatieren, wie sich die erwerbstätige Bevölkerung als Selbständige, Angestellte und Arbeiter und in diesen dreien nach dem Geschlecht verteilte. Die betreffenden Zahlen sind aus der Tabelle S. 365 ersichtlich.

|364| Dieselbe zeigt, daß in der Landwirtschaft die Zahl der Selbständigen von 1882 bis 1895 zwar um 280.692 Köpfe = 12,5 Prozent wuchs, aber von 1895 bis 1907 wieder um 67.751 Köpfe abnahm, so daß im Vergleich mit 1882 die Zahl der Selbständigen nur um 212.941 Köpfe = 9,2 Prozent zugenommen hat. Dahingegen ist die Zahl der Arbeiter, die von 1882 bis 1895 um 254.025 Köpfe = 4,3 Prozent abnahm, seit 1895 erheblich gestiegen - um 1.655.677 Köpfe = 29,4 Prozent. Betrachten wir diese Steigerung näher, so sehen wir, daß sie hauptsächlich der Vermehrung der Gruppe der mithelfenden Familienangehörigen weiblichen Geschlechts zuzuschreiben ist (um 170.532 bei den männlichen und um 1.820.398 bei den weiblichen, zusammen um 1.990.930). Ziehen wir in Betracht nur die ländliche Tagelöhner- und Gesindearbeit, so ergibt sich eine Verminderung der männlichen Arbeiter um 381.195 Köpfe und eine Zunahme der weiblichen um 45.942, insgesamt also eine erhebliche Verminderung der landwirtschaftlichen Arbeiter um 335.253 Personen. In der Landwirtschaft haben also nicht allein die Selbständigen, sondern auch Gesinde- und Tagelöhnerschaft abgenommen; die Zunahme der landwirtschaftlichen Berufsabteilung gegenüber der vorhergehenden Zählung ist auf die starke Vermehrung der Familienhilfe, besonders der weiblichen, zurückzuführen.

Anders in der Industrie. Hier sank im Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren die Zahl der Selbständigen um 234.024 = 10,6 Prozent (von 1882 bis 1895 um 139.382 = 5,2 Prozent), während die Bevölkerung um 36,48 Prozent wuchs (von 1882 bis 1895 um 14,48). Und zwar sind es die Alleinbetriebe und die Betriebe mit zwei Hilfspersonen, welche den Ausfall zu tragen hatten. Die Zahl der Arbeiter ist von 1882 bis 1895 um 1.859.468 und von 1895 bis 1907 um weitere 2.637.414 Köpfe gestiegen. Nehmen wir nur die eigentlichen Arbeiter, ausschließlich der mithelfenden Familienangehörigen, so ist ihre Zahl von 5.899.708 in 1895 auf 8..460.338 Personen in 1907 gestiegen. Drei Viertel aller in industriellen Berufen tätigen Personen sind Arbeiter (75,16 Prozent).

Das umgekehrte Verhältnis zeigt sich wieder in Handel und Verkehr, wo selbst die Zahl der Selbständigen aber auch wie in der Industrie die Zahl der Angestellten und der Arbeiter bedeutend wuchs. Es sind insbesondere die Frauen, die im Handel als Selbständige zunehmen, und zwar sind es entweder Witwen, die sich mit einem Klein- |366| handel durchzuschlagen suchen oder es versucht die Ehefrau, auf diesem Wege die Einnahme des Mannes zu verbessern. Die Zahl der Selbständigen ist von 1882 bis 1907 um 310.584 = 44,3 Prozent gestiegen, aber die Zahl der Angestellten und der Arbeiter hat sich noch stärker vermehrt (um 364.361 = 258,8 und um 1.232.263 = 196,4 Prozent). Ein schlagender Beweis, wie außerordentlich stark sich der Großhandel entwickelte, insbesondere von 1895 bis 1907. Die Zahl der Angestellten hat sich beinahe verdoppelt, darunter die Zahl der weiblichen versechsfacht.

Insgesamt stieg von 1882 bis 1907 die Zahl der Selbständigen in allen drei Kategorien um 5,7 Prozent, sie blieb also erheblich hinter der Steigerung der Bevölkerung zurück (36,48 Prozent). Dagegen stieg die Zahl der Angestellten um 325,4 Prozent, was dafür spricht, daß auf allen Gebieten sich mächtig entwickelte der Großbetrieb, der Angestellte benötigt, und die Zahl der Arbeiter wuchs um 39,1 Prozent. Hierbei ist festzuhalten, daß unter den 5.490.988 Selbständigen sich eine sehr große Zahl Existenzen befindet, die ein rein proletarisches Dasein führt. So gab es zum Beispiel unter den 2.086.368 Betrieben in der Industrie nicht weniger als 994.743 Alleinbetriebe und 875.518 Betriebe, die bis zu fünf Hilfspersonen beschäftigten. Im Warenhandel gab es 1907 unter 709.231 Hauptbetrieben nicht weniger als 232.780 Alleinbetriebe, ferner gab es unter den Selbständigen in Handel und Verkehr im Hausierhandel 35.306 Alleinbetriebe, dann 5.240 Dienstmänner, Lohndiener usw., Tausende von Versicherungsagenten, Kolporteuren usw.

Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß in allen drei Kategorien die Zahl der Selbständigen sich nicht mit der Zahl der Betriebe deckt. Besitzt zum Beispiel ein Firmeninhaber Dutzende von Filialen, wie das zum Beispiel im Tabak- und Zigarrenhandel vorkommt, oder besitzt eine Konsumgenossenschaft so und so viele Läden, so wird jede Filiale als besonderer Betrieb gezählt. Das gleiche gilt von den industriellen Unternehmungen, zum Beispiel, wenn eine Maschinenfabrik auch eine Eisengießerei und eine Tischlerei usw. in Betrieb hat. Die angeführten Zahlen geben also für die Betriebskonzentration auf der einen Seite und die Qualität der Existenz auf der anderen Seite keine genügende Auskunft.

Und doch geben, trotz aller dieser Mängel, die Ergebnisse der neuesten gewerblichen Betriebszählung vom 12. Juni 1907 ein Bild |367| der gewaltigsten Konzentration und Zentralisation des Kapitals in Industrie, Handel und Verkehr. Sie zeigen, daß Hand in Hand mit der gesteigerten Industrialisierung der gesamten Wirtschaftsordnung eine Konzentration der gesamten Produktionsmittel in wenigen Händen mit gigantischen Schritten fortgeht.

Die allein arbeitenden Selbständigen, die noch 1882 1.877.872 betrugen, haben seit 1895 noch weiter abgenommen; in 1895 wurden gezählt 1.714.351 und in 1907 nur noch 1.446.286, eine Abnahme um 431.586 = 22,9 Prozent. Der Anteil des Kleinbetriebs ist von Zählung zu Zählung stark gesunken. 1882 betrug er 59,1 Prozent, 1895 46,5 und im Jahre 1907 nur noch 37,3 Prozent aller gewerbetätigen Personen. Die entgegengesetzte Bewegung machte der Großbetrieb, welcher von 22,0 auf 29,6 und 1907 auf 37,5 Prozent stieg. Je größer die Betriebe werden, desto schneller ist das Wachstum. Von 1895 bis 1907 nahm das Personal der Kleinbetriebe um 12,2 Prozent, das der Mittelbetriebe um 48,5 Prozent und das Personal der Großbetriebe um 75,7 Prozent zu. Mit 5.350.025 gewerbetätigen Personen im Jahre 1907 ist der Großbetrieb die bei weitem größte Gruppe geworden, während er noch 1882 bedeutend weniger Personen beschäftigte als der Alleinbetrieb. In sieben Gewerbegruppen hat er die herrschende Stellung mit mehr als der Hälfte aller Personen. So wurden von je 100 Personen beschäftigt in Großbetrieben:

Bergbau

96,6 Prozent

Maschinenindustrie

70,4 Prozent

Chemische Industrie

69,8 Prozent

Textilindustrie

67,5 Prozent

Papierindustrie

58,4 Prozent

Industrie der Steine und Erden

52,5 Prozent

Industrie der Seifen, Fette und Öle

52,3 Prozent

In den übrigen Gruppen hatte der Großbetrieb schon 1895 die Mehrheit, aber seine Stelle ist überall noch erheblich verstärkt worden (Metallverarbeitung 47,0, polygraphische Gewerbe 43,8, Verkehrsgewerbe 41,6, Baugewerbe 40,5 Prozent aller gewerbetätigen Personen). Auf fast allen Gebieten ist somit die Entwicklung den größeren Betrieben zugute gekommen.

Die Betriebs- und, was gleichbedeutend ist, die Kapitalkonzentration vollzieht sich dort ganz besonders rasch, wo der kapitalistische Be- |368| trieb zur vollen Herrschaft gelangte. Nehmen wir zum Beispiel die Bierbrauerei. Im deutschen Brausteuergebiet, von dem Bayern, Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen ausgeschlossen sind, waren

