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August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 243-267.

1. Korrektur.
Erstellt am 31.1.1999.

Dreizehntes Kapitel
Die Erwerbsstellung der Frau

1. Entwicklung und Verbreitung der Frauenarbeit

|243| Das Streben der Frau nach selbständigem Erwerb und persönlicher Unabhängigkeit wird bis zu einem gewissen Grade von der bürgerlichen Gesellschaft als berechtigt anerkannt, ähnlich wie das Bestreben der Arbeiter nach freier Bewegung. Der Hauptgrund für dieses Entgegenkommen liegt in dem Klasseninteresse der Bourgeoisie. Die Bourgeoisie braucht die volle Freigabe der männlichen und weiblichen Arbeitskräfte, um die Produktion aufs höchste entwickeln zu können. In dem Maße, wie Maschinerie und Technik sich vervollkommnen, der Arbeitsprozeß in immer mehr Einzelverrichtungen sich teilt und geringere technische Ausbildung und Kraft erfordert, andererseits die Konkurrenz der Industriellen untereinander und der Konkurrenzkampf ganzer Produktionsgebiete - Land gegen Land, Erdteil gegen Erdteil - sich steigert, wird die Arbeitskraft der Frau immer mehr gesucht.

Die speziellen Ursachen, die zu dieser stets steigenden Anwendung der Frau in einer stets steigenden Anzahl von Erwerbszweigen führen, sind schon oben ausführlicher dargelegt worden. Die Frau findet neben dem Manne oder an seiner Stelle auch immer häufiger Beschäftigung, weil ihre materiellen Forderungen geringer sind als jene des Mannes. Ein aus ihrer Natur als Geschlechtswesen hervorgehender Umstand zwingt sie, sich billiger anzubieten; sie ist durchschnittlich öfter als der Mann körperlichen Störungen unterworfen, die eine Unterbrechung der Arbeit herbeiführen und bei der Kombination und Organisation der Arbeitskräfte, die in der Großindustrie besteht, leicht Arbeitsunterbrechungen erzeugen. Schwangerschaft und Wochenbett verlängern solche Pausen.(1) Der Unternehmer nutzt diesen Umstand |244| aus und findet für die Unannehmlichkeiten, die er aus solchen Störungen hat, einen doppelten Ersatz in der Zahlung erheblich geringerer Löhne. Auch ist die Frau an den Ort ihres Aufenthaltes oder dessen nächste Umgebung gebunden; sie kann nicht, wie in den meisten Fällen der Mann, ihren Aufenthaltsort wechseln.

Weiter hat die Arbeit, namentlich der verheirateten Frauen - wie aus dem Zitat auf Seite 128 aus Marx' "Kapital" zu ersehen ist -, noch ihren besonderen Anreiz für den Unternehmer. Als Arbeiterin ist die verheiratete Frau "viel aufmerksamer und gelehriger" als die unverheiratete; die Rücksicht auf ihre Kinder nötigt sie zur äußersten Anstrengung ihrer Kräfte, um den notwendigsten Lebensunterhalt zu erwerben, und so läßt sie sich manches bieten, was sich die unverheiratete Frau nicht bieten läßt und erst recht nicht der Arbeiter. Im allgemeinen wagt die Arbeiterin noch selten, sich mit ihren Arbeitsgenossen zur Erlangung besserer Arbeitsbedingungen zu verbinden. Auch das erhöht in den Augen des Unternehmers ihren Wert; oft bildet sie sogar in seinen Händen einen guten Trumpf gegen widerspenstige männliche Arbeiter; sie besitzt ferner größere Geduld, gewandtere Fingerfertigkeit, einen entwickelteren Geschmackssinn, Eigenschaften, die sie für eine Menge Arbeiten geschickter machen als den Mann.

Diese weiblichen Tugenden weiß der tugendhafte Kapitalist voll zu würdigen, und so findet die Frau mit der Entwicklung unserer Industrie von Jahr zu Jahr ein immer größeres Anwendungsgebiet, aber - und das ist das Entscheidende - ohne ihre soziale Lage merkbar zu verbessern. Wird weibliche Arbeitskraft angewandt, so setzt sie häufig männliche Arbeitskraft frei. Aber die verdrängte männliche Arbeitskraft will leben, sie bietet sich zu einem geringeren Lohne an, und dieses Angebot drückt wieder auf die Löhne der Arbeiterin. Das Herabdrücken des Lohnes wird zu einer Schraube, die durch die stets in der Umwälzung begriffene Technik des Arbeitsprozesses in Bewegung gesetzt wird, namentlich da dieser Umwälzungsprozeß auch weibliche Arbeiter durch Ersparnis von Arbeitskräften freisetzt, was abermals |245| das Angebot von "Händen" vermehrt. Neu auftauchende Industriezweige wirken dieser beständigen Erzeugung von relativ überschüssiger Arbeitskraft einigermaßen entgegen, aber nicht stark genug, um dauernd bessere Arbeitsbedingungen zu erzielen. Wird doch in diesen Industrien, wie zum Beispiel in der elektrotechnischen, die männliche Arbeitskraft von der weiblichen verdrängt. So werden in der gesamten Kleinmotorenfabrik der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft die meisten Arbeitsmaschinen von Mädchen bedient. Jedes Steigen des Lohnes über ein gewisses Maß veranlaßt den Unternehmer, auf weitere Verbesserung seiner Maschinen zu sehen, die willenlose, automatische Maschine an Stelle von menschlichen Händen und menschlichem Hirn zu setzen. Im Beginn der kapitalistischen Produktion steht auf dem Arbeitsmarkt der männliche Arbeiter fast nur dem männlichen Arbeiter gegenüber, jetzt wird Geschlecht gegen Geschlecht und in der Reihe weiter Alter gegen Alter ausgespielt. Die Frau verdrängt den Mann, und die Frau wird wieder durch die Arbeit der jungen Leute und der Kinder verdrängt. Das ist die "sittliche Ordnung" in der modernen Industrie.

Dieser Zustand würde schließlich unerträglich, wirkte nicht die Macht der Organisation der Arbeiter in ihren Gewerkschaften demselben mit aller Macht entgegen. Diesen Organisationen sich anzuschließen ist auch speziell für die Arbeiterin ein Gebot der Notwendigkeit, weil sie als einzelne noch weit weniger widerstandsfähig gegenüber dem Unternehmer ist als der Arbeiter. Allmählich begreifen das auch die Arbeiterinnen. So waren den freien Gewerkschaften angeschlossen in Deutschland 1892: 4.355, 1899: 19.280, 1900: 22.884, 1905: 74.411, 1907: 136.929, 1908: 138.443.(2) Im Jahre 1892 waren es nur 1,8 Prozent aller Mitglieder der Gewerkschaften, im Jahre 1908 7,6 Prozent. Nach dem fünften internationalen Bericht über die Gewerkschaftsbewegung betrug die Zahl der weiblichen Mitglieder in Großbritannien 201.709, Frankreich 88.906, Österreich 46.401.

Das Bestreben der Unternehmer, den Arbeitstag zu verlängern, um größeren Mehrwert aus ihren Arbeitern zu pumpen, wird durch die geringere Widerstandskraft der Arbeiterinnen erleichtert. Daher die Erscheinung, daß zum Beispiel in der Textilindustrie, in der die Frauen weit über die Hälfte der Gesamtzahl der Arbeitskräfte stellen, |247| überall die Arbeitszeit am längsten ist, weshalb auch gerade hier der staatliche Schutz durch gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit einsetzen mußte. Durch die häusliche Tätigkeit daran gewöhnt, daß es für sie kein Zeitmaß für die Arbeit gibt, läßt sie die gesteigerten Anforderungen über sich ergehen, ohne Widerstand zu leisten.

In anderen Erwerbszweigen, wie der Putzmacherei, der Blumenfabrikation usw.(3), verderben sie sich Löhne und Arbeitszeit dadurch, daß sie Extraarbeiten mit nach Hause nehmen und nicht beachten, daß sie dadurch nur sich selbst Konkurrenz machen und bei sechzehnstündiger Arbeitszeit nicht mehr verdienen, als sie bei geregelter zehnstündiger Arbeitszeit verdienen würden.

