Johannes R. Becher

Arbeiterführer

(Zuerst veröffentlicht in "Die hungrige Stadt", 2. Auflage, Berlin 1928)


Aus der Tiefe kommend,

Mit den Massen auf Du und Du,

Selber den Arbeiterkittel tragend,

Der Name hatte nichts zu bedeuten,

War nichts weiter als ein Pfiff,

Worauf man die Ohren spitzte -

Auch ihnen wurde es vielleicht manchmal im Magen wund

Vor der Sorge ums tägliche Brot,

Auch sie wußten vielleicht manchmal nicht,

Woher die Miete nehmen,

Auch ihnen schrie vielleicht ein krankes Kind,

Und eine Mutter lag da,

Löcheriges Gesicht,

Leblos - - -

Auch sie waren vielleicht Väter und Männer,

Krummgespannt vor Verzweiflung,

Aufrechtgeschüttelt wieder vor Empörung,

Wußten nicht, wo ein, wo aus ...


Aber sie kamen ins Rutschen eines Tags,

Ins Rutschen nach oben -

Glitten dahin,

Wie einer, der in den Abgrund saust -

Von Stufe zu Stufe,

Höher, immer höher - - -

Saßen zusammen mit Ministern an einem Tisch,

Die legten ihnen die Hand auf die Schulter,

Zwinkerten vertraulich,

Tranken ihnen zu -

Saßen zusammen mit Polizeipräsident, Bankfachleuten, Industriedirektoren -

"Ganz verständige Menschen eigentlich, was -

Höchst vernünftige Leutchen -

Haben sie uns immer anders vorgestellt,

Damals, als wir noch - - -"

Hatten Audienzen bei Kaiser und Königen,

"Hurra!" riefen sie, katzbuckelten "Majestät",

Schwangen den Zylinderhut "Hoch!" in wippenden Rhythmen.


Da schämten sie sich ihrer Proletarierfaust,

Der schwieligen,

Stülpten sich Glacéhandschuhe über,

Der Frack saß tadellos,

Auf festem Grund standen sie jetzt,

Auf dem Parkettboden,

Und drehten sich

Und scharwenzelten mit vornehmen Damen,

Daß es gar lieblich zu schauen war.

Ihr Name prangte in den Zeitungen.

"Ach Sie sind es, Herr Meyer, der berühmte - "

Überall wurde Herr Meyer erkannt, der Abgeordnete.

Postkarten mit dem Bild des beliebten Abgeordneten

Gab es in jedem größeren Papiergeschäft zu kaufen -

Alle "Illustrierten" waren voll davon.


Sie lernten ihre Vergangenheit hassen.

Sie taten alles gründlich von sich ab, was noch nach Proleten roch,

Sie zogen höchst eigenhändig unter ihre Vergangenheit einen Strich,

Einen roten, blutigen Strich,

Als sie ihre Zustimmung zur Abwürgung des Streiks gaben,

Bald darauf einen anderen Streik selbst abwürgten

Und den Befehl zum Feuern auf die Streikenden unterzeichneten.


Burschen von schwerstem Kaliber wurden sie.

Mit allen Wassern gewaschen,

Mit allen Hunden gehetzt -

Aalglatte Redner,

Geriebene Versammlungsleiter -

Schmierten jeden Tag ein halbes Dutzend Artikel,

Auf Bestellung, glänzendes Honorar -

Eiserne Stirnen,

Schwammige Backen,

Wässerige Fischaugen,

Die ohne zu zucken sehen können,

Wie Tausende, aber Tausende hungernder Proletarier

Langsam in den Fabriken zu Tode gemetzelt werden - -


Sie fühlen sich keineswegs betroffen.

Sie sind durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

"Immer kaltes Blut, Genosse!"

Steigen ins Auto,

Flitzen davon,

Haben genug mit Konferenzen zu tun ...

Strecken alle viere von sich

An der Riviera oder in Tirol:

Reichstagsferien.

Lesen wo in der Zeitung

Von einem Aufstand, von einem Sabotageakt

Oder sonst was Gesetzwidrigem - -


Da schießt ihnen das Blut in den Kopf,

Schaum zwischen den Lippen,

Ballen die Faust:

"An die Wand mit der Bande!

Schluß mit dem Gesindel!"

- - -

So sitzen sie, die Bonzen, im fetten Himmel:

Zynisch lächelnd,

Alles wissend,

Nicht von Gewissensbissen oder Konflikten

Angekränkelt -

Kerngesund.