In Betrieb gewesene Brauereien

Darunter gewerbliche

Mit einer Biergewinnung von 1.000 Hektolitern

1873

13.561

10.927

19.655

1880

11.564

10.374

21.136

1890

8.969

8.054

32.279

1900

6.903

6.283

44.734

1905

5.995

5.602

46.264

1906

5.785

5.423

45.867

1907

5.528

5.251

46.355

Die Zahl der in Betrieb gewesenen Brauereien sank also von 1875 bis 1907 um 8.033 = 59,3 Prozent, die Zahl der gewerblichen Brauereien sank um 5.676 = 51,9 Prozent, dagegen stieg die Bierproduktion um 26.700.000 Hektoliter = 135,7 Prozent. Das bedeutet Zusammenbruch der kleinen und mittleren Betriebe und gewaltige Vergrößerung der Großbetriebe, deren Leistungsfähigkeit sich vervielfacht: im Jahre 1873 auf eine Brauerei 1.450, im Jahre 1907 8.385 Hektoliter. So ist es überall, wo der Kapitalismus zur Herrschaft kommt. In Österreich gab es im Jahre 1876 2.248 Brauereien, die 11.671.278 und im Jahre 1904/05 nur noch 1.285, die aber 19.098.540 Hektoliter Bierwürzen erzeugten.

Ähnliche Resultate zeigt die Entwicklung der deutschen Steinkohlenproduktion und der gesamten Montanindustrie des Deutschen Reiches. In der ersteren ging die Zahl der Hauptbetriebe, die 1871 bis 1875 durchschnittlich 623 betrug, auf 406 im Jahre 1889 zurück, gleichzeitig stieg aber die Produktion von 34.485.400 Tonnen auf 67.342.200 Tonnen, und die mittlere Belegschaft stieg von 172.074 auf 239.954 Köpfe. Die folgende Tabelle veranschaulicht diesen Konzentrationsprozeß in der Stein- und Braunkohlengewinnung bis 1907.

Steinkohlen

Braunkohlen

Jahr

Haupt-
betriebe

Mittlere Belegschaft

Menge
1.000 Tonnen

Haupt-
betriebe

Mittlere Belegschaft

Menge
1.000 Tonnen

1900

338

413.693

109.290,2

569

50.911

46.498,0

1905

331

493.308

121.298,6

533

54.969

52.512,1

1906

322

511.108

137.117,9

536

58.637

56.419,6

1907

313

545.330

143.185,7

535

66.462

62.546,7

|369| In der Steinkohlenproduktion hatte sich also seit den siebziger Jahren die Zahl der Betriebe um 49,8 Prozent vermindert, dagegen war die Zahl der beschäftigten Arbeiter um 216,9 Prozent und die Produktion sogar um 420,6 Prozent gewachsen.

In der gesamten Montanindustrie waren in den Jahren

Zahl der Hauptbetriebe

Mittlere Belegschaft

Menge
1.00 Tonnen

1871-1875

3.034

277.878

51.056,0

1887

2.146

337.634

88.873,0

1889

1.962

368.896

99.414,0

1905

1.862

661.310

205.592,6

1906

1.862

688.853

229.146,1

1907

1.958

734.903

242.615,2

Hier hatte sich also die Zahl der Betriebe um 35,5 Prozent vermindert, dagegen war die Zahl der beschäftigten Arbeiter um 164,4 Prozent und die Produktion um 374,5 Prozent gewachsen.

Einer kleineren, aber viel reicher gewordenen Zahl von Unternehmern stand eine bedeutend gewachsene Zahl von Proletariern gegenüber. 1871 bis 1875 kamen auf jeden Betrieb durchschnittlich 92, 1887 160, und 1907 waren es 307, trotz der Vermehrung der Betriebe von 1.862 im Jahre 1906 auf 1.958 im Jahre 1907!

"Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet gab es 1907 zwar noch 156 Werke, aber davon verfügten 34 (21,8 Prozent) allein über mehr als 50 Prozent der Förderung. Obschon die Betriebsstatistik noch 156 Ruhrzechen aufführt, hatte das Kohlensyndikat, dem mit geringen Ausnahmen alle Werke angeschlossen sind, nur 76 Mitglieder; so weit ist die Werkskonzentration schon gediehen. Nach der Feststellung vom Februar 1908 betrug die Beteiligungsziffer im Kohlensyndikat 77,9 Millionen Tonnen Kohlen."(1)

Im Jahre 1871 waren im Betrieb 306 Hochöfen mit 23.191 Arbeitern, die 1.563.682 Tonnen Roheisen produzierten, und im Jahre 1907 erzeugten schon 303 Hochöfen mit 45.201 Arbeitern 12.875.200 Tonnen, auf jeden Hochofen im Jahre 1871 5.110 Tonnen, im Jahre 1907 42.491 Tonnen! "Nach einer in 'Stahl und Eisen', März 1896, veröffentlichten Liste konnte derzeitig nur ein deutsches Hüttenwerk, die Gutehoffnungshütte Oberhausen, eine Roheisenproduktion bis zu |370| 820 Tonnen innerhalb 24 Stunden liefern. Aber schon 1907 gab es 12 Werke, die innerhalb 24 Stunden 1.000 und mehr Tonnen erzeugen konnten."(2)

Im Jahre 1871/72 verarbeiteten 311 Fabriken in der Rübenzuckerindustrie 2.250.918 Tonnen Rüben, im Jahre 1907/08 dagegen 365 Fabriken 13.482.750 Tonnen. Die durchschnittliche Rübenverarbeitung pro Fabrik betrug 1871/72 7.237 und 1907/08 36.939 Tonnen! Es wurden gewonnen 1871/72 186.441 Tonnen = 8,28 Prozent der verarbeiteten Rüben, und 1907/08 2.017.071 Tonnen = 14,96 Prozent.