Welche Bedeutung die gewerbliche Beschäftigung des weiblichen Geschlechts in den verschiedenen Kulturstaaten erlangt hat, darüber gibt die Tabelle auf S. 246 Aufschluß, sowohl in bezug auf die Erwerbstätigen nach dem Geschlecht als auch im Verhältnis zur Bevölkerung.(4)

Dieselbe Tabelle zeigt ferner, daß die Zahl der erwerbstätigen Frauen in allen Kulturstaaten einen sehr erheblichen Prozentsatz von der Gesamtbevölkerung in Anspruch nimmt. In Österreich, Frankreich und Italien am meisten - vermutlich liegt dieses, insbesondere für Österreich und Italien, an der Art der Zählung, insofern nicht nur die in einem Hauptberuf beschäftigten, sondern auch die im Nebenberuf beschäftigten weiblichen Personen gezählt wurden -, in den Vereinigten Staaten am geringsten. Wichtig ist aber auch ein Vergleich über das Wachstum der erwerbstätigen Bevölkerung zu früheren Perioden. Nehmen wir zuerst Deutschland.

Zähl- ungs- jahr

Gesamtbevölkerung

Erwerbstätige

Erwerbstätige in Prozent der

von 100 Erwerbs- tätigen waren

männlich

weiblich

männlich

weiblich

männlichen

weiblichen

männlich

weiblich

Bevölkerung

1882

22.150.749

23.071.364

13.415.415

5.541.517

60,57

24,02

71,24

28,76

1895

25.409.161

26.361.123

15.531.841

6.578.350

61,13

24,96

70,25

29,75

1907

30.461.100

31.259.429

18.599.236

9.492.881

61,06

30,37

66,21

33,79

|248| Die Tabelle ergibt, daß der Kreis der Erwerbstätigen weit über die Bevölkerungszunahme hinausgeht, daß das Zuströmen weiblicher Arbeitskräfte zur Erwerbsarbeit diesen Steigerungsgrad noch mehr überflügelt, daß die Zahl der männlichen erwerbstätigen Bevölkerung relativ stationär bleibt, indem die weibliche erwerbstätige Bevölkerung relativ und absolut wächst, daß die Frauenarbeit je weiter, desto mehr die männliche Arbeit verdrängt.

Die Zahl der Erwerbstätigen ist von 1882 bis 1895 um 16,6 Prozent und von 1895 bis 1907 um 19,34 Prozent gestiegen, und zwar die der erwerbstätigen Männer um 15,8 resp. 19,35 Prozent, die der erwerbstätigen Frauen aber um 18,7 Prozent von 1882 bis 1895 und um 44,44 Prozent von 1895 bis 1907! Da die Steigerung der Bevölkerung von 1882 bis 1895 nur 19,8 und von 1895 bis 1907 nur 19,34 Prozent betrug, so ist die Zahl der erwerbstätigen Personen überhaupt gewachsen, aber indem das Wachstum der Zahl der erwerbstätigen Männer relativ Schritt hielt mit dem Wachstum der Gesamtbevölkerung, ist die Zahl der weiblichen am stärksten gewachsen, was dafür spricht, daß der Kampf ums Dasein größere Anstrengungen als früher erfordert.

Seit 1882 bis 1895 und seit 1895 bis 1907 nahmen in Deutschland in der Gesamtbevölkerung zu (+) beziehungsweise ab

Seit 1882 bis 1895

Seit 1895 bis 1907

Die weiblichen Erwerbstätigen

+

1.005.290

=

23,60 Prozent

+

2.979.105

=

56,59 Prozent

Die männlichen Erwerbstätigen

+

2.133.577

=

15,95 Prozent

+

3.077.382

=

19,85 Prozent

Die weiblichen Dienenden

+

31.543

=

2,46 Prozent

-

64.574

=

4,91 Prozent

Die männlichen Dienenden

-

17.151

=

40,35 Prozent

-

9.987

=

39,38 Prozent

Es kamen erwerbstätige Personen auf:

1882

1895

1907

weibl.

männl.

weibl.

männl.

weibl.

männl.

Land- und Forstwirtschaft

2.534.909

5.701.587

2.753.154

5.539.538

4.598.986

5.284.271

Industrie und Bergbau

1.126.976

5.269.489

1.521.118

6.760.102

2.103.924

9.152.330

Handel und Verkehr

298.110

1.272.208

579.608

1.758.903

931.373

2.546.253

Lohnarbeit wechselnder Art

183.836

213.746

233.865

198.626

320.904

150.791

Öffentliche Dienste und freie Berufe

115.272

373.593

176.648

618.333

288.311

799.025

Armee und Marine

-

542.282

-

630.978

-

651.149

Es vermehrten beziehungsweise verminderten sich die erwerbstätigen Personen in der

|249|

Seit 1882 bis 1895

Seit 1895 bis 1907

weibliche

%

männliche

%

weibliche

%

männliche

%

Land- und Forstwirtschaft

+

218.245

8,60

+

162.049

2,80

+

1.845.832

67,04

-

255.267

4,61

Bergbau und Industrie

+

394.142

35,00

+

1.490.613

28,30

+

582.806

38,31

+

2.392.288

35,39

Handel u. Verkehr

+

281.498

98,40

+

486.695

38,30

+

351.765

60,69

+

787.350

44,76

Lohnarbeit wechselnder Art

+

50.029

27,20

-

15.120

7,10

+

87.039

37,22

-

47.835

24,08

Öffentl. Dienste u. freie Berufe

+

61.376

53,25

+

154.285

33,25

+

111.663

-

+

180.690

-

Armee u. Marine

-

-

+

179.153

39,65

-

-

+

20.216

-

im ganzen

+

1.005.290

23,60

+

2.133.577

15,90

+

2.979.105

-

+

3.077.382

-

Unter den erwerbstätigen Personen waren

1895

1907

weiblich

Prozent

männlich

Prozent

weiblich

Prozent

männlich

Prozent

Selbständige

1.069.007

22,1

4.405.039

31,3

1.052.165

-

4.438.123

-

Angestellte

39.418

0,81

582.407

4,1

159.889

-

1.130.839

-

Arbeiter (Dienende ausgeschlossen

3.745.455

77,09

9.071.097

64.6

6.422.229

-

11.413.892

-

4.853.880

= 100,00

14.058.543

= 100,00

7.634.283

= 100,00

16.982.854

= 100,00

Von den selbständigen Frauen kamen 1907 gegen 1895 auf

1907

1895

Industrie (Hausindustrie)

477.290

519.492

-

42.202

=

8,10 Prozent

Handel und Verkehr

246.641

202.616

+

44.025

=

21,77 Prozent

Landwirtschaft

328.237

346.896

-

18.659

=

9,04 Prozent

Am stärksten waren die weiblichen Personen vertreten in der

1907

1895

Landwirtschaft

4.585.749

2.745.846

Bekleidung und Reinigung

883.184

713.021

Handelsgewerbe

545.177

299.829

Textilindustrie

528.235

427.961

Gast- und Schankwirtschaft

339.555

261.450

Nahrungs- und Genußmittelgewerbe

248.962

140.333

Metallverarbeitung

73.039

36.210

Industrie der Steine und Erden

72.270

39.555

Papierindustrie

67.322

39.222

Industrie der Holz- und Schnitzstoffe

48.028

30.346

Erwerbszweige, in welchen die weiblichen Arbeiter in Deutschland an Zahl die männlichen erheblich übertreffen, sind hauptsächlich folgende:

|250|

weiblich

männlich

Landwirtschaft

4.217.132

2.737.768

Textilindustrie

466.210

390.312

Bekleidungsgewerbe

403.879

303.264

Reinigungsgewerbe

85.684

58.035

Gast- und Schankwirtschaft

266.930

139.002

Häusliche Dienste

279.208

36.791

Gesundheitspflege und Krankenwartung

129.197

78.520

Diese Zahlen geben ein klares Bild von dem Stande der Dinge in Deutschland. Obwohl der Kreis der Erwerbstätigen weit über die Bevölkerungszunahme hinausgeht, hat das Zuströmen weiblicher Arbeitskräfte zur Erwerbsarbeit diesen Steigerungsgrad noch mehr überflügelt. Die Beschäftigung der Frauen ist auf allen Gebieten im raschen Vordringen begriffen. Während die Zahl der männlichen erwerbstätigen Bevölkerung relativ stationär bleibt, wächst die weibliche erwerbstätige Bevölkerung relativ und absolut. Noch mehr. Die Zunahme des weiblichen Geschlechts bei den Erwerbstätigen trägt den Hauptanteil an der Steigerung des Anteils der Erwerbenden an der Gesamtbevölkerung. Der Anteil der weiblichen Angehörigen an der weiblichen Volkszahl sank von 70,81 Prozent in 1895 auf 63,90 Prozent in 1907 herab. Die Frauenarbeit hat somit einen solchen Umfang, eine solche Bedeutung gewonnen, die die ganze lächerliche Hohlheit des Philistersprüchleins erweisen: Die Frau gehört ins Haus.