Und diese technische Revolution vollzieht sich nicht nur in der Industrie, sondern auch in den bestehenden Verkehrsgewerben. Der deutsche Handel auf See zählte:

Im Jahre

Segelschiffe

Ladefähigkeit in Registertonnen

Besatzung
nach Köpfen

1871

4.372

900.361

34.759

1901

2.270

525.140

12.922

1905

2.294

493.644

12.914

1908

2.345

433.749

12.800

1909

2.361

416.514

12.844

weniger als 1871

2.011

438.847

21.895

Die Segelschiffahrt geht also erheblich zurück, aber soweit sie noch besteht, nimmt die Ladefähigkeit der Schiffe und die Zahl der Besatzungsmannschaft ab. 1871 kamen auf ein Segelschiff 205,9 Registertonnen Ladefähigkeit und 7,9 Köpfe Besatzung, 1909 hatte das Segelschiff durchschnittlich 176,4 Registertonnen Ladefähigkeit und nur 5,4 Köpfe Besatzung. Ein anderes Bild zeigt die deutsche Dampfschiffahrt zur See. Deutschland besaß:

Im Jahre

Seedampfer

Ladefähigkeit in Registertonnen

Besatzung
nach Köpfen

1871

147

81.994

4.736

1901

1.390

1.347.875

36.801

1905

1.657

1.774.072

46.747

1908

1.922

2.256.783

57.995

1909

1.953

2.302.910

58.451

mehr als 1871

1.806

2.221.006

53.715

|371| Die Zahl der Dampfer war also nicht nur erheblich gestiegen, ihre Ladefähigkeit stieg noch mehr, dagegen war im Verhältnis die Kopfzahl der Bemannung gesunken. 1871 hatte ein Dampfer durchschnittlich 558 Registertonnen Ladefähigkeit und 32,1 Köpfe Besatzung, 1909 aber hatte ein solcher 1.230 Registertonnen Ladefähigkeit und nur 29 Köpfe Besatzung.

Für die kapitalistische Entwicklung unserer Wirtschaftsordnung spricht auch die rasche Zunahme der motorischen Kräfte. Nach Viebahn waren 1861 in der Industrie des Zollvereinsgebiets verwendet 99.761 Pferdekräfte.(3) 1875 waren in Deutschland, in Betrieben, in denen mehr als 5 Personen beschäftigt wurden, 1.055.750 Pferdekräfte in Anwendung, und zwar in 25.152 Fällen, im Jahre 1895 waren es 2.938.526 Pferdekräfte, nahezu dreimal soviel, in 60.176 Fällen. Die Eisenbahn- (und Straßenbahn-)betriebe und die Dampfschiffahrt sind in dieser Aufstellung nicht enthalten.

In Preußen wurden gezählt Pferdekräfte:

Im Jahre

Feststehender Dampf-
maschinen

Beweglicher Dampfkessel u. Lokomobilen

Im Jahre

Feststehender Dampf-
maschinen

Beweglicher Dampfkessel u. Lokomobilen

1879

888.000

47.000

1905

4.684.900

315.200

1896

2.534.900

159.400

1906

4.995.700

334.400

1900

3.461.700

229.600

1907

5.190.400

363.200

Es hat sich also in Preußen im Zeitraum von 1879 bis 1907 die Zahl der verwendeten Pferdekräfte beinahe versechsfacht! Wie gewaltige Fortschritte die Entwicklung der Industrie nach der Zählung von 1895 gemacht hatte, ist daraus ersichtlich, daß in Preußen die Zahl der feststehenden Dampfmaschinen von 1896 bis 1907 um 35 Prozent gestiegen ist, die gesamte Leistungsfähigkeit der Maschinen hat in dieser Zeit sogar um 105 Prozent zugenommen. Während im Jahre 1898 im ganzen 3.305 Dampfmaschinen mit 258.726 Pferdekräften zum Antrieb von Dynamos dienten, sind es im Jahre 1907 6.191 mit 954.945 Pferdekräften, das ist eine Steigerung um 87 bzw. 269 Prozent.(4)