In England wurden industriell beschäftigt:

Insgesamt

männliche

weibliche

Von 100 Erwerbstätigen

männliche

weibliche

1871

11.593.466

8.270.186

5.323.280

-

-

1881

11.187.564

7.783.646

3.403.918

69,59

30,41

1891

12.751.995

8.883.254

4.016.230

68,09

31,91

1901

14.328.727

10.156.976

4.171.751

70,.09

29,91

Innerhalb 30 Jahren stieg also die Zahl der beschäftigten männlichen Personen um 1.886.790 Köpfe = 22,8 Prozent, die Zahl der weiblichen um 848.471 = 25,5 Prozent. Besonders bemerkenswert ist in der Tabelle, daß, obgleich im Jahre 1881, das ein Krisenjahr war, die Zahl der beschäftigten männlichen Personen im Vergleich zu 1871 um 486.540 Köpfe abnahm, die Zahl der weiblichen um 80.638 zunahm. Die relative Abnahme der weiblichen Arbeitskräfte im Jahre 1901 ist nur scheinbar, weil die Zahl für die Landwirtschaft nicht ver- |251| gleichbar ist mit der entsprechenden Zahl in 1891, da die Mehrzahl der Frauen und Töchter der Pächter jetzt in der Gruppe der Berufslosen figurieren. Außerdem haben in den letzten zwanzig Jahren diejenigen Industrien besonders stark zugenommen, in welchen die männliche Arbeitskraft vorherrschend ist, dagegen ist die Textilindustrie relativ und von 1891 an auch absolut zurückgegangen:

1891

1901

Zuname Prozent

darunter weibliche

Industrie der Steine und Erden

528.474

805.185

53

5.006

Metallverarbeitung und Maschinenindustrie

812.915

1.228.504

52

61.233

Baugewerbe

764.911

1.128.680

47

2.485

Textilindustrie

1.094.636

1.155.397

5

663.222

Trotzdem hat die Frauenarbeit wieder auf Kosten der männlichen Arbeitskraft zugenommen. Nur die Vermehrungsquote der Frauenarbeit, die von 1851 bis 1861 noch 12,6 Prozent und von 1871 bis 1881 7,6 Prozent betrug, hat sich von 1891 bis 1901 auf 1,8 Prozent vermindert. Im Jahre 1907 wurden in der Textilindustrie gezählt: 407.360 Arbeiter = 36,6 Prozent und 679.863 Arbeiterinnen = 63,4 Prozent.

Dagegen hat die Frauenarbeit in der Konfektionsindustrie und in dem Handelsgewerbe viel stärker zugenommen. Im weiteren zeigte sich aber auch, daß die jüngeren weiblichen Arbeitskräfte die älteren verdrängen. Und da die Frauen unter 25 Jahren meist unverheiratet, die älteren aber meist verheiratet beziehungsweise verwitwet sind, treten an Stelle von verheirateten oder verwitweten Frauen Mädchen.

Erwerbszweige, in welchen die weiblichen Arbeiter Englands an Zahl die männlichen erheblich übertrafen, waren hauptsächlich folgende:

weiblich

männlich

Häusliche Dienste

1.690.686

124.263

Konfektionsindustrie

711.786

414.637

Textilindustrie

663.222

492.175

darunter Baumwollindustrie

328.793

193.850

darunter Woll- und Garnindustrie

153.311

106.598

darunter Hanf, Jute

104.587

45.752

darunter Seidenindustrie

22.589

8.966

darunter Stickerei

28.962

8.587

|252| Die Bezahlung der Frauen ist in fast allen Branchen erheblich niedriger als jene der Männer bei gleicher Arbeitszeit. In der Textilindustrie betrug nach der neuesten Enquete der Durchschnittswochenverdienst 1906 für Männer 28 Shilling 1 Penny (28,55 Mark) und für die Frauen nur 15 Shilling 5 Pence (15,66 Mark).(5) In der Fahrradindustrie, wo in der letzten Zeit, infolge Einführung des maschinellen Betriebs, die Frauenarbeit sich rasch entwickelt, bekommen die Frauen pro Woche nur 12 bis 18 Shilling, wo die Männer 30 bis 40 Shilling verdienten.(6) Dieselbe Erscheinung begegnet uns in der Papierindustrie, in der Buchbinderei und in der Schuhwarenindustrie. Besonders schlecht wird bezahlt die Frauenarbeit in der Wäschekonfektion 10 Shilling pro Woche ist schon ein guter Verdienst. "Im allgemeinen verdient eine Frau ein Drittel oder die Hälfte des Wochenlohnes eines Mannes."(7)

Ähnliche Unterschiede in der Bezahlung bestehen zwischen Männern und Frauen im Postdienst, im Lehrfach. Nur in der Baumwollindustrie in Lancashire verdienten beide Geschlechter bei gleicher Arbeitszeit fast die gleichen Löhne.

In den Vereinigten Staaten entwickelte sich die Frauenarbeit folgendermaßen:

1880

%

1890

%

1900

%

Landwirtschaft

594.510

678.884

977.536

Freie Berufe

177.255

311.687

430.597

Häusliche und persönliche Dienste

1.181.300

1.667.651

2.095.449

Handel und Transport

63.058

228.421

503.347

Fabriken

631.034

1.027.928

1.312.668

Total Frauen

2.647.157

14,7

3.914.571

17,4

5.319.397

18,8

Total Männer

14.774.942

85,5

18.821.090

82,6

23.753.856

81,3

17.422.099

100

22.735.661

100

29.073.233

100

Wir sehen hier, daß die Zahl der erwerbstätigen Frauen von 3.914.571 im Jahre 1890 auf 5.319.397 im Jahre 1900 gestiegen ist, also bedeutend schneller als die Gesamtbevölkerung, die sich von 1890 mit |253| 62.622.250 bis 1900 mit 76.303.387 Köpfen nur um 21 Prozent vermehrt hat. Ebenso unaufhaltsam fällt relativ die Zahl der beschäftigten Männer, die von Frauen verdrängt werden. So kommen jetzt von 100 Erwerbstätigen auf Frauen 18,8, dagegen im Jahre 1880 nicht mehr als 14,7 Prozent.

Es gibt fast keinen Beruf, außer 9 (aus 312), in dem die Frauen nicht beschäftigt wären. Nach dem Zensus von 1900 gibt es unter ihnen sogar 5 Lotsen, 45 Lokomotivführer und Heizer, 185 Schmiede, 508 Maschinisten, 11 Bohrer, 8 Kesselschmiede. "Diese Zahlen haben selbstverständlich keine große soziologische Bedeutung. Sie beweisen nur, daß es sehr wenig Berufe gibt, von denen die Frauen absolut ausgeschlossen sind, sei es infolge ihrer Naturbeschaffenheit oder aus Rücksichten auf das Gesetz."(8)

Besonders stark sind die Frauen vertreten in folgenden Berufen: Dienstmädchen und Kellnerinnen 1.213.828, Frauenkleiderfabrikation 338.144, Landarbeiterinnen 497.886, Wäscherinnen 332.665, Lehrerinnen 327.905, Farmbesitzerinnen 307.788, Textilarbeiterinnen 231.458, Haushälterinnen 147.103, Verkäuferinnen 146.265, Näherinnen 138.724, Krankenwärterinnen und Hebammen 108.691, Unqualifizierte 106.916. In diesen zwölf Berufen sind gezählt 3.583.333 = 74,1 Prozent aller erwerbstätigen Frauen. Außerdem gibt es noch 85.086 Stenographinnen, 82.936 Hutarbeiterinnen, 81.000 Handlungsgehilfinnen, 72.896 Buchhalterinnen usw., zusammen in 19 Berufen mit mehr als 50.000 Frauen 4.293.894 = 88,8 Prozent aller erwerbstätigen Frauen.

Eine vorherrschende Stellung nehmen die Frauen in folgenden Berufen ein. Von 100 Erwerbstätigen kommen auf:

Frauen

Männer

Wäschekonfektion

99,4

0,6

Putzmacherei

98   

2   

Näher und Näherinnen

96,8

3,2

Kragenfabrikation

77,6

22,4

Wirkerei

72,8

27,2

Handschuhmacher

62,6

37,4

Buchbinderei

50,5

49,5

Textilfabrikarbeiter

50   

50   

Haushalter

94,7

5,3

Krankendienst

89,9

10,1

|254| Waschanstalten

86,8

13,2

Dienstpersonal

81,9

18,1

Zimmervermieter

83,4

16,6

Stenographen

76,7

23,3

Lehrer und Lehrerinnen

73,4

26,6

Musiklehrer und Musiklehrerinnen

56,9

43,1

Von 4.833.630 erwerbstätigen Frauen, die im Alter von 16 und mehr Jahren standen, waren 3.143.712 ledig, 769.477 verheiratet, 857.005 verwitwet, 63.436 geschieden.

"Die Zunahme im Prozentverhältnis der Erwerbstätigen", sagt der amerikanische Bericht, "war am stärksten für die verheirateten Frauen, da dieses Prozentverhältnis 1900 um ein Viertel größer war als 1890. 1890 war nur eine Frau auf 22 erwerbstätig, 1900 eine auf 18."

Sehr groß ist, relativ und absolut, die Zahl der verwitweten und geschiedenen Frauen. Von 2.721.438 verwitweten Frauen waren 1900 erwerbstätig 857.005 = 51,5 Prozent, und noch größer war das Verhältnis in der Gruppe der geschiedenen Frauen. Von 114.935 waren erwerbstätig im Jahre 1900 55,3 Prozent, 1890 49 Prozent. So werden mit jedem Jahre mehr und mehr Frauen auf sich gestellt.

Von 303 Berufen, in denen die Frauen beschäftigt sind, gibt es:

79 mit weniger als

100 Frauen

59 mit weniger als 100 bis

500 Frauen

51 mit weniger als 500 bis

1.000 Frauen

125 mit mehr als

1.000 Frauen

65 mit mehr als

5.000 Frauen

Von 100 beschäftigten Personen im Alter von 16 Jahren und mehr bekommen:

Männer

%

Frauen

%

Weniger als 7 Doll.

18   

Weniger als 7 Doll.

66,3

7 bis 9 Doll.

15,4

7 bis 9 Doll.

19,6

9 bis 20 Doll.

60,6

9 bis 20 Doll.

13,2

20 bis 25 Doll.

4,8

20 bis 25 Doll.

0,8

Mehr als 25 Doll.

2   

Mehr als 25 Doll.

0,1

Durchschnittswochenlohn

11,16 Doll.

6,17 Doll.

Wir sehen, daß 60,6 Prozent aller Männer mehr als 9 Dollar bekommen, dagegen nur 14,1 Prozent der Arbeiterinnen mehr als 9 und |255| mehr als zwei Drittel (66,3 Prozent) weniger als 7 Dollar.(9) Der Durchschnittswochenlohn beträgt für Männer 11,16 Dollar, für Frauen 6,17, also beinahe zweimal weniger.

Der Unterschied ist ebenso groß in der Beamtenwelt. Von 185.874 Zivilbeamten wurden gezählt: 172.053 männliche = 92,6 Prozent und 13.821 weibliche = 7,4 Prozent. In Kolumbia, wo der Sitz der Zentralverwaltung sich befindet, steigt das Prozentverhältnis der Frauenarbeit bis 29 Prozent. Und doch bekommen weniger als 720 Dollar 47,2 Prozent aller Frauen, dagegen nur 16,7 Prozent der Männer.(10)

In Frankreich betrug nach dem Zensus von 1901 die erwerbstätige Bevölkerung 19.715.075, darunter 12.910.565 Männer und 6.804.510 Frauen. Auf einzelne Berufe verteilen sie sich wie folgt:

männliche

Prozent

weibliche

Prozent

Landwirtschaft

5.517.617

72   

2.658.952

28   

Handel

1.132.621

65   

689.999

35   

Häusliche Dienste

223.861

23   

791.176

77   

Freie Berufe

226.561

67   

173.278

33   

Industrie

3.695.213

63,5

2.124.642

36,5

"Die weibliche Arbeiterbevölkerung beträgt also die, Hälfte der männlichen Arbeiterbevölkerung."(11) So, wie in allen anderen Ländern, ist das Prozentverhältnis am kleinsten in allen Berufen, die eine große physische Kraft fordern. (Im Bergbau 2,03 Frauen auf 100 Männer, in Steinbrüchen 1,65; in der Metallurgie 1,06.) Dahingegen ist der Anteil der Frauen am stärksten in der Textilindustrie - 116 Frauen auf 100 Männer, in der Konfektionsindustrie, in den Wäscheanstalten 1.247, in der Wäschekonfektion 3.286.(12)

Im allgemeinen, wie es Frau C. Milhaud konstatiert, ist der Zustrom der Frauen am stärksten in jenen Industrien, wo die Arbeitszeit extra lang ist und der Lohn am niedrigsten. "Eine traurige Tatsache: Währenddem die Industrien mit kurzer Arbeitszeit nur einige tausend Frauen beschäftigen, sind in den Gewerben mit langer Arbeitszeit Hunderttausende beschäftigt."(13)

|256| Was den Arbeitslohn betrifft, so sagt der bürgerliche E. Levasseur, daß fast in allen Fällen der Arbeitslohn der Frauen nur sehr selten bis zu zwei Dritteln des Lohnes der männlichen Arbeiter steigt und viel öfter die Hälfte beträgt.(14)

2. Die Fabrikarbeit der verheirateten Frauen
Hausindustrie und gesundheitsgefährliche Industrien

Es ist ein sehr hoher Prozentsatz, den die verheirateten Arbeiterinnen unter den Arbeiterinnen überhaupt bilden, ein für das Familienleben der Arbeiter sehr bedenklicher Zustand, und die Zahl der beschäftigten verheirateten Frauen wird stetig größer. Die deutschen Gewerbeinspektoren hatten für das Jahr 1899 den Auftrag, über die Dauer der Arbeit und die Gründe, die verheiratete Frauen zur gewerblichen Arbeit veranlassen, Erhebungen zu veranstalten.(15)

Hiernach sind insgesamt 229.334 Frauen als in Fabriken tätig ermittelt worden. Außerdem wurden im Betrieb von Bergwerken nach den Berichten der preußischen Bergbehörden 1.063 Frauen über Tage beschäftigt. In Baden stieg in den der Gewerbeinspektion unterstellten Betrieben die Zahl der verheirateten Arbeiterinnen im Zeitraum von 1894 bis 1899 von 10.878 =.27,05 Prozent auf 15.046 = 31,27 Prozent sämtlicher erwachsener Arbeiterinnen.

In welchem Umfang die Hauptindustriezweige an der ermittelten Summe von 229.334 beteiligt sind, geht aus der folgenden Zusammenstellung hervor:

Textilindustrie,

111.194

Industrie der Nahrungs- und Genußmittel

39.080

Industrie der Steine und Erden

19.475

Bekleidungs- und Reinigungsgewerbe

13.156

Papierindustrie

11.049

Metallverarbeitung

10.739

Industrie der Holz- und Schnitzstoffe

5.635

Polygraphische Gewerbe

4.770

|257| Maschinenindustrie

4.493

Chemische Industrie

4.380

Andere

5.363

Zusammen

239.554

Nächst der Textilindustrie wird die starke Beteiligung der Industrie der Nahrungs- und Genußmittel hervorgehoben, in welcher vor allem die Zigarren- und Tabakfabrikation zahlreichen Frauen Beschäftigung gibt. Dann folgen die Papierindustrie, insbesondere die Lumpensortieranstalten, und Ziegeleien. "Die Frauen werden vorwiegend in anstrengenden Berufen (Steinbrüchen, Ziegeleien, Färbereien, chemischen Fabriken, Zuckerfabriken usw.) mit schwerer, oft unsauberer Arbeit beschäftigt, während sich die jüngeren Arbeiterinnen unter 21 Jahren in Porzellanfabriken, Spinnereien, Webereien, Papierfabriken, Zigarrenfabriken und im Bekleidungsgewerbe finden. Für die schlechteste, von anderen gemiedene Arbeit sind nur die älteren Arbeiterinnen und besonders verheiratete zu haben."(16)