Die folgenden Zahlen zeigen die Zunahme der Dampfkraft in den wichtigsten Industrien in Pferdekräften:

|372| Industrie

1879

1897

1907

Berg und Hütten

516.000

1. 430.000

2.284.000

Steine und Ziegel

29.000

132.000

255.000

Metallverarbeitung

23.000

57.000

113.000

Maschinen

22.000

61.000

329.000

Textil

88.000

243.000

(5) 323.000

Und angesichts dieser fabelhaften Entwicklung der Produktivkräfte und gewaltigen Kapitalskonzentration will man noch versuchen, diese Tatsache wegzuinterpretieren. Einen solchen Versuch machte auf der elften Tagung des Internationalen Statistischen Instituts in Kopenhagen (August 1907) der französische Ökonomist Ives Guyot. Auf Grund einer leichtfertigen Statistik machte er den Vorschlag, das Wort "Konzentration" aus der Statistik wegzuschaffen. Ihm antwortete unter anderen Karl Bücher: "Eine absolute Vermehrung der Zahl der Betriebe könne sehr wohl mit starker Konzentration derselben zugleich vorkommen. Nun aber seien überall, wo die Erhebung nach Betrieben (établissements) vorgenommen werde, zahlreiche Doppelzählungen unvermeidlich; eine Bank mit 100 Depositenkassen werde gleich 101 gezählt; eine Bierbrauerei mit 50 von ihr mit Lokal und Inventar versehenen Bierwirten ergäbe 51 Betriebe. Die Ergebnisse einer solchen Statistik könnten für das gesuchte Phänomen gar nichts beweisen.

Nach den seitherigen Untersuchungen scheine nur die Landwirtschaft dem Prozeß der Konzentration nicht zu unterliegen; auf den Gebieten des Bergbaues, des Handels, des Transport-, Versicherungs- und Bauwesens sei sie evident; auf dem Gebiet der Industrie sei sie deshalb schwerer zu erkennen, weil jedes sich kräftig entwickelnde Kulturvolk eine Erweiterung der industriellen Produktion aufweisen müsse, und zwar aus vier Gründen: 1. wegen der Übernahme früher hauswirtschaftlicher Funktionen durch die Industrie; 2. wegen der Ersetzung von Naturprodukten in der Konsumtion durch Industrieprodukte (Holz durch Eisen, Waid, Krapp und Indigo durch Teerfarben usw.); 3. wegen neuer Erfindungen (Automobil); 4. wegen der Möglichkeit des Exports. Es finde deshalb gerade hier eine Konzentration in größtem Umfang statt, ohne daß sich die Zahl der Unternehmungen vermindere, ja selbst bei Vermehrung derselben. Überall, wo die |373| Industrie gebrauchsfertige Ware von typischem Charakter erzeuge, sei die Vernichtung der selbständigen Kleinbetriebe unvermeidlich. Die kapitalistischen Produktionsformen seien somit auf den wichtigsten Wirtschaftsgebieten in raschem Fortschritt begriffen. Es sei nicht weise, die Sozialisten in dem zu bekämpfen, worin sie recht haben, und in der Behauptung einer zunehmenden Konzentration seien sie zweifellos im Rechte."(6)

Dasselbe Bild, das die ökonomische Entwicklung Deutschlands bietet, zeigen alle Industriestaaten der Welt. Alle Kulturstaaten bemühen sich, mehr und mehr Industriestaaten zu werden; sie wollen nicht nur ihren eigenen Bedarf an Industrieartikeln erzeugen, sondern solche auch ausführen. Deshalb spricht man nicht bloß von einer Nationalwirtschaft, sondern auch von einer Weltwirtschaft. Der Weltmarkt reguliert die Preise einer Unzahl von Industrie- und Agrarprodukten und beherrscht die soziale Stellung der Völker. Dasjenige Produktionsgebiet, das für die Weltmarktbeziehungen von ausschlaggebender Bedeutung geworden ist, ist die nordamerikanische Union, von welcher von jetzt ab der Hauptanstoß zur Revolutionierung der Weltmarktverhältnisse und der bürgerlichen Gesellschaft ausgeht. Der Zensus der letzten drei Jahrzehnte ergab folgendes Resultat.

Es betrug das in der Industrie angelegte Kapital:

1880

2.790 Millionen Dollar

1890

6.525 Millionen Dollar

1900

9.813 Millionen Dollar

Der Wert der Industrie betrug:

1880

5.369 Millionen Dollar

1890

9.372 Millionen Dollar

1900

13.000 Millionen Dollar

Die Vereinigten Staaten stehen also heute als Industriestaat an der Spitze der Welt, ihr Export an Industrie- wie Agrarerzeugnissen steigt von Jahr zu Jahr, und die riesigen Kapitalansammlungen, die diese Entwicklung zur Folge hat, suchen über die Grenzen des Landes hinaus Verwendung und beeinflussen in hohem Grade auch Industrie und Verkehr in Europa. Und es ist nicht mehr der einzelne Kapitalist, der als der Treibende hinter dieser Entwicklung steht, es sind die Kapitalisten- und Unternehmerkonsortien, die Kapitalistenkoalitio- |374| nen, die, wo sie ihre Tätigkeit hinlenken, die stärksten Privatunternehmer erdrücken. Was will gegenüber einer solchen Entwicklung der mittlere und kleinere Unternehmer beginnen, wenn selbst der große die Segel streichen muß?