Unter den vielen Äußerungen über die Gründe und Ursachen der Verbreitung der Arbeit der verheirateten beziehungsweise geschiedenen und verwitweten Frauen seien einige wenige erwähnt. Im Bezirk Potsdam wurde als Grund für die Fabrikbeschäftigung von den Frauen sehr häufig die Unzulänglichkeit des Verdienstes des Mannes angegeben. In Berlin behaupteten nach dem Bericht zweier Inspektoren 53,62 Prozent der mitverdienenden Frauen, daß der Verdienst der Ernährer unzulänglich sei. Ganz ähnlich äußern sich die Aufsichtsbeamten der Bezirke Westpreußen, Frankfurt a.O., Mittelfranken, Württemberg II, Unterelsaß usw. Der Magdeburger Beamte gibt denselben Grund für die Mehrzahl der beschäftigten Frauen an; andere müßten aber auch arbeiten, weil der Mann für sich zuviel verbrauche oder liederlich sei. Andere Frauen arbeiteten wieder aus Gewohnheit und weil sie für den Beruf der Frau nicht erzogen seien. Zugegeben, daß für einen kleinen Teil der Fälle solche Gründe gelten, die große Mehrzahl arbeitet, weil sie muß. Das hat auch die Gewerkschaft der Holzarbeiter in Stuttgart konstatiert anläßlich einer |258| Enquete im Jahre 1900. Der Beamte für Unterelsaß konstatiert, daß der Hauptgrund für die Ehefrauenarbeit in der modernen Kultur, den Verkehrsmitteln und dem durch den unbeschränkten Wettbetrieb geschaffenen Verlangen der Industrie nach billigen Arbeitskräften zu suchen sei. Auch werde die verheiratete Frau gern beschäftigt, weil bei ihr eine größere Zuverlässigkeit und Stetigkeit im Arbeitsverhältnis vorhanden sei. Der badische Fabrikinspektor (Dr. Wörishoffer) sagt:

"Vor allem aber sind es die niedrigen Lohne der Arbeiterinnen, die ihre Verwendung den Arbeitgebern überall erwünscht scheinen lassen, wo sie stattfinden kann. Genügender Beweis hierfür ist, daß die Löhne in den Industriezweigen am niedrigsten sind, in denen Arbeiterinnen in größerer Zahl verwendet werden ... In diesen Industriezweigen bewirkt daher die Möglichkeit, weibliche Arbeiter in großem Umfang zu beschäftigen, in den Arbeiterfamilien die Notwendigkeit, sie auch tatsächlich eintreten zu lassen."

Der Koblenzer Beamte äußert: "Die Frauen sind allgemein zuverlässiger und arbeiten fleißiger als junge Mädchen. Jüngere Arbeiterinnen haben durchgängig eine Abneigung gegen unsaubere und unangenehme Arbeiten, welche infolgedessen mit Vorliebe den anspruchsloseren Frauen überlassen bleiben. So müssen zum Beispiel die Lumpensortierereien vielfach Frauen beschäftigen."(17)

Was die Arbeitslöhne betrifft, so ist es eine bekannte Tatsache, daß allgemein Frauenarbeit schlechter bezahlt wird als Männerarbeit, auch dort, wo sie das gleiche leistet. Darin unterscheidet sich der Privatunternehmer weder vom Staat noch von der Gemeinde. Frauen im Eisenbahn- und Postdienst erhalten weniger als Männer für die gleiche Arbeit; Lehrerinnen bezahlt jede Gemeinde schlechter als Lehrer. Gründe dafür sind: Die Frau ist bedürfnisloser und vor allen Dingen hilfloser; ihr Erwerb ist in sehr vielen Fällen nur eine Ergänzung zu dem Einkommen des Gatten oder des Vaters als des eigentlichen Ernährers; der dilettantische, provisorische und zufällige Charakter der Frauenarbeit; die große industrielle Reservearmee der Arbeiterinnen und daher ihre geringere Widerstandsfähigkeit; der "unlautere Wettbewerb" des sogenannten "Mittelstandes" in der Schneiderei, Putzmacherei, Blumen- und Papierindustrie; die Frau ist auch in der |259| Regel an ihren Wohnort gebunden. Daher währt die Arbeitszeit der Frauen am längsten, wenn nicht die Gesetzgebung schützend eingreift.

In einer Untersuchung über die Löhne der Fabrikarbeiter in Mannheim im Jahre 1893 teilte der verstorbene Dr. Wörishoffer den wöchentlichen Arbeitsverdienst in drei Klassen ein (18): Die unterste Klasse umfaßte den Wochenlohn bis zu 15 Mark, die mittlere von 15 bis 24 Mark und die hohe über 24 Mark.

Hiernach ergaben die Löhne folgendes Bild. Es erhielten Löhne:

Niedere

Mittlere

Hohe

Sämtliche Arbeiter

29,8 Prozent

49,8 Prozent

20,4 Prozent

Männliche

20,9 Prozent

56,2 Prozent

22,9 Prozent

Weibliche

99,2 Prozent

0,7 Prozent

0,1 Prozent

Die Arbeiterinnen verdienten zum größten Teil wahre Hungerlöhne, denn es erhielten:

Einen Wochenlohn

unter 5 Mark

4,62 Prozent

Einen Wochenlohn von

5 bis 6 Mark

5,47 Prozent

Einen Wochenlohn von

6 bis 8 Mark

43,96 Prozent

Einen Wochenlohn von

8 bis 10 Mark

27,45 Prozent

Einen Wochenlohn von

10 bis 12 Mark

12,38 Prozent

Einen Wochenlohn von

12 bis 15 Mark

5,38 Prozent

Der Rest

über 15 Mark

0,74 Prozent

Nach den Ergebnissen einer Umfrage, die von der Berliner Gewerbeinspektion veranstaltet war, betrug der durchschnittliche Wochenlohn der Arbeiterinnen 11,36 Mark. Unter 6 Mark erhielten 4,3 Prozent, 6 bis 8 Mark 7,8 Prozent, über 12 bis 15 Mark 27,6 Prozent, über 15 bis 20 Mark 11,1 Prozent, über 20 bis 30 Mark 1,1 Prozent. Die meisten Löhne liegen zwischen 8 und 15 Mark (75,7 Prozent). In Karlsruhe beläuft sich der durchschnittliche Wochenverdienst sämtlicher Arbeiterinnen auf 10,02 Mark.(19)

Am elendsten ist die Bezahlung der Arbeiter in der Hausindustrie, und zwar sowohl die der Männer wie der Frauen, aber für die Frauen ist sie noch erbärmlicher. Dabei ist die Arbeitszeit ohne Grenze und maßlos in der Saison. Auch ist vielfach in der Hausindustrie das Schwitzsystem in Übung, das heißt die Arbeit wird durch Mittelsper- |260| sonen an die Arbeiter vergeben, wofür die Mittelsperson - Faktor, Meister usw. - einen erheblichen Teil des vom Unternehmer gezahlten Lohnes als Entschädigung für Mühewaltung beansprucht.

Wie erbärmlich weibliche Arbeit in der Hausindustrie bezahlt wird, zeigen folgende Angaben über Berliner Verhältnisse. Bunte Männerhemden (Barchenthemden), die 1889 pro Dutzend noch mit 2 bis 2,50 Mark bezahlt wurden, bekam der Unternehmer 1893 für 1,20 DM geliefert. Eine Näherin mittlerer Qualität muß von früh bis spät arbeiten, will sie pro Tag 6 bis 8 Stück Hemden fertigstellen; der Verdienst pro Woche beträgt 4 bis 5 Mark. Eine Schürzenarbeiterin verdient 2,50 bis 5 Mark pro Woche, eine Krawattennäherin 5 bis 6 Mark, eine geschickte Blusennäherin 6 Mark, eine sehr tüchtige Arbeiterin auf Knabenanzüge 8 bis 9 Mark, eine geübte Jackettarbeiterin 5 bis 6 Mark. Eine sehr geübte Näherin auf feine Oberhemden kann bei flotter Saison und wenn sie von früh 5 Uhr bis abends 10 Uhr arbeitet, 12 Mark verdienen. Putzarbeiterinnen, die selbständig Modelle kopieren können, verdienen pro Monat 30 Mark, flotte Garniererinnen, die schon jahrelang tätig sind, verdienen während der Saison pro Monat 50 bis 60 Mark. Die Saison nimmt im ganzen fünf Monate in Anspruch. Eine Schirmmacherin verdient bei zwölfstündiger Arbeit wöchentlich 6 bis 7 Mark. Solche Hungerlöhne zwingen die Arbeiterinnen zur Prostitution, denn unter den bescheidensten Ansprüchen kann in Berlin keine Arbeiterin die Woche unter 9 bis 10 Mark existieren.

Die angeführten Tatsachen zeigen, daß die Frau durch die moderne Entwicklung mehr und mehr dem Familienleben und der Häuslichkeit entrissen wird. Ehe und Familie werden untergraben und aufgelöst, und so ist es auch vom Standpunkt dieser Tatsachen aus absurd, die Frau auf die Häuslichkeit und die Familie zu verweisen. Das kann nur der tun, der gedankenlos in den Tag lebt, die Dinge, die sich um ihn herum entwickeln, nicht sieht oder nicht sehen will.

In einer großen Anzahl von Industriezweigen sind weibliche Arbeiter ausschließlich beschäftigt, in einer größeren Anzahl bilden sie die Mehrheit, und in den meisten der übrigen Arbeitszweige sind Arbeiterinnen mehr oder weniger zahlreich beschäftigt, ihre Zahl wird immer größer, und sie dringen in immer neue Berufszweige ein.

Durch die deutsche Gewerbeordnungsnovelle vom Jahre 1891 war für die Beschäftigung von erwachsenen Arbeiterinnen in Fabriken |261| eine Normalarbeitszeit von elf Stunden täglich festgesetzt worden, die aber durch eine Menge Ausnahmen, welche die Behörden zulassen konnten, oft durchbrochen wurde. Die Nachtarbeit der Arbeiterinnen in Fabriken wurde auch verboten, doch konnte auch hier der Bundesrat Ausnahmen für Fabriken mit ununterbrochenem Betrieb oder für bestimmte Saisonbetriebe (zum Beispiel Zuckerfabriken) zulassen. Nur nachdem die internationale Berner Konvention vom 26. September 1906 die Einführung einer elfstündigen Nachtruhe (für Fabriken) vorschreibt, nachdem jahrelang die Sozialdemokratie energisch die Forderung des Verbots der gewerblichen Nachtarbeit der Frauen und der Herabsetzung der täglichen Arbeitszeit bis auf acht Stunden befürwortet hat, geben endlich nach langem Widerstand Regierung und bürgerliche Parteien nach. Dann wurde aus der in der Kommission steckengebliebenen umfassenden Novelle zur Gewerbeordnung das Stück herausgegriffen, das sich auf die Regelung der Frauenarbeit bezieht. Außer dieser Bestimmung war in dem Gesetz vom 28. Dezember 1908 eine zehnstündige Maximalarbeitszeit für Frauen vorgesehen in allen Betrieben, in denen mindestens zehn Arbeiter beschäftigt sind. An Vorabenden der Sonn- und Feiertage darf die Dauer acht Stunden nicht überschreiten. Arbeiterinnen dürfen vor und nach ihrer Niederkunft im ganzen während acht Wochen nicht beschäftigt werden. Ihr Wiedereintritt ist an den Ausweis geknüpft, daß seit ihrer Niederkunft wenigstens sechs Wochen verflossen sind. Arbeiterinnen dürfen weiter nicht in Kokereien und nicht zum Transport von Materialien bei Bauten aller Art verwendet werden. Trotz des energischen Widerstandes der Sozialdemokratie wurde ein Antrag angenommen, daß die höheren Verwaltungsbehörden die Überarbeit für fünfzig Tage gestatten können.

Besondere Beachtung verdient § 137a, der den ersten Eingriff in die Ausbeutung durch Heimarbeit bildet. Diese Bestimmung lautet: "Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern darf für die Tage, an welchen sie in dem Betrieb die gesetzlich zulässige Arbeit hindurch beschäftigt waren, Arbeit zur Verrichtung außerhalb des Betriebs vom Arbeitgeber überhaupt nicht übertragen oder für Rechnung Dritter überwiesen werden." Ungeachtet seiner Mängel bedeutet das neue Gesetz immerhin einen Fortschritt gegenüber dem gegenwärtigen Zustand. .Die immer stärkere Heranziehung der Frau zu industrieller Be- |262| schäftigung trifft aber nicht nur jene Beschäftigungsarten, für die sie sich entsprechend ihrer schwächeren physischen Kraft eignet, sondern alle Tätigkeiten, in welchen das Ausbeutertum aus ihrer Anwendung höheren Profit schlagen kann. Dazu gehören sowohl die anstrengendsten wie die unangenehmsten und für die Gesundheit gefährlichsten Tätigkeiten, und so wird auch hierdurch jene phantastische Auffassung auf ihre wahre Bedeutung reduziert, die in der Frau nur das - zarte, fein besaitete Wesen sieht, wie es vielfach Dichter und Romanschreiber für den Kitzel des Mannes schildern.

Tatsachen sind halsstarrige Dinger, und wir haben es nur mit Tatsachen zu tun, denn diese bewahren uns vor falschen Schlüssen und sentimentalen Faseleien. Die Tatsachen aber lehren uns, wie wir schon wissen, daß unter anderem die Frauen beschäftigt werden: in der Textilindustrie, in der chemischen Industrie, in der Metallverarbeitungsindustrie, in der Papierindustrie, in der Maschinenindustrie, in der Holzindustrie, in der Industrie der Nahrungs- und Genußmittel, im Bergbau über Tage - in Belgien auch beim Bergbau unter Tage, sobald die Arbeiterin das 21. Lebensjahr überschritten hat. Ferner auf dem weiten Gebiet des Garten- und Feldbaus und der Viehzucht und den damit zusammenhängenden Industrien, endlich in den verschiedenen Erwerbszweigen, in denen sie schon seit langem, gewissermaßen als Privilegierte, ausschließlich zu tun hatten: bei dem Herstellen der Wäsche und der Frauenkleider, in den verschiedenen Zweigen des Modefachs, in der Stellung als Verkäuferinnen, Kontoristinnen, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, Schriftstellerinnen, Künstlerinnen aller Art usw. Zehntausende von Frauen des kleinen Mittelstandes sind als Ladensklavinnen in Verwendung und im Marktwesen tätig und sind damit fast jeder häuslichen Tätigkeit und namentlich der Kindererziehung entzogen. Endlich finden jüngere und namentlich hübsche Frauen immer mehr Verwendung, zum höchsten Nachteil ihrer ganzen Persönlichkeit, in öffentlichen Lokalen aller Art als Bedienungspersonal, Sängerinnen, Tänzerinnen usw. zur Anlockung der genußgierigen Männerwelt, ein Gebiet, auf dem die scheußlichsten Mißstände herrschen und das weiße Sklavenhaltertum die wüstesten Orgien feiert.

Unter den angeführten Beschäftigungen gibt es viele von der höchsten Gefährlichkeit. So ist die Gefahr der Einwirkung von schwefligsauren und alkalischen Gasen in hohem Grade vorhanden in der Strohhutfabrikation und den Strohhutwäschereien, die Gefahr der |263| Einatmung von Chlordämpfen bei dem Bleichen pflanzlicher Stoffe; Vergiftungsgefahren gibt es in der Buntpapier- und bunten Oblaten- und Blumenfabrikation, bei der Herstellung der Metachromotypie, der Gifte und Chemikalien, dem Bemalen von Bleisoldaten und bleiernen Spielwaren. Das Belegen der Spiegel mit Quecksilber ist für die Leibesfrucht der Schwangeren geradezu tödlich.