3. Konzentration des Reichtums

Es ist ein ökonomisches Gesetz, daß mit der Konzentration der Betriebe und steigender Produktivität die Zahl der Arbeiter relativ abnimmt, dagegen konzentriert sich der Reichtum prozentual zur Gesamtbevölkerung in immer wenigeren Händen.

Das zeigt am besten die Verteilung des Einkommens in verschiedenen Kulturländern.

Von den größeren deutschen Staaten besitzt Sachsen die älteste und vergleichsweise beste Einkommensteuerstatistik. Das geltende Gesetz ist seit 1879 in Kraft. Es empfiehlt sich aber, ein späteres Jahr der Einschätzung zu nehmen, weil in den ersten Jahren die Einschätzungen durchschnittlich erheblich zu niedrig angenommen werden. Die Bevölkerung Sachsens stieg von 1880 bis 1905 um 51 Prozent, die Zahl der zur Steuer eingeschätzten Personen stieg von 1882 bis 1904 um 160 Prozent, das zur Steuer eingeschätzte Einkommen um 23 Prozent. Bis Anfang der neunziger Jahre blieb ein Einkommen bis 300 Mark pro Jahr steuerfrei, nachher bis 400 Mark. Im Jahre 1882 betrug die Zahl der steuerfreien Personen 75.697 = 6,61 Prozent der Eingeschätzten, 1904 dagegen 205.667 = 11,03 Prozent. Bemerkt sei, daß in Sachsen das Einkommen der Ehefrauen und das der unter 16 Jahre alten Familienangehörigen dem Ehemann beziehungsweise dem Familienvater zugerechnet wird.

Die Steuerzahler von 400 bis 800 Mark Einkommen betrugen 1882 48 Prozent der Eingeschätzten, 1904 nur 43,81 Prozent, ein Teil derselben war also in höhere Einkommenklassen gerückt. Das Durchschnittseinkommen des Steuerzahlers dieser Klasse war in dieser Periode von 421 auf 582 Mark = 37 Prozent gestiegen, blieb aber hinter dem Durchschnitt von 600 Mark noch zurück. Die Steuerpflichtigen mit einem Einkommen von 800 bis 1.250 Mark bildeten 1882 12 Prozent der Eingeschätzten, 1904 bildeten sie 24,38 Prozent der Eingeschätzten, die Zahl der Eingeschätzten von 1.250 bis 3.300 |375| (von 1895 an mit 3.400) Mark dagegen bildete 1882 20 Prozent und 1904 nur 16,74 Prozent der Eingeschätzten. Im Jahre 1882 hatten unter 3.300 Mark Einkommen 97,60 Prozent der Eingeschätzten, 1904 unter 3.400 Mark 95,96 Prozent. Hält man fest, daß 1865 Lassalle die Einkommen in Preußen mit über 3.000 Mark auf 4 Prozent sämtlicher Einkommen berechnete, daß aber mittlerweile die Mieten, die Steuern und beinahe alle Lebensbedürfnisse im Preise stiegen, auch die Ansprüche an die Lebenshaltung wuchsen, so hat sich die Lage der großen Masse relativ kaum verbessert. Die mittleren Einkommen von 3.400 bis 10.000 Mark bildeten 1904 nur 3,24 Prozent der Eingeschätzten und die Einkommen über 10.000 Mark weniger als 1 Prozent (0,80). Die Zahl der Zensiten mit 12.000 bis 20.000 Mark 0,80 Prozent. Die Zahl der Einkommen über 12.000 Mark ist von 4.124 in 1882 auf 11.771 in 1904 gestiegen, also um 188 Prozent. Das Höchsteinkommen betrug 1882 2.570.000 Mark, 1906 5.900.600 Mark. Das Resultat ist, die unteren Einkommen haben zwar eine Hebung erfahren, die aber durch erhöhte Preise vielfach mehr als ausgeglichen wurde, die Mittelklassen erfuhren prozentual die geringste Verbesserung, dagegen stieg die Zahl und das Einkommen der reichsten Leute am stärksten. Die Klassengegensätze verschärften sich also.

In seinen Untersuchungen über die Verteilung des Volkseinkommens in Preußen von 1892 bis 1902 kommt Professor Adolf Wagner zu folgenden Ergebnissen. Er teilt die Bevölkerung Preußens in drei große Gruppen: in Unterstand (unterer bis 420 Mark, mittlerer 420 bis 900, oberer 900 bis 2.100 Mark), in Mittelstand (unterer von 2.100 bis 3.000, mittlerer von 3.000 bis 6.000 und oberer von 6.000 bis 9.500 Mark) und in Oberstand (unterer von 9.500 bis 30.500, mittlerer von 30.500 bis 100.000 und oberer mit Einkommen über 100.000 Mark). Das Gesamteinkommen verteilt sich zu beinahe gleichen Teilen unter diesen drei Gruppen. Die 3,51 Prozent des Oberstandes verfügen über 32,1 Prozent des Gesamteinkommens, der Unterstand, der die 70,66 Prozent Steuerfreien umfaßt, verfügt ebenfalls über ein Einkommen von 32,9 Prozent des Gesamteinkommens, und der Mittelstand mit 25,83 Prozent verfügt über ein Einkommen von 34,9 Prozent des Gesamteinkommens. Zieht man nur das steuerpflichtige Einkommen heran, so findet man, daß auf Zensiten mit 900 bis 3.000 Mark Einkommen, die im Jahre 1892 86,99 Prozent und im Jahre 1902 88,04 Prozent aller Zensiten bildeten, etwas mehr als die Hälfte des steuer- |376| pflichtigen Einkommens entfällt, nämlich 51,05 Prozent im Jahre 1892 und 52,1 Prozent im Jahre 1902. Auf Einkommen über 3.000 Mark, welche 13 respektive 12 Prozent aller Zensiten ausmachen, entfallen ungefähr 49 Prozent im Jahre 1892 und 48 Prozent des gesamten steuerpflichtigen Einkommens im Jahre 1902. Das Durchschnittseinkommen der kleinen Zensiten belief sich für ganz Preußen im Jahre 1892 auf 1.374, im Jahre 1902 auf 1.348 Mark; hatte sich also um 1,89 Prozent verringert. Dagegen hat das Durchschnittseinkommen der großen Zensiten von 8.811 Mark im Jahre 1892 auf 9.118 Mark im Jahre 1902 zugenommen, oder um 3,48 Prozent. Auf den Oberstand, der im Jahre 1892 nur 0,5 Prozent, im Jahre 1902 0,63 Prozent aller Zensiten ausmachte, entfielen 1892 15,95 Prozent und 1902 18,37 Prozent des Gesamteinkommens. Am schwächsten ist die Vermehrung beim unteren und mittleren Mittelstand, etwas stärker beim oberen Unterstand, am stärksten jedoch, und zwar zunehmend mit steigendem Einkommen von Gruppe zu Gruppe, beim oberen Mittel- und vollends beim ganzen Oberstand. Je größer das Einkommen der Zensiten einer Gruppe, je reicher sie sind, desto mehr vermehrt sich relativ ihre Zahl. Und es nimmt immer mehr zu die Zahl der Zensiten mit höheren und höchsten Einkommen, die aber durchschnittlich auch selber immer wieder ein größeres Einkommen erreichen, mit anderen Worten, es findet statt eine immer stärkere Einkommenskonzentration nicht gerade nur bei einzelnen besonders reichen, sondern bei einer der Zahl nach stark zunehmenden, wenn auch stets nur eine absolut und relativ kleine Zahl umfassenden höheren und höchsten ökonomischen Volksschicht. "Daraus folgt der Schluß, daß die moderne wirtschaftliche Entwicklung allerdings dem gesamten Volke in Einkommenerhöhung und jeder ökonomisch-sozialen Klasse in Steigerung ihrer Mitgliederzahl zugute gekommen ist, aber doch in stark ungleichem Maße, am meisten den reicheren, dann der unteren Klasse, am wenigsten den mittleren; daß demnach auch die soziale Klassendifferenz, soweit sie auf Größe des Einkommens beruht, sich vergrößert hat."(7) Nach der Einkommensteuerveranlagung von 1908 gab es in Preu- |377| ßen 104.994 Zensiten mit Einkommen über 9.500 Mark mit einem Gesamteinkommen von 3.123.273.000 Mark. Darunter 3.796 mit einem Einkommen über 100.000 Mark mit einem Gesamteinkommen von 934.000.000 Mark. Es wurden gezählt 77 Zensiten mit mehr als einer Million Einkommen. Die 104.904 Zensiten, oder 1,78 Prozent, mit mehr als 9.500 Mark Einkommen hatten ein ebensolches Einkommen wie die 3.109.540 (52,9 Prozent) mit Einkommen von 900 bis 1.350 Mark!