Wenn von den lebendgeborenen Kindern im preußischen Staate durchschnittlich 22 Prozent während des ersten Lebensjahres gestorben sind, so, nach Dr. Hirt, von den lebendgeborenen Kindern der Spiegelbelegerinnen 65 Prozent, der Glasschleiferinnen 55 Prozent, der Bleiarbeiterinnen 40 Prozent. Im Jahre 1890 wurden von 78 Wöchnerinnen, die in den Schriftgießereien des Regierungsbezirkes Wiesbaden tätig gewesen waren, nur 57 normal entbunden. Nach Dr. Hirt ist von der zweiten Hälfte der Schwangerschaft an besonders gefährlich die Tätigkeit bei der Fabrikation von buntem Papier und von künstlichen Blumen, das sogenannte Einstäuben der Brüsseler Spitzen mit Bleiweiß, die Herstellung von Abziehbildern, das Belegen von Spiegeln, die Kautschukindustrie und alle Fabrikbetriebe, in denen die Arbeiterinnen der Einatmung schädlicher Gase - Kohlenoxydgas, Kohlensäure und Schwefelwasserstoffgas - ausgesetzt sind. Höchst gefährlich ist auch die Phosphorzündholzfabrikation und die Beschäftigung am Shoddywolfe. Nach den Mitteilungen des badischen Gewerbeinspektors für das Jahr 1893 stieg die jährliche Durchschnittszahl der vorzeitigen Geburten bei erwerbstätigen Frauen von 1.039 in den Jahren von 1882 bis 1886 auf 1.244 in den Jahren 1887 bis 1891. Die Zahl der Geburten, denen eine Operation vorhergehen mußte, betrug im Jahresdurchschnitt von 1882 bis 1886 1.118, von 1887 bis 1891 aber 1.385. Noch viel bedenklichere Tatsachen würden zutage treten, fänden ähnliche Untersuchungen überall in Deutschland statt. In der Regel begnügen sich aber die Gewerbeinspektoren in ihren Berichten mit der Bemerkung: "Besondere Nachteile bei der Beschäftigung von Frauen in Fabriken wurden nicht beobachtet." Wie sollten sie dieselben auch bei ihren kurzen Besuchen, und ohne ärztliche Gutachten zu Rate zu ziehen, beobachten? Daß ferner große Gefahren für das Leben und die Gliedmaßen vorhanden sind, besonders in der Textilindustrie, in der Zündwarenfabrikation und der Beschäftigung bei landwirtschaftlichen Maschinen, ist festgestellt. Außerdem gehört eine Menge der angeführten Arbeiten zu den schwersten und anstren- |264| gendsten, selbst für Männer, das sagt uns ein Blick auf die sehr unvollständige Liste. Man sage nur immer, diese und jene Beschäftigung ist der Frau unwürdig, was hilft's, wenn man ihr nicht eine andere, entsprechendere Tätigkeit zuweisen kann.

Als Industriezweige oder als Manipulationen in Industriezweigen, in denen junge Mädchen gar nicht beschäftigt werden sollten, wegen Gefahr für ihre Gesundheit, speziell wegen der Schädlichkeit für ihre sexuellen Funktionen, bezeichnet Dr. Hirt (20): Herstellung von Bronzefarben, Samtpapier und Schmirgelpapier, Fachen (Hutmacherei), Schleifen (von Glassachen), Abfegen der Bronze von den Steinen (Lithographie), Flachshecheln, Roßhaarzupfen, Barchentraufen, Verzinnen von Eisenblech, Arbeiten an der Flachsmühle und am Shoddywolfe.

In folgenden Beschäftigungen sollten junge Mädchen nur Anwendung finden dürfen, wenn die nötigen Schutzmaßregeln (Ventilationsanlagen usw.) vorhanden und geprüft sind: bei der Herstellung von Papiertapeten, Porzellan, Bleistiften, Bleischrot, ätherischen Ölen, Alaun, Blutlaugensalz, Brom, Chinin, Soda, Paraffin und Ultramarin, (giftigen) bunten Papieren, (gifthaltigen) Oblaten, Metachromotypien, Phosphorzündhölzern (21), Schweinfurter Grün und künstlichen Blumen. Ferner mit dem Schneiden und Sortieren von Lumpen, mit dem Sortieren und Mahlen von Tabakblättern, dem Baumwolleschlagen, Wolle- und Seidehaspeln, Bettfedern reinigen, Sortieren von Pinselhaaren, mit Waschen (Schwefeln) der Strohhüte, mit Vulkanisieren und Lösen von Kautschuk, mit Färben und Bedrucken von Zeugstoffen, Bemalen von Bleisoldaten, Einpacken von Schnupftabak, mit dem Anstreichen von Drahtgeweben, dem Belegen von Spiegeln, dem Schleifen von Nähnadeln und Stahlfedern.

Es ist wahrlich kein schöner Anblick, Frauen, sogar im schwangeren Zustand, mit den Männern um die Wette beim Eisenbahnbau |265| schwer beladene Karren fahren zu sehen oder sie als Handlanger, Kalk und Zement anmachend oder schwere Lasten Steine tragen, beim Hausbau zu beobachten, oder beim Kohlen- und Eisensteinwaschen. Dabei wird der Frau alles Weibliche abgestreift und ihre Weiblichkeit mit Füßen getreten, wie umgekehrt unseren Männern in vielen verschiedenen Beschäftigungsarten jedes Männliche genommen wird. Das sind die Folgen der sozialen Ausbeutung und des sozialen Krieges. Unsere korrupten sozialen Zustände stellen die Dinge auf den Kopf.

Es ist begreiflich, daß bei dem Umfang, den die weibliche Arbeit auf allen Gebieten gewerblicher Tätigkeit einnimmt und weiter einzunehmen droht, die interessierte Männerwelt wenig freundlich dazu steht. Unzweifelhaft geht bei dieser Ausdehnung der Frauenarbeit das Familienleben des Arbeiters immer mehr zugrunde, ist Auflösung von Ehe und Familie die natürliche Folge und nehmen Sittenlosigkeit, Demoralisation, Degeneration, Krankheiten aller Art und Kindersterblichkeit in erschreckendem Maße zu. Nach der Bevölkerungsstatistik des Deutschen Reiches hat sich in den Städten, die in den letzten Jahrzehnten echte und rechte Fabrikstädte wurden, die Kindersterblichkeit bedeutend gesteigert. Außerdem steigt sie in den Landgemeinden, wo durch die Milchverteuerung und Milchentziehung die Güte der Kost sinkt. Am höchsten ist die Säuglingssterblichkeit in der Oberpfalz, in Oberbayern und Niederbayern, in einigen Kreisen der Regierungsbezirke Liegnitz und Breslau und der Kreishauptmannschaft Chemnitz. So starben im Jahre 1907 von 100 Lebendgeborenen im ersten Lebensjahre in Stadtamhof (Oberpfalz) 40,14, in Parsberg (Oberpfalz) 40,06, in Friedberg (Oberbayern) 39,28, in Kelheim (Niederbayern) 37,71, in München 37,63, in Glauchau (Sachsen) 33,48, in Waldenburg (Schlesien) 32,49, in Chemnitz 32,49, in Reichenbach (Schlesien) 32,18, in Annaberg 31,41 usw. Noch schlimmer lagen die Verhältnisse in der Mehrzahl der großen Fabrikdörfer, von welchen manche eine Sterblichkeitsziffer von 40 bis 50 Prozent aufzuweisen hatten. Trotz alledem ist diese soziale Entwicklung, die so traurige Resultate erzeugt, ein Fortschritt, genauso ein Fortschritt, wie es die Gewerbefreiheit, die Freizügigkeit, die Verehelichungsfreiheit usw. ist, welche die großkapitalistische Entwicklung begünstigen, wodurch aber unserem Mittelstand der Todesstoß versetzt wird.

Die Arbeiter sind nicht geneigt, dem Kleinhandwerk zu helfen, wenn dieses eine Einschränkung der Gewerbefreiheit und Freizügig- |266| keit und die Wiederaufrichtung der Innungs- und Zunftschranken versucht, um künstlich das Zwerggewerbe am Leben zu erhalten, denn um nichts anderes kann es sich handeln. Ebensowenig läßt sich aber auch in bezug auf die Frauenarbeit der alte Zustand zurückführen, was nicht ausschließt, daß strenge Schutzgesetze das Übermaß von Ausbeutung der Frauenarbeit verhindern und die gewerbliche Arbeit für schulpflichtige Kinder verboten wird. Hierin treffen die Interessen des Arbeiters mit den staatlichen und den allgemein menschlichen Kulturinteressen zusammen. Ist zum Beispiel der Staat genötigt, wie das in den letzten Jahrzehnten mehrfach der Fall war, zuletzt 1893, als es sich um eine abermalige große Verstärkung der Armee handelte, das Minimalmaß für das Militär herabzusetzen, weil infolge der degenerierenden Wirkungen unseres Wirtschaftssystems die Zahl der militäruntauglichen jungen Männer immer größer wird, so sind alle an schützenden Gegenmaßregeln interessiert.(22) Das Endziel muß sein, die Nachteile, die das Maschinenwesen, verbesserte Arbeitswerkzeuge und die moderne Arbeitsweise hervorrufen, zu beseitigen, dagegen die enormen Vorteile, die sie der Menschheit geschaffen haben und in noch höherem Maße schaffen können, durch eine entsprechende Organisation der menschlichen Arbeit allen Gesellschaftsgliedern zustatten kommen zu lassen.