In Österreich entfallen "auf durchschnittlich 12 bis 13 Prozent der Zensiten in den Einkommenstufen von 4.000 bis 12.000 Kronen rund 24 Prozent des veranlagten Nettoeinkommens. Faßt man die Einkommen bis 12.000 Kronen zusammen, so fallen in diese Gruppe über 97 Prozent der Zensiten und 74 Prozent des Einkommens. Für die übrigen 3 Prozent der Zensiten verbleiben dann 26 Prozent des veranlagten Einkommens."(8) Das steuerfreie Existenzminimum ist höher als in Preußen - 1.200 Kronen oder 1.014 Mark. Die kleinen Zensiten mit einem Einkommen von 1.200 bis 4.000 Kronen bildeten im Jahre 1904 84,3 Prozent aller Steuerpflichtigen. Die Zahl der reichsten Leute mit mehr als 200.000 Kronen Einkommen belief sich im Jahre 1898 auf 255, im Jahre 1904 auf 307 oder 0,032 Prozent aller Zensiten.

In Großbritannien und Irland gehört nach L. G. Chiozza Money die Hälfte des Volkseinkommens (mehr als 16.600 Millionen Mark) dem neunten Teil der Bevölkerung. Er teilt die Bevölkerung in drei Gruppen: Reiche mit mehr als 700 Pfund Sterling (14.000 Mark), Wohlhabende mit einem Einkommen von 160 (3.200 Mark) bis 700 Pfund Sterling und Arme mit weniger als 160 Pfund Sterling (3.200 Mark) Einkommen.

Mit Familien-
angehörigen

Einkommen Pfund Sterling

Reiche

250.000

1.250.000

585.000.000

Wohlhabende

750.000

3.750.000

245.000.000

Arme

5.000.000

38.000.000

880.000.000

43.000.000

1.710.000.000

Somit gehört mehr als ein Drittel des Volkseinkommens weniger als einem dreißigsten Teil der Bevölkerung. Die Untersuchungen Booths für London und Rowntreee für York haben bewiesen, daß |378| 50 Prozent der gesamten Bevölkerung das ganze Leben lang in den Klauen des permanenten Elends sich abrackern.(9)

Für Frankreich gibt E. Levasseur auf Grund der Statistik der Erbschaften die folgende Zusammenstellung: "Zwei Fünftel des Nationalreichtums befinden sich im Besitz von 98 Prozent Eigentümern, die weniger als 100.000 Franc haben; etwa ein Drittel gehört einer kleinen Gruppe von 1,7 Prozent, und ein Viertel des gesamten Nationalreichtums bildet den Anteil einer winzigen Minorität - 0,12 Prozent!"(10)

Man sieht, wie groß die Masse der Besitzlosen ist und wie dünn die Schicht der besitzenden Klassen.

"Die wachsende Ungleichheit" - sagt G. Schmoller - "ist unbestreitbar ... Es wird nicht zweifelhaft sein, daß die Vermögensverteilung Mitteleuropas von 1300 bis 1900 eine steigend ungleiche wurde, allerdings in den einzelnen Ländern in sehr verschiedenem Maße ... Die neuere Entwicklung hat mit den steigenden Klassengegensätzen die Vermögens- und Einkommensungleichheit stark vermehrt."(11)

Dieser kapitalistische Entwicklungs- und Konzentrationsprozeß, der sich in allen Kulturstaaten vollzieht, ruft aber bei der Anarchie in der Produktionsweise, die bisher noch keine Trust- und Ringbildung zu verhindern vermochte, mit Notwendigkeit die Überproduktion, die Absatzstockung hervor. Wir gelangen in die Krise.


Fußnoten von August Bebel

(1) Hue, Otto: Entwicklungsgeschichtliches über die Montainindustrie / von Otto Hué. - [Electronic ed.]. In: Die neue Zeit : Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. - 27.1908-1909, 1. Bd.(1909), H. 19, S. 660 - 669, hier Seite 665. <=

(2) Otto Hué, a.a.O., S. 666. <=

(3) A. Hesse, Gewerbestatistik. S. 168. Jena 1909. <=

(4) A. Hesse, a.a.O., S. 163 bis 164. <=

(5) Professor Dr. S. Reyer, Kraft. Ökonomische, technische und kulturgeschichtliche Studien über die Machtentfaltung der Staaten. S. 348. Leipzig 1908. <=

(6) Bulletin de l'institut international de statistique. 17. Band, S. 183 bis 184. Kopenhagen 1908. <=

(7) Adolf Wagner, Zur Methode der Statistik des Volkseinkommens und Volksvermögens und weitere statistische Untersuchungen über die Verteilung des Volkseinkommens in Preußen auf Grund der neuen Einkommenstatistik 1892 bis 1902. "Zeitschrift des königlich preußischen statistischen Landesamtes" 1904. <=

(8) F. Leiter, Die Verteilung des Einkommens in Österreich. S. 123. Leipzig 1908. <=

(9) L. G. Chiozza, Money, Riches and Poverty. S. 41 bis 43. London 1908. <=

(10) E. Levasseur, a.a.O., S. 617. <=

(11) G. Schmoller, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre. 2. Band, S. 454, 463. <=