Es ist ein Widersinn und ein schreiender Mißstand, daß Kulturfortschritte und Errungenschaften, die das Produkt der Gesamtheit sind, nur denen zugute kommen, die kraft ihrer materiellen Gewalt sie sich aneignen können, daß dagegen Tausende fleißiger Arbeiter und Arbeiterinnen, Handwerker usw. von Schrecken und Sorge befallen werden, vernehmen sie, daß der menschliche Geist wieder eine Erfindung machte, die das Vielfache der Handarbeit leistet, wodurch sie Aussicht haben, als unnütz und überzählig aufs Pflaster geworfen zu werden.(23) Dadurch wird das, was von allen mit Freuden begrüßt werden |267| sollte, ein Gegenstand der feindseligsten Gesinnung, die in früheren Jahrzehnten mehr als einmal zu Fabriksturm und Maschinendemolierung die Ursache wurde. Eine ähnliche feindselige Gesinnung besteht heute vielfach zwischen Mann und Frau als Arbeiter. Diese ist ebenfalls unnatürlich. Es muß also ein Gesellschaftszustand zu begründen versucht werden, in dem die volle Gleichberechtigung aller ohne Unterschied des Geschlechts zur Geltung kommt.

Das ist durchführbar, sobald die gesamten Arbeitsmittel Eigentum der Gesellschaft werden, die gesamte Arbeit durch Anwendung aller technischen und wissenschaftlichen Vorteile und Hilfsmittel im Arbeitsprozeß den höchsten Grad der Fruchtbarkeit erlangt und für alle Arbeitsfähigen die Pflicht besteht, ein bestimmtes Maß von Arbeit zu leisten, das zur Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse notwendig ist, wofür die Gesellschaft wieder jedem einzelnen die Mittel zur Entwicklung seiner Fähigkeiten und zum Lebensgenuß gewährt.

Die Frau soll wie der Mann nützliches und gleichberechtigtes Glied der Gesellschaft werden, sie soll wie der Mann alle ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten voll entwickeln können und, indem sie ihre Pflichten erfüllt, auch ihre Rechte beanspruchen können. Dem Manne als Freie und Gleiche gegenüberstehend, ist sie vor unwürdigen Zumutungen gesichert.

Die gegenwärtige Entwicklung der Gesellschaft drängt immer mehr auf einen solchen Zustand hin, und es sind gerade die großen und schweren Übel in unserer Entwicklung, die einen neuen Zustand herbeizuführen nötigen.


Fußnoten von August Bebel

(1) Nach den vom Fabrikinspektor Schuler angefertigten Listen zahlreicher Krankenkassen bezifferte sich die Zahl der jährlich auf den Kopf entfallenden Krankheitstage für die weiblichen Krankenkassenmitglieder auf 7,17, für die männlichen nur auf 4,78. Die Dauer der einzelnen Erkrankungen betrug bei den weiblichen Mitgliedern 24,8, bei den männlichen 21,2 Tage. O. Schwarz, Die Folgen der Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege. Deutsche Vierteljahrshefte für öffentliche Gesundheitspflege 1903. 35. Band, S. 424. <=

(2) In allen deutschen Gewerkschaften 168.111. <=

(3) "Ganz besonders in den Konfektionsbetrieben. Aber auch in anderen Fabriken. So in den Sonneberger Spielwarenfabriken, in Wäschefabriken, Zigarettenfabriken, Schuhfabriken, Papierwarenfabriken." R. Wilbrandt, Arbeiterinnenschutz und Heimarbeit. S. 84. Jena 1906. <=

(4) Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 2. Band, S. 832. 3. Auflage. F. Zahn, Beruf und Berufsstatistik. <=

(5) Textile Trades in 1906. London 1909. <=

(6) E. Cadbury, C. Matheson und G. Shann, Women's work and wages. S. 121. London 1906. <=

(7) E. Cadbury und G. Shann, Sweating. S. 76. London 1907. <=

(8) Statistics of women at work. S. 31. Washington 1908. <=

(9) Earnings of wage-earners. Bulletin 93, S. 11, Washington 1908. <=

(10) Executive civil service of the United States. Washington 1908. <=

(11) C. Milhaud, L'ouvrière en France. S. 4 bis 5. Paris 1907. <=

(12) E. Levasseur, Questions ouvrières et industrielles en France sous la troisième république. S. 275 bis 276. Paris 1907. <=

(13) C. Milhaud, a.a.O., S. 522. <=

(14) E. Levasseur, a.a.O., S. 537. <=

(15) Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken. Nach den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Jahr 1899 bearbeitet im Reichsamt des Innern. S. 18, 21, 23, 49, 53, 62, 63. Berlin 1901. <=

(16) "In den Gegenden, wo die Webfabriken konzentriert sind, steigt der Prozentsatz der verheirateten unter den Fabrikarbeiterinnen weit über die durchschnittlichen 26 Prozent, zum Beispiel in Sachsen-Altenburg auf 56 Prozent, in Reuß auf 58 Prozent." R. Wilbrandt, Die Weber in der Gegenwart. S.145. Jena 1906. <=

(17) A.a.O., S. 57, 63. <=

(18) Wörishoffer, Die soziale Lage der Fabrikarbeiter in Mannheim. <=

(19) Marie Baum, Drei Klassen von Lohnarbeiterinnen in Industrie und Handel der Stadt Karlsruhe. S. 60. Karlsruhe 1906. <=

(20) Die gewerbliche Tätigkeit der Frauen. 1878. <=

(21) Durch ein internationales Übereinkommen vom 26. September 1906 zwischen Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz wurde in diesen Staaten die Verwendung von weißem Phosphor für Zündhölzchen vom 1. Januar 1911 ab verboten. In Deutschland dürfen solche Zündwaren seit 1. Januar 1907 nicht mehr angefertigt werden, vom 1. Januar 1908 ab auch nicht mehr gewerbsmäßig feilgehalten, verkauft oder sonst in Verkehr gebracht werden. In England ist ein ähnliches Gesetz im Jahre 1909 angenommen. <=

(22) Es waren militärtauglich in Prozent der endgültig Abgefertigten 1902 58,5, 1905 57,1, 1904 56,4, 1905 56,5, 1906 55,9 und 1907 54,9. Es mußten von dem Heeresstande nach erfolgter Einstellung wegen Unbrauchbarkeit entlassen werden 1881 bis 1885 2,07 Prozent, 1891 bis 1895 2,30, 1900 bis 1905 2,47 Prozent. W. Claassen, Die abnehmende Kriegstüchtigkeit im Deutschen Reiche in Stadt und Land von 1902 bis 1907. Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, 1909, Heft 1. <=

(23) Fabrikinspektor A Redgrave hielt Ende Dezember 1871 einen Vortrag zu Bradford, worin er unter anderem sagte: "Was mich seit einiger Zeit frappiert hat, war die veränderte Erscheinung der Wollfabriken. Früher waren sie mit Frauen und Kindern gefüllt, jetzt scheint die Maschinerie alles Werk zu tun. Auf Anfrage gab mir ein Fabrikant folgenden Aufschluß: Unter dem alten System beschäftigte ich 63 Personen; nach Einführung verbesserter Maschinen reduzierte ich meine Hände auf 33, und jüngst, infolge neuer großer Veränderungen, war ich imstande, sie von 33 auf 13 zu reduzieren." Es fand also innerhalb weniger Jahre eine Verminderung der Arbeiterzahl um fast 80 Prozent statt bei mindestens gleichbleibender Produktenmasse. - Zahlreiche interessante Mitteilungen in gleicher Richtung gibt "Das Kapital" von Karl Marx.<=